Sind Forschungspreise eher kontraproduktiv?

20. Oktober 2021 von Laborjournal

Letzte Woche erschien in Nature Communications ein Artikel mit dem Titel „Scientific prizes and the extraordinary growth of scientific topics“ (Vol. 12, Article number: 5619) – auf Deutsch also: „Wissenschaftliche Preise und das außergewöhnliche Wachstum wissenschaftlicher Themen“. Im Abstract sind die Ergebnisse und Schlussfolgerungen etwa folgendermaßen zusammengefasst:

Schnell wachsende wissenschaftliche Themen verschieben bekanntermaßen die Grenzen der Wissenschaft. Groß angelegte Analysen, wie dies genau geschieht, gibt es allerdings kaum. Wir haben daher einen potenziellen Faktor untersucht, der mit dem außergewöhnlichen Wachstum eines Themas zusammenhängt: wissenschaftliche Preise. In einer Längsschnittanalyse haben wir fast alle anerkannten Preise weltweit untersucht, die sich insgesamt über mehr als 11.000 wissenschaftlichen Themen aus 19 Disziplinen streuen. Tatsächlich erfahren Themen, die mit einem wissenschaftlichen Preis verbunden sind, ein außerordentliches Wachstum hinsichtlich Produktivität, Einfluss und neuem Personal. Im Vergleich zu nicht-preisgekrönten Themen produzieren diese in den ersten fünf bis zehn Jahren nach der Preisverleihung 40 Prozent mehr Veröffentlichungen und 33 Prozent mehr Zitierungen. Zudem halten sie 55 Prozent mehr Wissenschaftler im Feld, gewinnen überdies 37 Prozent mehr Neueinsteiger hinzu – und produzieren 47 Prozent mehr Starwissenschaftler. Die Finanzierung ist für das Wachstum eines preisgekrönten Themas nicht maßgeblich. Vielmehr steht das Wachstum in einem positiven Zusammenhang mit dem Ausmaß, in dem der Preis disziplinspezifisch ist, für neuere Forschung verliehen wird oder mit einem Preisgeld dotiert ist. Diese Ergebnisse offenbaren daher eine neue Dynamik hinter wissenschaftlichen Innovationen und Investitionen.

Also in einem Satz kurz zusammengefasst: Themenfelder, die einen oder gar mehrere Preise einstreichen, werden nachfolgend in aller Regel wachsen – jedenfalls im Mittel.  Diesen Beitrag weiterlesen »

Arsen-Bakterien schon geplatzt?

7. Dezember 2010 von Laborjournal

Halomonadaceen-Stamm GFAJ-1 aus dem Mono Lake: Doch kein Arsenat- statt Phosphatrückgrat in der DNA?

Wow, was war das für eine Sensation letzte Woche:

A Bacterium That Can Grow by Using Arsenic Instead of Phosphorus,

betitelten NASA-Forscher ihren Science-Artikel. Und nachdem die NASA selbst tagelang im Voraus ominös-nebulös ‚eine spektakuläre Entdeckung‘ angekündigt hatte, hypte sie dann schließlich in ihren eigenen Science News:

Discovery of „Arsenic-bug“ Expands Definition of Life.

Was die Abteilung Astrobiologie der NASA damit wirklich meinte, formulierten dann auch die deutschsprachigen Medien zu voller Blüte aus. Einige Beispiele:

Die Suche nach Aliens muss jetzt ganz von vorn beginnen (BILD)

–  Ähnliche Organismen auch im Weltall denkbar (Rheinpfalz)

Astrobiologie: Nasa präsentiert irdische Aliens (Spiegel online)

Astrobiologen der Nasa spüren Alien Bakterien auf (Die Welt)

Jetzt, nur wenige Tage später, scheint die NASA-Seifenblase jedoch schon zu platzen. Jede Menge Mikrobiologen und Chemiker haben die Studie inzwischen gelesen — und lassen kaum ein gutes Haar daran. Diesen Beitrag weiterlesen »

