In unserer Reihe „Forscher Ernst und die Corona-Krise“: …
(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)
In unserer Reihe „Forscher Ernst und die Corona-Krise“: …
(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)
Neulich auf Twitter empörte sich mal wieder jemand darüber, wie gering im aktuellen Forschungstreiben die pure Beschreibung neuer Beobachtungen geschätzt werde. Ganz im Gegensatz zur Entschlüsselung funktioneller Mechanismen. Das ist es, was die Gutachter bei Journalen und Förderorganisationen sehen wollen – das ist es, was die Kollegen am meisten schätzen.
Besagter Twitterer war indes anderer Meinung. „In vielen Fällen ist die Frage nach dem Mechanismus einfach nur lächerlich“, ereiferte er sich am Ende. „Wenn jemand eine wirklich neue Beobachtung macht, muss der Mechanismus doch per definitionem unbekannt sein. Daher ist es doch ein Unding, die Leute zu nötigen, jahrelang mit der Mitteilung aufregender Beobachtungen zu warten, bis man irgendwann eventuell den Mechanismus dahinter entschlüsselt hat.“
Sofort sprang ihm Twitterer Nr. 2 zur Seite: „Mal ehrlich, allzu oft kommt die Frage nach dem Mechanismus doch von faulen Reviewern, die einen einfach noch mehr Arbeit machen lassen wollen.“
Twitterer Nr. 3 jedoch wollte beides nicht so stehen lassen – und entgegnete ihnen: „Ich bin ein Mechanismus-Fan! Wissenschaft ist doch gerade das Entschlüsseln von Mechanismen. Klar, auch Beobachtungen zu beschreiben ist sicherlich ein Teil davon. Doch erst in den Mechanismen offenbart sich endgültig die Schönheit der Natur.“
Na ja, auch mit etwas weniger Pathos bleibt „Schönheit“ bekanntlich vor allem Empfindungssache. So würden sicherlich nicht wenige der reinen Form der DNA-Doppelhelix unter ästhetischen Gesichtspunkten mehr „Schönheit“ zugestehen als jedem noch so ausgefuchsten biochemischen Mechanismus. Und eventuell unter intellektuellen Gesichtspunkten sogar ebenfalls.
Aber klar, die abschließende Antwort auf die allermeisten Forschungsfragen bietet letztlich der Mechanismus, der das untersuchte Phänomen steuert. Nur hätte man ohne vorherige – und vor allem auch vorurteilsfreie – Beobachtungen die große Mehrheit dieser Fragen gar nicht erst stellen können. Siehe etwa die Erstbeschreibung von Mikroorganismen durch van Leeuwenhoeks sowie Hookes Mikroskopie. Oder Mendels Erbsenzählerei. Oder Prusiners Prionen. Oder die reine Entschlüsselung von Genomsequenzen…
Und heißt es nicht sowieso, dass in der Wissenschaft das Stellen der richtigen Fragen wichtiger sei als das Finden von Antworten?
Wie auch immer, die Beschreibung von Beobachtungen und die Entschlüsselung von Mechanismen sind zwei Seiten derselben Medaille – untrennbar miteinander verbunden wie Yin und Yang.
Folglich sollte ein jeder Gutachter sich schämen, der eine Ablehnung ausschließlich mit dem Totschlag-Argument begründet, es handele sich ja nur um eine rein deskriptive Studie. Entweder war er dann wirklich faul, oder er hat Wissenschaft nur halb verstanden.
Ralf Neumann
Bescheidenheit ist eine Zier, hieß es früher einmal. In der Forschung jedoch scheint das immer weniger zu gelten. Da hat vielmehr die Unsitte des „Überverkaufens“ von Ergebnissen zuletzt immer stärker zugenommen.
Angesichts des stetig zunehmenden Publikations- und Karrieredrucks ist dies allerdings auch kein Wunder. Vom Ende seines Zeitvertrags oder Ähnlichem bedroht, bläst der eine oder die andere ein Fiat-Uno-Resultat im Paper-Manuskript gern zu einem Porsche auf. So manche Pressestelle verstärkt es umgehend nochmals – und in den sozialen Medien gerät es dann sowieso außer Kontrolle.
