Zur Ideologie mutiert

21. Juni 2021 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“:

 

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Früher hatte man eine Idee und suchte dann nach Partnern, die mit einem daran arbeiten können. Heute ist es umgekehrt: Man weiß, es gibt Geld etwa für Sonderforschungsbereiche. Weil nun einmal der Fachbereich einer Universität nach dem Drittmittelaufkommen bewertet wird, setzt man alles daran, ein Projekt zu finden, das man mit den Kollegen vor Ort umsetzen könnte. Mit dem Resultat, dass sich sehr gute Wissenschaftler mit durchschnittlichen Forschern zusammentun müssen, denn es gibt ja in einem Fachbereich nicht nur Spitzenleute. Auf diese Weise gelangt DFG-Geld auch in mittelmäßige Forschung, das dann an anderer Stelle natürlich fehlt. Und die Idee vom Forschungsverbund ist zu einer Ideologie mutiert.

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… Sagte der Bayreuther Soziologe Richard Münch in Laborjournal 12/2006 („Die Spitze geht unter im Mittelmaß“, S. 22-23)

 

Und plötzlich bist du exzellent…

31. Juli 2019 von Laborjournal

(Über 150 weitere „Abenteuer“ aus mehr als zwanzig Jahren „Forscher Ernst“ gibt’s hier.)

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„Forschungserfolg hängt auch von der Abwesenheit gewisser Hindernisse ab“

19. November 2018 von Laborjournal

Und immer wieder fragt die Wissenschaftspolitik: Wie bekomme ich möglichst gute Forschung, Spitzenforschung gar? Mit viel Geld, das ich in aufwendige Wettbewerbe pumpe? Wie etwa zuletzt in der Exzellenzstrategie?

Unserem Chefredakteur kommt bei diesem Thema immer wieder ein kurzer Aufsatz des finnischen Evolutionsökologen Juha Merilä in den Sinn. Einige Abschnitte daraus (aus dem Englischen übersetzt):

Ein Charakteristikum kreativer Forschungsumgebungen ist, dass sie in der Regel recht klein sind und damit enge und intensive Interaktionen zwischen den Individuen fördern.

Des Weiteren nennen Beschreibungen kreativer Forschungs­um­fel­der immer wieder die Bedeutung der sogenannten „kollek­tiven Kreativität“. Diese entsteht als emergente Eigenschaft aus den Wechselwirkungen von Personen mit unterschiedlichen Fähig­kei­ten, Ansichten und Ideen innerhalb eines informellen For­schungs­netz­werks.

Solche informellen Forschungsnetzwerke stehen übrigens in scharfem Kontrast zu bürokratischen Organisationen, die vor allem Wiederholbarkeit und Vorhersagbarkeit schätzen — und daher Kreativität wegen der ihr innewohnenden Unbe­rechen­bar­keit eher hemmen. Hierarchiefreie, ungezwungene Wechsel­wir­kun­gen scheinen folglich wesentliche Bestandteile für die Ge­stal­tung kreativer Forschungsumgebungen zu sein.

Nicht wirklich das, was mit der Exzellenzstrategie gerade beherzigt wird. Und das nicht nur, da in deren Rahmen enorme zusätzliche Ver­wal­tungs­kapazitäten geschaffen werden mussten…

Doch es geht noch weiter bei Merilä:

Ein interessantes Merkmal kreativer Forschungsumgebungen ist, dass man die Gründe für ihr Entstehen zumindest teilweise erkennt und versteht — dass es aber viel schwieriger ist, die Ursachen für entsprechende Misserfolge zu verstehen. Mit anderen Worten, es gibt ein „Unsichtbarkeitsproblem“: Während wir von den positiven Beispielen lernen können, sind die negativen — Fälle also, wo alle vermeintlich notwendigen Bestandteile vorhanden waren, aber dennoch „nichts Besonderes“ entstand — viel schwerer zu durchdringen. Klar ist nur, dass Forschungserfolg offenbar nicht nur vom Zugang zu den notwendigen Ressourcen abhängt — ob materieller oder immaterieller Art —, sondern auch von der Abwesenheit gewisser Hindernisse.

Wenn wir daher versuchen, kreative Forschungsumgebungen zu gestalten, scheint die Identifikation solcher Hindernisse ebenso wichtig zu sein wie die Ermittlung der begünstigenden Faktoren — wenn nicht sogar wichtiger. Denn wie wir alle wissen, sind empfindliche Geräte schwer zu bauen, gehen aber sehr leicht kaputt.

