Frohe Weihnachten …

23. Dezember 2021 von Laborjournal

 

 … und einen guten Start

in ein gesundes, spannendes

und trotz allem möglichst fröhliches

neues Jahr 2022!

 

Das wünschen wir von der Laborjournal-Redaktion

allen unseren Leserinnen und Lesern!

 

… Und nicht vergessen: Auch vor Corona ist schon so manche Weihnachtsfeier ausgefallen:

 

(Aus den „Lab Files“ von Chris Schlag)

Embargo-Verzerrungen

22. Dezember 2021 von Laborjournal

 

 

Bekanntlich gibt es einige Wege, wie man Zitierraten von Artikeln und Impact-Faktoren von Zeitschriften künstlich verzerren kann – siehe etwa hier und hier. Auf einen weiteren macht nun ein Quartett um den Kieler Wirtschaftsinformatiker Steffen Lemke aufmerk­sam. Schon der Titel des Artikels macht deutlich, wie der Hase konkret läuft: „Research articles promoted in embargo e-mails receive higher citations and altmetrics“ (Scientometrics, doi: 10.1007/s11192-021-04217-1).

Mittel zum Zweck sind also Embargo-E-Mails, mit denen die Fachblätter das Erscheinen von vermeintlich besonders wichtigen Artikeln weithin vorab ankündigen.

Im Abstract fassen Lemke et al. ihre Studie folgendermaßen zusammen:

Um gründlich und rechtzeitig über die neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse berichten zu können, sind Wissenschaftsjournalisten häufig auf Informationen angewiesen, die ihnen von den Herausgebern wissenschaftlicher Zeitschriften unter Embargo zugesandt werden. In solchen Embargo-E-Mails machen Verleger die Journalisten gezielt auf ausgewählte bevorstehende Veröffentlichungen aufmerksam – und zwar bereits ein paar Tage vor deren Erscheinen.

Indes ist kaum bekannt, wie sich diese frühzeitige Hervorhebung bestimmter Forschungsartikel auf deren spätere Zitierungen oder Altmetrics auswirkt. Hier präsentieren wir daher eine explorative Fallstudie mit dem Ziel, die Auswirkungen solcher Werbeaktivitäten auf die bibliometrischen und altmetrischen Indikatoren wissenschaftlicher Artikel zu untersuchen. In einem Treatment-Control-Design analysieren wir die Zitierzahlen sowie acht Arten alternativer Metriken von insgesamt 715 Artikeln, die zwischen 2016 und 2017 veröffentlicht wurden und deren DOIs in Embargo-E-Mails erwähnt wurden. Diese vergleichen wir mit Artikeln aus denselben Zeitschriftenausgaben, die nicht in Embargo-E-Mails hervorgehoben wurden.

Deskriptive Statistiken und Mann-Whitney-U-Tests offenbaren eine signifikante Bevorzugung von derart promoteten Artikel in sämtlichen betrachteten Metriken innerhalb von drei bis vier Jahren nach ihrer Veröffentlichung. Besonders große Unterschiede sind bei der Anzahl der Erwähnungen in den Mainstream-Medien, in Blogs, auf Twitter und auf Facebook zu erkennen.

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wissenschaftliche Verlage einen erheblichen Einfluss darauf haben, welche Forschungsartikel in den verschiedenen (sozialen) Medien Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit erhalten. Auch im Hinblick auf die Nutzung von Metriken zu Evaluationszwecken könnten die beobachteten Auswirkungen von Werbeaktivitäten auf Indikatoren einen unerwünschten Einflussfaktor darstellen, der derzeit in szientometrischen Bewertungen nicht in dem Maße berücksichtigt wird, wie dies eigentlich der Fall sein sollte.

Schön und gut. Aber wie sieht das neben den Altmetriken konkret für die Zitierraten der via Embargo-E-Mails beworbenen Artikel aus? In Tabelle 3 ihrer Publikation zeigen Lemke et al., dass diese im Schnitt knapp doppelt so oft zitiert werden als die nicht-beworbenen Artikel der Kontrollgruppe. In der „Discussion“ schreiben sie daher:

Die aufmerksamkeitssteigernde Wirkung der Embargo-E-Mails geht offenbar über die Medien hinaus, an die sie sich richten, wie die höhere Zahl der wissenschaftlichen Zitierungen […] der promoteten Artikel zeigt. Mit anderen Worten: Die Aufmerksamkeit, die Embargo-E-Mails in der öffentlichen Sphäre der Nachrichtenmedien auf sich ziehen, scheint auch in die wissenschaftliche Sphäre auszustrahlen. So zeigen es jedenfalls die Zitierzahlen.

Logisch, dass gerade angesichts der übermäßigen Bedeutung von Zitierzahlen für die Evaluation und Karriere von Wissenschaftlern das Fazit der Autoren entsprechend kritisch ausfällt:

Die Förderung ausgewählter Artikel durch Wissenschaftsverlage führt somit zu einem erheblichen Eingriff in das wissenschaftliche Belohnungssystem – und fügt zu den bereits bekannten Verzerrungen im Zusammenhang mit zitationsbasierten Bewertungen eine weitere hinzu.