Dennoch ist solches „Überverkaufen“ von Forschungsergebnissen kein wirklich neues Phänomen. Wobei es bisher vielleicht noch eindrücklicher beim Beschreiben von Forschungsvorhaben auftrat. Denn zumindest beim Gerangel um Forschungsgelder wimmelt es schon seit Jahrzehnten in den Anträgen sinngemäß von deutlich übertriebenen Versprechungen wie: „Letztendlich könnten die Ergebnisse des Projekts in ein völlig neues Therapiekonzept für Krebs münden.“ Oder den Anbau und Ertrag aller möglichen Nutzpflanzen revolutionieren. Oder das Geheimnis lüften, wie in unseren Gehirnen Bewusstsein entsteht. Oder ähnliches überzogenes Antrags-Geklapper.
In diesem Zusammenhang hatte der Ökotoxikologe John Sumpter von der Londoner Brunel University zuletzt eine interessante Idee geäußert. In einem Essay in Times Higher Education schlägt er vor, in wissenschaftlichen Artikeln den Abschnitt „Conclusions“ durch „Limitations“ zu ersetzen. In den „Conclusions“ würde ohnehin nur wiederholt, was schon weiter vorne steht, so Sumpter. Müssten die Autoren dagegen gezielt formulieren, wo die Grenzen für die Interpretation ihrer Ergebnisse liegen, erhielte man am Ende womöglich deutlich robustere Paper.
Auf jeden Fall hätten auf diese Weise wohl arg überzogene Schlussfolgerungen wie die folgende ein Ende: „Weitere Forschung in dieser Richtung könnte es nun ermöglichen, die Ausprägung des Darm-Mikrobioms durch gezielte Interventionen so zu steuern, dass die kognitive Entwicklung von Kleinkindern unterstützt wird.“ (Biol. Psychiat. 83(2), 148-59) Argh! Nicht zu Unrecht zeichnete der US-Mikrobiologe Jonathan Eisen dieses Paper in seinem Blog Phylogenomics mit dem „Overselling the Microbiome Award“ aus.
Ralf Neumann
(Illustr.: R@TTENcomiCS)
Aus unserer Reihe „Forscher Ernst und die Coronakrise“:…
(Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier. Text: Rafael Florés/Ralf Neumann; Zeichnungen: Rafael Florés.)
In unserer Reihe „Forscher Ernst und die Corona-Krise“: …
(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)
Was lernen Labor-Frischlinge überhaupt von ihren Profs oder Gruppenleitern? Experimentelles Handwerk wohl nur selten — dazu haben diese in aller Regel zu lange selbst nicht mehr am Labortisch gestanden.
Der Autor dieser Zeilen erinnert sich jedenfalls mit großem Amüsement an die Momente aus seiner eigenen Laborzeit, in denen „sein“ Prof plötzlich ins Labor schwebte — und fragte: „Ich hab‘ gerade etwas Zeit, kann ich bei irgendwas helfen?“ Jedes Mal zuckten wir dann kurz zusammen, um uns sogleich betont lässig zurückzulehnen: „Danke, aber ich mach‘ heut‘ eh nur Auswertung…“ — „Hm, ungünstig! Muss gleich runter in den Dunkelraum, und da ist schlecht zu zweit zu arbeiten….“ — „Ach, schade! Muss gerade zwei Stunden auf meine Proben warten…“ – …
Oder es läuft so, wie kürzlich ein Bekannter berichtete: „Unser Chef nimmt sich jedes Jahr eine ganze Woche, um selbst zu experimentieren. Das ganze Labor liegt dann lahm, weil wir ihn um Himmels willen nicht alleine lassen können und ihm alles zeigen müssen. Und am Ende, wenn er wieder in sein Büro verschwindet, müssen wir das ganze Chaos aufräumen, das er hinterlassen hat.“
Das Experimentelle ist es also weniger, was die „Chefs“ den Frischlingen beibringen. Aber sicher doch alles andere, was praktische Wissenschaft ausmacht: Daten sauber analysieren, interpretieren und einordnen; die richtigen Fragen ableiten; Hypothesen entwickeln; Teststrategien entwerfen; die Notwendigkeit von richtigen Kontrollen und genügend Wiederholungen klarmachen;… Oder?
Offenbar nicht wirklich. US-Sozialwissenschaftler haben mit den ihnen eigenen Methoden vielmehr Folgendes festgestellt: Junge Doktorandinnen und Doktoranden lernen sämtliche (!) Fähigkeiten und Fertigkeiten der experimentellen wissenschaftlichen Arbeit vier- bis fünfmal besser, wenn sich Postdocs oder fortgeschrittene Prä-Docs um sie kümmern, als wenn die „Chefs“ sie direkt betreuen. Weshalb sie folgern, dass demnach in der Doktoranden-Ausbildung eine Art „Kaskaden-Modell“ am zielführendsten sei (PNAS 116 (42) 20910-16).
