Vertrag oder Lizenz?

7. September 2022 von Laborjournal

Wenn wir uns unter Forscherinnen und Forschern umhören, kommt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eigentlich ganz gut weg – insbesondere im Vergleich zu anderen Förderorganisationen im Ausland. Beispielsweise bilanzierte erst vor einigen Wochen ein nicht ganz unbekannter Pharmakologe kurz und prägnant: „Wir können doch froh sein, dass wir hierzulande die DFG haben.“

Nun sind solche Urteile sicherlich subjektiv gefärbt und hängen stark von den konkreten Fördererfahrungen ab, die einzelne Forscherinnen und Wissenschaftler jeweils mit der DFG gemacht haben. Versucht man jedoch einen objektiveren Blick, kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass sie es zuletzt zunehmend schwerer hatte. Nur ein Indiz von mehreren: Trotz stetiger Mittelzuwächse sank die Bewilligungsquote über die letzten zwanzig Jahre auf mittlerweile unter dreißig Prozent der eingereichten Anträge.

Schon vor über zehn Jahren sah der damalige DFG-Präsident Peter Strohschneider aufgrund dieser Entwicklung ein gefährliches Dilemma am Horizont aufziehen: Aufgrund der notorischen Unterfinanzierung von Forschungsprojekten würden die Wissenschaftler zunehmend nicht mehr das Geld beantragen, das sie für ihre Forschung brauchen – sondern vielmehr dort forschen, wo sie überhaupt noch an Geld kommen. Die Folge davon: Die Forschungsfreiheit drohe deutlich eingeschränkt zu werden, während sich das Finanzierungsdilemma eher noch verschärfe.

Doch dieser Trend, der übrigens für die meisten Forschungsförderer genauso gilt, ist noch auf andere Art gefährlich. Denn was passiert, wenn DFG und Co. mit so viel mehr Förderanträgen überschwemmt werden, als sie bewilligen können? Im Bestreben, so fair wie möglich zu sein, verlangen sie immer spezifischere Zielsetzungen und Forschungspläne in den beantragten Projekten. Beispielsweise soll bisweilen sogar die Rolle jedes einzelnen Labormitglieds präzisiert werden. Und natürlich muss man bereits mit ausreichend Daten untermauern, dass die Ziele innerhalb der Förderperiode auch tatsächlich erreichbar sind. Nicht nur die Ergebnisse, auch der Zeitrahmen soll also vorab möglichst klar sein. Und so bekommt die Forschungsförderung endgültig den Charakter von Vertragsabschlüssen – statt Lizenzen zum Losziehen nach neuen Erkenntnissen zu erteilen.

Vielleicht würde es dem künftigen Ruf der DFG eher guttun, wenn sie dieser Entwicklung stärker entgegensteuern würde.

Ralf Neumann

(Illustr.: CC BY 4.0)

Vorarbeiten oder schon Fehlverhalten?

6. Juli 2022 von Laborjournal

Ende letzter Woche erreichte uns eine Pressemitteilung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), in der sie wieder einmal über die Verhängung von sanktionierenden Maßnahmen wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens informierte. Es ging um drei verhandelte Fälle, bei denen sie – wie immer – die Namen der „Schuldigen“ nicht nennt. So heißt es etwa zu „Fall Nummer 2“ im Wortlaut:

Im zweiten Fall war einem Wissenschaftler vorgeworfen worden, er habe in einem Förderantrag zahlreiche relevante und bereits erzielte Forschungsergebnisse nicht als solche benannt, sondern als Forschungsziele und Teile des Arbeitsprogramms formuliert. Dadurch habe er zu einem bedeutenden Anteil Fördermittel für Arbeitsschritte beantragt, die bereits im Vorfeld durchgeführt worden seien. Der Untersuchungsausschuss stellte hier den Tatbestand der unrichtigen wissenschaftsbezogenen Angaben in einem Förderantrag und damit ebenfalls wissenschaftliches Fehlverhalten fest. Er würdigte dabei zwar, dass der Wissenschaftler umfassend und frühzeitig Fehler eingeräumt habe, hielt mit Blick auf den Anteil der betroffenen Passagen dennoch eine Sanktion für notwendig. Auf seinen Vorschlag sprach der Hauptausschuss auch in diesem Fall eine schriftliche Rüge und, da das Kernstück der wissenschaftlichen Arbeit vom Fehlverhalten betroffen sei, zudem einen einjährigen Ausschluss von der Antragsberechtigung aus.

