Neues von den Zombies

12. Juli 2023 von Laborjournal

Öfter schon haben wir über „Zombie-Paper“ gemeckert. Artikel also, die trotz erfolgter Retraction munter weiter zitiert werden. Beispielsweise hier, hier und hier.

Um das Problem klarzumachen, schrieben wir etwa:

Eigentlich ist man sich grundsätzlich einig in der Wissenschaft: Wird ein publiziertes Paper zurückgezogen („retracted“) – egal, ob aus ehrenhaften oder unehrenhaften Gründen –, dann gilt es augenblicklich als aus dem Scientific Record entfernt. Mit all seinen Daten und Schlussfolgerungen. Als hätte es nie existiert, als wären die Experimente nie gemacht worden.

Doch leider sieht die Realität gar nicht selten anders aus. Hartnäckig geistern zurückgezogene Veröffentlichungen als putzmuntere Zombies weiter durch den Wissenschaftsbetrieb – und treiben ihr Unwesen vor allem in den Referenzlisten nachfolgender Publikationen. Meist werden sie noch Jahre später zitiert, manche nach der Retraction sogar noch häufiger als vorher.

Jetzt präsentiert ein Team von fünf Informationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern wieder eine neue Studie zum Thema: „Evolution of retracted publications in the medical sciences: Citations analysis, bibliometrics, and altmetrics trends“ (Account. Res., doi.org/kjfk). Dazu identifizierten sie in der Datenbank Scopus 840 Publikationen, die in den medizinischen Wissenschaften zwischen 2016 bis 2020 zurückgezogen wurden. Diese wurden bis August 2021 insgesamt 5.659 Mal zitiert, 1.559 dieser Zitierungen datierten deutlich nach der Retraktion des zitierten Artikels. Die Rate der „Zombie-Referenzen“ beträgt damit satte 27,5 Prozent. 

Interessant sind noch die Ländervergleiche hinsichtlich zurückgezogener Artikel und deren Zitierungen. So heißt es im Abstract:

Die Ergebnisse zeigen, dass vorsätzliche Fälschungen die häufigsten Gründe für eine Zurückziehung waren. China (438), die Vereinigten Staaten (130) und Indien (51) weisen den größten Anteil an Retraktionen auf.

Bezogen auf die Gesamtzahl der Veröffentlichungen mit Korrespondenzadresse aus dem jeweils betreffenden Land belegt China mit 9,7 Retraktionen pro 10.000 Artikel auch den relativen Spitzenplatz. Zweiter ist hier Ägypten (6,7) vor Südkorea (3,6) und Indien (3,3).

Deutschland schneidet hingegen nicht ganz unerfreulich ab: Von den 244.568 medizinwissenschaftlichen Artikeln des Fünfjahres-Zeitraums wurden bis August 2021 lediglich 22 zurückgezogen. Warum das Autorenteam damit auf eine Quote von 1,0 Retractions pro 10.000 Artikeln kommt, bleibt allerdings fraglich. Wir kommen mit simpler Mathematik auf 0,9. Aber anyway: Mit beiden Werten schneiden nur Kanada (0,9) und die Niederlande (0,7) besser ab.

(Die Schweiz und Österreich wurden in die Analyse leider nicht mit eingeschlossen. Etwa weil von ihren Papern keines zurückgezogen wurde?)

So weit, so gut! Wirkliche Überraschungen bieten die Ergebnisse nicht. Dass zurückgezogene Artikel im Schnitt über ein Viertel ihrer Zitierungen erst nach ihrer „Zombifizierung“ durch  Retraktion einsammeln, haben auch schon andere Teams publiziert. Und die bekamen teilweise sogar noch mehr raus. So etwa, dass die meisten zitierenden Paper die Zombie-Inhalte tatsächlich positiv (!) zitieren. Sie weisen also weder darauf hin, dass das zitierte Paper zurückgezogen wurde, noch zweifeln sie dessen Zuverlässigkeit an. Vielmehr errichten sie Teile ihrer mitgeteilten Erkenntnisse tatsächlich auf den Schultern dieser Zombies.

Was diese wiederum selbst irgendwie faulig macht. Doch dies ist bereits Stoff für eine andere Gruselgeschichte – und war unter anderem vor eineinhalb Jahren bereits Thema eines anderen Artikels in Account. Res. (29(1):18-25) …

Ralf Neumann

(Foto: 365origami)

 

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