Womit Rolle und Bedeutung von Postdocs und Senior-Docs für den gesamten Wissenschaftsbetrieb nochmals deutlich aufgewertet werden.
Ralf Neumann
(In unserem Artikel „Verdient, aber verschwiegen“ vom 30.10.2020 berichteten wir über eine Studie, nach der auf jedem fünften Life-Science-Paper mindestens ein Nachwuchsforscher fehlt, der die Co-Autorschaft eigentlich verdient gehabt hätte. Der folgende Kommentar, den wir auf daraufhin erhielten, legt nahe, dass es im Forschungsgeschäft offenbar noch eine andere Gruppe gibt, die gerne mal bei der Zusammenstellung von Autorenlisten vergessen wird:…)
Zu Ihrem Artikel „Verdient, aber verschwiegen“ möchte ich folgendes beitragen: Aus eigener Erfahrung als langjähriger Leiter einer Core Facility für Proteinproduktion/Reinigung kann ich etliche Beispiele nennen, in denen Beiträge von Core-Facility-Mitarbeitern bestenfalls in den Acknowledgements auftauchen, obwohl der Beitrag nicht nur „technischer“ Natur war.
Darunter war beispielsweise die Strukturaufklärung eines Proteinkomplexes, an der die Strukturbiologie-Kollegen gescheitert waren – weswegen sie sich letztlich an unsere Core Facility gewandt haben, da sie eines der beiden Proteine nicht exprimiert bekamen. Wir haben diverse Konstrukte und Bedingungen ausgetestet und schließlich eine Ko-Expression vorgeschlagen, diese erfolgreich durchgeführt und gezeigt, dass der Komplex stabil durch die Gelfitration läuft und sich somit reinigen lässt. Nebenbei haben wir die Phosphorylierungs-Aktivität der Kinase in diesem Komplex gezeigt und zusammen mit der von uns beauftragten Massenspektrometrie-Facility die Phosphorylierungs-Sites des Komplex-Partners nachgewiesen.
Da die Publikation jedoch erst zwei bis drei Jahre später erschien, wurde der Beitrag beider Core Facilities im Nachhinein wohl nicht als substanziell angesehen. Vielleicht wurde er auch vergessen, man sollte nicht immer hinter allem böse Absicht vermuten. Immerhin wurden wir im Acknowledgement erwähnt – allerdings ohne ins Detail zu gehen, was wir genau beigetragen hatten.
Fairerweise muss man dazu sagen, dass nicht alle „Auftraggeber“ so vergesslich waren – aber mit der Zeit kamen doch einige „Einzelfälle“ zusammen.
Das Beispiel oben mag extrem sein. Allerdings gab es doch etliche solcher Fälle, in denen man als Labormitglied mit Sicherheit als Co-Autor auf dem Paper erschienen wäre – aber eben nicht als Core-Facility-Mitarbeiter. Da es indes immer mehr Core Facilities gibt, die den „richtigen“ Forschern ihre Arbeit erleichtern, indem sie ihnen in der Regel mehr als nur bei der Nutzung eines Geräts helfen und wichtige Ideen beitragen, vermute ich, dass ein hoher Anteil der verschwiegenen Co-Autoren in Core Facilities arbeitet.
Mit freundlichen Grüßen,
Ein ehemaliger Leiter einer Core Facility für Proteinexpression und -reinigung [Name ist der Redaktion bekannt]
(Illustr.: AdobeStock /Good Studio)
(Das Team von Science Bridge e.V. um den ehemaligen Kasseler Genetik-Professor und VBIO-Präsidenten Wolfgang Nellen hat ein ergebnisoffenes Forschungsprojekt zur Genom-Editierung via CRISPR-Cas entworfen, bei dem alle Interessierten in Echtzeit mitdenken und mitmachen können — und dabei idealerweise mitkriegen, wie Wissenschaft und Forschung wirklich funktionieren. Wolfgang Nellen hat uns gebeten, in unserer Leserschaft Werbung für das Mitmach-Projekt zu machen. Machen wir sehr gerne! So stellt er es selber vor:…)
Public Outreach, Bürger-Labore, Wissenschaftskommunikation, Citizen Science, Wissenschaftstransparenz — wie auch immer man es nennt, die Wissenschaft ist gefordert, mehr in die Öffentlichkeit zu gehen, verständlich (!) zu erklären und im besten Fall sogar Partizipation zu ermöglichen.
