Neidisch auf Kaninchen-Knorpel

26. Januar 2022 von Laborjournal

 

Tag für Tag flattern jede Menge Meldungen in unsere Redaktion herein. Darunter sind natürlich solche und solche. Und hin und wieder auch welche, die den einen oder die andere von uns persönlich betreffen. In so einem Fall wird es dann meistens irgendwie … komisch.

Nehmen wir unseren Chefredakteur. Der ist schon lange nicht mehr der jüngste, spielt dennoch weiter Fußball – und bekommt jetzt zunehmend die Quittung dafür. Stichwort Knorpel: Zweimal am Meniskus operiert, auch in anderen Gelenken knackt’s bedenklich – und im Großzeh-Grundgelenk schmerzt die Arthrose jedes Jahr ein wenig mehr. Klar, dass er an dieser einen Meldung hängenbleiben musste. Schließlich pries sie ein Paper mit dem Titel „Exercise-induced piezoelectric stimulation for cartilage regeneration in rabbits“ an.

Knorpel-Regeneration? Nicht nur von seinen Ärzten hatte er mitgeteilt bekommen, dass da praktisch nichts mehr geht. Dass man die Symptome zwar lindern und den Knorpel-Abbau mit Hyaluronsäure-Spritzen womöglich etwas bremsen kann – das ja! Aber rückgängig machen oder gar Knorpel wieder neu aufbauen? Träum’ weiter!

Vor einigen Jahren ging einer seiner Kick-Kollegen diesbezüglich ans Äußerste. Ließ sich Knorpel irgendwo anders entnehmen, in der Schale weiter heranzüchten – und das passend modellierte Stück Neu-Knorpel in die Knie-Schadstelle hinein transplantieren. Danach konnte er vier Jahre lang nicht mal mehr joggen.

Unser Chefredakteur begann also, die Meldung zu lesen …

Ein Team von 19 US-Forschern hatte einigen Kaninchen erstmal die Knie-Knorpel zerstört. Anschließend pflanzten sie ihnen ein Gerüst aus biologisch abbaubaren Milchsäure-Nanofasern ins kaputte Gelenk, wie sie auch zum Verschließen von Operationswunden eingesetzt werden. Die Idee dahinter: Da das Gerüst dank seiner piezoelektrischen Eigenschaften bei mechanischer Belastung eine Spannung erzeugt, könnte sich das positiv auf die Knorpel-Regeneration auswirken. Schließlich, so betonten die Autoren, hätten andere Studien bereits gezeigt, dass sich Knorpelgewebe zumindest in der Kulturschale mit elektrischer Stimulation zu Wachstum anregen lässt.

Okay, kapiert. Und was kam raus? …

Erstmal gaben die Forscher den malträtierten Kaninchen einen Monat zur Erholung von dem Eingriff. Dann durften sie zum täglichen Trainingsprogramm aufs Laufband. Und siehe da: Nach nur vier bis acht Wochen Laufband-Hoppeln hatten die Kaninchen-Knie die zerstörten Knorpel komplett regeneriert. Bei Kontroll-Kaninchen, die kein piezoelektrisches Implantat erhielten oder kein Laufband-Training absolvierten, heilten die Knorpelschäden gar nicht oder deutlich schlechter.

„Wow!“, dachte unser Chefredakteur nicht ganz objektiv. Und spürte kurz in seine eigenen kaputten Gelenke hinein. Ihm war klar, dass er Meldungen dieser Kategorie normalerweise ganz schnell wieder wegklickt. Eben, normalerweise!

Was machte er also stattdessen damit? … Klar, er schrieb diesen Blog-Beitrag 😉!

Und zuvor dachte er noch kurz amüsiert: „Manchmal könnte man sich glatt wünschen, Kaninchen zu sein … Obwohl, … die spielen zu schlecht Fußball!“

Ralf Neumann

(Foto: YouTube / konijnentrainen)

 

Anschwellender Forschungsmüll

19. Januar 2022 von Laborjournal

Wie identifiziert man die best available science insbesondere in Zeiten, in denen der schon vorher beein­druckende wissen­schaftliche Müllberg durch „Covidi­za­tion“ noch weiter anschwillt? In denen durch die Inflation von hastig produzierten, teilweise per Presse­konferenz kommunizierten Ergebnissen eine Trennung von Signal und Rauschen immer schwerer wird – und Evidenz­synthese schon deswegen zum Scheitern verurteilt ist. Denn wo man Müll oben reinsteckt, kommt unten auch wieder Müll raus.

So schrieb unser Wissenschaftsnarr unter dem Titel „Wissenschaft berät Politik oder Survival of the Ideas that fit“ in unserem Heft 11/2020.

 

 

Veröffentlicht die Wissenschaft tatsächlich so viel Müll? Und dies auch schon vor und ganz ohne Corona?

