Evidenz — und dann lange nichts mehr?

21. Juli 2021 von Laborjournal

Ein großer Kritikpunkt im Rahmen der Bewältigung der Corona-Krise lautet, dass die Entscheidungen der Politik zu wenig evidenzbasiert zustandekommen. Dies wiederum – so die Kritiker weiter – liege jedoch mit daran, dass die medizinischen (und auch andere) Wissenschaften zu wenige Daten systematisch nach den Maßgaben der evidenzbasierten Medizin erheben. Mit der Folge, dass sich die Politikberatung nur selten auf echte und robuste Evidenz aus den (medizinischen) Wissenschaften stützen kann.

In seiner Kolumne „Von Botswana lernen, heißt im Kampf gegen Corona siegen lernen!“ schrieb etwa unser „Wissenschaftsnarr“ Ulrich Dirnagl dazu:

Wir haben eine Flut von Studien, die die Wirksamkeit von Corona-Maßnahmen mittels statistischer Modellierung untersuchen – und nicht ganz überraschend zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. […] Dazu gibt es eine Flut von Beobachtungsstudien, welche die Effekte von Corona-Maßnahmen zum Gegenstand haben. Aber solche Beobachtungsstudien liefern nur schwache Evidenz und erlauben keine kausalen Schlussfolgerungen. Was wir deshalb bräuchten, sind randomisierte und kontrollierte Studien (RCT), in denen spezifische Corona-Maßnahmen als Intervention getestet werden. RCTs sind schließlich der Goldstandard zur Überprüfung therapeutischer Interventionen in der Medizin.

Aber ist das wirklich der Weisheit letzter Schluss? Brauchen wir zu den diversen offenen Fragen der Corona-Pandemie tatsächlich nur systematisch Studien nach dem Goldstandard der evidenzbasierten Medizin durchführen – und alles wird gut?

Ganz sicher nicht, meint Trisha Greenhalgh, Professorin für Primary Care Health Science an der Universität Oxford, in einem aktuellen Editorial für PLoS Medicine. Mehr noch: Gleich in der Überschrift dreht sie den Spieß komplett um und stellt stattdessen die Gegenfrage: „Wird COVID-19 zur Nemesis der evidenzbasierten Medizin?“    Diesen Beitrag weiterlesen »

„Wir simulieren ein Virus, das noch gar nicht existiert“

28. Oktober 2020 von Laborjournal

 

 

Gerade sind wir über ein Interview gestolpert, das wir in unserem Aprilheft 2009 publiziert hatten. Mitten in der zweiten Welle der aktuellen Corona-Pandemie wird einem schon ein wenig gruselig, wenn man es heute liest:

„Wir simulieren ein Virus, das noch gar nicht existiert“

 

In seiner Firma ExploSYS verbindet der Mathematiker Markus Schwehm Biologie und Medizin mit Statistik und Informatik. Heraus kam eine Simulations-Software, um Notfallszenarien wie eine Grippe-Pandemie realitätsnah durchspielen zu können.

Laborjournal: Die jüngste Grippewelle liegt gerade hinter uns. Wir leisten uns Überwachungsnetzwerke, unterhalten Gesundheitsämter und lesen ständig über viel versprechende Forschungsergebnisse. Dennoch können die Experten immer noch nicht vorhersagen, wie sich solche Epidemien verbreiten. Können Sie es?

Markus Schwehm: Die Vorhersage der alljährlich auftretenden Influenza-Epidemien ist in der Tat noch nicht möglich. Für dieses System fehlen uns nicht nur die Daten, es ist auch so kompliziert, dass wir mit unserer Software keine vernünftige Vorhersage leisten können. Stattdessen simulieren wir mit unserer Software das Auftreten einer Pandemie, also eines neuen Virustyps, gegen den in der Bevölkerung noch keine Immunität vorhanden ist und der sich weltweit verbreitet. Das macht das Modellieren einfacher als bei der saisonalen Grippe.

