Projekt-Leckerschmecker

21. Dezember 2023 von Laborjournal

Manchmal ergibt sich die Art der Weihnachtsfeier schon durch das angeschaffte Projektmaterial wie von selbst …

(Gezeichnet von Rafael Florés. Über 200 weitere Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

Die Laborjournal-Redaktion
wünscht allen Leserinnen und Lesern
eine entspannte Weihnachtszeit
sowie einen anregenden Start in ein
erfolgreiches und gesundes neues Jahr!

 

Die Verwaltung nervt!

14. Oktober 2021 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“:

 

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[…] Die Zahl des Verwaltungspersonals an vielen Universitäten wächst stetig, und zunehmend drängen sie mit immer nervenderen Forderungen der Art „Entschuldigung-aber-wir-müssen-diese-Sache-unbedingt-juristisch-wasserdicht-absichern-und-brauchen-dazu-umgehend-noch…“ in die wertvolle und sehr begrenzte Zeit von uns Wissenschaftlern hinein. Sogar Weltklasse-Unis, wie die in Oxford, bleiben davor nicht verschont. Die Konsequenz ist, dass Wissenschaftler immer weniger Zeit aufbringen können, um wirklich tief und sorgfältig über Strategien nachzudenken, wie sie ihre Forschungsprojekte besser entwickeln könnten. Noch weniger Zeit bleibt – und das wäre vielleicht sogar noch wichtiger –, in der Wissenschaftler kostbare Stunden mit ihren Kollegen in lockerer Plauderei darüber verbringen dürfen, welche wirklich großen neuen Fragen gestellt werden müssen und wie diese am besten angegangen werden können. […]

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… Sagte Stephan Feller, Professor für Tumorbiologie am Institut für Molekulare Medizin, ZAMED, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, in Laborjournal 7-8/2017 („Jenseits des Hamsterrads“, S. 6-11)

 

Die Fabel vom Forscher, der traurig wurde…

18. August 2021 von Laborjournal

Es war einmal ein außergewöhnlich begabter junger Forscher. Dass er sein Handwerk in Rekordzeit lernte, war das eine. Viel mehr noch aber beeindruckte er mit seinem enormen analytischen wie auch kreativen Verstand. Wo die Kollegen schon lange vor der Komplexität gewisser Probleme kapituliert hatten, sezierte er mit spielerischer Leichtigkeit die entscheidenden Einzelteile heraus – und lieferte oft genug robuste Hypothesen und elegante experimentelle Strategien gleich mit.

Klar, dass solch ein Forscher bald sein eigenes Institut leitete. Und so entwickelte er Jahr um Jahr mit seinen Assistenten und Studenten immer wieder neue originelle Forschungsprojekte – und hatte auch stets Mittel und Stellen dafür.

Eines Tages jedoch merkte er, dass er inzwischen immer mehr Zeit und Mühe aufbringen musste, um den Geldfluss am Laufen zu halten. Kaum sprudelte ein Geldhahn mal eine Weile, versiegte der Strom auch schon bald wieder. Ein neuer musste also geöffnet werden, und dann umgehend wieder ein neuer…

Irgendwann fraß das Geldhahnöffnen auf diese Weise so viel Zeit, dass unser Forscher kaum mehr dazu kam, komplexe Forschungsprobleme tief und eindringlich zu durchleuchten – so wie früher eben. Am Ende ließ er es schließlich ganz. Denn glücklicherweise genügte ihm das schnelle Ausspinnen von flachen und naheliegenden Projekten, um gerade immer genug „Kurzsprudler“-Geldhähne am Laufen zu haben. (Die „Langsprudler“ hingegen schienen inzwischen ausgestorben.)

Seine Studenten dankten es ihm. Denn gerade die mussten wegen der schneller versiegenden Geldhähne jetzt umso hurtiger Resultate liefern, um nicht vollends auf dem Trockenen zu landen. Das wollte unser Forscher natürlich auf keinen Fall. Und so ersponn er auch deswegen nur noch seichte Projekte, bei denen die Ergebnisse schon durch die Oberfläche schimmerten.

