Zur Ideologie mutiert

21. Juni 2021 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“:

 

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Früher hatte man eine Idee und suchte dann nach Partnern, die mit einem daran arbeiten können. Heute ist es umgekehrt: Man weiß, es gibt Geld etwa für Sonderforschungsbereiche. Weil nun einmal der Fachbereich einer Universität nach dem Drittmittelaufkommen bewertet wird, setzt man alles daran, ein Projekt zu finden, das man mit den Kollegen vor Ort umsetzen könnte. Mit dem Resultat, dass sich sehr gute Wissenschaftler mit durchschnittlichen Forschern zusammentun müssen, denn es gibt ja in einem Fachbereich nicht nur Spitzenleute. Auf diese Weise gelangt DFG-Geld auch in mittelmäßige Forschung, das dann an anderer Stelle natürlich fehlt. Und die Idee vom Forschungsverbund ist zu einer Ideologie mutiert.

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… Sagte der Bayreuther Soziologe Richard Münch in Laborjournal 12/2006 („Die Spitze geht unter im Mittelmaß“, S. 22-23)

 

„Die Unis werden politisch klein gehalten“

9. Juni 2021 von Laborjournal

(In unserem Heft 4/2021 schrieben wir unter „Inkubiert“ über den latenten Unwillen der Professorenschaft, am Wissenschaftssystem etwas zu verändern – obwohl sie es bis dahin meist selbst als schlimm und bedrückend erlebt hatten. Daraufhin erhielten wir die folgende Zuschrift, die wir hier anonymisiert und leicht gekürzt bringen, um deren Inhalt zur Diskussion zu stellen.)

 

“ […] Sie haben vollkommen recht. Sowohl das Verhalten der gestandenen Professoren wie auch insbesondere das der jungen, frisch berufenen ist mir ein Rätsel. Das Ausmaß an Gelangweiltheit auf der einen Seite und Desinteresse auf der anderen Seite ist schon phänomenal. Wenn man das Thema „kranke Wissenschaftsstrukturen“ anspricht oder gar eine Initiative dagegen starten will, scheuen nahezu alle zurück. Ich habe mehrfach versucht, gerade das Thema prekäre Finanzierung des Nachwuchses samt der damit verbundenen Qualitätsprobleme wie auch die inhärente Problematik von Drittmittel-Projekten bei komplexen Fragestellungen zum Gegenstand von Initiativen und Studien zu machen – stets umsonst und mit einem erkennbaren Desinteresse der Verantwortlichen.

Wettbewerb ist gut, ohne Zweifel. Aber befristete Verträge, verzögerte Übernahmen, Projektförderungen mit aufwändigen und ruinösen Anträgen sowie eine überforderte und auch korrupte Projektträger-Bürokratie können weder einen Beitrag dazu leisten, dass der Forschungsstandort Deutschland attraktiv und interessant wird, noch die berechtigten Anliegen der jüngeren Kollegen befriedigen.

In Anlehnung an die Wissenschaft gilt der berühmt-berüchtigte Spruch:

Denk ich an deutsche Forschung in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.

[…] Weder Exzellenzinitiativen noch hektische Förderaktivitäten können verhindern, dass die strukturellen Defizite an den Hochschulen zu immer größerer Verzagtheit und mangelnder Kreativität führen. Es wird das gemacht, was man glaubt, der Vorgaben wegen machen zu müssen. Fakultäten werden aufgelöst und zusammengelegt, bewährte Strukturen eingerissen. Dabei fehlt es uns zur Bewältigung der anstehenden Probleme an kreativen und motivierten Forschern, neuen Ideen und verlässlichen Besoldungsreformen. Nur, wer soll hierzu eine Initiative starten, wenn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das nicht selbst in die Hand nehmen? Jedes Mal wenn ich das fragte, war die Verzagtheit kaum zu überbieten.

Es ist ein Drama, das sich an den Hochschulen abspielt. Und insgeheim ist es politisch gewollt. Bereits vor zwanzig Jahren teilgenommen, gab das BMBF – unter anderem in Sitzungen, an denen ich teilgenommen hatte –  die Strategie vor:

Die Hochschulen bilden aus – die Max-Planck-Institute (MPIs) forschen – die Fraunhofer-Gesellschaft (FHG) transferiert.

