Retractions: Bei Corona nichts Neues!

2. November 2022 von Laborjournal

Es ist traurige Tatsache: Viele zurückgezogenen Veröffentlichungen werden nach wie vor zitiert, als ob deren Inhalt weiterhin gültig wäre. Erst vor einem halben Jahr prangerten wir diese Unsitte folgendermaßen an:

Wird ein publiziertes Paper zurückgezogen („retracted“) – egal, ob aus ehrenhaften oder unehrenhaften Gründen –, dann gilt es augenblicklich als aus dem Scientific Record entfernt. Mit all seinen Daten und Schlussfolgerungen. Als hätte es nie existiert, als wären die Experimente nie gemacht worden.

Doch leider sieht die Realität gar nicht mal so selten anders aus. Hartnäckig geistern zurückgezogene Veröffentlichungen als putzmuntere Zombies weiter durch den Wissenschaftsbetrieb – und treiben ihr Unwesen vor allem in den Referenzlisten nachfolgender Veröffentlichungen.

Weitere Auswüchse dieses Elends hatten wir kurz danach in diesem Beitrag thematisiert. Und jetzt kommt frisch der Bericht eines australischen Teams, nach dem die Corona-Pandemie das ganze Übel sogar nochmals extra befeuert: 212 Veröffentlichungen nahmen sich die Autoren vor, die aus dem Gesamtwerk von weit über 200.000 Artikeln zur Corona-Forschung seit Pandemiebeginn zurückgezogen wurden – 2.697 Mal wurden diese insgesamt bis zum Sommer zitiert, im Durchschnitt also sieben Mal pro Publikation.

Insbesondere interessierte das Autorenteam indes der Anteil klinischer Studien an den Retractions. Also nahm es 1.036 Zitierungen entsprechender Veröffentlichungen in eine genauere Analyse – und berichtet folgende Ergebnisse:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Corona und der Wert des Peer Review

30. März 2022 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“ zum Thema Corona-Pandemie und Peer Review:

 

__________________________

 

[…] Wie replizierbar werden die Forschungsergebnisse zu COVID-19 sein? Das wissen wir noch nicht, aber eine Erfahrung, die mir im Rahmen der letzten Wochen stärker präsent geworden ist […], ist die Verletzlichkeit und Wichtigkeit des Peer-Review-Systems. Verletzlich – denn bewusste Täuschungen sind auch von kompetenten Reviewern schwer zu entdecken. Wichtig – denn ich glaube nach wie vor nicht, dass wir auf die erhebliche Mühe dieser Expertenarbeit zur Qualitätssicherung verzichten können. Wir müssen, denke ich, diese selbstlose und unentgeltliche Arbeit besser und vielleicht auch anders honorieren, denn sonst laufen wir Gefahr, die wesentlichen Ergebnisse in der Flut des Publizierten ebensowenig erkennen zu können, wie das in der unmoderierten Welt der (Online-)Informationen schon jetzt gebietsweise der Fall ist. […]

__________________________

 

 

… Sagte Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, in Mannheim sowie Mitglied der Ständigen DFG-Senatskommission für Grundsatzfragen in der Klinischen Forschung, in Laborjournal 7-8/2020 („Translationale Forschung in Pandemiezeiten“, S. 10-13).

 

Werden Corona-Artikel schlampiger begutachtet?

8. September 2021 von Laborjournal

 

Vor einem Jahr schrieben wir in unserem Heft 10/2020 auf Seite 10:

Die Qualität wissenschaftlicher Veröffentlichungen sinkt zu Zeiten der SARS-CoV­2-Pandemie. Das legt eine Metastudie aller COVID19-Publikationen des ersten Halbjahres 2020 nahe (Scientometrics 126831-42). Von 23.594 in Web of Science oder Scopus gelisteten Publikationen mussten 1,3 Prozent korrigiert oder binnen kurzer Zeit zurückgezogen werden, trotz vorherigem Peer Review. Vor 2020 traf dieses Schicksal im Durchschnitt nur vier von zehntausend Publikationen, also 0,04 Prozent. Infiziert SARS-CoV-2 zu allem Überfluss auch noch unsere wissenschaftliche Integrität?