Allerdings merkte kaum einer, wie er sich über all dies grämte. Und wenn er nicht gestorben ist, dann ist unser einstmals so brillanter Kopf heute umso trauriger, dass er schon lange nur noch mittelmäßige Forschung macht.

Ralf Neumann 

Foto: lukasbieri / Pixabay

(Der Artikel erschien bereits in unserer Printausgabe 1-2/2019 auf Seite 8.)

 

Hemdsärmelig, suboptimal,…

10. März 2021 von Laborjournal

 

 

In unserem neuen Heft haben wir ein langes Interview mit dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Virologie, Ralf Bartenschlager von der Uni Heidelberg. Darin sagt er unter anderem über die Förderung der hiesigen Corona-Forschung:

[…] Bartenschlager » Die meiste Förderung, muss man sagen, war zunächst sehr hemdsärmelig. Das waren kurze Finanzspritzen, die wir oft auch erst nachträglich bekommen haben. Das ist angesichts der akuten Notsituation, die sich im März 2020 abgezeichnet hat, verständlich. Die EU und das Bundesministerium für Bildung und Forschung [BMBF] haben inzwischen Gelder bereitgestellt, aber die arbeiten ja strikt Top-Bottom, die Themen sind vorgegeben und zumeist sehr anwendungsorientiert. Man muss also mit seiner Forschung schon recht weit gekommen sein, um in diesen Programmen erfolgreich zu sein. Glücklich ist, wer mit seinem Projekt in den Call passt …

… oder man muss es passend machen.

Bartenschlager » Ja, oder man hat halt Pech gehabt und muss sich eine andere Möglichkeit suchen. In diesem Zusammenhang können wir in Deutschland sehr froh über die DFG [Deutsche Forschungsgemeinschaft] sein, die wirklich die Grundlagenforschung fördert, die Ideen ohne Nutzenbewertung nur nach Innovation und wissenschaftlicher Qualität bewertet. Auch die DFG hat mit Beginn der Pandemie Geld bereitgestellt, wurde aber vermutlich mit einer Vielzahl an Anträgen überrannt. In diesem Fall liegt dann die Zahl an eingereichten Projekten, viele davon von sehr talentierten Forschern, weit über dem, was man finanzieren kann. […]

Zum gleichen Thema schreiben wir im gleichen Heft unter „Inkubiert“:

[…] Die Corona-Pandemie verlangt von der Forschung so dringend wie nie zuvor ganz konkrete Antworten auf bohrende Fragen – nicht zuletzt, um auf deren Basis praktische Entscheidungen für unsere Gesellschaft treffen zu können. Doch hierbei funktionieren die Förderinstrumente der freien Grundlagenforschung offenbar nur suboptimal. Sicher, BMBF und DFG leiten jede Menge ihrer Mittel in Corona-Forschung um. Da sie diese aber wie gewohnt im Wettbewerb ausschreiben, können sie am Ende nur diejenigen Projekte fördern, die die Forscher ihnen anbieten. Und womöglich sind einige wichtige Projekte dummerweise nicht mit im Angebot.

Einfach umschwenken können die Forschungsförderer offensichtlich nicht – und stattdessen klar sagen: „Wir brauchen folgende Daten – wer also das Projekt dazu macht, bekommt Geld!“ Könnte darin gar mit eine Ursache für das zu Recht kritisierte Defizit an koordinierter und systematischer Pandemie-Begleitforschung liegen? […]

Beide Male schimmert also durch, dass es in der gezielten Förderung von Forschung zu SARS-CoV-2 und COVID-19 durchaus Defizite gegeben haben könnte. Weitere Meinungen dazu?