Es ergab sich, dass ich am Rande eines Meetings einem gestandenen Bioforscher kurz diesen Fall referierte. Und dessen spontane Reaktion war genau diejenige, die ich insgeheim erwartet hatte: Er lachte kurz auf und rief aus: „Das macht doch jeder!“

Eben! Bereits vor elf Jahren beschrieben wir dieses „Antrags-Timing“ in unserer Heft-Kolumne „Inkubiert“ (LJ 7-8/2011: 8) folgendermaßen:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Über den Unsinn, Forscher nach Höhe ihrer Fördermittel zu beurteilen

28. Juli 2021 von Laborjournal

Why you shouldn’t use grant income to evaluate academics“ war der Titel des Kurzvortrags, den Dorothy Bishop, Professorin für Experimentelle Psychologie an der Universität Oxford, kürzlich bei einem Meeting zum Thema „Irresponsible Use of Research Metrics“ hielt. Darin räumte sie auf mit der allzu simplen Logik, aufgrund derer die Summe der eingeworbenen Forschungsmittel inzwischen ein immer größerer Evaluations-Faktor geworden ist.

Wer viel Geld bewilligt bekommt, der kann nicht schlecht sein – so der Kerngedanke dahinter. Zumal die Kandidaten mit den entsprechenden ja immer wieder jede Menge kritische Kollegen überzeugen muss. Ganz klar also: Wo nach eingehender Prüfung stetig Geld hinströmt, da muss auch Qualität sein.

 

Auch mit teurer Technologie erntet man bisweilen nur tiefhängende Früchte.

 

Bis heute, so stellt Dorothy Bishop dazu klar, habe man keinerlei belastbare Korrelation zwischen Antragshöhe und Antragserfolg feststellen können – unter anderem, da bei letzterem einfach zu viel Glück und Zufall im Spiel ist. Man würde daher vor allem dafür belohnt, wie viel Glück man hat. Und das sei letztlich ziemlich demoralisierend für die Forscher, da sie sich nicht auf faire Weise evaluiert fühlen.

Wir nahmen dies in einem früheren Blog-Beitrag einmal folgendermaßen aufs Korn:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Forschungsförderung in Zeiten von Corona

5. Mai 2021 von Laborjournal

Ist die Art und Weise, wie wir hierzulande Forschung fördern, geeignet, um zeitnah die dringend benötigten Daten und Erkenntnisse zur Bewältigung der Corona-Pandemie zu generieren? Haben unsere Forschungsförderer flexibel und entschieden genug auf die plötzliche Herausforderung reagiert?

In unserem Heft 3/2021 beschrieben wir unter „Inkubiert“ (S. 7) ein Dilemma zwischen der Kernidee unserer Grundlagenforschungsförderung einerseits sowie den konkreten Notwendigkeiten einer schnellen und gezielten Pandemie-Forschung andererseits wie folgt:

Im freien „Wettbewerb der Ideen“ können Forscherinnen und Forscher Projekte ausspinnen und beantragen. Höchstens in einigen bestimmten Programmen werden allenfalls sehr breite thematische Klammern vorgegeben – beispielsweise um ein wichtiges neues Forschungsfeld auch hierzulande zu etablieren.