Ein neuer Tag, ein neues Genom

9. September 2010 von Laborjournal

Vor nicht einmal 14 Tagen krabbelten zwei Ameisenarten in die Liste der sequenzierten Organismen (Science 329: 1068-71), letzte Woche kam dann der Apfel dazu (Nature Genetics, pub. online 29. August 2010), vorgestern flatterte noch schnell der Truthahn herein (PLoS Biol 8(9): e1000475) — und gestern verkündeten gerade mal elf  Autoren das erste „irische Genom“ (Genome Biology 2010, 11:R91).  Dazwischen posaunten die Medien noch etwas voreilig das Weizengenom hinaus, was das offizielle International Wheat Genome Sequencing Consortium allerdings in dieser Endgültigkeit erstmal wieder zurücknahm.

Wie auch immer, Genome sequenzieren ist schon lange kein Hexenwerk mehr. Und sofern man nicht gerade ein spezielles Interesse an dem jeweiligen Organismus hat, nimmt man sie mittlerweile fast nur noch beiläufig wahr. Auch wenn das alles sicher sehr gute Studien sind.

PZ Myers kommentiert denn auch in seinem Blog Pharyngula das erste Genom eines irisch-stämmigen Menschen als

[…] a curious paper — it’s fine research, and it’s a useful dollop of data, but it’s simultaneously so 21st century and on the edge of being completely trivial. It’s like a tiny shard of the future whipping by on its way to quaintness. […] It’s a good piece of work, another piece in the puzzle of human genomics, but it’s also a little bit odd. I’m always excited to see another organism’s genome sequenced, the first marsupial, the first sea anemone, the first avian, etc., and it’s also become a bit commonplace (oh, another bacterium sequenced…); it’s just weird to see „Irish“ announced as a new novel addition to the ranks of sequenced organisms, as if it were Capitella or something. Cool, but a little jarring.

Geht uns ähnlich. Mal sehen, welche Genome noch bis zum Wochenende kommen. Und ob wir sie alle noch gebührend registrieren…

Vom Geo- zum Idolgenetiker

30. August 2010 von Laborjournal

Mit „Inuk“ ist er gerade fertig geworden: Eske Willerslev vom Naturkundemuseum der Universität Kopenhagen. Unter seiner Leitung rekonstruierte ein internationales Team das Genom eines vor 4.000 Jahren lebenden männlichen Grönländers, der vermutlich zu den ersten Siedlern gehörte, die in die Arktis der Neuen Welt einwanderten. Als Quelle diente ein Haarbüschel des Mannes, das schon länger in den Beständen des dänischen Nationalmuseums lagerte.

Nicht erst seitdem hat man für ihn den Begriff des „Geogenetikers“ geschaffen. Denn schon zuvor verfolgte er die an sich simple Idee: „Schau nach, was in der Erde, vor allem im Permafrost, so alles konserviert wurde — und sequenziere es.“ Bisherige Beute: jede Menge Sequenzen von ausgestorbenen Bäumen und anderen Pflanzen, von fossilen Käfern und Schmetterlingen — und zuletzt gar die mitochondriale DNA-Sequenz eines Mammuts. Näheres etwa hier und hier.

Ganz nebenbei holte er sich dabei den Altersrekord für fossile DNA: die „eisgekühlten“ Sequenzen, mit denen er ein einstmals grünbewaldetes Südgrönland nachwies, werden auf 450.000-800.000 Jahre geschätzt.

Ganz so weit will er mit seinem jüngsten Projekt allerdings zeitlich nicht zurück, und auch in tiefgefrorenem Boden muss er dafür nicht mehr bohren. Nein, Willerslevs neuestes Objekt der Begierde ist eine Haarlocke des legendären Sioux-Häuptlings Sitting Bull. Dessen direkte Nachfahren hätten dem Projekt bereits zugestimmt — und so soll Sitting Bulls komplettes Genom baldmöglichst das erste eines nicht-eingefrorenen „Native American“ werden.