Was genau verkaufen Sie?

Schwehm: Ich mache im Vorfeld einer Epidemie Beratung für Gesundheitsämter. Dort will man zum Beispiel wissen, wie viele Arztbesuche im Ernstfall zu erwarten sind, wie viele Krankenhausbetten gebraucht werden, oder welche Mengen an Medikamenten vorrätig gehalten werden müssen. Zu den Kunden gehören aber auch Unternehmen, für die eine Pandemie existenzbedrohend sein kann. Hier geht es vorwiegend um Notfallmaßnahmen, um die Produktion im Ernstfall aufrecht zu erhalten.      Diesen Beitrag weiterlesen »

Die Techniker verlangt Nicht-Wirksamkeitsnachweis von Homöopathie — und erntet einen Shitstorm

7. März 2017 von Laborjournal

Wenn jetzt jede Menge Leute der Techniker Krankenkasse (TK) den Rücken kehren würden — sie könnte sich kaum beschweren nach dem fürchterlichen Eigentor, das sie sich letzte Nacht mit dem folgenden Tweet geschossen hat:

 

 

Eigentlich haben wir ja eher Probleme mit sogenannten Shitstorms, aber denjenigen, den die TK damit umgehend auf Twitter erntete, hat sie sich wahrlich wohlverdient. Im folgenden ein paar Beispiele von vielen — fangen wir mit den eher „ernsthaften“ an:

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Und so weiter…

Die Frage nach der derart peinlich zur Schau gestellten Unwissenschaftlichkeit der TK muss einem tatsächlich Angst machen. Weswegen — wie gesagt — sich natürlich sofort einige Kunden Gedanken über einen Austritt machen:

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Und so weiter…

Nicht abwegig, dass einige damit tatsächlich ernst machen werden.

Wieder andere versuchen, das Kind beim Namen zu nennen. Und haben wohl auch damit keineswegs Unrecht:

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Und so weiter…

Tja — und wie wohl kaum anders zu erwarten, reagiert ein weiterer, sehr großer Teil mit Sarkasmus:…

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Und so weiter…

Oder sie weisen auf das Paradox hin, dass etwa Brillen trotz nachgewiesener Wirksamkeit und großer Nachfrage nicht (!) von der TK et al. erstattet werden:

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Und so weiter…

Heute morgen gegen halb Neun räumte die TK dann endlich ihren Mega-Fauxpas ein — ein bisschen patzig zwar, aber immerhin:

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Und fügte etwas später noch an:

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Wobei jetzt schon sicher ist, dass mit dem Ergebnis dieses „Gesprächs“ die „Aufregung“ wohl kaum auf Null runtergefahren werden kann. Zu tief hat die TK das Kind im Brunnen versenkt — und sich daher den Schaden, die sie als Krankenkasse davontragen wird, leider redlich verdient.

Das einzig Schöne an der Affäre jedoch ist, wieviele Leute angesichts solch erschreckender Ignoranz mit dem Resultat schroffer Missachtung von faktenbasierter Wissenschaft sofort auf die Barrikaden gehen. Es ist zwar „nur“ ein Tweet einer Krankenkasse. Aber der reicht, dass einem angst und bange um unser Gesundheitssystem werden kann.

Die vielen krankenversicherten Twitterer dagegen machen einem Hoffnung, dass diese Angst am Ende unbegründet sein wird.

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Evidenz-basierte Medizin…

3. September 2013 von Laborjournal

… nett erklärt in folgender Parodie des Coldplay-Songs „Viva la Vida“:

(Via Youtube von James McCormack)

Verborgen, weil verboten?

27. Februar 2012 von Laborjournal

Werden hierzulande illegale Stammzelltherapien im Verborgenen durchgeführt? Es gibt zumindest Verdachtsmomente. In Bonn-Bad Godesberg steht jedenfalls ein Krankenhaus namens Elisées-Klinik, das ein buntes Mischmasch an Behandlungsformen anbietet: Ästhetisch-plastische Chirurgie, Immunmodulation mittels traditioneller chinesischer Medizin, Bandscheibenoperationen, Nanomed-Behandlungen via Biophotonik oder „nanovernebelter“ Wirkstoffe,… und Stammzelltherapien.