In Heft 6/2021 legten wir dann auf Seite 8 unter „Inkubiert“ folgendermaßen nach:

Leider steht es mit [der Qualität] der Corona-Forschung bekanntlich nicht zum Allerbesten – auch wegen der enormen Dringlichkeit, Ergebnisse zu liefern. So sagen Experten, dass von der enormen Flut an Corona-Preprints rund siebzig Prozent deutliche Mängel aufweisen. Folgerichtig hielt schon vor einiger Zeit eine Metastudie fest, dass von tausend weltweit duchgeführten Studien zur Infection Fatality Rate von COVID-19 nur eine „sehr geringe Zahl“ den normalen methodischen Standards entsprach. Und selbst nach Peer Review und „ordentlicher“ Publikation in einem „richtigen“ Journal bleibt es oft zumindest schwammig. Nicht umsonst wurden innerhalb des letzten Jahres bereits über hundert Originalartikel rund um Corona wieder zurückgezogen.

Der Peer Review war also unter Verdacht. Diesen Beitrag weiterlesen »

Hemdsärmelig, suboptimal,…

10. März 2021 von Laborjournal

 

 

In unserem neuen Heft haben wir ein langes Interview mit dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Virologie, Ralf Bartenschlager von der Uni Heidelberg. Darin sagt er unter anderem über die Förderung der hiesigen Corona-Forschung:

[…] Bartenschlager » Die meiste Förderung, muss man sagen, war zunächst sehr hemdsärmelig. Das waren kurze Finanzspritzen, die wir oft auch erst nachträglich bekommen haben. Das ist angesichts der akuten Notsituation, die sich im März 2020 abgezeichnet hat, verständlich. Die EU und das Bundesministerium für Bildung und Forschung [BMBF] haben inzwischen Gelder bereitgestellt, aber die arbeiten ja strikt Top-Bottom, die Themen sind vorgegeben und zumeist sehr anwendungsorientiert. Man muss also mit seiner Forschung schon recht weit gekommen sein, um in diesen Programmen erfolgreich zu sein. Glücklich ist, wer mit seinem Projekt in den Call passt …

… oder man muss es passend machen.

Bartenschlager » Ja, oder man hat halt Pech gehabt und muss sich eine andere Möglichkeit suchen. In diesem Zusammenhang können wir in Deutschland sehr froh über die DFG [Deutsche Forschungsgemeinschaft] sein, die wirklich die Grundlagenforschung fördert, die Ideen ohne Nutzenbewertung nur nach Innovation und wissenschaftlicher Qualität bewertet. Auch die DFG hat mit Beginn der Pandemie Geld bereitgestellt, wurde aber vermutlich mit einer Vielzahl an Anträgen überrannt. In diesem Fall liegt dann die Zahl an eingereichten Projekten, viele davon von sehr talentierten Forschern, weit über dem, was man finanzieren kann. […]

Zum gleichen Thema schreiben wir im gleichen Heft unter „Inkubiert“:

[…] Die Corona-Pandemie verlangt von der Forschung so dringend wie nie zuvor ganz konkrete Antworten auf bohrende Fragen – nicht zuletzt, um auf deren Basis praktische Entscheidungen für unsere Gesellschaft treffen zu können. Doch hierbei funktionieren die Förderinstrumente der freien Grundlagenforschung offenbar nur suboptimal. Sicher, BMBF und DFG leiten jede Menge ihrer Mittel in Corona-Forschung um. Da sie diese aber wie gewohnt im Wettbewerb ausschreiben, können sie am Ende nur diejenigen Projekte fördern, die die Forscher ihnen anbieten. Und womöglich sind einige wichtige Projekte dummerweise nicht mit im Angebot.

