Urin ist gelb, aber warum?

10. Januar 2024 von Laborjournal

Es ist bemerkenswert, dass ein alltägliches biologisches Phänomen derart lange unerklärt blieb.

So bringt es Brantley Hall vom Department of Cell Biology and Molecular Genetics der University of Maryland auf den Punkt. Tatsächlich war bis jetzt nicht wirklich bekannt, was unseren Urin gelb macht. Hall et al. haben die alte Frage nun gelöst – und, wie das bei der Auflösung eines langwierigen Rätsel meist der Fall ist, an prominenter Stelle veröffentlicht: Nature Microbiology 9, 173-84.

Klar, was unserem Urin die gelbe Farbe gibt – das weiß man bereits seit über hundert Jahren: Urobilin heißt der Farbstoff, und der entsteht seinerseits aus dem orangefarbenen Bilirubin.

Etwas weiter ausgeholt: Beim Abbau des Häms roter Blutkör­perchen entsteht unter anderem konjugiertes Bilirubin. Dieses wird in den Darm überführt, der es zum Teil ausscheidet. Einen anderen Teil dekonjugieren Beta-Glucuro­ni­da­sen zu freiem Bilirubin, welches daraufhin ins Serum des Darm-Leber-Kreislaufs rückresorbiert wird. Zugleich können Darmbakterien das Bilirubin weiter zum farblosen Urobilinogen reduzieren, das unmittelbar weiter zum gelben Urobilin oxidiert wird. Dieses kann in der Folge deutlich bequemer über den Urin aus dem Serum entsorgt werden und erleichtert somit das Auswaschen des gesamten anfallenden Bilirubins.

Die große Unbekannte in dem ganzen Abbau-Spiel war bis heute jedoch das Enzym, das Bilirubin zum instabilen Zwischenprodukt Urobilinogen reduziert. Dass es Bilirubin-Reduktase heißen würde, war schon lange klar, doch nun haben Hall et al. es endlich auch molekular aufgespürt: Mit ausgiebigem Metagenom-Screening unserer Darmbakterien identifizierten sie es vor allem in Vertretern des Stammes Firmicutes, oder neuerdings Bacillota. Womit zugleich auch klar wurde, warum sowohl eine geschädigte wie auch die noch nicht voll ausgebildete Darmflora von Säuglingen zu Fällen von Gelbsucht führen können: Das abgebaute Bilirubin kann im Leber-Darm-Kreislauf nicht ausreichend reduziert werden, und der entstehende Überschuss wird in Haut und Augäpfeln eingelagert.

Ein Zusammenhang, der es umso verwunderlicher macht, dass dieser Mechanismus erst jetzt entschlüsselt wurde. Zumal die Metagenomik schon eine ganze Weile gut und mächtig funktioniert. Und zumal die prominente Veröffentlichung ja quasi im Voraus garantiert war.

Ralf Neumann

(Zeichnung: Randomtoons)

Die Mikrobiomik hat’s nicht leicht

6. September 2023 von Laborjournal

Schon vor knapp fünf Jahren bemerkte unser Wissenschaftnarr süffisant zum Thema:

Mittlerweile spuckt PubMed pro Tag dreißig neue Mikrobiom-Artikel aus. Kein Fach, das nicht von der Mikrobiom-Manie erfasst wurde.

Um wenig später zu ergänzen:

Immerhin konnte aufgrund der Vielzahl der publizierten Studien mittlerweile eine Reihe von Metaanalysen durchgeführt werden. Diese schlussfolgern in aller Regel, dass man eigentlich gar nichts sagen kann, da die vorliegenden Studien gewisse Qualitäts-Mindestanforderungen nicht erreichen. Und dort, wo solide und gut gemachte Studien vorliegen, liefern diese entweder neutrale oder sogar negative Resultate. So geschehen etwa kürzlich in einer relativ großen Studie an Patienten mit Reizdarm: Den Probanden in der Stuhltransplantations-Gruppe ging es am Ende schlechter als denjenigen, die mit Placebo behandelt wurden.

Und damit hat er noch nicht mal das leidige Hauptproblem der Mikrobiomik angesprochen: Nämlich dass bei der Entnahme oder Weiterprozessierung der Mikroorganismen immer wieder unbemerkt menschliche DNA mit ins Röhrchen rutscht – und die Mikrobiom-Daten am Ende auf hässliche Weise kontaminiert. Das weiß man zwar schon länger und versucht daher, mit den Referenzdaten des Humangenoms solche Falsch-Daten nachträglich wieder herauszurechnen – dennoch werden bis heute weiterhin in schöner Regelmäßigkeit solche Kontaminationen aufgedeckt.  Diesen Beitrag weiterlesen »

Grenzen erkennen, Grenzen benennen

30. Dezember 2020 von Laborjournal

 

Bescheidenheit ist eine Zier, hieß es früher einmal. In der Forschung jedoch scheint das immer weniger zu gelten. Da hat vielmehr die Unsitte des „Überverkaufens“ von Ergebnissen zuletzt immer stärker zugenommen.

Angesichts des stetig zunehmenden Publikations- und Karrieredrucks ist dies allerdings auch kein Wunder. Vom Ende seines Zeitvertrags oder Ähnlichem bedroht, bläst der eine oder die andere ein Fiat-Uno-Resultat im Paper-Manuskript gern zu einem Porsche auf. So manche Pressestelle verstärkt es umgehend nochmals – und in den sozialen Medien gerät es dann sowieso außer Kontrolle.

Dennoch ist solches „Überverkaufen“ von Forschungsergebnissen kein wirklich neues Phänomen. Wobei es bisher vielleicht noch eindrücklicher beim Beschreiben von Forschungsvorhaben auftrat. Denn zumindest beim Gerangel um Forschungsgelder wimmelt es schon seit Jahrzehnten in den Anträgen sinngemäß von deutlich übertriebenen Versprechungen wie: „Letztendlich könnten die Ergebnisse des Projekts in ein völlig neues Therapiekonzept für Krebs münden.“ Oder den Anbau und Ertrag aller möglichen Nutzpflanzen revolutionieren. Oder das Geheimnis lüften, wie in unseren Gehirnen Bewusstsein entsteht. Oder ähnliches überzogenes Antrags-Geklapper.

In diesem Zusammenhang hatte der Ökotoxikologe John Sumpter von der Londoner Brunel University zuletzt eine interessante Idee geäußert. In einem Essay in Times Higher Education schlägt er vor, in wissenschaftlichen Artikeln den Abschnitt „Conclusions“ durch „Limitations“ zu ersetzen. In den „Conclusions“ würde ohnehin nur wiederholt, was schon weiter vorne steht, so Sumpter. Müssten die Autoren dagegen gezielt formulieren, wo die Grenzen für die Interpretation ihrer Ergebnisse liegen, erhielte man am Ende womöglich deutlich robustere Paper.

Auf jeden Fall hätten auf diese Weise wohl arg überzogene Schlussfolgerungen wie die folgende ein Ende: „Weitere Forschung in dieser Richtung könnte es nun ermöglichen, die Ausprägung des Darm-Mikrobioms durch gezielte Interventionen so zu steuern, dass die kognitive Entwicklung von Kleinkindern unterstützt wird.“ (Biol. Psychiat. 83(2), 148-59) Argh! Nicht zu Unrecht zeichnete der US-Mikrobiologe Jonathan Eisen dieses Paper in seinem Blog Phylogenomics mit dem „Overselling the Microbiome Award“ aus.

Ralf Neumann

(Illustr.: R@TTENcomiCS)