Schaut man sich das Abstract des Papers „Slowed canonical progress in large fields of science“ der beiden US-Forscher Johan Chu und James Evans an, muss man das wohl unterschreiben (PNAS 118 (41): e2021636118). Darin heißt es:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Ununterscheidbare Ursprünge

12. Januar 2022 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“ zum Thema der hiesigen Regulierung von Gentechnik:

 

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[…] Vielleicht hätte ja ein kompetenter wissenschaftlicher Berater, der nicht einmal Pflanzenwissenschaftler sein müsste, den SPD-Bundestagsabgeordneten erklären können, dass es keinen Sinn macht, Herstellungsverfahren regulieren zu wollen, anstatt pragmatisch Produkte und ihre Eigenschaften zu bewerten, wie es sich seit Jahrhunderten bewährt hat. Eine konventionell gezüchtete Erdbeere ist für den Allergiker gefährlich, eine gentechnisch veränderte krankheitsresistente Kartoffel ist es nicht. Im anbrechenden Zeitalter der „Genome Editing“-Technologien werden gentechnische Veränderungen in absehbarer Zukunft ohnehin zunehmend ununterscheidbar von natürlich entstandenen Mutationen im Genom sein. Damit hat man sich durch die politisch motivierte Entscheidung, anstatt der neuen Eigenschaften einer Kulturpflanzensorte lieber das Verfahren ihrer Erzeugung in den Mittelpunkt der Regulie­rungs- und Zulassungsverfahren zu stellen, endgültig in eine Sackgasse manövriert. Wie will man in Zukunft etwas regulieren, dessen gentechnischer Ursprung sich im Zweifelsfall nicht einmal mehr nachweisen lässt? Wie kann mir mein SPD-Bundes­tagsabgeordneter in Zukunft garantieren, dass „Deutschland gentechnikfrei bleibt“? Ich bin mir sicher, ein mehr oder weniger plumper juristischer Kniff wird auch dafür gefunden werden, gegebenenfalls unter Aushebelung aller Gesetze der Logik. Meine begrenzte Fantasie reicht nur nicht aus, mir diesen Ausweg jetzt schon ausmalen zu können. […]

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… Sagte Ralph Bock, Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam/Golm, in Laborjournal 7-8/2015 („Keine Vernunft. Nirgends.“, S. 6-9).

 

Mainstream-Falle Peer Review

5. Januar 2022 von Laborjournal

Schon länger hat man den Eindruck, die Diskussionen über eine Reform oder Alternativen zum Peer-Review-System treten auf der Stelle. Dabei wird wohl kaum jemand bestreiten, dass der Peer Review ein Kernproblem beherbergt, das trivialer klingt, als es ist – und zwar unabhängig davon, ob es sich um den klassischen Pre- oder um Post-Publikation-Peer-Review handelt: Er funktioniert nur, wo es auch wirkliche Peers gibt.

Kann das in den Wissenschaften überhaupt nahtlos der Fall sein? Gibt es tatsächlich immer und überall solche „ebenbürtige Experten“? Ganz sicher nicht.

Fragen wir daher zunächst einmal: Wer ist „Experte“? Klar – jemand, der sich in einem bestimmten Gebiet besonders gut auskennt. Was zunächst bedeutet, dass ein Peer vor allem den Status quo eines Gebietes umfassend kennt; womöglich hat er bei dessen Etablierung sogar entscheidend mitgeholfen.

Jetzt geht es aber in der Wissenschaft nicht nur um den Status quo – es geht nicht mal vor allem um den Status quo. Vor allem geht es in der Wissenschaft um das, was jenseits des Status quo liegt. Neue Pfade beschreiten, Licht ins Dunkel bringen, Horizonte erweitern, zu neuen Ufern aufbrechen – das sind die Metaphern, die beschreiben, was vor allem Ziel der Wissenschaft ist. Oder, schlichter formuliert: neue Erkenntnisse gewinnen.

Das Paradoxon dabei ist nun, dass es da, wo einer erstmals Neuland beschreitet, keine Experten geben kann. Das heißt zwar nicht, dass jeder Experte des Status quo grundsätzlich nicht mehr adäquat bewerten kann, was er von jenseits der bekannten Grenzen seines Gebietes zu hören bekommt. Aber es ist natürlich ungleich schwieriger zu beurteilen, ob jemand tatsächlich Handfestes oder eben nur Blödsinn aus absolutem Neuland berichtet. Und da die Experten des Status quo auch gerne Bewahrer des Status quo sind, kippen sie schon öfter mal das Kind mit dem Bade aus, wenn sie vermeintlich allzu abenteuerliche Berichte abschmettern.

Beispiele gibt es genug, wie letztlich richtige Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus totalem wissenschaftlichem Neuland sehr lange brauchten, um sich gegen den „Experten“-Mainstream durchzusetzen: Barbara McClintocks springende Gene, Stanley Prusiners Prionen, Lynn Margulis und die Endosymbiontentheorie, Günter Blobels Signalpeptide, die Helicobacter-Geschichte,… – alles Fälle, bei denen die Peers seinerzeit schlichtweg unfähig oder unwillig waren, grundlegend Neues und Richtiges zu erkennen.

Nicht zuletzt deshalb zog der englische Soziologe Steve Fuller das Fazit: „Peer Review funktioniert bei ‚normaler Wissenschaft‘, hat aber auch die Macht radikale Ideen zu unterdrücken.“

Ralf Neumann

(Foto: fona.com)