Ralf Neumann

(Illustr.: thelyst.com)

 

Antikörper-Abreibung

20. Dezember 2021 von Laborjournal

 

… Bleibt zu hoffen, dass die nach den Corona-Impfungen gebildeten Antikörper auch Omikron eine Abreibung verpassen.

Juliet Merz

 

Milliarden-Spende Peer Review

14. Dezember 2021 von Laborjournal

Der Peer Review ist das Herzstück der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle. Egal, ob Publikationen, Evaluationen oder Förderanträge – stets zerbrechen sich Fachkollegen die Köpfe über den jeweiligen Inhalt, um abschließend ihre Daumen darüber zu heben oder zu senken.

Als Gutachter im Rahmen eines Peer Reviews tätig zu sein, gilt daher als Ehrensache. Die meisten Forscherinnen und Forscher begreifen es gar als inhärenten Teil ihrer Dienstpflicht – auch wenn Juristen dies formal verneinen. Wie auch immer, unter dem Strich opfern sie auf diese Weise viel von ihrer wertvollen Zeit, um der Wissenschaft das Begutachtungswesen letztlich als große, selbstlose Spende zu überreichen.

 

 

Welchem Betrag diese „Spende“ der Forscherinnen und Forscher an das System entspricht, haben unlängst die drei Psychologen Balazs Aczel, Barnabas Szaszi (beide Budapest) und Alex O. Holcombe (Sydney) abgeschätzt. Schon der Titel ihrer Publikation lässt die Dimension erahnen: „A billion-dollar donation: estimating the cost of researchers’ time spent on peer review“ (Res. integr. peer rev. 6: 14). Ihr Abstract startet denn auch:

Umfang und Wert der Peer-Review-Arbeit von Forschern sind für die Wissenschaft und die Veröffentlichung in Zeitschriften von entscheidender Bedeutung. Jedoch wird diese Arbeit zu wenig anerkannt. Überdies ist ihr Ausmaß unbekannt. Und zu selten werden alternative Wege zur Organisation der Peer-Review-Arbeit in Betracht gezogen.

Mit diesem Statement zog das Trio los, um „auf der Grundlage öffentlich zugänglicher Daten […] eine Schätzung des Zeitaufwands von Forschern und des gehaltsbezogenen Beitrags zum Peer-Review-System von Zeitschriften“ zu liefern. Also nur für die Begutachtung von zur Veröffentlichung eingereichten Manuskripten!

Ihre Ergebnisse fassten sie dann folgendermaßen zusammen:

Wir fanden, dass im Jahr 2020 die Gutachter weltweit über 100 Millionen Stunden mit Peer Reviews verbrachten – was mehr als 15.000 Jahren entspricht. Der geschätzte monetäre Wert der Zeit, die die Reviewer allein in den USA für die Begutachtung aufwenden, betrug 2020 über 1,5 Milliarden US-Dollar. Für in China tätige Gutachter liegt die analoge Schätzung bei über 600 Millionen US-Dollar, und für die Kollegen im Vereinigten Königreich bei fast 400 Millionen US-Dollar.

So gesehen entspricht also allein schon die Begutachtung von Manuskripten innerhalb eines Jahres einer Milliarden-Spende der Forschergemeinde! Wobei die Autoren sogar noch einschränken:

Es ist sehr wahrscheinlich, dass unsere Ergebnisse zu niedrig angesetzt sind, da sie nur einen Teil aller Zeitschriften weltweit widerspiegeln.

Und sie machen zum Abschluss nochmals klar:

Die Zahlen verdeutlichen den enormen Arbeits- und Zeitaufwand, den Forscher für das Publikationssystem aufbringen. Und sie machen deutlich, wie wichtig es ist, über alternative Möglichkeiten der Strukturierung und Bezahlung von Peer Reviews nachzudenken.

Oder man reformiert das Peer-Review-System gleich komplett von Grund auf. So wie es unser Wissenschaftsnarr beispielsweise gerade im Zusammenhang mit der breitflächigen Etablierung von Preprints vorschlägt – siehe seine Kolumne „Heilsbringer oder apokalyptische Reiter“. Und wie man überdies die ebenso aufwendigen Peer-Review-Verfahren bei der Verteilung von Fördergeldern eindampfen könnte, hatte er ja zuvor schon im Visier – siehe „Werden Sie Forschungsförderer!“ oder „Liebe DFG, verlost doch Eure Fördergelder!“.

Nur ein Beispiel, dass schon längst über Alternativen nachgedacht wird.

Ralf Neumann

(Illustr.: AdobeStock / jesussans)

 

Laser-Technik im Comic-Stil

8. Dezember 2021 von Laborjournal

 

 

Vor über einem Jahr stellten wir ein Potpourri verschiedenster deutsch- und englischsprachiger Wissenschafts-Comics vor. Das Leibniz-Institut für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) in Jena hat nun ein neues Werk in den Topf geworfen: „Lasergirl – Jagd auf den Killerkeim“ heißt das 77 Seiten dicke E-Book, das es auf der eigens eingerichteten Homepage lasergirl.de kostenlos zu lesen und für Schulklassen in begrenzter Stückzahl sogar in gedruckter Form zu bestellen gibt.

