Postersession: Ritual im Großformat

30. August 2023 von Laborjournal

– EHER EINE GLOSSE –

 

„Poster? Nie mehr. Da bleib‘ ich lieber im Labor.“ So das Fazit eines Konferenzbesuchers nach einer enttäuschenden Poster-Session (siehe „Inkubiert“ in LJ 5/2015, S. 8). „Aalglatte Stories mit den Daten von vorgestern“, so der im Heft zitierte Informant.

Der Grund für die offenbar um sich greifende Zurückhaltung: Paranoia vor der Konkurrenz. Da könnte ja jemand die unveröffentlichten Experimente nachkochen. Kann man die Papierschlacht mit den Postern also gleich ganz bleiben lassen?

Andererseits: Was wäre eine Konferenz ohne eine zünftige Poster-Rallye? Denn Rituale wollen gepflegt werden und geben Halt im Jahreslauf des Forscherlebens.

Das Drama beginnt schon zu Hause im Labor.

Der Kampf mit dem Chef. Der hat nämlich in der Regel seine eigenen Vorstellungen davon, was man auf dem großen Blatt Papier zeigen soll – oder eben nicht zeigen darf, um die Konkurrenz im Dunkeln zu lassen. 

Der Kampf gegen Müdigkeit und Erschöpfung, weil man wegen der vielen Änderungswünsche nicht rechtzeitig fertig geworden ist und im Morgengrauen mit der Illustrationssoftware kämpft.

Der Kampf mit dem Monsterdrucker, der das großformatige Werk in letzter Minute ausspucken muss – und natürlich gerade jetzt die Mutter aller Papierstaus produziert, im Format A0.

Rollenträger-Rituale

Zum Ritual gehört ferner der putzige Anblick der Konferenzteilnehmer an Flughäfen und Bahnhöfen. Denn lange bevor sich die Forscher Namensschilder umhängen und ihre Papierrollen auswickeln, erkennt man die Kongresspilger an ihren schwarzen Plastikröhren, die wahlweise in S-Bahntüren hängenbleiben oder in Cafés vergessen werden. Jedenfalls sind die weithin sichtbaren Posterhüllen ein guter Aufhänger, um erste Kontakte zu knüpfen – auch wenn sich die Frage „Fährst du auch zur XY-Konferenz“, an andere Rollenträger gerichtet, fast erübrigt.

Zur im Konferenzprogramm festgelegten Zeit beginnen schließlich die großen Posterspiele mit dem gemeinschaftlichen Aufhängen der Werke. Nicht immer bekommen die Matadore gleichwertige Startpositionen. Die guten Plätze sind am Eingang oder, besser noch, in Reichweite von Bier und Keksen. Wer Pech hat, muss sein Poster aber in einem schlecht beleuchteten, dafür aber umso zugigeren Flur aufhängen, versteckt hinter einer Säule.

Das Ritual sieht an dieser Stelle einen erbitterten Kampf um Reißzwecken oder Magnete vor. Das ist auch der Zeitpunkt, zu dem die Nachwuchswissenschaftler Fehler auf ihren Postern entdecken und selbige mit Kugelschreiber ausbessern.

Hört der Gutachter zu?

Show Time. Die Poster-Designer postieren sich vor das zu Papier gebrachte Destillat ihrer Projekte. Eine von Vorträgen und abendlichen Exzessen angeschlagene Forschermeute strömt durch die engen Gassen der Stellwände, Häppchen und Weinglas balancierend.

Wenn man Glück hat, bildet sich eine Traube vor dem eigenen Standplatz. Ob wohl ein Gutachter des gerade eingereichten Papers unter den Zuhörern ist? Diese Frage kann zu gewissen Verspannungen führen.

Bei anderen Poster-Präsentatoren stellt sich jedoch eine Art umgekehrtes Supermarktkassen-Syndrom ein: Wieso drängen sich überall Menschenmassen, nur vor dem eigenen Poster bleibt keine Sau stehen? Wofür hat man sich denn die Nächte um die Ohren geschlagen? Wen das Schicksal trifft, ein Waisen-Poster bewachen zu müssen, ist damit zum Glück meist nicht alleine. Ein Bündnis der vereinsamten Poster-Hüter bietet sich an. Ich zeig dir meins, zeig du mir deins; und dann ab an die Bar, den Frust hinunterspülen.

Poster live

Aber auch wenn man sich die Füße in den Bauch steht: Das Ritual muss sein. Ohne Poster keine richtige Konferenz.

Seinen Meister hat das Format „Postersession“ übrigens einmal bei einem internationalen Kongress der Fadenwurm-Forscher gefunden. Während rundherum Hochglanzwerke an die Stellwände geheftet wurden, pinnte ein äußerst entspannt wirkender Postdoc ein großes, weißes, leeres Blatt Papier an die für ihn reservierte Filzfläche. Mit Edding schrieb er den Titel seines Projekts auf und wartete geduldig ab. Und tatsächlich, irgendwann fragte jemand, ob er denn außer der Überschrift nichts zu bieten habe. Dann ging’s aber los. Der Postdoc kritzelte mit wilden Strichen Diagramme und Skizzen auf sein Blatt, im Frage- und Antwort-Spiel mit einer wachsenden Zuhörerschar. Den Umstehenden hat die unkonventionelle Live-Show gefallen.

Den Posterpreis hat dann aber leider doch ein anderer gewonnen.

Hans Zauner

(Foto: spoonflower.com)

 

(P.S: Manchmal haben wir einfach Lust, ältere Artikel, die es wert sind, nochmals neu zu präsentieren. Dieser hier erschien erstmals 2015 auf LJ online.)

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Ein Gedanke zu „Postersession: Ritual im Großformat“

  1. Wolf sagt:

    Meine größte Tagung bisher hatte 800 Poster. Sessions waren abwechselnd in geraden und ungeraden Zahlen (d.h., diejenigen standen brav von 20 Uhr bis 2 Uhr nachts neben ihren Werken, während die andere Hälfte herumschlenderte).
    Man wälzte am Anreisetag das Konferenzbuch, strich sich die 5-10 relevanten Poster an. Nur leider traf man die meisten Autoren dann doch nicht an, weil sie nicht 6 Stunden stehen wollten für die drei Hanseln die ihre Nische teilten. Bzw weil sie selbst jemanden aus ihrer Zahlengruppe suchten.

    Kurzum: es war eine enorme Verschwendung von Zeit und Raum.

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