Zitatesammeln per Lieferfahrzeug

20. April 2022 von Laborjournal

Raub-Verlage (Predatory Publishers), Entführte Journale (Hijacked Journals), Papiermühlen (Paper Mills), … – schon öfter berichteten wir, mit welch windigen Manövern einige, meist asiatische „Unternehmer“ Profit aus den Zwängen und Nöten des wissenschaftlichen Publikationssystems schlagen. Siehe etwa hier, hier, hier oder hier. Die Ideen, das System zum eigenen Profit zu hintergehen, scheinen damit jedoch immer noch nicht erschöpft. Auf der Paper-Diskussionsplattform PubPeer wurde jedenfalls gerade eine weitere schräge „Geschäftsidee“ enthüllt: Zitate-Lieferfahrzeuge (Citation Delivery Vehicles).

Anfang des Jahres illustrierte dort ein User mit Pseudonym „Hoya camphorifolia“ anhand eines Papers chinesischer Autoren eine weit verbreitete Strategie des unlauteren Zitatevermehrens (J. Mater. Sci.: Mater. Electron., doi: 10.1007/s10854-021-05437-0):

Die Autoren dieser Gruppe haben die merkwürdige Neigung, ihre Arbeiten mit einem Schlusssatz abzuschließen, der als reines „Citation Delivery Vehicle“ fungiert – siehe https://pubpeer.com/search?q=“Jun+Zhao „+OR+“Zhiqin+Zheng“. In mindestens einem dieser Fälle stand der folgende, stark aufgeblasene Schlusssatz nachweisbar nicht in der Version, die die Peer-Reviewer sahen, sondern wurde erst in der Korrekturphase hinzugefügt:

„Diese Arbeit erweitert den Anwendungsbereich der persistenten Materialien auf das Feld der Photokatalyse und bietet überdies neue Einblicke in andere Bereiche, wie etwa die Abwasserbehandlung [46-48], die Elektrokatalyse [49-51] und die Photokatalyse [52-55].“

Anschließend folgen die entsprechenden Referenzen 46 bis 55, allesamt wiederum Veröffentlichungen chinesischer Gruppen. Diese jedoch haben – man ahnt es schon – mit dem Inhalt des Papers rein gar nichts zu tun. Wie „Hoya camphorifolia“ schon sagt, dient der nichtssagende Schlusssatz einzig und allein als Vehikel, um die zehn Referenzen an das Paper kleben zu können. Wodurch schnurstracks die Zitatekonten von deren Autoren völlig unverdient mit angehoben werden.

Ein anderer PubPeer-User mit Pseudonym „Oriensubulitermes inanis“ erklärte dann im Detail, wie solche „Vehikel-Geschäfte“ mit irrelevanten Referenzen funktionieren:

[…] Sie werden feststellen, dass diese Paper und diejenigen in den Referenzlisten aus einem ganz bestimmten Land stammen, aus dem auch ich komme. Entwickelt sich dort eine Arbeit zu einem sogenannten „ESI Highly Cited Paper“, erhalten die Autoren einen finanziellen Bonus von ihrer Universität. Ich will also kurz erklären, wie man sich ein „ESI Highly Cited Paper“ „beschaffen“ kann.

Auch ich erhalte jedes Mal, wenn ich ein Paper publiziert habe, mehrere E-Mails mit dem Betreff „Wir können Ihnen helfen, Ihre Veröffentlichung zur hoch zitierten Arbeit zu machen“. Würde ich zustimmen, ginge das in etwa folgendermaßen weiter:

Sie binden sich an eine Agentur, die einen Pool von Publikationen verwaltet. Damit diese auch Ihre Veröffentlichungen darin aufnimmt, müssen Sie natürlich eine Gebühr bezahlen.

Haben Sie dann ein Manuskript, teilen Sie den Agentur-Vermittlern den Titel und die Keywords mit. Diese geben Ihnen dann vor, welche Paper aus dem Agentur-Pool Sie in Ihrem eigenen Artikel zitieren sollen. Praktisch immer haben diese Paper nichts mit dem Thema Ihrer Veröffentlichung zu tun, sondern lassen sich allenfalls unter breiten Feldern wie „Materialwissenschaft“, „Katalyse“ und so weiter subsumieren. […] Die Zitate zu diesen Referenzen erscheinen somit völlig willkürlich in der Einleitung oder im Schlussteil – und zwar meist gebündelt, weil so nur wenige Leser darauf achten. […]

Haben Sie das letztlich gemacht, zitieren künftig im Gegenzug andere Gruppen Ihre Arbeiten in deren Publikationen. Schließlich stecken diese ebenfalls im Agentur-Pool, und entsprechend werden deren Vermittler andere „Pool-Gruppen“ aktiv zu dieser Gegenleistung auffordern.

Für Ihre eigene Arbeit garantiert die Agentur Ihnen eine gewisse Anzahl von Zitaten innerhalb eines bestimmten Zeitraums, die sie Ihnen auf diese Weise „besorgt – beispielsweise dreißig Zitate im folgenden Jahr.

All dies funktioniert also wie ein Schneeball. Die Referenzlisten werden länger, gleichsam werden immer mehr „ESI Highly Cited Paper“ produziert. Zugleich steigen die Zitierzahlen der Autoren, wofür diese wiederum Geld und Ruhm einstreichen.

Schauen wir uns die Referenzen an, die der Schlusssatz des obigen Papers zitiert. Insgesamt sind es 10 Arbeiten, mindestens 7 davon sind bereits „ESI Highly Cited Paper“. Dazu muss man wissen, dass von allen Arbeiten lediglich das oberste Prozent mit den meisten Zitierungen als „ESI Highly Cited Paper“ definiert ist. Alleine bei diesen 10 Referenzen liegt der Anteil indes bei mindestens 70 Prozent. Nur ein Zufall? […]

Zudem sind die fragwürdigen Arbeiten aus den Referenzlisten innerhalb der letzten zwei Jahre veröffentlicht worden. Ältere Arbeiten findet man dort in der Regel nicht. Dies wiederum liegt ebenfalls daran, wie ein „ESI Highly Cited Paper“ definiert ist. Demnach ist es nämlich viel einfacher, die entsprechende Schwelle mit einer neuen Arbeit zu überspringen. Wenn Sie beispielsweise innerhalb eines Jahres nach Veröffentlichung Ihrer Arbeit dreißig Zitate erhalten, gilt es bereits als „ESI Highly Cited Paper“.

Also fasst „Oriensubulitermes inanis“ am Ende zusammen:

Bei dem Ganzen handelt es sich um ein sorgfältig konzipiertes und kaum aufspürbares Netzwerk, das auf diese Weise multiplen Benefit generiert: Die Vermittler-Agentur kassiert von den Wissenschaftlern die Eintrittsgebühr in den Paper-Pool, die Wissenschaftler erhalten ihre Belohnung in Form von Zitierungen und finanziellem Bonus, die Forschungseinrichtungen können mit stark zitierten Papern aufwarten und die Zeitschriften profitieren von höheren Impact-Faktoren.

Einzig auf der Strecke bleibt die Wissenschaft.

Andererseits jedoch könnten unlautere Praktiken wie diese das Fass auch endgültig zum Überlaufen bringen. Denn letztlich sorgen sie dafür, dass man bibliometrischen Daten immer weniger vertrauen kann. Weshalb sie womöglich auch immer mehr an Gewicht verlören, wenn es um die Evaluation von Forschungsleistungen geht. Und das wiederum könnte der Wissenschaft guttun.

Ralf Neumann

(Illustr.: howtopublishinjournals.com)

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