Besorgniserregende Stichproben

20. September 2023 von Laborjournal

„Wissenschaftsbetrug ist selten. Stimmt das eigentlich?“ Diese Frage stellte unser „Wissenschaftsnarr“ Anfang des Jahres in seiner Laborjournal-Kolumne (LJ 1-2/2023: 22-24). Und fasste ein Ergebnis seiner Recherche folgendermaßen zusammen:

Beispielsweise können mittlerweile wissenschaftliche Abbildungen automatisiert auf Manipulationen untersucht werden. Und tatsächlich zeigt die Anwendung dieser Techniken, dass mehr als vier Prozent aller biomedizinischen Publikationen Graphen und Abbildungen enthalten, die hochgradig verdächtig auf maligne Manipulationen sind – etwa die Verschiebung von Banden, Duplikationen, nicht plausible Fehlerbalken und so weiter. Diese Zahlen werden auch durch Arbeiten bestätigt, in denen Menschen die Abbildungen untersuchten.

Vier Prozent ist nicht selten. Noch schlimmer aber ist, dass in der Zwischenzeit weitere „Stichproben“ auf höhere Quoten kommen. So untersuchte beispielsweise ein fünfköpfiges Team der Universität Birmingham in Alabama, USA, insgesamt 67 Publikationen aus der rhinologischen Forschung mit dem KI-basierten Software-Tool Imagetwin auf potenziell unlauter duplizierte Immunofluoreszenz-Abbildungen (Int. Forum Allergy Rhinol., doi.org/ks6m). Bei 18 Artikeln schlug Image­twin Alarm. In neun davon charakterisierten die Autoren die Duplikationen daraufhin als „definitiv“, hinsichtlich der übrigen neun blieben sie bei „möglich, aber nicht vollends bestätigt“. Nimmt man nur erstere, bleibt folglich eine Manipulations-Quote von 12 Prozent.  Diesen Beitrag weiterlesen »

Tube-Dunking

12. September 2023 von Laborjournal

 

Seit dem WM-Sieg am Sonntag drängen völlig neue Einflüsse in den Forschungsalltag unseres „Forscher Ernst“ …

 

(Gezeichnet von Rafael Florés. Über 200 weitere Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

Die Mikrobiomik hat’s nicht leicht

6. September 2023 von Laborjournal

Schon vor knapp fünf Jahren bemerkte unser Wissenschaftnarr süffisant zum Thema:

Mittlerweile spuckt PubMed pro Tag dreißig neue Mikrobiom-Artikel aus. Kein Fach, das nicht von der Mikrobiom-Manie erfasst wurde.

Um wenig später zu ergänzen:

Immerhin konnte aufgrund der Vielzahl der publizierten Studien mittlerweile eine Reihe von Metaanalysen durchgeführt werden. Diese schlussfolgern in aller Regel, dass man eigentlich gar nichts sagen kann, da die vorliegenden Studien gewisse Qualitäts-Mindestanforderungen nicht erreichen. Und dort, wo solide und gut gemachte Studien vorliegen, liefern diese entweder neutrale oder sogar negative Resultate. So geschehen etwa kürzlich in einer relativ großen Studie an Patienten mit Reizdarm: Den Probanden in der Stuhltransplantations-Gruppe ging es am Ende schlechter als denjenigen, die mit Placebo behandelt wurden.

Und damit hat er noch nicht mal das leidige Hauptproblem der Mikrobiomik angesprochen: Nämlich dass bei der Entnahme oder Weiterprozessierung der Mikroorganismen immer wieder unbemerkt menschliche DNA mit ins Röhrchen rutscht – und die Mikrobiom-Daten am Ende auf hässliche Weise kontaminiert. Das weiß man zwar schon länger und versucht daher, mit den Referenzdaten des Humangenoms solche Falsch-Daten nachträglich wieder herauszurechnen – dennoch werden bis heute weiterhin in schöner Regelmäßigkeit solche Kontaminationen aufgedeckt.  Diesen Beitrag weiterlesen »

Postersession: Ritual im Großformat

30. August 2023 von Laborjournal

– EHER EINE GLOSSE –

 

„Poster? Nie mehr. Da bleib‘ ich lieber im Labor.“ So das Fazit eines Konferenzbesuchers nach einer enttäuschenden Poster-Session (siehe „Inkubiert“ in LJ 5/2015, S. 8). „Aalglatte Stories mit den Daten von vorgestern“, so der im Heft zitierte Informant.