Die Geschichte dreht sich um Thomas, dem es im Zuge einer vermeintlichen Grippe-Erkrankung immer schlechter geht und der daraufhin im Krankenhaus behandelt werden muss. Die Ärzte sind ratlos und vermuten eine Sepsis, wissen aber nicht, mit welchem Pathogen sich Thomas infiziert haben könnte. Ihre einzige Hoffnung: Lasergirl! Die Superheldin kann sich schrumpfen und in Thomas Körper auf die Suche nach dem Killerkeim gehen. Mit ihrem Laserstrahl scannt sie schließlich Hinweise der patrouillierenden Immunzellen und sendet diese an das behandelnde Team. Das erfährt auf diese Weise nicht nur, welches Pathogen Thomas quält, sondern auch gegen welche Antibiotika es resistent ist.

Zugegeben, die Geschichte ist stellenweise etwas verwirrend und hinterlässt nach der Lektüre das eine oder andere Fragezeichen. Glücklicherweise gehen die Macher im hinteren Teil des Heftes jedoch immerhin genauer auf die Technologie ein, die dem Comic zugrunde liegt: ein diagnostischer Laser-Schnelltest in Form eines Chips. Auch das Team hinter dessen Entwicklung bekommt eine Vorstellungsrunde. Besonders interessant jedoch sind die Kommentare der beteiligten Forscherinnen und eines Mediziners rund um den Leibniz-IPHT-Leiter Jürgen Popp. Sie erklären zum Beispiel, worauf es bei der Behandlung einer Sepsis ankommt, und wie das Team das Pathogen aufspüren kann.

Und auf der vorletzten Seite erfahren wir schließlich noch, wie es mit der Superheldin Lasergirl weitergeht: Die befindet sich nämlich bereits in den Startlöchern für den nächsten Fall.

Juliet Merz

 

Corona selbstgefällig unterschätzt

1. Dezember 2021 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“:

 

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[…] Der wichtigste Aspekt ist aber erneut nicht das Virus: Die Bevölkerung Europas können wir vielleicht bis Ende des Jahres impfen. Was aber ist mit den finanzschwachen Ländern im Rest der Welt? Solange SARS-CoV-2 dort zirkuliert, sind wir alle verwundbar. Denn entwickeln sich dort potenziell Impfstoff-immune Stämme, bedrohen sie uns alle. Deshalb hinkt der Vergleich mit Influenza. Jeder hatte schon mal eine Grippe, wir alle sind gleich immun. Für endemische saisonale Beta-Coronaviren gilt das zwar auch, für SARS-CoV-2 sind aber die meisten Menschen anfällig. Ließen wir es durch die Bevölkerung wüten, käme es irgendwann zu einem Grippe-Szenario – allerdings erst nach Millionen Toten. Die Frage ist: Wie erreichen wir es ohne Tote und ohne Impfstoff-immune Stämme? Nur, indem wir die Vakzinen gerechter und gleichmäßiger verteilen.

Europa wurde im letzten Sommer selbstgefällig. Das ist zwar verständlich, weil wir alle die Nase von der Pandemie voll hatten, aber seit Herbst bezahlen wir dafür. Wir haben Verhaltensänderungen infolge des Jahreszeitenwechsels nicht ernst genommen. Wir haben neue Varianten gesät. Wir haben exponentielles Wachstum unterschätzt. Länder in Asien und Ozeanien zeigen uns, wie es besser funktioniert. Die Leute dort führen im Allgemeinen ein normales Leben. Im Fall eines Ausbruchs riegeln sie sofort alles drakonisch für zwei, drei Wochen ab. Dann setzen sie ihr normales Leben fort. Warum sollte das nicht auch Europa bewerkstelligen können? Unsere halbgaren Sperrmaßnahmen dagegen haben kein Verfallsdatum. Wir haben keine Ahnung, wie lange wir die Fallzahlen im Auge behalten müssen. Und dieses Nichtwissen, dieser endlose Lockdown ist mental schwer zu ertragen und wirtschaftlich von den Unternehmen unmöglich zu tolerieren. Lokale Lockdowns mit Verfallsdaten, um einzelne Fälle unter Kontrolle zu bringen, wären für die Bevölkerung einfacher zu akzeptieren. Dann gäbe es nicht viel, wogegen jemand protestieren könnte. Viel wichtiger aber: Wir kämen der Ausrottung des Virus einen Riesenschritt näher. […]

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… Sagte Emma Hodcroft aus dem NextStrain-Team des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern in Laborjournal 3/2021 („Hat SARS-CoV-2 den Gipfel seines Fitnessbergs erreicht? – Wir wissen es nicht.“, S. 10-13). Damit beschrieb sie die Pandemie-Situation vor etwa einem Jahr. Ähnlichkeiten mit der aktuellen Situation sind leider nicht zufällig.