Einfach umschwenken können die Forschungsförderer offensichtlich nicht – und stattdessen klar sagen: „Wir brauchen folgende Daten – wer also das Projekt dazu macht, bekommt Geld!“ Könnte darin gar mit eine Ursache für das zu Recht kritisierte Defizit an koordinierter und systematischer Pandemie-Begleitforschung liegen? […]

Beide Male schimmert also durch, dass es in der gezielten Förderung von Forschung zu SARS-CoV-2 und COVID-19 durchaus Defizite gegeben haben könnte. Weitere Meinungen dazu?

(Illustr.: iStock / Nuthawut Somsuk)

Deutschland blamabel bei Corona-Sequenzierung

27. Januar 2021 von Laborjournal

SARS-CoV-2 mutiert – das war klar. Gefährliche Mutationen erkennt man nur dann rechtzeitig, wenn man die Virusgenome aus Infizierten durch engmaschige Überwachung (Surveillance) via Komplett-Sequenzierung überprüft. Ein Aspekt, der in Deutschland bisher auf fahrlässige Weise vernachlässigt wurde.

Kollege Harald Zähringer hat dazu für unser kommendes Heft die folgenden Absätze geschrieben. Da sie dort allerdings etwas „versteckt“ in der „Produktübersicht: Produkte für die SARS-CoV-2-Forschung“ erscheinen werden, heben wir sie hier nochmals separat hervor:

[…]

Besorgniserregende Mutanten

SARS-CoV-2 mutiert mit einer Mutationsrate von etwa 1,1×10-3 Nukleotid-Substitutionen pro Stelle und Jahr, das entspricht einem Austausch jeden elften Tag (Science 371: 464-5). Der größte Teil dieser Mutationen verändert die Fitness des Virus und seine Anpassung an den Wirt weder positiv noch negativ. Mittlerweile tauchen jedoch vermehrt Varianten auf, die bei Epidemiologen und Immunologen die Alarmglocken klingeln lassen. Zu diesen zählen insbesondere die Abstammungslinien B.1.1.7, B.1.351 sowie P.1 (B.1.1.28-Abkömmling), die Forscher zuerst in England (B.1.1.7), Südafrika (B.1.351) und Brasilien (P.1) entdeckten. Typisch für diese sind mehrere Punktmutationen im Spike-Protein des Virus, kombiniert mit einer Deletion im Offenen Leserahmen 1b.

Sehr auffällig ist zum Beispiel die Punktmutation N501Y in der Rezeptorbinde-Domäne (RBD) des Spike-Proteins, die in allen drei Linien zu finden ist. SARS-CoV-2 entert die Wirtszelle, indem es mit der Rezeptorbinde-Domäne des Spike-Proteins an den Zellrezeptor ACE2 andockt. Virologen befürchten deshalb, dass Mutationen in der RBD den Eintritt des Virus in die Zelle erleichtern und seine Übertragungsrate erhöhen könnten. Gleichzeitig steigt mit ihnen die Gefahr für sogenannte Escape-Mutanten. Diese Flucht-Mutanten könnten Antikörpern entgehen, die der Körper nach einer durchgemachten Infektion oder Impfung gebildet hat. Die Folge wären vermehrte Reinfektionen nach bereits überstandener Krankheit beziehungsweise eine abnehmende Effektivität von Impfstoffen.

Blamable Vorstellung

Um dieses Worst-Case-Szenario zu verhindern, versuchen Virologen und Bioinformatiker die Evolution des Virus möglichst genau im Blick zu behalten, indem sie das Virus-Genom so oft wie möglich sequenzieren. Vorreiter ist hier das britische COVID-19 Genomics UK Consortium, das bisher über 200.000 der gut 400.000 in der GISAID-Datenbank gesammelten SARS-CoV-2-Sequenzen lieferte. Kaum ins Gewicht fallen dagegen die etwas mehr als 2.000 Sequenzen, die bis Januar 2021 von deutschen Forschern eingestellt wurden.