(Illustr.: iStock / Nuthawut Somsuk)

Attraktiver Verlierer

28. Juli 2020 von Laborjournal

Vor einiger Zeit entspann sich folgender Dialog in der Redaktion:

„Du, ich hab jetzt erst deinen Artikel über den Typen gelesen, der ewig lange vergeblich versucht hat, dieses eine Membranprotein zu reinigen.“

„Und? Ist irgendwas falsch?“

„Nein, darum geht es nicht. Vielmehr hat mich die Geschichte zum Nachdenken gebracht. Der arme Kerl hat doch nach allen Regeln der Kunst jede verfügbare Methode genutzt, um die Nuss zu knacken. Sogar wirklich kreative neue Kniffe hat er sich ausgedacht.“

„Richtig, so steht’s in dem Artikel. Nur hat’s ihm nix genutzt. Er hat die Nuss nicht geknackt, weil es mit dem zu dieser Zeit verfügbaren Methoden­arsenal einfach nicht gehen konnte — wie sich später rausstellte. War eben auch ein riskantes Projekt.“

„… Also hat er eines Tages frustriert die Doktor­arbeit hingeschmissen und der Forschung komplett den Rücken gekehrt.“      Diesen Beitrag weiterlesen »

Regel-Mogeleien

5. Februar 2020 von Laborjournal

Bevor die Gelder eines bewilligten Förderantrags fließen, muss man einen gewissen Regelkatalog unterschreiben — unter anderem mit dem Ziel, dass man ja kein Schindluder mit den Fördermitteln treibe. Einige dieser Regeln können in der Praxis jedoch leicht zu gewissen Absurditäten führen…

Ein Beispiel hierfür liefert wiederum die Umfragestudie „Normal Misbehavior: Scientists Talk About the Ethics of Research“, aus der wir uns schon für den letzten Beitrag be­dien­ten (J. Empir. Res. Hum. Res. Ethics 1(1): 43-50). Diese zitiert einen Befragten — sinngemäß übersetzt — folgender­ma­ßen:

Sagen wir, ich habe zwei verschiedene Grants. Jetzt muss ich zwei Flaschen der gleichen Chemikalie kaufen, weil ich etwas, das ich mit Geldern des einen Grants angeschafft habe, nicht für Projekte verwenden darf, die von einem anderen Geldgeber gefördert werden. Wenn ich also Grants von fünf ver­schie­de­nen Förderern habe, muss ich theoretisch auch fünf Flaschen der gleichen Chemikalie kaufen. Und ich muss jedes Mal unterschreiben, dass der aufgewendete Betrag aus dem Topf mit denjenigen Mitteln stammt, die genau für dieses Projekt bewilligt wurden. Womit ich zugleich umgekehrt bestätige, dass ich das Zeug auch ausschließlich für dieses eine Projekt kaufe und einsetze… Aber natürlich mache ich das nicht so, sondern benutze ein und dieselbe Flasche in allen Projekten.

Wäre ja auch völlig verrückt, für jedes einzelne Projekt jeweils ein eigenes Set an Standard-Chemikalien wie etwa NaCl oder Agarose anzuschaffen.

Natürlich steht diese Regel irgendwo unter vielen, die allesamt dazu dienen sollen, potenziel-­lem Grant-Missbrauch vorzubeugen. Was ja tatsächlich ein gerechtfertigtes Ziel ist. Wenn die Einhaltung dieser Regeln allerdings in der Praxis wiederholt zu derart abstrusen Situationen führt, wie hier geschildert, dann dürfte man wohl eher etwas anderes erreichen: Dass die Betroffenen sich stets überlegen, wie sie sich um solche Regeln herummogeln können.

Entsprechend schlussfolgern auch die Autoren der Umfrage aus dem geschilderten und weiteren Beispielen:

Es gibt zu viele solcher Regeln. Und viele versuchen, sie zu umgehen, ohne dabei eine gewisse Grenze zu überschreiten. […] Dennoch hielten unsere Befragten fest, dass diese Fülle von Regeln — von denen sie viele als unnötig und zu weit gehend empfinden — am Ende leicht zu tatsächlichem Fehlverhalten führen kann.

Ralf Neumann

 

Wer hat hier eigentlich Talent?

23. Oktober 2019 von Laborjournal

Junge Talente. Wenn man sich so umhört, könnte man fast meinen, dass Wohl und Gedeih der Wissenschaft einzig von ihnen abhängen. Nicht zuletzt, da schon länger Programme zur Förderung besonders begabter Jungforscher wie Pilze aus dem feuchten Herbstboden schießen.