Der Grund für die offenbar um sich greifende Zurückhaltung: Paranoia vor der Konkurrenz. Da könnte ja jemand die unveröffentlichten Experimente nachkochen. Kann man die Papierschlacht mit den Postern also gleich ganz bleiben lassen?

Andererseits: Was wäre eine Konferenz ohne eine zünftige Poster-Rallye? Denn Rituale wollen gepflegt werden und geben Halt im Jahreslauf des Forscherlebens.

Das Drama beginnt schon zu Hause im Labor.

Der Kampf mit dem Chef. Der hat nämlich in der Regel seine eigenen Vorstellungen davon, was man auf dem großen Blatt Papier zeigen soll – oder eben nicht zeigen darf, um die Konkurrenz im Dunkeln zu lassen.  Diesen Beitrag weiterlesen »

Mal so richtig abschalten …

2. August 2023 von Laborjournal

 

Irgendwie kann unser „Forscher Ernst“ selbst während des Urlaubs Forschung und Wissenschaft nicht ganz abschütteln …

 

 

 

In diesem Sinne macht auch unser Blog jetzt erstmal Urlaub! …

 

(Gezeichnet von Rafael Florés. Über 200 weitere Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

Ist A=B dasselbe wie B=A?

26. Juli 2023 von Laborjournal

Nichts ist in der Forschung eine derart heikle Angelegenheit wie die richtige Reihenfolge der Autorinnen und Autoren auf einem Paper. Wobei die ganze Angelegenheit nochmal eine Spur delikater geworden ist, seitdem sogenannte Co-Erstautorschaften rasant zugenommen haben.

Der Grund für Letzteres ist klar: Immer mehr Paper können nur noch durch die gleichwertige Kooperation mehrerer Gruppen mit jeweils verschiedener Expertise entstehen. Was nicht selten dazu führt, dass am Ende zwei oder mehr Namen auf den ersten Plätzen mit einem hochgestellten Sternchen versehen werden – zu dessen Bedeutung es dann heißt:

* These authors contributed equally to this project and should be considered co-first authors.

Das Dumme dabei ist jedoch, dass ein ­Paper mit den drei Co-Erstautoren „Maier, Müller, Schmidt“ nach liebgewonnener Forschergepflogenheit schnell zu „Maier et al.“ degeneriert. Was natürlich nicht wirklich fair ist. „Müller et al.“ oder „Schmidt et al.“ wären es allerdings genausowenig. Fazit: Co-Erstautoren können zwar formal gleichberechtigt sein – werden aber beileibe nicht gleichbehandelt. … Hier geht’s weiter >>

Talent? Oder Glück gehabt?

19. Juli 2023 von Laborjournal

Ihnen wurde nichts auf dem Silbertablett serviert? Sie haben Blut, Schweiß und Tränen literweise in Ihren Werdegang investiert und die Konkurrenz wohlverdient auf hintere Plätze verwiesen?

 

Jetzt, in diesem Moment, in dem Sie ganz allein vorm Bildschirm sitzen – Hand aufs Herz: Halten Sie sich auf die eine oder andere Weise nicht auch für cleverer, fähiger oder kompetenter als so manch ein Nebenmann und so manch eine Nebenfrau? Also, der Schreiber dieses Newsletters tut es. Schließlich beruht sowohl Ihr als auch mein Erfolg hauptsächlich – wenn nicht ausschließlich – auf unseren persönlichen Eigenschaften: Wir sind talentiert, smart, fleißig, willensstark, leidensfähig und risikobereit! Und hatten – der Wahrheit halber – gelegentlich ab und zu vielleicht auch ein Fünkchen Glück.

