Der vergiftete Salat

1. September 2022 von Laborjournal

( … Ein Märchen aus unserem Archiv zum Thema Abhängigkeit von Nachwuchsforschern.)

Es war einmal ein Jungforscher in einem fernen Land, der sich in der Fremde zumindest schon einen kleinen Namen in der Erdbeerforschung [Forschungsthema geändert] gemacht hatte. Dafür wurden ihm ein schicker achteckiger Hut und ein schwarzer Samtkragen, fein verziert mit blau-goldener Seide, übergestreift. Just in dieser Zeit erreichte ihn aus heiterem Himmel das Angebot, selbstständiger Arbeitsgruppenleiter in seiner Heimat zu werden. Da erfasste ihn eine große Sehnsucht, und er flog voller Freude über ein großes Wasser in sein heimatliches Germanien zurück.

Kurz nach der Landung stand er vor seinem neuen Ordinarius, der ihm freudestrahlend einen bewilligten Drittmittel-Antrag entgegenhielt: „Hier habe ich für dich eine ordentliche Menge Sachmittel und Personalstellen. Du kannst gleich loslegen.“ Der Jungforscher konnte es nicht fassen. Er hatte doch noch gar keinen Drittmittel-Antrag eingereicht! Was war geschehen?

Der Ordinarius, ein langjähriger Spinatforscher [Forschungsthema geändert], hatte sich zuvor einen äußerst talentierten Junior-Salatforscher [Forschungsthema geändert]  geangelt – aus einem tollen Labor, wo die allerfeinsten Salate direkt für die Festtafel des Königs von Schweden samt dessen Freunde vom Karolinksa-Institut bereitet werden. Dieser junge Salatin hatte ein erstklassiges Salatrezept entworfen und war entsprechend von der Deutschen Förderstelle für Grünzeugforschung reich mit den notwendigen Zutaten bedacht worden. Diesen Beitrag weiterlesen »

Kultursache Forschung?

16. Februar 2022 von Laborjournal

Naturwissenschaften sind objektiv. Ihre grundlegenden Erkenntnisse gelten unabhängig von Ort und Zeit. Eine Kinase phosphoryliert – ob in Honolulu, Honkong oder Horb am Neckar. Auch die Schwerkraft wirkt – zum Glück – auf Erden immer und überall. Das ist so, da gibt es nichts zu deuteln. Und auch die größten kulturellen Unterschiede ändern nicht die Bohne daran.

Ganz im Gegensatz zu gewissen Gepflogenheiten in Gutachterei und Forschungsförderung. Bisweilen kann man nur staunen, wie all die Kräfte, die aus der naturwissenschaftlichen Forschung gnadenlos verbannt sind, plötzlich wieder entfesselt werden. Auf einmal treibt er hier wieder sein Spiel, der „subjektive Faktor“.

Da werden Urteile abgegeben, Meinungen geäußert, es wird taktiert und spekuliert, bisweilen intrigiert – und wichtiger als Daten ist oftmals die Rhetorik. Da begegnet man Platzhirschen, Seilschaften, Lobbygruppen – und sogar ganzen „Forschungskulturen“, denen ein Projekt nun einmal passt oder eben nicht.

Zu negativ? Vielleicht überspitzt, okay! Aber wie sonst ist beispielsweise die folgende – wieder einmal wahre – Begebenheit zu erklären? Nach langen erfolgreichen Jahren in England kam ein deutscher Forscher als Arbeitsgruppenleiter an ein deutsches Institut. Und mit einem Schlag – es war wie verhext – wurden alle seine Anträge abgelehnt. Über Jahre hinweg.

Logisch, dass des Forschers Frust stieg und stieg. Als er fast schon resignierte, sollte er aber doch noch Glück haben …

Ein alter Freund aus der Zeit in England war in einem anderen europäischen Land zu einem richtigen „Boss“ aufgestiegen. Und der sorgte nun dafür, dass unser Forscher einen Ruf an sein Institut erhielt. Zugleich riet er ihm, schon vor dem Umzug Anträge an die nationale Förderorganisation seiner neuen Forschungsheimat zu schicken. Da es eilig war, reichte unser Forscher einfach seine abgelehnten deutschen Anträge in leicht modifizierter Form ein – und erhielt die höchste Bewilligung im gesamten Land.