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Subtile Sünden

28. Juli 2010 von Kommentar per Email

Neulich kam per Email eine Art Rätsel in unsere Redaktion. „C. aus K.“, ein — wie er selber sagt — „vergleichsweise unregelmäßiger aber dennoch langjähriger Leser“ schrieb uns:

„[…] Was bisher nicht im Repertoire von LJ erschien, sind die Wissenschaftssünden, die weniger offensichtlich sind, weil sie sich subtil über sehr lange Zeiträume hin entwickeln und ganz dick eingepackt sind in tatsächlich ernstzunehmende, grundehrliche und seriöse Forschungsarbeiten. Man muss schon genau hinsehen, um so manch faulen Kern heraus zu pellen. Um das anzuregen, sende ich hier im Anhang ein kleines Manuskript zu einer weniger vordergründigen Geschichte. Diese tragische Variante von ‚Cantors Dilemma‘ ist im Gegensatz zu Carl Djerassis Roman in fast allen Punkten wahr. […]“

Wenngleich C. aus K. versichert hatte, „was und wer in der Geschichte gemeint [sei], [fände] man schnell heraus“, brauchte unsere Volontärin eine ganze Weile. Mal sehen, wie es den LJ-Blog-Lesern ergeht. Hier also C.’s „Manuskript“:

H.’s Doppel-Dilemma

von C. aus K.

Denkt Euch eine Arbeitgruppe (nennen wir sie AG H. aus L. im vereinigten Königreich) die dazu beitragen möchte, Wirkung und Funktion einer für einen zellulären Botenstoff gehaltenen Substanz aufzuklären. Diesen Beitrag weiterlesen »

Ein Märchen (!?)

29. Juni 2010 von Laborjournal

Vor langer, langer Zeit gab es irgendwo am Rande eines finsteren Waldes eine wunderschöne Wiese. Die Leute, die auf dieser Wiese lebten, widmeten sich damals vollständig der Erforschung ihrer Umgebung. Ausgerüstet mit einer Vielzahl von Geräten und Instrumenten bestimmten die einen sorgfältig die Länge der Grashalme; andere maßen die Gewichte der Steine, die sie in der Wiese fanden; und die Klügsten und Erfahrensten unter ihnen bestimmten gar Wachstumsraten oder Intensität der Blütenfarben verschiedener Wiesenkräuter in Abhängigkeit von der Niederschlagsmenge. Oft trafen sie sich dann am Abend um ihre neuesten Daten und Statistiken ausgiebig miteinander zu diskutieren.

In den dunklen Wald allerdings gingen sie nie.

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Gen-Patent gekippt

15. April 2010 von Laborjournal

Nach über zwölfjährigem Hickhack kippte Ende März ein US District Court in New York die Patente der Firma Myriad auf die Brustkrebs-Gene BRCA 1 und 2 (siehe hier und hier). Gründe dafür gibt es einige. Erst kürzlich etwa beschrieben US-Forscher in Genomics (Epub ahead of print) just am Beispiel von BRCA1, wie absurd solche Patente auf menschliche Gene in ihren Applikationen tatsächlich sein können  (siehe unten). Der englische Wissenschaftsautor Ben Goldacre referierte das Paper in seiner Guardian-Kolumne „Bad Science„, und Christine Käppeler übersetzte den Text für die Wochenzeitung Der Freitag („Ihr Gen gehört uns“).  Am Ende des Artikels heißt es:

Unlängst erschien in der Zeitschrift Genomics ein Paper mit dem Titel „Metastasizing patent claims on BRCA1“. Es geht dem tatsächlichen Ausmaß der Patente nach, die auf das BRCA1-Genom 1998 gewährt wurden. Was dabei herausgefunden wurde, ist wirklich absurd. Diesen Beitrag weiterlesen »

Der Osterhase

1. April 2010 von Laborjournal

(Pünktlich zum Oster(hasen)-Fest möchten wir an dieser Stelle einen bahnbrechenden Beitrag Siegfried Bärs wiederholen, den er vor einigen Jahren in seiner Laborjournal-Reihe „Die Biochemie seltsamer Lebewesen“ veröffentlichte. Darin ist eigentlich alles zum Thema ‚Osterhase‘ gesagt:)


Und es gibt ihn doch! In Zusammenarbeit mit Hana Riha, ausgewiesener Eierexpertin im Kompetenzzentrum Zepfenhan, Bereich innovative Tierforschung, beweist Siegfried Bär im folgenden die Existenz des bis dato nicht beforschten Eierlegewesens-, äh, -Lebewesens.