Das ist zwar sicher gut so, da gerade der wissenschaftliche Nachwuchs bis vor einiger Zeit doch arg vernachlässigt wurde — meist zugunsten der etablierten Platzhirsche. (Ganz abgesehen davon, dass er ja sowieso zu schlecht bezahlt wird.) Das Problem bei der ganzen Sache ist jedoch erstmal ein anderes: Bevor man Talent fördern kann, muss man es erkennen. Und zwar nicht erst, wenn jemand bereits seine ersten wissenschaftlichen Fußstapfen in irgendwelchen angesehenen Journalen hinterlassen hat. Nein, viel früher. Möglichst ganz am Anfang schon.

In einer idealen Welt müsste Chef oder Chefin jeden „Neuankömmling“ im Labor gerade in den ersten Monaten ganz besonders begleiten. Denn wenn da mit den richtigen Leuten nicht die richtigen Dinge passieren, nimmt der begabte Nachwuchs ganz schnell sein Talent und geht woanders spielen.

Doch die Welt ist nicht ideal — Chefs oftmals schon gar nicht. Und so ereignen sich immer wieder Fälle wie der folgende:

Eine Master-Studentin kommt frisch ins Labor und beginnt ein neues Projekt. „Zum Antesten“, steckt der Chef einem Kollegen. „Wäre zu riskant für unsere Docs und Postdocs, die brauchen doch was Sicheres, mit Ergebnisgarantie.“

Kaum hat die Studentin die ersten positiven Ergebnisse, nimmt der Chef ihr jedoch prompt das Projekt ab und übergibt es einem Postdoc. „Der kriegt das schneller hin, hat ja auch mehr Erfahrung“, sagt er seinem Kumpel. „Um der Wissenschaft willen“, sagt er der Studentin.

Mit dem nächsten „riskanten Projekt“ dasselbe: Die Studentin hat schnell erfolgsversprechende Ergebnisse — und Postdoc Nummer 2 übernimmt. Und man mag es kaum glauben, aber das Muster wiederholt sich ein drittes Mal — sehr zur Freude von Postdoc Nummer 3.

Wer hier wirklich Talent hat, erkennt der aufmerksame Leser schnell — der „Chef“ offenbar nicht. Das Ende vom Lied: Der Master-Studentin bleibt nichts anderes übrig, als eine fürchterliche Patchwork-Arbeit zu schreiben — und macht hernach Karriere in der Software-Branche.

Und die drei Postdocs? Sind heute immer noch Postdocs.

Ralf Neumann

(Eine etwas andere Version dieses Textes erschien bereits in unserer Printausgabe Laborjournal 11/2008.)

Foto: iStock / Imgorthand

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Die Crux mit dem Projekt

7. Februar 2019 von Laborjournal

Wer Geld für seine Forschung haben will, muss einen Projektantrag stellen. Sicher, wenn es ein bisschen größer sein soll, heißt das Ganze auch mal „Programm“ oder „Initiative“. Aber woraus setzen sich diese in aller Regel zusammen? Genau, aus lauter Einzel-Projekten! Schon lange ist Forschung auf diese Weise nahezu ausschließlich in Projekten organisiert. Das Projekt ist die Keimzelle einer jeden Forschungsförderung.

Paradox ist das schon. Denn zumindest in der reinen Grundlagenforschung kann nur „projektiert“ werden, was noch unbekannt ist. Andernfalls wäre es keine. Oder anders gesagt: Sonst wäre das Projekt kein Forschungsprojekt. Zugleich muss das Unbekannte aber bekannt genug sein, um ein Forschungsvorhaben überhaupt in Form eines Projektes organisieren zu können. Schließlich lässt sich nur mit einem hinreichenden Maß an Bekanntem vorweg eine klare Forschungsplanung hinsichtlich Zielvorgaben, zeitlichem Ablaufen, finanzieller und personeller Ressourcen et cetera entwerfen. Dummerweise gilt aber ohne solch einen klaren Plan nix als Projekt — und wird auch nicht gefördert.