Das hat bis jetzt gut funktioniert. Und da die Forschergemeinde sich auch oft genug von alleine für drängende Themen interessiert, kam neben der reinen Erkenntnis auch immer wieder etwas Anwendbares mit heraus – gerade in der Medizin.

Plötzlich verlangt die Corona-Pandemie von der Forschung jedoch so dringend wie nie zuvor ganz konkrete Antworten auf bohrende Fragen – nicht zuletzt, um auf deren Basis praktische Entscheidungen für unsere Gesellschaft treffen zu können. Doch hierbei funktionieren die Förderinstrumente der freien Grundlagenforschung offenbar nur noch suboptimal. Sicher, BMBF und DFG leiten jede Menge ihrer Mittel in Corona-Forschung um. Da sie diese aber wie gewohnt im Wettbewerb ausschreiben, können sie am Ende nur diejenigen Projekte fördern, die die Forscher ihnen anbieten. Und womöglich sind einige wichtige Projekte dummerweise nicht mit im Angebot.

Einfach umschwenken können die Forschungsförderer offensichtlich nicht – und stattdessen klar sagen: „Wir brauchen folgende Daten – wer also das Projekt dazu macht, bekommt Geld!“

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Lasset uns wissenschaftskommunizieren! Alle!

24. Februar 2021 von Laborjournal

Unsere Bundeswissenschaftsministerin Karliczek hat es schon länger beschlossen: Wissenschaftskommunikation soll künftig zu den zentralen Aufgaben des Forschers gehören. Im Interview sagte sie gar, dass künftig jeder Förderantrag auch Konzepte zur Kommunikation des betreffenden Projekts beinhalten müsse.

Damit ist sie nicht allein. Bereits zuvor und auch seitdem wurde immer wieder beispielsweise auf Twitter proklamiert: „Kommunikation sollte von Anfang an zur eigenen Identität als Wissenschaftler dazugehören.“ Und wahrscheinlich nicken bei Tweets wie diesem jede Menge Leser zustimmend mit dem Kopf…

Gut, was aber soll noch alles zur „Identität als Wissenschaftler“ dazugehören?

Klar, vor allem sollen sie mal gute Forscher sein – und möglichst viele neue Ideen und Erkenntnisse liefern. Dazu sind sie ja schließlich ausgebildet worden. Und gute Lehrer sollten sie auch sein! Was nicht nur heißt, dass sie spannende Vorlesungen und prickelnde Seminare halten sollten. Nein, viel wichtiger ist doch, dass sie die Studenten, Doktoranden und Postdocs in der eigenen Gruppe durch klare Anleitung und ständige konstruktive Begleitung zu begeisterten, kreativen und nicht zuletzt auch integren Wissenschaftlern ausbilden.

Tja, und dann sind da die vielen „Kleinigkeiten“, die heute auch noch zum Forschungsbetrieb dazu gehören. Die sollten sie natürlich ebenfalls gut machen – wenn auch eher via Learning on the Job. Also etwa Forschungsanträge und Paper verfassen, die Budgets für die Gruppe verwalten, Gutachten für Zeitschriften und Förderorganisationen formulieren, sich aktiv in die Selbstverwaltung ihrer wissenschaftlichen Einrichtung einbringen, Aufgaben in Fachgesellschaften und übergeordneten Gremien übernehmen. Und und und…

War‘s das? Hmm, nicht wirklich. Die Erkenntnisse der Forscher sollen ja auch „was bringen“. Zu deren „Identität“ soll daher unbedingt weiterhin gehören: Anwendungen realisieren, Patente beantragen, Firmenausgründungen mit auf den Weg bringen. Und ganz analog sollten sie auch jederzeit Politik und Öffentlichkeit mit ihrer gesammelten Expertise bei wichtigen Entscheidungsfindungen beratend zur Seite stehen. Für viele gerade jetzt in der Corona-Pandemie ein ganz besonderes Thema.

