Verdauungs-Fantasien

6. März 2024 von Laborjournal

Ihr Opfer war so gut wie tot, das stand außer Frage. Noch krabbelte es auf zittrigen Beinen am Rand des leuchtend roten Fangeisens entlang, noch tastete es mit seinen Fühlern nach dem süßlichen, fauligen, verführerischen Duft ihrer Nektardrüsen. Doch nur wenige Millimeter weiter, und es würde mehrere ihrer Sinneshärchen berühren und die gespannten Tellereisen ihrer Fangblätter binnen 100 Millisekunden zuschnappen lassen. Widerstand war zwecklos.

Natürlich könnte sich Dionaea muscipula, die Venusfliegenfalle, von Sonnenlicht, Kohlendioxid, Wasser und Mineralien des Bodens ernähren. Doch jeden Morgen wacht sie auf und entscheidet sich aufs Neue für etwas anderes: Gewalt!

Warum? Weil sie an ihrem nährstoffarmen Standort einfach nicht auf die Stickstoff-Leckerli verzichten kann, die auf ihr herumkrabbeln.

Hat sie einen Arthropoden in einem ihrer Fangblätter eingeschlossen, bewerten Chemorezeptoren dessen Verwertbarkeit. Erachtet sie ihr Opfer als schmackhaft, versiegelt sie das klebrige Grab vollständig. Selbst Flüssigkeit kann dann nicht mehr austreten. Kleine Drüsen sondern nun ein Verdauungssekret ab, dessen Amylasen, Esterasen, Phosphatasen, Proteasen, Ribonukleasen und in geringen Mengen auch Chitinasen den gefangenen Gliederfüßer bis auf Molekülebene zersetzen. Nach zehn Tagen ist das Festmahl vorbei. Nur unverdauliche Reste wie Beine und Chitinpanzer bleiben übrig und fallen zu Boden, sobald sich die Fangblätter erneut öffnen und aufrichten. Das Massengrab zu Füßen der Venusfliegenfalle wächst.  Diesen Beitrag weiterlesen »

„Man hat schon Pferde kotzen sehen“ …

21. September 2022 von Laborjournal

…, behauptet das Sprichwort, um eigentlich Unmögliches anzudeuten. Schließlich kennt die Speiseröhre der Unpaarhufer nur eine Richtung – runterwärts. Erbrechen ist ihr fremd.

Warum eigentlich? Aus zwei Gründen: Der equine Ösophagus mündet in einen nur 12 bis 15 Liter fassenden Magen. Viel Vomitat passt dort nicht rein. Zudem bewacht ein besonders starker Schließmuskel – Musculus sphincter cardiae – den Eingang des Pferdemagens. Rückfluss lässt er ungern zu. Selbst wenn Pferde also reihern wollten, beeindruckend wäre das Schauspiel nicht.

Allein sind Equidae mit ihrem Unvermögen übrigens nicht. Die meisten Pflanzenfresser und Nagetiere können nicht kotzen. Auch Frösche, Kröten, Rochen und Haie können sich ihres Mageninhalts nicht retroperistaltisch entledigen. Um sich von unverdaulichen Futterresten und Parasiten zu befreien, würgen sie direkt ihren kompletten Magen heraus und schlucken ihn im Anschluss wieder runter.

Bei anderen Spezies erfüllt Kotzen dagegen vielfältige Aufgaben. Viele Fliegenarten beispielsweise erbrechen Verdauungsenzyme, um ihre Nahrung zu verflüssigen. Wölfe würgen kürzlich gefressenes Fleisch für ihre Welpen hoch. Auch Störche, Rabenvögel und Pinguine geben vorverdaute Nahrung oral an ihre Brut weiter. Katzen und Greifvögel werden damit Haarballen, Knochen, Federn, Chitin- und Kalkpanzer los. Aasgeier wehren mit ihrer säurehaltigen Kotze Raubtiere ab. Hyänen lieben es sogar, sich in erbrochenen Hufen, Knochen und Haaren zu suhlen. Der Grund für diese ungewöhnliche Vorliebe ist allerdings unbekannt.

Das Thema widert Sie an? Warum? Diesen Beitrag weiterlesen »