Lohnen sich Zitierkartelle?

27. März 2024 von Laborjournal

 

Neben Politik und Wirtschaft ist sicherlich die Wissenschaft das dritte große Seilschaften-Dorado.

…, so stand es unlängst in einem Essay zu lesen.

Da ist sicher was dran. Denn wo man hinsichtlich Begutachtungen, Berufungen, Fördermitteln, Evaluationen, Zitierungen et cetera derart von „Peers“ abhängig ist, da wird man wohl förmlich gedrängt zu Cliquenbildung, Gschaftlhuberei, Günstlingswirtschaft, … Und eine Ausprägung davon sind bisweilen Zitierkartelle.

Nehmen wir zunächst den aufrichtigen Wissenschaftler. Wenn er seine Resultate veröffentlicht, sieht er es als seine ehrenhafte Pflicht an, sämtliche relevanten Vorarbeiten zu zitieren. Auch solche von Personen, mit deren Inhalten er ansonsten nicht übereinstimmt – schließlich werden womöglich gerade dadurch fruchtbare Diskussionen befördert. Ordnungsgemäßes und gründliches Zitieren ist für ihn somit ein klares Qualitätsmerkmal seiner Forschungs­tätigkeit.

Doch so denken bei weitem nicht alle. Für andere sind Zitate vielmehr ein schnödes Mittel, das gewinnbringend für die eigene Karriere genutzt werden kann. Von daher zitieren sie ausschließlich die Arbeiten ihrer Freunde und Kollegen, die im Gegenzug wiederum sie selbst zitieren. Auf diese Weise entstehen Gruppen gleichgesinnter Kollegen, in denen jeder jeweils die Karrieren der anderen fördert – Zitierkartelle eben.  Diesen Beitrag weiterlesen »

Zum Eigennutz genötigt

21. Februar 2024 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“ zum Thema „Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WisszeitVG) und befristete Stellen in der Forschung“:

 

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[…] Die Hochschulen bieten unter solchen Bedingungen weniger die Rahmenbedingungen für Forschung als maximal noch für die Ausarbeitung von Forschungsphantasien, die mangels finanzieller Ressourcen zum überwiegenden Teil nie in die Tat umgesetzt werden. Damit geht der gesellschaftliche Mehrwert von Wissenschaft verloren: Bewerbungen und die Konkurrenz um Drittmittel werden zum Selbstzweck, dem sich alles andere unterzuordnen hat. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden durch die künstliche Erschaffung existenzieller Nöte dazu gezwungen, nur auf den eigenen Nutzen zu schauen, statt für das Gemeinwohl zu arbeiten – ein Ziel, das viele von ihnen ursprünglich gerade zur Wahl ihres Berufes motiviert haben dürfte. Die Folge ist Frustration auf allen Ebenen. […]

 

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… Schrieben Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon in Laborjournal 7-8/2022 („#IchBinHanna – Warum prekäre Arbeit der Wissenschaft nachhaltig schadet“, S. 34-37).

 

Die alte Dampflok Wissenschaft und ihre Heizer

15. März 2023 von Laborjournal

 

Manchmal fragen wir uns, was unsere Artikel bei Leserinnen und Lesern auslösen. Und ob da womöglich auch eine Art Kopfkino stattfindet …

Hin und wieder scheint das tatsächlich zu passieren. Zu unserem Artikel „Kein Platz für Opportunisten und Narzissten“ erhielten wir beispielsweise folgende Rückmeldung:

 

Sehr geehrte Redaktion […],

danke für den Artikel. Beim Lesen kam mir ein Bild in den Sinn, dass die Situation in der Wissenschaft – oder vielmehr ihr Wesen – für mich recht gut beschreibt. Ich stelle mir die Wissenschaft, in meinem Fall die „Life Sciences“, als eine alte Dampflok vor, die viel Getöse und viel Qualm macht. Sie kommt voran, wenn auch nur sehr schwerfällig und steif. Ihr Kesselfeuer ernährt sich von Karriere-Träumen – eine schier unerschöpfliche Energiereserve.

Ihre Energiebilanz ist aber mehr als ungünstig. Die Heizer haben viel zu tun. Wenn sie fleißig sind, dann dürfen sie den feinen Herrschaften in ihren wohligen Pullman-Salonwagen kurzeitig Gesellschaft leisten. Vielleicht wird ihnen ja auch irgendwann einmal ein dauerhafter Platz zugeteilt – und ein junger Traum schafft es in den Führerstand.

Lohnt es sich, diesem alten Stahlmonster ein „Upgrade „zu geben? Oder ist es nicht sinniger, gleich einen modernen Triebwagen mit vielen Sitzmöglichkeiten und besserer Energiebilanz zu besorgen?  …

Ich kann sie jedenfalls gerade ganz deutlich durch all den Qualm und Dreck sehen, die alte Dampflok. (Ich stecke gerade in einer SFB-Begutachtung und mein Vertrag endet zum x-ten Mal).