Wer jedoch mit deutscher IP-Adresse unter http://www.elisees-stemcell.com/ die entsprechenden Informationen dazu auf deren Website einsehen will, bekommt rundweg ein „404 Page Not Found“ auf den Monitor. Mit IP-Adresse von außerhalb bekommt man dagegen folgende Startseite zu sehen:

(Die gleiche Seite samt aller nachgeschalteten Seiten kann man übrigens mit deutscher Adresse derzeit noch über den Google-Webcache einsehen — siehe etwa hier.)

Wer auf diese Weise weiter gräbt, erfährt zum Beispiel, dass man sich in der Klinik für gutes Geld Stammzellen entnehmen und gegen alle möglichen Leiden wieder zurückspritzen lassen kann: Alzheimer, Autismus, Multiple Sklerose,… bis hin zur erektilen Dysfunktion. Diesen Beitrag weiterlesen »

Zitat des Monats (4)

9. August 2011 von Laborjournal

Während des Beitrags Wie die Pharmaindustrie die Forschung kauft im „Deutschlandradio Kultur“ vom 06.07.2011 beklagte der Politikpsychologe Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal den „Verlust des inneren Kompass der Wissenschaft“:

Und tatsächlich gibt es konservative Schätzungen, die sagen: Ungefähr ein Viertel aller Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften enthält mehr oder weniger fehlerhafte, manipulierte Daten. Selbst wenn wir hochrechnen, haben wir mindestens eine satte Fälschung in jeder Zeitschrift alle fünf Jahre. Also das sind inzwischen Phänomene von einer Größenordnung, die über einzelnes Abschreiben weit hinausgeht. Das Abschreiben selber ist eher ein Indiz für den Verlust des inneren Kompasses der Wissenschaft. Wissenschaft soll ja Wahrheit herstellen, Wahrheit finden, und wenn man die einfach mal ein bisschen klaut, dann ist von der Wahrheit nicht mehr viel übrig, und diese Haltung, die ist bedrückend.

(Grafik: © giz – Fotolia.com)

Gen-Patent gekippt

15. April 2010 von Laborjournal

Nach über zwölfjährigem Hickhack kippte Ende März ein US District Court in New York die Patente der Firma Myriad auf die Brustkrebs-Gene BRCA 1 und 2 (siehe hier und hier). Gründe dafür gibt es einige. Erst kürzlich etwa beschrieben US-Forscher in Genomics (Epub ahead of print) just am Beispiel von BRCA1, wie absurd solche Patente auf menschliche Gene in ihren Applikationen tatsächlich sein können  (siehe unten). Der englische Wissenschaftsautor Ben Goldacre referierte das Paper in seiner Guardian-Kolumne „Bad Science„, und Christine Käppeler übersetzte den Text für die Wochenzeitung Der Freitag („Ihr Gen gehört uns“).  Am Ende des Artikels heißt es:

Unlängst erschien in der Zeitschrift Genomics ein Paper mit dem Titel „Metastasizing patent claims on BRCA1“. Es geht dem tatsächlichen Ausmaß der Patente nach, die auf das BRCA1-Genom 1998 gewährt wurden. Was dabei herausgefunden wurde, ist wirklich absurd. Diesen Beitrag weiterlesen »