„Objektiv“ kann man wohl kaum zu derart unterschiedlichen Bewertungen von ein und demselben kommen. Was unserem Forscher demnach vielmehr passierte: Er hatte die „Kultur“ gefunden, die zu seiner Forschung passt.

Ralf Neumann

(Illustr.: N. Dzhola)

 

„Schreiben? — Ich hasste jede Minute davon“

24. Juni 2021 von Laborjournal

Wer verbringt eigentlich mehr Zeit mit Schreiben? Wissenschaftler oder Wissen­schafts­jour­na­lis­ten?

Klingt blöd – aber der sich diese Frage vor einiger Zeit tatsächlich stellte, war unser Chefredakteur. Zwar rechnet wohl kaum einer Wissenschaftler – ganz im Gegensatz zu Journalisten – zur sogenannten „schreibenden Zunft“. Dennoch las er zuletzt einige Dinge, die ihn darüber zum Grübeln brachten.

Es ging los mit dem Bericht eines Industrie-Forschers, der in einem Blog-Beitrag auf seine Zeit als Harvard-Wissenschaftler zurückblickte. Darin schrieb er:

Die größte Überraschung war, wieviel Zeit ich damit verbringen musste, überhaupt Fördergelder zu bekommen. Ich schätze, dass etwa 40 Prozent meiner Zeit für die Jagd nach Förderung draufgingen – entweder direkt (Anträge schreiben) oder indirekt (Firmenbesuche, Vorträge, Netzwerke pflegen). Es war eine riesige Zeitinvestition, die nicht immer direkt zu meiner Forschungsarbeit beitrug. Sie diente nur dazu, die Räder überhaupt am Laufen zu halten.

40 Prozent! Auf exakt die gleiche Zahl kam schon 2007 eine entsprechende Studie der US-Regierung, die der Scientific American später in seinem Artikel Dr. No Money folgendermaßen zusammenfasste:

Öffentliche und private Fördergelder zu beantragen, ist zu einem zeitfressenden Monster geworden. 2007 ermittelte eine Studie der US-Regierung, dass Universitätsforscher etwa 40 Prozent ihrer Zeit in den entsprechenden bürokratischen Labyrinthen verbringen. Und in Europa ist die Situation nicht besser.

Sicher, das ist nicht alles direkte Schreibarbeit – aber auch der Journalist muss ja erst recherchieren, bevor er schreiben kann. Und überhaupt betreffen die 40 Prozent ja nur die Förderanträge. Unser Wissenschaftler hat dann noch kein Paper-Manuskript geschrieben – keinen Forschungsbericht, kein Gutachten, kein Gremienpapier, nicht mal eine E-Mail,…  Diesen Beitrag weiterlesen »

Wie ambitioniert hätten Sie’s denn gerne…?

6. November 2019 von Laborjournal

Und schon wieder beschleicht „Forscher Ernst“ ein Gefühl von Gutachter-Willkür…

(Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier. Zeichnungen von Rafael Flores.)

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Forschungsanträge à la Sisyphus

12. November 2018 von Laborjournal

„Der Wahnsinn des Antragschreibens“ war Thema unseres letzten Postings unten. Zuvor hatten wir in unserer Heft-Kolumne „Inkubiert“ bereits einen ganz anderen Fall von „Antrags-Wahnsinn“ kommentiert (siehe LJ 1-2/2016). Wir bringen den Kommentar hier nochmals in überarbeiteter Form:

Wenn es um das Antragswesen wissenschaftlicher Projektförderung geht, scheint Effizienz oftmals kein hervorstechendes Merkmal zu sein. Zumindest bestärken einzelne Beispiele immer wieder diesen Eindruck.

Nehmen wir etwa den folgenden Fall, den der belgische Linguist Jan Blommaert in seinem Blog Ctrl+Alt+Dem beschrieb. Demnach ging er so richtig in die Vollen, als vor Monaten im EU-Rahmenprogramm „Horizon 2020“ ein bestimmtes Projektthema ausgeschrieben wurde. Umgehend stürzte er sich zusammen mit seinem Leuten in umfangreiche inhaltliche Vorarbeiten und heuerte überdies europaweit geeignete Partner für das geforderte „Internationale Konsortium“ an.