Einige Besserwisser werden jetzt sofort aufgebracht schreien: Den gibt es doch gar nicht!

In der Tat: Obwohl ein großer Teil der Bevölkerung an die Existenz von Osterhasen glaubt oder zumindest eine Weile daran geglaubt hat, wurde bisher für seine Existenz kein wissenschaftlicher Beweis erbracht. Direkte Beobachtungen sind selten und ihre Glaubwürdigkeit fraglich. Das beweist aber nicht, dass es keine Osterhasen gibt: Die Nichtexistenz von etwas zu beweisen, ist bekanntlich schwierig. Daran liegt es übrigens, dass so viele Leute glauben, sie hätten Begabung zum Forschen. Das nur nebenbei. Diesen Beitrag weiterlesen »

Rettung in Sicht?

1. Februar 2010 von Laborjournal

Erinnert sich noch jemand an den Beitrag Firma ‚killt‘ Virusforschung in diesem Blog (22. Okt. 2009)? Der Life Science-Supplier GE Healthcare hatte  die Herstellung von Whatmans 0,02µm Anodisc Filtern eingestellt, nachdem sie die Firma übernommen hatten. Laut vieler Forscher waren dies jedoch die einzigen Filter mit einer Porengröße unter 30nm, die beim Einsammeln und Zählen freier Viruspartikel zuverlässig funktionierten. Und sofort — Apoclypse now! — wurde der Tod ganzer Forschungsfelder, wie etwa der viralen Ökologie oder bestimmter ozeanographischer Disziplinen befürchtet.

Zu diesem Beitrag erreichte uns heute die Mail eines frischen, kleinen Unternehmens namens SmartMembranes GmbH, in der es unter anderem heißt:

…Mit dieser Email würden wir uns daher gerne bei Ihnen als neu gegründetes Unternehmen vorstellen: Die SmartMembranes GmbH ist ein Spin-Off des Fraunhofer Instituts für Werksstoffmechanik mit Sitz in Halle (Saale). Seit der Gründung im Juli 2009 fokussieren wir uns auf die Herstellung von porösen Membranen aus Aluminiumoxid (Anodiscs) und Silizium. Mit unserem Prozess können wir Porendurchmesser zwischen 20 nm und 10 µm mit Genauigkeit auf Nanometerebene herstellen. Somit können die ehemaligen Whatman Kunden ihre Produkte künftig bei uns bestellen, bei Interesse auch in höherer Qualität als die Anodiscs…

Ruhig mal reinschauen unter www.smartmembranes.de. Vielleicht kann die virale Ökologie ja noch gerettet werden. Und dabei wollen wir mit diesem Beitrag natürlich helfen…

Firma „killt“ Virusforschung

22. Oktober 2009 von Laborjournal

Mit Whatmans Anodisc 0,02 μm-Filtern verschwindet womöglich ein ganzes Forschungsfeld gleich mit.

Mit Whatmans Anodisc 0,02 μm-Filtern verschwindet womöglich ein ganzes Forschungsfeld gleich mit.

Es war eine Randnotiz in vielen Wirtschaftsblättern: GE Healthcare übernimmt Whatman. Diese Randnotiz jedoch hat offenbar verheerende Folgen für einen großen Teil der Virusforschung. Der Grund: Whatman stellte bislang die einzigen Filter mit einer Porengröße unter 30nm her (0,02µm Anodisc filters), die beim Einsammeln und Zählen freier Viruspartikel zuverlässig funktionieren. Und genau die will GE Healthcare nach der Übernahme aus finanziellen Gründen nun nicht mehr produzieren.

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