Willkommen in der Welt psychologischer Kontexteffekte! Denn objektiv betrachtet sind weder Sie noch ich besonders begabt: Persönliche Eigenschaften wie Talent und Intelligenz sind Gauß-verteilt. Das heißt, zwei Drittel der Bevölkerung liegen innerhalb einer Standardabweichung um den jeweiligen Mittelwert, 95 Prozent innerhalb von zwei Standardabweichungen.  … Hier geht’s weiter >>

Neues von den Zombies

12. Juli 2023 von Laborjournal

Öfter schon haben wir über „Zombie-Paper“ gemeckert. Artikel also, die trotz erfolgter Retraction munter weiter zitiert werden. Beispielsweise hier, hier und hier.

Um das Problem klarzumachen, schrieben wir etwa:

Eigentlich ist man sich grundsätzlich einig in der Wissenschaft: Wird ein publiziertes Paper zurückgezogen („retracted“) – egal, ob aus ehrenhaften oder unehrenhaften Gründen –, dann gilt es augenblicklich als aus dem Scientific Record entfernt. Mit all seinen Daten und Schlussfolgerungen. Als hätte es nie existiert, als wären die Experimente nie gemacht worden.

Doch leider sieht die Realität gar nicht selten anders aus. Hartnäckig geistern zurückgezogene Veröffentlichungen als putzmuntere Zombies weiter durch den Wissenschaftsbetrieb – und treiben ihr Unwesen vor allem in den Referenzlisten nachfolgender Publikationen. Meist werden sie noch Jahre später zitiert, manche nach der Retraction sogar noch häufiger als vorher.

Jetzt präsentiert ein Team von fünf Informationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern wieder eine neue Studie zum Thema: „Evolution of retracted publications in the medical sciences: Citations analysis, bibliometrics, and altmetrics trends“ (Account. Res., doi.org/kjfk). Dazu identifizierten sie in der Datenbank Scopus 840 Publikationen, die in den medizinischen Wissenschaften zwischen 2016 bis 2020 zurückgezogen wurden. Diese wurden bis August 2021 insgesamt 5.659 Mal zitiert, 1.559 dieser Zitierungen datierten deutlich nach der Retraktion des zitierten Artikels. Die Rate der „Zombie-Referenzen“ beträgt damit satte 27,5 Prozent.  … Hier geht’s weiter »

Viva, Open Data!

5. Juli 2023 von Laborjournal

Unser Forscher Ernst lernt die Vorzüge des Offenlegens aller Forschungsdaten kennen …

(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

Betrugsware Co-Autorschaft

28. Juni 2023 von Laborjournal

Mehrfach haben wir schon darüber berichtet, auf welch dreiste Weise das System wissenschaftlichen Publizierens für betrügerische Aktivitäten missbraucht wird – zuletzt etwa hier, hier und hier. Und anscheinend lassen windige Witzfiguren tatsächlich rein gar nichts unversucht, um gerade den besonders Bedürftigen und/oder Leichtgläubigen aus der Forscherzunft ordentlich Geld für Nix aus der Tasche zu ziehen.

Waren es vor etwa einem Jahr noch Zitierungen, die eine Agentur systematisch an Forscher verkaufte (siehe hier), so werden inzwischen auch Co-Autorschaften auf angeblich bereits akzeptierten Papern gegen Geld feilgeboten. Am 19. Juli twitterte jedenfalls die allseits bekannte Fälschungs- und Missbrauchs-Detektivin Elisabeth Bik (sinngemäß übersetzt):

Wow, das ist ziemlich krass. Der Verfasser präsentiert hier einen Acceptance Letter für sein Manuskript von der Zeitschrift „Molecular Biology and Evolution“ – und verkauft jetzt auf Facebook Autorpositionen darauf für 5.000 oder mehr.

… Und zeigte einen Screenshot des betreffenden Facebook-Posts:  Diesen Beitrag weiterlesen »