Beste Grüße […]

 

Treffend! Aber nicht nur das. Auch herrlich fantasievoll!

Liebe Leserinnen und Leser, gerne mehr davon!

(Foto:The Durango Herald)

Löchrige Forscherinnen-Pipeline

23. Februar 2022 von Laborjournal

Immer wieder fragen wir in unseren regelmäßigen Rätseln „Kennen Sie sie/ihn?“ nach bemerkenswerten Forscherinnen der vergangenen Jahrzehnte. Und nahezu jedes Mal dienen sie dabei gleichsam als Beispiele, wie schwer es damals selbst Frauen mit außerordentlichen Qualitäten hatten, sich in der Männer-dominierten Wissenschaft adäquat durchzusetzen. Besonders krasse Beispiele siehe etwa hier, hier und hier.

Das ist bis heute besser geworden, keine Frage. Dennoch bleibt hinsichtlich adäquater Karrieremöglichkeiten für Frauen in den Lebenswissenschaften offenbar weiterhin Luft nach oben.

Demonstriert wird dies wieder einmal neu durch Daten des Schweizer Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2020. Unter dem Titel „Gender Monitoring (Teil 2): je höher die Karrierestufe, desto weniger Frauen“ fasst der Schweizerische Nationalfonds (SNF) diese folgendermaßen zusammen:

Der Rückgang des Frauenanteils auf den akademischen Karrierestufen wird auch als Leaky Pipeline bezeichnet, als undichte oder lecke Rohrleitung. Die Daten des Bundesamtes für Statistik (BFS) aus dem Jahr 2020 zeigen ein eindeutiges Bild: An den Universitäten und ETH ist die Leaky Pipeline ausgeprägt – und zwar in allen Fachbereichen.

So bildeten 2020 während eines Studiums in den Lebenswissenschaft Frauen noch die Mehrheit, um dann über die einzelnen akademischen Karrierestufen bis hin zur Professur auf einen Anteil von nur noch 23 Prozent zusammenzuschrumpfen. Siehe hier:

Ein ähnliches Bild zeichnen die Schweizer Daten zu den Anträgen auf die Förderinstrumente, die der SNF für die verschiedenen akademischen Karrierestufen installiert hat: Beim Förderinstrument DocMobility für die Doktorandinnen und Doktoranden sind erstere mit 60 Prozent in der Mehrheit, bei der reinen Projektförderung für „fertige“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegt der Frauenanteil nur noch bei 26 Prozent.

Der SNF bilanziert daher:

Die Leaky Pipeline ist also auch bei den Förderinstrumenten des SNF ausgeprägt. Der Anteil an Forscherinnen, die ein Gesuch um Finanzierung einreichen, ist auf den späteren Karrierestufen zu gering. Mit einer Reihe von Maßnahmen versuchen wir seit einigen Jahren dies zu ändern. Dazu gehören zum Beispiel zusätzliche finanzielle Leistungen für Eltern, oder dass wir in SNF-unterstützten Projekten Teilzeitarbeit ermöglichen. Wir fördern ebenfalls explizit Professuren von Frauen. Die Wirkung dieser Maßnahmen beobachten wir genau und werten sie aus. Zusammen mit den Maßnahmen der Hochschulen sollen sie dazu führen, dass mehr Frauen eine Karriere in der Wissenschaft verfolgen.

Die Absichten sind lobenswert, aber ob die konkreten Maßnahmen tatsächlich ausreichen, um die Löcher in der „Frauen-Pipeline“ besser zu stopfen? Was wohl unsere betroffenen Leserinnen dazu meinen? …

Ralf Neumann

(Illustr.: A. Marshall)

 

Die Fabel vom Forscher, der traurig wurde…

18. August 2021 von Laborjournal

Es war einmal ein außergewöhnlich begabter junger Forscher. Dass er sein Handwerk in Rekordzeit lernte, war das eine. Viel mehr noch aber beeindruckte er mit seinem enormen analytischen wie auch kreativen Verstand. Wo die Kollegen schon lange vor der Komplexität gewisser Probleme kapituliert hatten, sezierte er mit spielerischer Leichtigkeit die entscheidenden Einzelteile heraus – und lieferte oft genug robuste Hypothesen und elegante experimentelle Strategien gleich mit.

Klar, dass solch ein Forscher bald sein eigenes Institut leitete. Und so entwickelte er Jahr um Jahr mit seinen Assistenten und Studenten immer wieder neue originelle Forschungsprojekte – und hatte auch stets Mittel und Stellen dafür.