Und tatsächlich läuft es so in der Realität. Jeder Forscher, der etwas auf sich hält, soll schauen, dass er in ein MPI kommt – und wer technische Ambitionen hat, suche sich ein Institut der FHG. So ist das gewollt.

Um das jedoch zu vertuschen, jagt man die Universitäten von Wettbewerb zu Wettbewerb, von Antrag zu Antrag, von Umstrukturierung zu Umstrukturierung. Und hin und wieder gibt es wieder einen Prachtbau, aber kein Hochschulausbau-Programm, Großgeräte-Erneuerung-Programm, keine Laborsanierungen et cetera pp.

Hochschulen bilden also aus. Und – wie damals ein leitender Ministerialdirektor betonte – von Infra- und Besoldungsstruktur her seien sie ja auch zu nichts anderes zu gebrauchen. Das wisse er aus seiner Vorstandstätigkeit in diversen Großforschungs- und anderen Einrichtungen.

Ohne tiefgreifende Strukturreform wird sich hier nichts zum Besseren ändern. Allerdings scheint der Verfall politisch gewollt, denn selbstständige und emanzipierte Wissenschaftler sind schließlich gefährlich!“

 

Exzellenzrechnereien

29. Juli 2016 von Laborjournal

Alle wollen mehr Exzellenz in der Wissenschaft. Und der einfachste Weg dahin scheint, dass man schlichtweg mehr Dinge „Exzellenz“ nennt. Wie zuletzt und auch gerade wieder hinlänglich erlebt: Oder passiert etwas anderes, wenn Bund und Länder jetzt die Exzellenzinitiative fortsetzen und erneut Exzellenzuniversitäten küren und Exzellenzcluster auswählen? Wieder wird überdurchschnittlich viel Geld dort hinein fließen — und irgendwie wird das dann schon exzellent werden. Schließlich produziert ein Fußballverein auch Fußballer und eine Schraubenfabrik Schrauben — warum soll dann ausgerechnet ein Exzellenzverein nicht Exzellentes hervorbringen. Der Name ist Programm.

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Okay, okay, wir haben es durchschaut — so einfach geht es doch nicht. Wie aber dann? Schwer, ganz schwer geht es. Denn schon wer nur gut sein will, muss erst einmal produktiv sein; und wer gar exzellent sein will, muss in aller Regel sehr produktiv sein. Kein Zweifel, Exzellenz und Produktivität hängen stark miteinander zusammen. Auch wenn das für die Wissenschaft natürlich nicht heißt, dass diejenigen, die am meisten Paper schreiben, automatisch auch die Exzellentesten sind. Allerdings, mit nur wenigen Artikeln dürfte man ganz gewiss nicht dazugehören.

Damit wären wir bei einer wissenschaftsbibliometrischen Gesetzmäßigkeit angekommen, die der Mathematiker Alfred Lotka bereits vor neunzig (!) Jahren formulierte — dass nämlich der Anteil der Personen, die n Aufsätze schreiben, immer proportional zu 1/n2 ist. Okay, und was heißt das? In etwa folgendes: Auf hundert Autoren, die in einem bestimmten Zeitraum jeweils ein Paper verfassen, kommen 25 mit zwei, 11 mit drei, … und nur einer von Hundert wäre demnach mit zehn Papern „hochproduktiv“. Wollte ich nun zehn „Hochproduktive“, bräuchte ich folglich gleich tausend Autoren insgesamt; wären aber tausend „Überflieger“ mein Ziel, müsste ich nach Lotka schon 100.000 Wissenschaftler anstellen.

Ich kann also machen, was ich will: Der reine Anteil „hochproduktiver“ Wissenschaftler an der Gruppenstärke bleibt immer gleich. Woraus folgt, dass ich deren absolute Zahl nur steigern kann, indem ich die Gesamtzahl der Wissenschaftler erhöhe.

Und jetzt kommt die Fangfrage: Spricht etwas dagegen, dass es sich mit dem Anteil „exzellenter“ Wissenschaftler oder Institutionen an der Gesamtgruppe nicht genau gleich verhält wie mit den „produktiven“? Wohl kaum, oder? Vorausgesetzt natürlich, die Kriterien bleiben gleich — und man klebt nicht plötzlich „Exzellenzetiketten“ auf Dinge, die es bislang nicht waren oder es möglichst erst noch werden sollen.