Wie auch andere versuchen wir von Science Bridge e.V. dafür neue Formate zu entwickeln. Dabei ist nicht immer leicht zu beurteilen, wie gut ein solcher Versuch gelingt — und schon gar nicht, Vorschläge zu bekommen, wie er sinnvoll optimiert werden kann. Wir wenden uns deshalb an die Leserinnen und Leser des Laborjournals für eine Art „Crowd-Peer-Review“. Sie können bei unserem unten folgenden Experiment selbst „mitspielen“, es jungen Studierenden empfehlen oder — noch besser — uns Ihre Meinung dazu sagen.
Und so sieht unser Mitmach-Projekt „Pauline und die Ausreißer“ aus:
Wir haben vor Kurzem ein einfaches CRISPR-Cas Experiment für Schulen, für Praktika in den Bachelor-Studiengängen wie auch für die interessierte Öffentlichkeit entwickelt. Ausgangspunkt ist ein E.-coli-Stamm, der das lacZ-Gen auf einem Plasmid trägt und sich damit nach Zugabe von X-Gal blau anfärben lässt. Dieser Stamm wird mit einem weiteren Plasmid transformiert, das das Cas9-Gen, eine crRNA und eine tracrRNA codiert. Diesen Beitrag weiterlesen »
Heute vor 261 Jahren wurde Friedrich Schiller geboren. In jedem Jahr hält aus diesem Anlass eine ausgewählte Person des öffentlichen Lebens eine Schillerrede vor dem Deutschen Literaturarchiv in dessen Geburtsort Marbach am Neckar. Dass diesmal der Charité-Virologe Christian Drosten dazu eingeladen wurde, bezeichnete er selbst am Anfang seiner Rede als „ausgeprochen ungewöhnliche“ und auch „mutige“ Wahl. Um dann darzulegen, was der Geist von Schiller und seinen Werken der heutigen Wissenschaft im allgemeinen wie auch für den Umgang mit der aktuellen Corona-Pandemie im besonderen mitgeben könnte. Drostens gesamte Rede ist hier nachzulesen oder hier im Video zu sehen. Es lohnt sich!
Nun ist beileibe nicht ungewöhnlich, dass man sich gerade in Krisenzeiten an das eine oder andere „alte Genie“ erinnert – und verstärkt fragt: Was können wir von ihnen lernen? Und wie können wir womöglich deren Kreativität reproduzieren, beziehungsweise die Bedingungen, unter denen sie gedeihen konnte? Also haben wir uns auch mal kurz bei Schiller umgeschaut. Der war zwar vor allem Schriftsteller, aber immerhin wurde er mit 29 Professor und hatte bis zu seinem 26. Lebensjahr bereits „Die Räuber“, „Kabale und Liebe“ sowie „Don Carlos“ geschrieben — also quasi gleich drei Habilitationsschriften.
Hängengeblieben ist uns bei unserem kurzen Screening schließlich, wie Schiller 1789 in seiner Antrittsvorlesung als Geschichtsprofessor über den „Brotgelehrten“ wetterte, der seine Fähigkeiten lediglich dazu nutzt, die Vorgaben der Obrigkeit zu erfüllen — und ihn gegen den „philosophischen Kopf“ abgrenzte. Schiller formulierte das so:
[…] Jede Erweiterung seiner Brotwissenschaft beunruhigt ihn, weil sie ihm neue Arbeit zusendet, oder die vergangene unnütz macht; jede wichtige Neuerung schreckt ihn auf, denn sie zerbricht die alte Schulform, die er sich so mühsam zu eigen machte, sie setzt ihn in Gefahr, die ganze Arbeit seines vorigen Lebens zu verlieren. Wer hat über Reformatoren mehr geschrieben, als der Haufe der Brotgelehrten? Wer hält den Fortgang nützlicher Revolutionen im Reich des Wissens mehr auf, als ebendiese? Jedes Licht, das durch ein glückliches Genie, in welcher Wissenschaft es sei, angezündet wird, macht ihre Dürftigkeit sichtbar; sie fechten mit Erbitterung, mit Heimtücke, mit Verzweiflung, weil sie bei dem Schulsystem, das sie verteidigen, zugleich für ihr ganzes Dasein fechten. Darum kein unversöhnlicherer Feind, kein neidischerer Amtsgehülfe, kein bereitwilligerer Ketzermacher, als der Brotgelehrte. Diesen Beitrag weiterlesen »