Womit die Frage auf der Hand liegt, ob durch üppig aufgezogene Wettbewerbe um große Förderprogramme nicht doch eher das eine oder andere Hindernis erst errichtet wird.

Ralf Neumann

(Foto: Shutterstock / skyfish)

Sind Exzellenzcluster zwingend exzellent?

28. September 2018 von Laborjournal

Arrgh, unser Mail-Postfach quillt gerade über vor lauter Erfolgsmeldungen der einzelnen Uni­ver­si­täten, dass sie im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder irgendwie „gewonnen haben“.

Wundern tut uns das allerdings nicht. Schließlich hat gerade ein Entscheidungsgremium aus Wissenschaft und Politik zum Ende eines wahren Wettbewerb-Marathons verkündet, ganze 57 sogenannte Exzellenzcluster an insgesamt 34 deutschen Universitäten zu fördern. (Für die gesamte Förderlinie stehen ab Januar 2019 sieben Jahre lang jeweils 385 Millionen Euro Steuergelder zur Verfügung, macht also im Schnitt rund 47 Millionen Euro pro Cluster — wobei die Unterschiede im einzelnen recht groß sind, beispielsweise zwischen Geräte-intensiven und „Geräte-freien“ Disziplinen. Im Detail kann man die Liste der „Sieger“ hier studieren.)

Nun ist das insgesamt eine derartige Masse an „exzellenten“ Projekten, dass man sich unwillkürlich fragen muss, ob es denn auch noch „normale“ Forschung gibt in Deutschland. Und schon merken wir: „Exzellenz“ ist relativ. Ein Begriff, den man nahezu beliebig mit Inhalt füllen kann — so, wie man es gerade braucht. Entsprechend kommentierte etwa die Bremer Wissenschaftssenatorin und stellvertretende Vorsitzende der Gemeinsamen Wissen­schafts­kon­fe­renz (GWK) Eva Quante-Brandt das Ergebnis mit: „Die Spitze liegt in der Breite“. Aha…!? Und Bundeswissenschaftsministerin Anja Karliczek ergänzte: „Wir haben Exzellenz an vielen deutschen Hochschulen. Das ist die Stärke und die internationale Attraktivität unseres Systems.“

Hm? Sollte „Exzellenz“ per definitionem nicht immer und ausschließlich die absolute Spitze einer Pyramide darstellen? Und wird so gesehen „Exzellenz“ nicht eher abgewertet, wenn sie immer mehr in die Breite geht? Wird auf diese Weise nicht heute exzellent, was es gestern noch nicht war — schlichtweg durch Evaluation und Wettbewerbs-Sieg?

Wie gesagt, Exzellenz ist immer relativ. Es ist noch gar nicht lange her, da galt beispielsweise vielen das gesamte wissenschaftliche Tun per se als exzellent. Klar, wenn man es mit reiner Fabrik- oder Verwaltungsarbeit verglich. Wenn die Wissenschaft jedoch als Bezugsgröße nur bei sich selber bleibt, dann zitieren wir hier hierzu gerne nochmals den folgenden Absatz aus dem letztjährigen Laborjournal-Essay des alten Konstanzer Wissenschaftstheoretikers Jürgen Mittel­straß:

Damit Exzellenz wirklich werden kann, muss viel Qualität gegeben sein; und damit Qualität wirklich werden kann, muss viel Mittelmaß gegeben sein. Allein Exzellenz und nichts anderes zu wollen, wäre nicht nur wirklichkeitsfremd, sondern für die Entstehungsbedingungen von Exzellenz vermutlich fatal — sie verlöre die wissenschaftliche Artenvielfalt, aus der sie wächst. Und darum eben auch: Nicht nur Erbarmen mit Durchschnittlichkeit und Mittelmaß, sondern zufriedene Unzufriedenheit mit diesen. Es ist das breite Mittelmaß, das auch in der Wissenschaft das Gewohnte ist, und es ist die breite Qualität, die aus dem Mittelmaß wächst, die uns in der Wissenschaft am Ende auch die Exzellenz beschert — mit oder ohne angestrengte Evaluierung.

Was gleichsam bedeutet, dass man Exzellenz nicht durch Wettbewerbe „erzwingen“ kann. Wohl aber herbeireden.

Doch das ist wieder ein anderes Thema, das unter anderem der Schweizer Ökonom Martin Bins­wanger vor zwei Jahren ebenfalls in einem Laborjournal-Essay sezierte…

Ralf Neumann

Illustr.: iStock / Akindo

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