Es passt also nicht wirklich zusammen: Das Ideal von Forschung als offener, durch reine Neugier gelenkter Prozess einerseits — und die Projektierung von Forschung andererseits. Zumal in der Forschung auch anfängliche Zielvorgaben schnell und flexibel umformuliert werden können müssen, wie auch ein beträchtliches Risiko zu scheitern bewusst eingeschlossen ist.

Für ein Projekt dagegen ist das Vorwegnehmen von offensichtlich Neuem zu Beginn eines Prozesses unvermeidbar. Der Vorstellung von Wissenschaft als Prozess fortlaufender Entdeckungen widerspricht dies jedoch fundamental. In Projekten kann man naturgemäß nicht einfach nur von irgendwelchen Prämissen ausgehen — und dann durch fortlaufende Exploration schauen, was daraus wird. Ebenso wenig, wie sich Änderungen leicht hinnehmen lassen. Wie könnten Projekte sonst auf die ihnen innewohnende Art alle möglichen Unsicherheiten minimieren?

Daher stellen sich zwei Fragen: Wie kann man etwas vorweg bestimmen, das man gerade durch die Forschungstätigkeit entdecken will? Und welche Art Wissenschaft könnte überhaupt projektierbar sein? Letzteres mag funktionieren, wenn man ganz konkrete Fälle analysiert und auf jegliche Form der Generalisierung verzichtet. Forschung, die allerdings genau dieses Ziel verfolgt — nämlich ein generalisierendes Modell oder eine übergeordnete Theorie zu entwerfen —, ist in der Organisationsform „Projekt“ denkbar schlecht aufgehoben.

             Ralf Neumann

 

Zu spekulativ? — Na und!

17. Januar 2019 von Laborjournal

(Vor knapp vier Jahren erschien der folgende Text in unserer Print-Kolumne „Inkubiert“. Wir finden, er hat eine neuerliche Diskussion verdient.)

Zu den zentralen Aufgaben wissenschaftlichen Arbeitens gehört es, Modelle und Theorien zu entwickeln. So sollte man jedenfalls meinen.

Die Realität jedoch sieht anders aus. Seitdem Forschung zunehmend projektorientiert stattfindet und sich über Publikationsmetriken definiert, scheint „Theoriearbeit“ nicht mehr angesagt. Vor einiger Zeit bilanzierte etwa eine Studie zu exakt diesem Thema, dass von 500 untersuchten Forschungs­projekten nur etwa zehn Prozent „genuine Theoriearbeit“ beinhalteten. Der gewaltige Rest beschränkte sich laut den Autoren  größtenteils auf die punktuelle Analyse eines konkreten Falles und verzichtete schon im Ansatz auf jegliche Form der Generalisierung.

Welche Art Forschung auf diese Art herauskommt, ist klar: Überschaubare Projekte, die fest auf bekannten Theorien fußen und daraus abgeleitete Fragen mit bekannten Methoden bearbeiten — Forschung mit eingebauter Ergebnisgarantie, bei gleichsam dürftigem Erkenntnispotenzial.

Aber sollte Forschung nicht eigentlich Türen ins Unbekannte aufstoßen? Augenscheinlich muss man es sich wirklich wieder neu in Erinnerung rufen. Denn offenbar scheint der Löwenanteil aktueller Forschungsprojekte nicht wirklich daraufhin angelegt. Was natürlich auch dadurch unterstützt wird, dass das Klima gerade generell von einer Theorie-feindlichen Großwetterlage geprägt wird. Denn was passiert beispielsweise, wenn sich doch mal jemand traut, in einem Manuskript über den Tellerrand zu blicken und aus den vorgestellten Daten ein generalisierendes Modell entwickelt? Die Chance ist groß, mit der Totschlag-Floskel „zu spekulativ“ wieder zurück auf Start geschickt zu werden.