Eines Tages jedoch merkte er, dass er inzwischen immer mehr Zeit und Mühe aufbringen musste, um den Geldfluss am Laufen zu halten. Kaum sprudelte ein Geldhahn mal eine Weile, versiegte der Strom auch schon bald wieder. Ein neuer musste also geöffnet werden, und dann umgehend wieder ein neuer…

Irgendwann fraß das Geldhahnöffnen auf diese Weise so viel Zeit, dass unser Forscher kaum mehr dazu kam, komplexe Forschungsprobleme tief und eindringlich zu durchleuchten – so wie früher eben. Am Ende ließ er es schließlich ganz. Denn glücklicherweise genügte ihm das schnelle Ausspinnen von flachen und naheliegenden Projekten, um gerade immer genug „Kurzsprudler“-Geldhähne am Laufen zu haben. (Die „Langsprudler“ hingegen schienen inzwischen ausgestorben.)

Seine Studenten dankten es ihm. Denn gerade die mussten wegen der schneller versiegenden Geldhähne jetzt umso hurtiger Resultate liefern, um nicht vollends auf dem Trockenen zu landen. Das wollte unser Forscher natürlich auf keinen Fall. Und so ersponn er auch deswegen nur noch seichte Projekte, bei denen die Ergebnisse schon durch die Oberfläche schimmerten.

Allerdings merkte kaum einer, wie er sich über all dies grämte. Und wenn er nicht gestorben ist, dann ist unser einstmals so brillanter Kopf heute umso trauriger, dass er schon lange nur noch mittelmäßige Forschung macht.

Ralf Neumann 

Foto: lukasbieri / Pixabay

(Der Artikel erschien bereits in unserer Printausgabe 1-2/2019 auf Seite 8.)

 

„Mein“ Paper musst du selber schreiben!

14. Juli 2021 von Laborjournal

Zählen wir mal alle diejenigen zusammen, die die akademische Welt sofort nach der Doktorarbeit oder dem ersten Postdoc ein für allemal verlassen. Oder gar mittendrin die Segel streichen. Damit wäre sicherlich bereits die klare Mehrheit all derer beisammen, die jemals eine Doktorarbeit oder einen Postdoc begonnen haben.

Und jetzt überlegen wir mal weiter, wie viele potenzielle Paper deswegen niemals geschrieben worden sind. Es dürften ziemlich viele sein!

Bei den Abbrechern ist es klar: Sie haben eine Weile Daten produziert, bis sie aus verschiedenen Gründen der Forschung plötzlich Knall auf Fall „Adieu“ sagen. Nur die allerwenigsten dürften danach noch erhebliche Zeit des neu begonnenen Lebensabschnitt dafür opfern, um dem Ex-Chef die „alten“ Daten für ein Manuskript aufzubereiten. Mit welcher Motivation auch?

Dummerweise haben aber ebenso oft diejenigen, die gleich nach abgeschlossenem „Doktor“ oder abgelaufenem „Postdoc“ umschwenken, noch genug selbstproduziertes und spannendes Daten-Rohmaterial für die eine oder andere weitere Veröffentlichung übrig. Doch haben diese Umsteigerinnen und Umsteiger jetzt noch genug Motivation, damit „posthum“ noch das eine oder andere Paper-Manuskript zu verfassen? Neben dem neuen und womöglich völlig anders gelagerten Job? In ihrer Freizeit? Sicherlich sehr selten!

Oftmals hilft dann auch kein Bitten und kein Flehen – vehementes Fordern oder gar Drohen sowieso nicht. Und auch ein schlechtes Gewissen lassen sich die Abwandernden kaum noch einreden – nach dem Motto: „Sowohl die Forschergemeinde als auch die Öffentlichkeit, die dich finanziert hat, haben ein Recht darauf, deine Erkenntnisse mitgeteilt zu bekommen.“

Also bleibt den Bossen und Chefinnen schließlich nichts, als über ehrlose Ex-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter zu jammern und deren Daten selbst zu einem Manuskript zusammen zu puzzeln.

Doch wie kommt es überhaupt soweit? Vielleicht, weil erstere das Manuskriptverfassen nie mit in die Vertragslaufzeiten einplanen? Weil sie stattdessen alle und jeden bis zum Vertragsende experimentieren lassen – und darauf bauen, dass man die Paper ja irgendwie auch danach noch schreiben kann? Und dies wiederum, weil sie davon ausgehen, dass ihre Schützlinge selbstverständlich auch danach noch in der Forschung weitermachen – und die Veröffentlichungen daher für die eigenen Karriere brauchen?

So gesehen könnte es also durchaus sein, dass mancher Boss und manche Chefin selber schuld an dem Dilemma sind.

Ralf Neumann