Publizieren Editoren allzu leicht im eigenen Journal?

25. Januar 2023 von Laborjournal

 

 

Veröffentlichungen sind das Brot des Wissenschaftlers. Doch wer bestimmt, was veröffentlicht wird? In erster Linie die Editoren der betreffenden Forschungsblätter.

Über diese schreiben die fünf Autoren eines frischen Artikels mit dem Titel „Gender inequality and self-publication are common among academic editors“ (Nat Hum Behav, doi: 10.1038/s41562-022-01498-1):

Die Editoren spielen in diesem Prozess eine Schlüsselrolle, da sie das letzte Wort darüber haben, was veröffentlicht wird – und somit den Kanal kontrollieren, über den Wissenschaftler Prestige und Anerkennung erhalten. Darüber hinaus gehören die Herausgeber selbst zu den wissenschaftlichen Eliten, die von ihrer Community als Experten auf ihrem Gebiet anerkannt sind.

Editoren seien auf diese Weise nicht nur die „Gatekeeper“ der Wissenschaft, sondern suchen vielmehr selbst aktiv nach Möglichkeiten zur Veröffentlichung, führen die Autoren weiter aus. Schließlich arbeite die überwiegende Mehrheit von ihnen als aktive Forscher. Und da die Bewertung von Wissenschaftlern in hohem Maße von bibliometrischen Ergebnissen abhänge, stünden sie selbst unter einem gewissen Zwang, weiterhin eigene Originalarbeiten zu veröffentlichen.

Und wo tun sie das? Oftmals in den von ihnen herausgegebenen Zeitschriften. Was fast genauso oft zu Kontroversen führt. Denn wie die Autoren schreiben:

Solche Kontroversen werden durch die Möglichkeit angeheizt, dass die Beiträge der Editoren bevorzugt behandelt werden.

Und dies könne man durchaus als „Missbrauch des wissenschaftlichen Publikationssystems“ werten. 

Öfter hatten wir selbst in anekdotischer Form über entsprechende Beispiele berichtet. So fassten wir etwa im Mai 2021 eine Recherche über Jan Hengstler, Leiter der Toxikologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) und Editor-in-Chief bei der Zeitschrift Archives of Toxicology, folgendermaßen zusammen:

Als er Anfang 2008 das Ruder von Arch. Toxicol. als Editor-in-Chief übernahm, hatte er keine seiner damaligen 49 Erst- und Letztautor-Paper dort publiziert. Auch fand sich sein Name bis dahin zwar auf 121 Originalartikeln und 7 Reviews, aber nur 4 davon waren mit ihm in mittlerer Autorenposition in Arch. Toxicol. erschienen.

Hengstlers Amtsantritt änderte das: 62 seiner nächsten 251 Originalartikel und 7 seiner 22 Reviews veröffentlichte er in Arch. Toxicol. Insgesamt brachte die Fachzeitschrift 18 Prozent der Originalartikel (66 von 372) und 24 Prozent der Reviews (7 von 29) heraus, die Hengstlers Namen in der Autorenliste führen.

Wie sehen zum Vergleich die Publikationsraten anderer Chief Editors in ihren „Hausjournals“ aus? Laut dem SCImago Journal & Country Rank Portal (scimagojr.com) rangiert Arch. Toxicol. nach bibliometrischen Daten auf Platz 9 von weltweit 124 Toxikologie-Journalen. Die Chief Editors der acht davor platzierten Zeitschriften publizierten durchschnittlich 11 Prozent ihrer Originalarbeiten und 19 Prozent ihrer Reviews in „ihren“ Journalen. Dieses Ranking führt Hengstler demnach um einige Prozentpunkte an, die etwa einen Unterschied von insgesamt 25 Veröffentlichungen ausmachen.

Knapp zwei Jahre zuvor befragten wir den emeritierten Tübinger Physiologen Florian Lang zu dem Thema. Dieser hatte als Gründer und langjähriger Editor-in-Chief der Zeitschrift Cellular Physiology & Biochemistry (CBP) ebenfalls auffällig oft darin veröffentlicht. Wörtlich hieß es in unserem Artikel:

Tatsächlich publizierten sowohl Chief Editor Florian Lang wie auch andere Mitglieder des Editorial Boards kräftig in CPB. Lang selbst hat eine imposante Publikationsliste, die Clarivate mit über 1.400 Arbeiten zählt; davon erschienen mehr als 300 in CPB.

Langs Antwort fasten wir damals so zusammen:

Im übrigen sei dieses Verhalten – das Publizieren in Zeitschriften, zu deren Editorial Board man gehört – gängige Praxis. Sonst würde sich wohl auch kaum jemand zur Mitarbeit in den Editorial Boards insbesondere von renommierten Zeitschriften bereit erklären, meint Lang.

Und wieder machten wir eine Stichprobe, ob das tatsächlich „gängige Praxis“ sei:

Eine kurze Recherche bei PNAS lieferte für die Associate Editors der Disziplin „Medical Physiology and Metabolism“ unter anderem folgende Zahlen: Christopher K. Glass (University of California in San Diego) publizierte in PNAS 79 seiner 315 in PubMed gelisteten Artikel, Barbara B. Kahn (Harvard University) 5 von 214, Robert J. Lefkowitz (Duke University) 118 von 786, David J. Mangelsdorf (University of Texas) 65 von 202, Andrew R. Marks (Columbia University) 99 von 255. Auf der Basis dieser kleinen Auswahl, bei der die „Hausjournal-Raten“ zwischen 2 und 39 Prozent liegen, lässt sich natürlich kein nachhaltiges Bild zeichnen, aber sie bestätigen doch wenigstens tendenziell Langs Aussage, dass Forscher ganz gerne in denjenigen Zeitschriften publizieren, für die sie als Editoren tätig sind. Ob sie aber darüber hinaus auch Einfluss auf die Begutachtung der eigenen Arbeiten nehmen? Wer weiß?

Gleiche Frage wie in dem eingangs erwähnten Nat-Hum-Behav-Artikel also. Nur dass dessen Autoren nicht einfach nur eine Stichprobe nahmen. Vielmehr analysierten sie über alle möglichen Disziplinen hinweg die Publikationsdaten von etwa 20.000 Editoren – und kamen zu folgenden Ergebnissen:

Wir stellen fest, dass 24 Prozent der Editoren mindestens ein Zehntel ihrer Beiträge in der von ihnen herausgegebenen Zeitschrift veröffentlichen. Die Prozentsätze von Editoren, die mindestens ein Fünftel ihrer Arbeiten (12 Prozent) oder sogar ein Drittel ihrer Arbeiten (6 Prozent) in ihrer eigenen Zeitschrift publizieren, ist allerdings noch beträchtlich. Bei den Chief-Editoren sind diese Prozentsätze noch höher. Konkret veröffentlichen 32 Prozent mindestens ein Zehntel ihrer Beiträge in der von ihnen herausgegebenen Zeitschrift, 19 Prozent veröffentlichen mindestens ein Fünftel und 11 Prozent gar ein Drittel ihrer Beiträge darin.

Wühlt man sich noch weiter in die Abbildungen des Artikels (Fig. 13 und 14), so findet man für Biologie und Medizin die folgenden Prozentsätze für 10 beziehungsweise 20 Prozent Publikationen im „eigenen“ Journal:

  • Biologie: Editoren 28 bzw. 14 Prozent / