Preprint- statt Journal-Clubs

8. November 2023 von Laborjournal

Die Zahl der Vorab-Ver­öf­fent­li­chungen von Forschungsergebnissen auf Preprint-Servern hat zuletzt rasant zugenommen – unter anderem auch stark befeuert durch die COVID-19-Pandemie. Zugleich betreiben die meisten akademischen Institutionen seit vielen Jahrzehnten die guten, alten „Journal Clubs“, in denen bereits begutachtete und publizierte Studienresultate kritisch besprochen werden. Warum angesichts dessen nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, dachten sich offenbar vor drei Jahren eine Handvoll Jungforschende: Warum nicht gewisse Synergien erzeugen, indem man den „Journal Club“ in einen „Preprint Club“ umwandelt?

Ungefähr so entstand 2020 die Idee zu einem institutionsübergreifenden Preprint Club (preprintclub.com), um via Online-Treffen neue immunologische Studien zu bewerten, die auf den Preprint-Servern bioRxiv und medRxiv erschienen waren. Keimzelle waren junge Immunologinnen und Immunologen an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York City und der University of Oxford, später kamen weitere vom Stockholmer Karolinska-Institut und der University of Toronto hinzu.

Fünf von ihnen haben den Gründungsprozess und die Idee dahinter gerade in Nature (doi: 10.1038/d41586-023-01819-y) genauer beschrieben. Darin halten sie fest:   Diesen Beitrag weiterlesen »

Wo sind meine Paper hin?

18. Oktober 2023 von Laborjournal

Vielleicht sollte unser Forscher Ernst sich abends mit bestimmten Themen einfach nicht mehr beschäftigen …

 

(Gezeichnet von Rafael Florés. Über 200 weitere Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

Häufiger zitiert durch Twitter (X)?

27. September 2023 von Laborjournal

Dank Herrn Musk heißt Twitter heute bekanntlich X. Dennoch wird auch für X gelten, was ein US-Team gerade unter dem Titel „Controlled experiment finds no detectable citation bump from Twitter promotion“ veröffentlicht hat (bioRXiv, doi.org/kvk7). Demnach beobachteten die Beteiligten in ihrem Experiment keinen signifikanten Anstieg der Zitierzahlen von Forschungsartikeln, wenn diese zuvor auf Twitter angepriesen wurden.

Zitierzahlen interessieren den publizierenden Forscher respektive Forscherin natürlich sehr. Daher wundert auch kaum, dass zuvor bereits mehrere Handvoll ähnlicher Studien zum Thema durchgeführt wurden. Dummerweise jedoch lieferten diese in der Summe sehr gemischte Ergebnisse – von keinem Einfluss anpreisender Tweets auf die künftige Zitierrate (z.B. hier und hier) über allenfalls mäßige Folgen (z.B. hier und hier) bis hin zu einem deutlich positiven Effekt (z.B. hier und hier).

Jetzt also nochmal eine Studie zum gleichen Thema, wahrscheinlich die annähernd hundertste. Warum sollte man sich die überhaupt anschauen? Na ja, vielleicht weil sie gleich zu Beginn die allermeisten anderen erstmal in die Pfanne haut, indem es dort heißt:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Neues von den Zombies

12. Juli 2023 von Laborjournal

Öfter schon haben wir über „Zombie-Paper“ gemeckert. Artikel also, die trotz erfolgter Retraction munter weiter zitiert werden. Beispielsweise hier, hier und hier.

Um das Problem klarzumachen, schrieben wir etwa:

Eigentlich ist man sich grundsätzlich einig in der Wissenschaft: Wird ein publiziertes Paper zurückgezogen („retracted“) – egal, ob aus ehrenhaften oder unehrenhaften Gründen –, dann gilt es augenblicklich als aus dem Scientific Record entfernt. Mit all seinen Daten und Schlussfolgerungen. Als hätte es nie existiert, als wären die Experimente nie gemacht worden.

Doch leider sieht die Realität gar nicht selten anders aus. Hartnäckig geistern zurückgezogene Veröffentlichungen als putzmuntere Zombies weiter durch den Wissenschaftsbetrieb – und treiben ihr Unwesen vor allem in den Referenzlisten nachfolgender Publikationen. Meist werden sie noch Jahre später zitiert, manche nach der Retraction sogar noch häufiger als vorher.

Jetzt präsentiert ein Team von fünf Informationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern wieder eine neue Studie zum Thema: „Evolution of retracted publications in the medical sciences: Citations analysis, bibliometrics, and altmetrics trends“ (Account. Res., doi.org/kjfk). Dazu identifizierten sie in der Datenbank Scopus 840 Publikationen, die in den medizinischen Wissenschaften zwischen 2016 bis 2020 zurückgezogen wurden. Diese wurden bis August 2021 insgesamt 5.659 Mal zitiert, 1.559 dieser Zitierungen datierten deutlich nach der Retraktion des zitierten Artikels. Die Rate der „Zombie-Referenzen“ beträgt damit satte 27,5 Prozent.  … Hier geht’s weiter »

Nervige Zeit- und Geldverschwendung für Manuskripte

17. Mai 2023 von Laborjournal

„Mein Vollzeitjob besteht gerade darin, abgelehnte Manuskripte für eine andere Zeitschrift neu zu formatieren – und mich dabei superproduktiv zu fühlen.“

Viele werden sich wiederfinden in diesem nicht ganz ironiefreien Tweet, den der Ernährungsphysiologe Katsu Funai von der University of Utah Anfang des Jahres abschickte. Und er ist bei weitem nicht der Einzige, der auf Twitter über den enormen Zeitaufwand klagt, den es kostet, wenn man ein Manuskript, das man gemäß den Anforderungen einer Zeitschrift formatiert hat, für die Zweiteinreichung bei einer anderen Zeitschrift in ein völlig anderes Format umarbeiten muss.

„Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie lange es dauert, Artikel für Zeitschrifteneinreichungen neu zu formatieren?“, fragte daher Megan Davies, Postdoc in der Epidemiologie der Universität Kopenhagen, ebenfalls auf Twitter. Und fuhr fort: „Wir haben uns das gefragt und beschlossen, darüber zu schreiben! Wir haben die verlorene Zeit und das verlorene Geld berechnet sowie Editoren und Forscher befragt – und einige neue Vorschläge für Formatierungsrichtlinien entwickelt.“

Das Ergebnis ist jetzt nachzulesen in dem Paper mit dem Titel „Saving time and money in biomedical publishing: the case for free-format submissions with minimal requirements“ (BMC Medicine 21: 172), bei dem Megan Davies als Co-Autorin fungiert. Demnach registrierten Seniorautor Tibor Varga und sein Team zunächst einmal unter „302 führenden biomedizinischen Fachzeitschriften […] eine große Vielfalt an Enreichungsanforderungen“. Und stellten nachfolgend fest: Diesen Beitrag weiterlesen »

Retractions: Bei Corona nichts Neues!

2. November 2022 von Laborjournal

Es ist traurige Tatsache: Viele zurückgezogenen Veröffentlichungen werden nach wie vor zitiert, als ob deren Inhalt weiterhin gültig wäre. Erst vor einem halben Jahr prangerten wir diese Unsitte folgendermaßen an:

Wird ein publiziertes Paper zurückgezogen („retracted“) – egal, ob aus ehrenhaften oder unehrenhaften Gründen –, dann gilt es augenblicklich als aus dem Scientific Record entfernt. Mit all seinen Daten und Schlussfolgerungen. Als hätte es nie existiert, als wären die Experimente nie gemacht worden.

Doch leider sieht die Realität gar nicht mal so selten anders aus. Hartnäckig geistern zurückgezogene Veröffentlichungen als putzmuntere Zombies weiter durch den Wissenschaftsbetrieb – und treiben ihr Unwesen vor allem in den Referenzlisten nachfolgender Veröffentlichungen.

Weitere Auswüchse dieses Elends hatten wir kurz danach in diesem Beitrag thematisiert. Und jetzt kommt frisch der Bericht eines australischen Teams, nach dem die Corona-Pandemie das ganze Übel sogar nochmals extra befeuert: 212 Veröffentlichungen nahmen sich die Autoren vor, die aus dem Gesamtwerk von weit über 200.000 Artikeln zur Corona-Forschung seit Pandemiebeginn zurückgezogen wurden – 2.697 Mal wurden diese insgesamt bis zum Sommer zitiert, im Durchschnitt also sieben Mal pro Publikation.

Insbesondere interessierte das Autorenteam indes der Anteil klinischer Studien an den Retractions. Also nahm es 1.036 Zitierungen entsprechender Veröffentlichungen in eine genauere Analyse – und berichtet folgende Ergebnisse:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Der arme Brian

12. Oktober 2022 von Laborjournal

 

(Vor kurzem veröffentlichten wir an dieser Stelle unter dem Titel „Helicopter pylori“ einen Post über mehr oder weniger lustige „Verschreiber“ in Originalartikeln. Dazu erreichte uns folgende Zuschrift von Stefan Reuss, emeritierter Professor an der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin der Universität Mainz: …)

Liebe Redaktion,

ich habe mich sehr über Ihre Zusammenstellung der lustigen Druckfehler („Helicopter pylori“) amüsiert. Dabei sind mir noch drei Dinge eingefallen, für die ich aber die entsprechenden Sonderdrucke nicht auf Anhieb gefunden habe (weggeworfen habe ich sowas aber nicht).

Vor vielen Jahren, als Print-Sonderdrucke noch die Regel waren und niemand wusste, was PDFs sind, bekam ich einen solchen mit der fettgedruckten Überschrift „…. in the Mouse Brian“. Wir haben jahrelang den Running Gag „Brian, the Mouse“ benutzt. Gefunden habe ich das in PubMed nicht, eventuell ist der Titel später noch korrigiert worden. Bei der PubMed-Suche sind mir aber zwei ähnliche Dinge untergekommen:

# Harper MM et al., Blast Preconditioning Protects Retinal Ganglion Cells and Reveals Targets for Prevention of Neurodegeneration Following Blast-Mediated Traumatic Brian Injury (Invest. Ophthalmol. Vis. Sci. 60(13):4159-70)

# Agassandian C. et al., „Ciliary Defects in a Mouse Model of Bardet-Biedl Syndrome are Selectively Pronounced in Brian Regions Involved in Cardiovascular Regulation (Ross. Fiziol. Zh. Im. I. M. Sechenova. 102(8):904-20)

Der arme Brian …

Und noch was Schönes, das damals aber nicht über das Stadium der Druckfahne hinauskam: Ein Artikel meines leider früh verstorbenen Frankfurter Kollegen Peter Semm kam als Druckfahne mit Autor(en) und Adresse folgendermaßen an: „Peter Semm und Johann Wolfgang v. Goethe, Universität Frankfurt“. Was ein verrutschtes Komma bei einem unaufmerksamen Korrektor ausmachen kann! Ich war total stolz, mit jemandem publiziert zu haben, der mit Goethe zusammen publiziert, und habe – allerdings vergeblich – versucht, Peter Semm dazu zu überreden, den Fehler einfach nicht zu bemerken und die Druckfreigabe zu erteilen.

Wir haben uns daraufhin selbst nochmal bei PubMed schlau gemacht – und tatsächlich noch mehr „Hirnfehler“ gefunden. Hier also die Liste der weiteren Skurrilitäten, die die Autoren dem „armen Brian“ angetan haben:

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Nur nicht zu viel spekulieren!

28. September 2022 von Laborjournal

Seien wir mal ehrlich: Funktionierten nicht viele wichtige Arbeiten in der Geschichte der Biologie im Wesentlichen nach dem folgendem Muster:

„Leute, wir haben da ein paar ziemlich coole Beobachtungen gemacht. Wir verstehen zwar noch nicht wirklich, was da ganz genau dahinter steckt – aber lasst uns doch schon mal spekulieren, was sie bedeuten könnten.“

… Und am Ende kam wirklich Großes dabei heraus.

Nehmen wir als ein Beispiel von vielen den englischen Chemiker Peter Mitchell. Seine Veröffentlichung in Nature, in der er vor über sechzig Jahren erstmals die chemiosmotische Theorie als potenziellen Kernmechanismus der zellulären Energiegewinnung vorstellte, hätte damals genauso gut unter dem Titel „Wie ich denke, dass die ATPase arbeitet“ erscheinen können – so sehr spekulierte er aus einer Handvoll Beobachtungen einen potenziellen Mechanismus zusammen. Und wie das oft passiert, wenn jemand derart ausführlich spekuliert, erntete auch Mitchell sofort heftigen Gegenwind unter den Fachkollegen.

Dennoch gilt seine Arbeit von 1961 als Klassiker. Als der chemiosmotische Mechanismus der ATP-Synthese später endgültig geklärt war, stellte sich zwar heraus, dass Mitchell in einigen Aspekten falsch gelegen hatte – viel entscheidender aber war, dass er mit seinem spekulativen Modell der weiteren Forschung grundsätzlich die richtige Richtung vorgegeben hatte. Und das sah letztlich auch das Nobelpreis-Komitee so: 1978 durfte sich Mitchell den Preis für Chemie abholen.

Die Gretchenfrage stellt sich nun von allein: Wie groß wären die Chancen, dass Mitchell ein derart spekulatives Paper im Jahr 2022 veröffentlichen könnte? Oder dass er damit Forschungsmittel einwerben könnte? In einer Zeit also, in der die Geldgeber Projekte vor allem dann fördern, wenn die Entschlüsselung von Mechanismen im Rahmen klarer Zwischenziele und strikter Zeitpläne winkt? Und in der die Journals Manuskripte mit abgeschlossenen und vollständigen „Stories“ klar favorisieren?

Die Chancen von Mitchell und Co. stünden heute wohl eher schlecht. Zu stark ist der Druck von Journals und Fördergebern, finale Erklärungen für die beobachteten Phänomene zu liefern. So stark, dass sich womöglich bald nur noch wenige trauen, „den Mitchell zu machen“ – und wie dieser die eigenen „coolen Beobachtungen“ einfach mal via „educated guess“ weiterzuspinnen.

Schade eigentlich!

Ralf Neumann

(Illustr.: Freepik)

 

Typos mit in die Referenzen?

10. August 2022 von Laborjournal

Wie listet man in der Referenzliste ein zitiertes Paper, das einen Druckfehler im Titel hat? Interessante Frage, die Timothy McAdoo von APA Style im gleichnamigen Blog stellt.  Soll man offensichtliche Rechtschreibfehler, Buchstabendreher oder neuerdings gar die unbemerkten Streiche, die einem die Autokorrektur spielt, beim Referenzieren im eigenen Paper korrigieren?

McAdoo schreibt, dass solche Fehler generell selten vorkommen, da ja Reviewer und Editoren das Manuskript vorab kritisch lesen. Aber es kommt vor! Auch wir selbst hatten mal nach mehr oder weniger lustigen „Verschreibern“ in Forschungsartikeln gefahndet – und die Ergebnisse hier publiziert.

Zwei der betreffenden Paper hatten die Fehler tatsächlich im Titel – wir fassten sie damals folgendermaßen zusammen: Diesen Beitrag weiterlesen »

Getrübte Titelfreuden?

11. Mai 2022 von Laborjournal

Könnte es eventuell eine zweifelhafte Freude sein, mit der eigenen Veröffentlichung auf dem Titelblatt einer Journal-Ausgabe zu landen?  …

Zu meiner eigenen aktiven Zeit im Labor – die mittlerweile schon eine ganze Weile her ist – lief es jedenfalls so: Jedes Mal, wenn das Paper einer Gruppe es bis auf das Cover eines guten Journals geschafft hatte, gab es eine zumindest mittelgroße Feier im gesamten Institut. Man wertete dies schlichtweg als ganz besondere Form der Wertschätzung für den jeweiligen Inhalt – und entsprechend groß war deshalb die Freude.

Bis heute scheint sich an dieser Freude nicht wirklich was geändert zu haben – wie ein kurzer Blick nach Twitter verrät. Da jubelt beispielsweise letzte Woche einer, dass eine Studie mit seiner Beteiligung durch die Cover-Illustration der Mai-Ausgabe von Lancet Oncology ganz besonders gewürdigt wird.

Einen Tag danach verkündet eine walisische Professorin:

Und wieder einen Tag später wird folgende Nachwuchsforscherin geradezu euphorisch:

„Doch wird die Freude allzu groß, legt irgendwo ein Spielverderber los.“ Und in diesem Fall könnten drei italienische Wirtschaftsforscher diese Rolle besetzen. „Cover effects on citations uncovered: Evidence from Nature“ übertitelten sie ihre Studie, die gerade frisch im Journal of Infometrics erschien (16(2): Art. 101293; im Preprint hier lesbar). Im Abstract schreiben sie:    Diesen Beitrag weiterlesen »