Löchrige Forscherinnen-Pipeline

23. Februar 2022 von Laborjournal

Immer wieder fragen wir in unseren regelmäßigen Rätseln „Kennen Sie sie/ihn?“ nach bemerkenswerten Forscherinnen der vergangenen Jahrzehnte. Und nahezu jedes Mal dienen sie dabei gleichsam als Beispiele, wie schwer es damals selbst Frauen mit außerordentlichen Qualitäten hatten, sich in der Männer-dominierten Wissenschaft adäquat durchzusetzen. Besonders krasse Beispiele siehe etwa hier, hier und hier.

Das ist bis heute besser geworden, keine Frage. Dennoch bleibt hinsichtlich adäquater Karrieremöglichkeiten für Frauen in den Lebenswissenschaften offenbar weiterhin Luft nach oben.

Demonstriert wird dies wieder einmal neu durch Daten des Schweizer Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2020. Unter dem Titel „Gender Monitoring (Teil 2): je höher die Karrierestufe, desto weniger Frauen“ fasst der Schweizerische Nationalfonds (SNF) diese folgendermaßen zusammen:

Der Rückgang des Frauenanteils auf den akademischen Karrierestufen wird auch als Leaky Pipeline bezeichnet, als undichte oder lecke Rohrleitung. Die Daten des Bundesamtes für Statistik (BFS) aus dem Jahr 2020 zeigen ein eindeutiges Bild: An den Universitäten und ETH ist die Leaky Pipeline ausgeprägt – und zwar in allen Fachbereichen.

So bildeten 2020 während eines Studiums in den Lebenswissenschaft Frauen noch die Mehrheit, um dann über die einzelnen akademischen Karrierestufen bis hin zur Professur auf einen Anteil von nur noch 23 Prozent zusammenzuschrumpfen. Siehe hier:

Ein ähnliches Bild zeichnen die Schweizer Daten zu den Anträgen auf die Förderinstrumente, die der SNF für die verschiedenen akademischen Karrierestufen installiert hat: Beim Förderinstrument DocMobility für die Doktorandinnen und Doktoranden sind erstere mit 60 Prozent in der Mehrheit, bei der reinen Projektförderung für „fertige“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegt der Frauenanteil nur noch bei 26 Prozent.

Der SNF bilanziert daher:

Die Leaky Pipeline ist also auch bei den Förderinstrumenten des SNF ausgeprägt. Der Anteil an Forscherinnen, die ein Gesuch um Finanzierung einreichen, ist auf den späteren Karrierestufen zu gering. Mit einer Reihe von Maßnahmen versuchen wir seit einigen Jahren dies zu ändern. Dazu gehören zum Beispiel zusätzliche finanzielle Leistungen für Eltern, oder dass wir in SNF-unterstützten Projekten Teilzeitarbeit ermöglichen. Wir fördern ebenfalls explizit Professuren von Frauen. Die Wirkung dieser Maßnahmen beobachten wir genau und werten sie aus. Zusammen mit den Maßnahmen der Hochschulen sollen sie dazu führen, dass mehr Frauen eine Karriere in der Wissenschaft verfolgen.

Die Absichten sind lobenswert, aber ob die konkreten Maßnahmen tatsächlich ausreichen, um die Löcher in der „Frauen-Pipeline“ besser zu stopfen? Was wohl unsere betroffenen Leserinnen dazu meinen? …

Ralf Neumann

(Illustr.: A. Marshall)

 

Hemdsärmelig, suboptimal,…

10. März 2021 von Laborjournal

 

 

In unserem neuen Heft haben wir ein langes Interview mit dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Virologie, Ralf Bartenschlager von der Uni Heidelberg. Darin sagt er unter anderem über die Förderung der hiesigen Corona-Forschung:

[…] Bartenschlager » Die meiste Förderung, muss man sagen, war zunächst sehr hemdsärmelig. Das waren kurze Finanzspritzen, die wir oft auch erst nachträglich bekommen haben. Das ist angesichts der akuten Notsituation, die sich im März 2020 abgezeichnet hat, verständlich. Die EU und das Bundesministerium für Bildung und Forschung [BMBF] haben inzwischen Gelder bereitgestellt, aber die arbeiten ja strikt Top-Bottom, die Themen sind vorgegeben und zumeist sehr anwendungsorientiert. Man muss also mit seiner Forschung schon recht weit gekommen sein, um in diesen Programmen erfolgreich zu sein. Glücklich ist, wer mit seinem Projekt in den Call passt …

… oder man muss es passend machen.

Bartenschlager » Ja, oder man hat halt Pech gehabt und muss sich eine andere Möglichkeit suchen. In diesem Zusammenhang können wir in Deutschland sehr froh über die DFG [Deutsche Forschungsgemeinschaft] sein, die wirklich die Grundlagenforschung fördert, die Ideen ohne Nutzenbewertung nur nach Innovation und wissenschaftlicher Qualität bewertet. Auch die DFG hat mit Beginn der Pandemie Geld bereitgestellt, wurde aber vermutlich mit einer Vielzahl an Anträgen überrannt. In diesem Fall liegt dann die Zahl an eingereichten Projekten, viele davon von sehr talentierten Forschern, weit über dem, was man finanzieren kann. […]

Zum gleichen Thema schreiben wir im gleichen Heft unter „Inkubiert“:

[…] Die Corona-Pandemie verlangt von der Forschung so dringend wie nie zuvor ganz konkrete Antworten auf bohrende Fragen – nicht zuletzt, um auf deren Basis praktische Entscheidungen für unsere Gesellschaft treffen zu können. Doch hierbei funktionieren die Förderinstrumente der freien Grundlagenforschung offenbar nur suboptimal. Sicher, BMBF und DFG leiten jede Menge ihrer Mittel in Corona-Forschung um. Da sie diese aber wie gewohnt im Wettbewerb ausschreiben, können sie am Ende nur diejenigen Projekte fördern, die die Forscher ihnen anbieten. Und womöglich sind einige wichtige Projekte dummerweise nicht mit im Angebot.

Einfach umschwenken können die Forschungsförderer offensichtlich nicht – und stattdessen klar sagen: „Wir brauchen folgende Daten – wer also das Projekt dazu macht, bekommt Geld!“ Könnte darin gar mit eine Ursache für das zu Recht kritisierte Defizit an koordinierter und systematischer Pandemie-Begleitforschung liegen? […]

Beide Male schimmert also durch, dass es in der gezielten Förderung von Forschung zu SARS-CoV-2 und COVID-19 durchaus Defizite gegeben haben könnte. Weitere Meinungen dazu?

(Illustr.: iStock / Nuthawut Somsuk)