Puh, und jetzt also noch Wissenschaftskommunikation. Zwischenfrage: Hat jemand eigentlich noch nicht das Bild von der eierlegenden Wollmilchsau im Kopf?…

Klar, in Ausnahmesituationen wie in der aktuellen Pandemie muss das für die betroffenen Wissenschaftler ganz weit nach vorne rücken. Und manche machen das ja auch ganz ausgezeichnet – während andere es doch eher weniger gut hinbekommen.

Schon das zeigt, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die entsprechenden kommunikativen Qualitäten in der Regel mehr oder weniger zufällig als Talent mitbringen müssen. Aus- oder fortgebildet werden sie bislang nirgendwo dazu, allenfalls können sie auch hier ein paar Körner durch Learning on the Job drauflegen. Dummerweise kostet der aber auch so schon Zeit genug – siehe oben.

Zudem erhalten nur ganz wenige aktive Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler irgendeine Art Belohnung für tolle Wissenschaftskommunikation – höchstens in Form von gewissen Preisen wie etwa das Ausnahmetalent Christian Drosten in der aktuellen Ausnahmezeit. Der positive Anreiz ist demnach gering.

Dass das BMBF Forscherinnen und Forscher jetzt quasi zur Wissenschaftskommunikation nötigen will, indem es mit dem Stocken von Fördergeldern droht, falls in den Anträgen nicht schon entsprechende Kommunikationskonzepte mitgeliefert werden, ist so gesehen ein höchst zweifelhaftes, vielleicht sogar kontraproduktives Unterfangen. Warum nicht lieber mit klaren Fortbildungsangeboten und positiven Belohnungen die echten Talente locken statt per Rundumschlag der gesamten Community mit verstecktem Zuwendungsentzug drohen? 

Ralf Neumann

Hauptsache, man braucht Förderanträge!

17. Dezember 2019 von Laborjournal

Was wäre, wenn jeder Forscher einfach erstmal Geld bekäme? Ganz ohne Antrag, geschweige denn Peer Review? So wie einst­mals Otto Warburg, der lediglich schrieb: „Ich benötige 10.000 Mark. Otto Warburg“. Und sie tatsächlich bekam.

„Ja ja, träum‘ weiter“, mögen jetzt viele denken. Doch gemach, blättern wir hierzu ruhig mal in ein etwas älteres Heft von Accountability in Research — und reiben uns angesichts einer kanadischen Studie ungläubig die Augen (Band 16(1), S. 13-40). Da teilen uns die Autoren mit, dass ein sogenannter „Direct Baseline Discovery Grant“ des Natural Science and Engineering Research Council Canada (NSERC) im Durchschnitt 30.000 kanadische Dollar wert ist. Und dem setzen sie entgegen, was der ganze Prozess des Antragschreibens samt anschließender Bewilligung oder Ablehnung (!) durch Peer Review — nach Arbeitszeit et cetera bemessen — insgesamt kostet: nämlich satte 40.000 kanadische Dollar pro Antrag.

Selbst nach mehrmaligem Augenreiben bleibt somit das Fazit: Ein abgelehnter Antrag verbrät 10.000 Dollar mehr, als das Projekt bei Bewilligung überhaupt bekommen könnte. Da muss doch was faul sein! Und natürlich brauchen die Autoren auch keine höhere Mathematik um zu folgern, dass der NSERC sogar noch Geld sparen würde, wenn er jedem „qualifizierten Forscher“ den 30.000-Dollar-Baseline Grant einfach auf Anfrage direkt in die Hand drücken würde.

Sicher, 30.000 Dollar sind für diejenigen, die materialaufwändige Forschung betreiben, nicht viel. Dennoch spekulieren die Autoren, dass durch solcherart „effizientere“ Verteilung von Fördermitteln deutlich mehr und bessere Forschung laufen könnte — insbesondere im „Critical-Idea-or-Discovery“-Stadium. Wenn dann die ersten Ergebnisse tatsächlich vielversprechend wären, hätte man immerhin schon etwas in der Hand, um nachfolgend einen größeren — und natürlich begutachteten — Grant zu beantragen.

