Die Fabel vom Forscher, der traurig wurde…

18. August 2021 von Laborjournal

Es war einmal ein außergewöhnlich begabter junger Forscher. Dass er sein Handwerk in Rekordzeit lernte, war das eine. Viel mehr noch aber beeindruckte er mit seinem enormen analytischen wie auch kreativen Verstand. Wo die Kollegen schon lange vor der Komplexität gewisser Probleme kapituliert hatten, sezierte er mit spielerischer Leichtigkeit die entscheidenden Einzelteile heraus – und lieferte oft genug robuste Hypothesen und elegante experimentelle Strategien gleich mit.

Klar, dass solch ein Forscher bald sein eigenes Institut leitete. Und so entwickelte er Jahr um Jahr mit seinen Assistenten und Studenten immer wieder neue originelle Forschungsprojekte – und hatte auch stets Mittel und Stellen dafür.

Eines Tages jedoch merkte er, dass er inzwischen immer mehr Zeit und Mühe aufbringen musste, um den Geldfluss am Laufen zu halten. Kaum sprudelte ein Geldhahn mal eine Weile, versiegte der Strom auch schon bald wieder. Ein neuer musste also geöffnet werden, und dann umgehend wieder ein neuer…

Irgendwann fraß das Geldhahnöffnen auf diese Weise so viel Zeit, dass unser Forscher kaum mehr dazu kam, komplexe Forschungsprobleme tief und eindringlich zu durchleuchten – so wie früher eben. Am Ende ließ er es schließlich ganz. Denn glücklicherweise genügte ihm das schnelle Ausspinnen von flachen und naheliegenden Projekten, um gerade immer genug „Kurzsprudler“-Geldhähne am Laufen zu haben. (Die „Langsprudler“ hingegen schienen inzwischen ausgestorben.)

Seine Studenten dankten es ihm. Denn gerade die mussten wegen der schneller versiegenden Geldhähne jetzt umso hurtiger Resultate liefern, um nicht vollends auf dem Trockenen zu landen. Das wollte unser Forscher natürlich auf keinen Fall. Und so ersponn er auch deswegen nur noch seichte Projekte, bei denen die Ergebnisse schon durch die Oberfläche schimmerten.

Allerdings merkte kaum einer, wie er sich über all dies grämte. Und wenn er nicht gestorben ist, dann ist unser einstmals so brillanter Kopf heute umso trauriger, dass er schon lange nur noch mittelmäßige Forschung macht.

Ralf Neumann 

Foto: lukasbieri / Pixabay

(Der Artikel erschien bereits in unserer Printausgabe 1-2/2019 auf Seite 8.)

 

Money Makes Research Go ‚Round

27. Januar 2015 von Laborjournal

(Zum „Zitat des Monats (24)“ im letzten Post fiel uns der unten folgende Beitrag ein, der thematisch passend in Laborjournal 6/2013 unter der Rubrik „Inkubiert“ erschien — und den wir hiermit „recyclen“:)

Die Summe der eingeworbenen Forschungsmittel ist zuletzt ein immer größerer Evaluations-Faktor geworden. Wer viel Geld bewilligt bekommt, der kann nicht schlecht sein — so die simple Logik. Zumal der Kandidat dafür ja immer wieder jede Menge kritische Kollegen überzeugen muss. Ganz klar also — wo nach eingehender Prüfung stetig Geld hinfließt, da muss auch Qualität sein.

Aber ist das wirklich immer so? Denken wir uns mal ein nicht untypisches Szenario. Forscher Müller hat einen großen Grant bekommen, mit dem er nach allen Regeln der Kunst und mit neuester Technologie einen gewissen Steuermechanismus entschlüsseln darf. Fortan ackern zwei Postocs und zig andere Mitarbeiter, der Maschinenpark läuft rund um die Uhr — und tatsächlich, nach zwei Jahren steht ein Major Paper an.

Nach Einreichung erfährt Müller jedoch vom zuständigen Editor, dass ein gewisser Svensson gerade ebenfalls ein Manuskript zum gleichen Thema eingereicht hat. Die Resultate seien zu einem großen Teil deckungsgleich und würden sich wunderbar gegenseitig bestätigen. Daher würde man im Fall der Fälle gerne beide Artikel back-to-back in der gleichen Ausgabe veröffentlichen.

Kein Problem, denkt Müller — aber wer ist dieser Svensson? Er beginnt zu recherchieren und erfährt, dass Svensson Nachwuchsgruppenleiter an der Universität Umeå ist. Viele Leute kann er demnach wohl nicht haben. Zwei Anrufe später bestätigt sich dann auch Müllers nagender Verdacht: Svensson hat das Problem mit einem erschreckend einfachen Ansatz gelöst — und damit viel billiger. Was ja auch klar ist: So große Grants wie Müller kann er gar nicht haben.

So gesehen hat sich Svensson zumindest in dieser einen Frage als der „bessere“ Forscher erwiesen, schließlich hat er sie effizienter und eleganter gelöst. Würden sich jetzt aber beide um die gleiche Stelle bewerben — wer würde sie wohl bekommen? Sicher Müller. Nicht zuletzt, da der neue Arbeitgeber von dessen großen Grants gut mitprofitiert. Da lässt man auch mal einen hoffnungsvollen Nachwuchsforscher abblitzen.

Zitat des Monats (24)

23. Januar 2015 von Laborjournal

In einem Kommentar in Times Higher Education macht sich Dorothy Bishop, Professorin für Entwicklungsneuropsychologie an der Universität Oxford, folgende Sorgen um das aktuelle Forschungssystem:

Some top researchers from the past would not have flourished in the current system, because their research was not expensive enough. After a career spanning 40 years, Daniel Kahneman’s elegant experiments led to a 2002 Nobel prize, but they did not require costly equipment or large squads of staff. This kind of research would be devalued in the current system for not generating enough research income.

But there is a deeper concern about changes in our scientific culture. The system of valuing high-impact publications and expensive grants has rewarded those who achieve these goals, and who have a vested interest in perpetuating the status quo. In effect, we may be driving out the very people we need to retain: those who are interested in science as an end in itself, rather than as a way of achieving personal advancement.

 

Selbstlose Fremdgänger

5. September 2014 von Laborjournal

Nochmal zum letzten Post: Wie darin berichtet, hatten drei orthopädische Chirurgen der Harvard Medical School nach einer durchaus aufwändigen Umfrage veröffentlicht, dass „Corresponding Authors“ nicht gerade eine hohe Antwortmoral bezüglich Nachfragen zu ihren jeweiligen Papern an den Tag legen.

Eine Sache beschäftigte uns in diesem Zusammenhang weiterhin: Warum machen orthopädische Chirurgen sowas? Man sollte meinen, die haben doch jede Menge andere Dinge zu tun. Zumal sie für die entsprechende Studie sicher auch keine direkten Forschungsgelder zur Verfügung hatten.

Dabei fiel uns auf, dass solche „Nebenprojekte“ durchaus öfter vorkommen. Erst vor einigen Wochen berichteten wir beispielsweise über eine Software-Entwicklerin, die zusammen mit einem Zellbiologen nach umfangreicher Recherche feststellte, dass…

…in den Life Sciences männliche Fakultätsobere weniger Frauen einstellen.

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