Wie blamabel Deutschland bei der Sequenzierung von SARS-CoV-2 im internationalen Vergleich dasteht, kann man sehr schön in einer Kurzmitteilung des Japaners Yuki Furuse im International Journal of Infectious Diseases nachlesen (103: 305-7). Richtig weh tut eine Grafik, in der Furuse die Zahl der SARS-CoV-2 Sequenzierungen pro COVID-19-Fall für 50 Länder darstellt. Dass das Vereinigte Königreich, Island, Neuseeland, Australien oder auch die Demokratische Republik Kongo (wegen Ebola-Überwachung) hier meilenweit vor Deutschland liegen, ist nicht besonders überraschend. Dass aber auch Länder wie Senegal, Thailand oder Ägypten besser abschneiden, ist schon sehr ernüchternd.

Um die Sequenzierung voranzutreiben, hat das Bundesministerium für Gesundheit deshalb am 19. Januar 2021 die Coronavirus-Surveillanceverordnung (CorSurV) in Kraft gesetzt. Mit 220 Euro, die Labore pro Sequenzierung vergütet bekommen, will Jens Spahn sie dazu bringen, mehr zu sequenzieren. 200 Millionen Euro sollen hierfür insgesamt zur Verfügung gestellt werden.

[…]

Wie lange es jetzt tatsächlich dauern wird, bis das dringend benötigte Frühwarnsystem für SARS-CoV-2-Mutanten hierzulande ebenso so gut funktioniert wie etwa in England, ist nicht absehbar. Dazu braucht es leider etwas mehr als eine schnelle Verordnung samt plötzlichem Förder-Aktionismus.

(Illustr.: Pixabay / ArtJane)

 

Lockdown-Kämpfe im Labor

14. Januar 2021 von Laborjournal

 

In unserer Reihe „Forscher Ernst und die Corona-Krise“: …

 

 

(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

Schöne Weihnachten… und auf ein besseres neues Jahr!

23. Dezember 2020 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Forscher Ernst und die Coronakrise“:…

 

 

„Forscher Ernst“ und die gesamte Laborjournal-Redaktion wünschen allen Leserinnen und Lesern frohe Weihnachten sowie einen geschmeidigen Start in ein gesundes, spannendes und denkwürdiges neues Jahr!

 

(Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier. Text: Rafael Florés/Ralf Neumann;  Zeichnungen: Rafael Florés.)

Corona-Forschung per Glücksfall

16. Dezember 2020 von Laborjournal

 

Vieles läuft gut in der Corona-Forschung, vieles aber auch nicht.

Nehmen wir etwa die Meldung „Masken verringern Corona-Infektionsrisiko um 45 Prozent“, die in den letzten Tagen dutzendweise in diversen Medien erschien. Darin heißt es:

Ein Mund-Nasen-Schutz verringert das Corona-Infektionsrisiko einer Studie zufolge […] um durchschnittlich rund 45 Prozent. «Das sind 55 statt 100 Neuinfektionen», sagte der Mainzer Ökonom Klaus Wälde, einer der Autoren der in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlichten Studie […]. «Oder noch anschaulicher: Statt 20.000 Neuinfektionen am Tag hätten wir ohne Masken rund 38.000.»

Sicherlich erstmal eine positive Botschaft. Weil es gut ist, dass wir das jetzt wissen. Die Kehrseite jedoch ist, dass wir das eigentlich schon viel früher hätten wissen sollen.

Letzteres wollen wir hier ein wenig vertiefen. Diesen Beitrag weiterlesen »

Was für ein starker Impfstoff!

9. Dezember 2020 von Laborjournal

 

In unserer Reihe „Forscher Ernst und die Corona-Krise“: …

 

 

(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

Schon wieder Lockdown!

4. November 2020 von Laborjournal

 

In unserer Reihe „Forscher Ernst und die Corona-Krise“: …

 

 

(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)