Bleibt noch die Frage, ob nach diesem Schema nicht Hinz und Kunz Geld bekommen könnten — und eben nicht nur „qualifizierte Forscher“. Dazu lediglich folgender Blog-Kommentar eines Forschers:

Bei jedem Karriereschritt, bei jedem einzelnen Paper werden wir immer wieder neu evaluiert. So sorgfältig und eindringlich, dass man uns doch irgendwann einmal genau in diesem einen Punkt trauen können sollte — nämlich dann, wenn wir neue Forschung anpacken.

Ralf Neumann

[Addendum: Fairerweise muss abschließend noch erwähnt werden, dass ein kanadischer Physiker die Kalkulation des Arbeitsaufwands von 40.000 kanadischen Dollar pro Antrag nachfolgend als viel zu hoch kritisierte (Accountability in Research 16(4): 229-31). Ein weiteres Paper dagegen kalkulierte für die Bearbeitung von Forschungsanträgen in Australien ähnlich hohe Ausgaben (BMJ Open 2013;3:e002800).]

 

Bessere Forscher nach frühen Fehlschlägen?

12. Juni 2019 von Laborjournal

Über Wohl und Wehe eines erfolgreichen Förderantrags entscheidet einzig und allein die wissen­schaftliche Exzellenz des Kandidaten und seines beantragten Projekts. Gerade die Programme zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses betonen dies immer wieder neu als oberste Maxime. Der Gedanke dahinter ist klar: Die Besten von heute werden ziemlich sicher auch die Besten von morgen sein — gerade, wenn man sie schon früh identifiziert und fördert. Hinterfragt hat das bislang nahezu niemand.

Umso überraschender verkünden jetzt drei Herren namens Wang, Jones & Wang von der North­western University in Evanston/USA, dass diese These von „Früh top, immer top“ womöglich stärker wackeln könnte als gedacht (arXiv:1903.06958v1).

Wie kommen sie darauf? Diesen Beitrag weiterlesen »

Zehnmal #Forscherfrust

28. Februar 2019 von Laborjournal

In der vergangenen Woche eröffneten wir auf Twitter den Hashtag #Forscherfrust. Unsere zehn Beispiele für entsprechende Frusterlebnisse rund um das Forscher-Dasein sind hier nochmals zusammengetragen:

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Wenn jemand noch weitere Beispiele loswerden will — entweder hier unten im Kommentarfenster oder unter dem Hashtag #Forscherfrust auf Twitter.

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Forschungsanträge à la Sisyphus

12. November 2018 von Laborjournal

„Der Wahnsinn des Antragschreibens“ war Thema unseres letzten Postings unten. Zuvor hatten wir in unserer Heft-Kolumne „Inkubiert“ bereits einen ganz anderen Fall von „Antrags-Wahnsinn“ kommentiert (siehe LJ 1-2/2016). Wir bringen den Kommentar hier nochmals in überarbeiteter Form:

Wenn es um das Antragswesen wissenschaftlicher Projektförderung geht, scheint Effizienz oftmals kein hervorstechendes Merkmal zu sein. Zumindest bestärken einzelne Beispiele immer wieder diesen Eindruck.

Nehmen wir etwa den folgenden Fall, den der belgische Linguist Jan Blommaert in seinem Blog Ctrl+Alt+Dem beschrieb. Demnach ging er so richtig in die Vollen, als vor Monaten im EU-Rahmenprogramm „Horizon 2020“ ein bestimmtes Projektthema ausgeschrieben wurde. Umgehend stürzte er sich zusammen mit seinem Leuten in umfangreiche inhaltliche Vorarbeiten und heuerte überdies europaweit geeignete Partner für das geforderte „Internationale Konsortium“ an.