Ziegengrippen-Ente

11. Dezember 2009 von Laborjournal

ziegrippNach den Seltsamkeiten um den holländischen Virologen Albert Osterhaus („Dr. Flu“) im Zusammenhang mit der Schweinegrippen-Pandemie (siehe unten: „Schweinegrippen-Schweinerei“), hat Holland offenbar wieder Spektakuläres über tierische Grippen zu bieten: „Alarm in den Niederlanden: Ziegengrippe kommt“, heißt es in einem Beitrag des Presseportals Die Presse.com. „Das ‚Q-Fieber‘ hat bereits sechs Todesoper gefordert. Nun werden zehntausende Ziegen getötet“, schreibt Autor Helmut Hetzel. Und weiter: „Das Virus überträgt sich direkt von Ziege zu Mensch.“

Dumm nur, dass es das Ziegenvirus gar nicht gibt. Das „Q-Fieber“ verursachen Bakterien der Art Coxiella burnetii. Und die sechs Toten beklagte Holland bereits 2008.

Die „Ziegengrippe“ also als typischer Fall von Zeitungsente (Entengrippe?). Und Helmut Hetzel müsste man den Europäischen Journalistenpreis 1997 dafür eigentlich wieder aberkennen.

Schweinegrippen-Schweinerei?

2. Dezember 2009 von Laborjournal

schweinegrippeSeit einigen Tagen kursiert ein Text von Polskaweb, einer „polnischen Zeitung in deutscher Sprache“, durch Foren und Blogs. Dessen Kernbehauptung:

Ein Holländer befindet sich im Fadenkreuz von Ermittlern um einen immer wahrscheinlicher erscheindenen Korruptions- und Betrugsskandal von nie dagewesenem Ausmaß. Der Mann heisst Albert Osterhaus und ist Professor für Virologie am Klinikum der Erasmus-Universität in Rotterdam. Er führt eine Gruppe von namhaften Virologen an, welche zuletzt Sars, Vogel- Robben- und Schweinegrippe in Europa salonfähig gemacht haben. Die niederländische Regierung hatte wegen zahlreichen Ungereimheiten in Zusammenhang mit den neuen Grippen einen Untersuchungsausschuss bestellt, der jetzt u.a. herausgefunden hatte, dass sich auf Osterhaus Konten „größere“ Geldeingänge befinden, welche ausgerechnet durch Hersteller von Impfmitteln gegen die Influenza A/H1N1 und A/H5N1 an ihn persönlich überwiesen worden waren. Schweine- und Vogelgrippe könnten also wie schon bereits laut gemunkelt wird, reine Erfindungen eines kriminellen Netzwerkes von Pharma- Produzenten und skrupellosen Wissenschaftlern sein, denn die Osterhaus Truppe sitzt auch in den wichtigsten Gremien der WHO.

Nun ja, Vogel- und Schweinegrippe sind sicher keine „reinen Erfindungen“ — aber gewisse Pandemie-Szenarien inklusive der „passenden“ Gegenmaßnahmen könnte man schon erheblich pushen, wenn man an den richtigen Stellen sitzt. Und das tut Albert Osterhaus zweifelsohne.

Dennoch wirkt die ganze Geschichte natürlich eher wie die Verschwörungstheorie einer — nun ja — etwas komischen Quelle. Wenn da allerdings nicht sechs Wochen vorher ein Artikel in Science erschienen wäre, der zumindest Andeutungen in ähnlicher Richtung machte. Es könnte also durchaus noch etwas nachkommen. Wir sind gespannt…


Ein altes Hausmittel, das wirkt! Warum bloß?

28. November 2009 von Carsten T. Rees

suppe

Es wirkt wirklich! Nur diese Wirkung und der eiserne Wille konnten den Webmaster des Laborjournals dem eisigen Griff einer Influenza wenigstens für Stunden entreißen. Gut, kleiner Wermutstropfen – „bloß eine normale Influenza?“, „zu H1N1 hats wohl nicht gereicht?“. Naja die andere hatten wir in der Familie, sie war gut für eine Woche schulfrei. Aber was ist nun dieses potente Hausmittel?

Hühnersuppe mit Buchstabennudeln, wobei letztere dem Geschmack, der Ästhetik und der Familientradition geschuldet sind. Diesen Beitrag weiterlesen »