Logisch, dass für die notwendigen Meetings schnell mal Hunderte von Arbeitsstunden und mehrere Tausend Flugkilometer draufgingen. Ein Mitarbeiter aus Blommaerts Team kümmerte sich etwa monatelang quasi hauptamtlich um Koordination, Vorbereitung und schlussendliche Realisierung des Antrags. Dazu erhielt er umfassende Hilfe von zwei Leuten aus der Uni-Verwaltung: einem professionellen „Grant Writer“ und einem eigens angestellten Fachmann für EU-Angelegenheiten.

Dies alles und noch viel mehr summierte sich am Ende zu einem Riesenhaufen produktiver Zeit und Geld, die mit höchster Wahrscheinlichkeit völlig umsonst investiert — und damit verschwendet — waren. Denn eine Woche, nachdem sie den Antrag fix und fertig abgeschickt hatten, erhielten Blommaerts und Co. aus Brüssel die Nachricht, dass insgesamt 147 Anträge eingegangen seien, wovon jetzt ganze 2 — ZWEI! — bewilligt würden.

Man braucht keine allzu komplizierte Mathematik, um die hirnlose Ineffizienz dieses gesamten Manövers aufzuzeigen. Man multipliziere nur grob die ausschließlich mit Steuergeldern bezahlte Arbeitszeit samt übriger Kosten von Blommaert und Co. mit der Zahl der insgesamt 145 abgelehnten Anträge, addiere dazu die Brüsseler Kosten für Verwaltung und Begutachtung — und setze diese für nahezu Nix investierte Summe wiederum in Beziehung zu den 6 Millionen Euro Gesamt-Fördervolumen. Eine verheerende Bilanz, oder?

Und jetzt haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, welches Signal eine Ablehnungsquote von 98,7 Prozent für die Forscher generell bedeutet…

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Scientific Excellence only?

8. Februar 2018 von Laborjournal

Erinnert sich noch jemand daran, als vor ziemlich genau elf Jahren der European Research Council (ERC) seine Arbeit aufnahm? Mit großer Euphorie wurde diese Förderinstitution der Europäischen Union damals aufgenommen. Grundlagenforschung in ihrer reinsten Form sollte sie quer durch Europa fördern. Und das alleinige und alles entscheidende Kriterium für positive Förderbescheide: Scientific Excellence!

Scientific excellence only — „Ausschließlich wissenschaftliche Exzellenz“ —, so lautete denn auch die Überschrift eines Interviews mit dem frisch gebackenen ERC-Generalsekretär Ernst-Ludwig Winnacker, das damals in FTEinfo, dem Forschungsmagazin der Europäischen Kommission, erschien. Und auch im Interview selbst ließ Winnacker keinen Zweifel daran, welches das einzige Hauptkriterium sei, auf das Europas jüngste und sehnsüchtig erwartete Forschungsinstitution ihre Förderentscheidungen stützen werdeEin paar Zitate daraus:

Wissenschaftliche Exzellenz  das ist das Kriterium.

Das ist typisch für die gesamte Organisation  die einzige Grundlage ist wissenschaftliche Exzellenz.

Und wenn das gesamte Geld nach England geht, dann ist das in Ordnung. Keiner wird sich beschweren, solange die Bedingung der wissenschaftlichen Exzellenz erfüllt ist.

Das ist doch, was wir alle die ganze Zeit über wollten: Exzellenz durch Wettbewerb.

Gut, die Botschaft war weithin angekommen — und natürlich weithin für gut befunden. Und die folgenden Jahre sollten zeigen, dass der ERC nach den starken Worten sein selbst auferlegtes Schlüsselkriterium „Scientific Excellence only“ auch wirklich in die Tat umsetzte. Wobei…

… Tatsächlich erhielten wir eine E-Mail, die uns zu diesem Thema doch ein wenig die Augenbrauen hochziehen ließ. Eine junge deutsche Biochemikerin beschrieb darin ihre Frustration über die eigenen Erfahrungen mit den Förderrichtlinien des sogenannten Starting Grants, den der ERC explizit für „talented early-career scientists“ eingerichtet hat. Und wir müssen zugeben: Zu einem gewissen Grad hat sie recht mit ihrer Klage.    Diesen Beitrag weiterlesen »