Logisch, dass für die notwendigen Meetings schnell mal Hunderte von Arbeitsstunden und mehrere Tausend Flugkilometer draufgingen. Ein Mitarbeiter aus Blommaerts Team kümmerte sich etwa monatelang quasi hauptamtlich um Koordination, Vorbereitung und schlussendliche Realisierung des Antrags. Dazu erhielt er umfassende Hilfe von zwei Leuten aus der Uni-Verwaltung: einem professionellen „Grant Writer“ und einem eigens angestellten Fachmann für EU-Angelegenheiten.

Dies alles und noch viel mehr summierte sich am Ende zu einem Riesenhaufen produktiver Zeit und Geld, die mit höchster Wahrscheinlichkeit völlig umsonst investiert — und damit verschwendet — waren. Denn eine Woche, nachdem sie den Antrag fix und fertig abgeschickt hatten, erhielten Blommaerts und Co. aus Brüssel die Nachricht, dass insgesamt 147 Anträge eingegangen seien, wovon jetzt ganze 2 — ZWEI! — bewilligt würden.

Man braucht keine allzu komplizierte Mathematik, um die hirnlose Ineffizienz dieses gesamten Manövers aufzuzeigen. Man multipliziere nur grob die ausschließlich mit Steuergeldern bezahlte Arbeitszeit samt übriger Kosten von Blommaert und Co. mit der Zahl der insgesamt 145 abgelehnten Anträge, addiere dazu die Brüsseler Kosten für Verwaltung und Begutachtung — und setze diese für nahezu Nix investierte Summe wiederum in Beziehung zu den 6 Millionen Euro Gesamt-Fördervolumen. Eine verheerende Bilanz, oder?

Und jetzt haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, welches Signal eine Ablehnungsquote von 98,7 Prozent für die Forscher generell bedeutet…

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„Antragschreiben? Ich hasste jede Minute davon!“

5. November 2018 von Laborjournal

Wann sollte man einen Forscher besser nicht ansprechen? — Antwort: Wenn er gerade an einem Förderantrag schreibt.

„Immer wenn ich an einem Antrag arbeite, fühle ich mich wie ein verwundetes wildes Tier“, schrieb einmal sinngemäß ein Betroffener. „Sobald ich irgendwie nicht weiterkomme — und das passiert leider oft —, kauere ich voller Schmerzen in meiner Ecke. Mir wird heiß, ich atme schneller, beiße die Zähne zusammen und blicke mit gehetztem Blick um mich herum — auf der verzweifelten Suche nach Linderung durch die richtige Idee. Wenn dann jemand reinkommt und irgendetwas will, kann er schnell einen Finger verlieren oder sonst etwas — selbst wenn die betreffende Person sich nur Sorgen gemacht hat und mir helfen will.“

Okay, das ist sicher gnadenlos überspitzt. Wäre es tatsächlich jedes Mal so schlimm, müsste sich unser Forscher aus gesundheitlichen Gründen wohl besser bald einen anderen Job suchen. Dennoch dürfte sich jeder, dem das Antragschreiben nicht allzu leicht aus den Fingern fließt, darin prinzipiell wiedererkennen.

Das Dumme ist: Den Meisten fließen die Anträge nicht aus den Fingern. Und so sehen sie sich stets stärkeren „Qualen“ ausgesetzt, da die Frequenz des Antragsschreibens zuletzt immer mehr zugenommen hat.

Der US-Computerwissenschaftler Matt Welsh beispielsweise verließ vor einigen Jahren genau aus diesem Grund die Harvard University und arbeitet seitdem für Google. Er schrieb damals dazu in seinem Blog Volatile and Decentralized:

„Die größte Überraschung war, wie viel Zeit ich für die Finanzierung meiner Forschung aufbringen musste. Obwohl es natürlich variiert, schätze ich, dass ich etwa vierzig Prozent damit verbracht habe, irgendwelchen Fördermitteln hinterher zu jagen —  Diesen Beitrag weiterlesen »