Doch warum ist „spekulativ“ heutzutage derart negativ besetzt? Natürlich sind Modelle und Theorien spekulativ — was denn sonst? Es wird ja auch kaum einer von Vorneherein behaupten, sein Modell sei korrekt. Weil Modelle und Theorien allenfalls nützlich sein können, das Unbekannte weiter zu entschlüsseln. Ganz in dem Sinne, wie Sydney Brenner es vor einiger Zeit formulierte:

„Die Hauptsache ist, sich mit Möglichkeiten befassen zu können. Dinge einfach auszusprechen, auch wenn sie falsch sein mögen. Indem ich sie ausspreche, kann ich besser erkennen, was daran falsch sein könnte. Und das kann wiederum zu einer robusteren Idee führen. Letztlich geht es also darum, die Dinge nicht zurückzuhalten.“

Oder vorschnell als „zu spekulativ“ abzuqualifizieren.

 

Von Daten, die in Schubladen verstauben

17. September 2018 von Laborjournal

Haben Sie auch noch jede Menge Daten in der sprichwörtlichen Schublade liegen? Daten, die schon lange eine nette, kleine „Story“ ergeben würden — wenn man sie nur mal in Manuskriptform bringen würde?

Wie bitte, in Ihrer Schublade schlummert Stoff für mehrere solcher kleinen, aber feinen Manuskripte? Oder in ihrem Regal?…

Keine Angst, Sie sind nicht allein.

Schon vor einiger Zeit stellte eine englische Forscherin den Kollegen in ihrem (leider nicht mehr existenten) Blog im Prinzip dieselbe Frage: „Stellt Euch vor, ihr bekommt keine Fördergelder mehr und könnt Euch einzig darauf konzentrieren, alle vorhandenen Daten zusammenzuschreiben — für wie lange hättet Ihr noch „Stoff“?“ Und sie meinte damit nicht das Umschreiben bereits eingereichter Manuskripte; es ging ihr vielmehr um die vielen, praktisch publikationssreif abgeschlossenen (Seiten-)Projekte, die bislang dennoch nie wirklich oben auf dem Schreibtisch gelandet waren.

Heraus kam, dass dieses Phänomen den meisten Forschern, die schon länger im Geschäft sind, offenbar wohlbekannt ist: Die Mehrzahl der Antworten lag zwischen drei und fünf Jahren.

Drei bis fünf Jahre lang könnte der Durchschnitts-Seniorforscher also noch Manuskripte schreiben — allein mit den Daten, die er längst schon hat. Da er diese Zeit aber beileibe nicht nur mit Paperschreiben verbringen kann, werden wohl jede Menge dieser interessanten kleinen (und hin und wieder vielleicht sogar großen) Geschichten niemals veröffentlicht. „Survival of the fittest results“ nennt die Autorin das treffend.

Woher aber kommt der entsprechende Selektionsdruck? Wohl daher, dass das Publikations-dominierte Belohnungssystem dem Forscher die folgende Zwickmühle beschert hat: Will er seinen Job gut machen, sollte er stets seine Resultate sorgfältig prüfen, hart nach alternativen Erklärungen fahnden und sie immer mit der aktuellen Literatur abgleichen. Das allerdings kostet Zeit. Wenn Forscher X aber zu viel Zeit mit diesen Dingen „vertrödelt“, riskiert er, als unproduktiv abgestempelt zu werden. Und dann kann es schnell schwer werden, weiterhin Fördergelder zu bekommen.

Also bunkert Forscher X das weniger dringende Material in der Schublade und schreibt lieber erstmal den nächsten Antrag — nicht zuletzt auch, um das Hauptprojekt der Gruppe weiter am Laufen zu halten. Wird dieser dann bewilligt, muss er natürlich umgehend die beantragten Projekte auch machen. Mit den resultierenden Daten muss er gleich wieder Paper schreiben, damit er frische Argumente für den nächsten Folgeantrag hat… — und so geht das Spiel in die nächste Runde

Und während diese Mühle unerbittlich weiter läuft, versinkt das, was er in der Schublade bunkert, tiefer und tiefer im Staub.

Wer weiß, wie viele kleine Schätze mit etwas weniger Antragsdruck von dort geborgen werden könnten..

Ralf Neumann

Foto: iStock / Paperkites

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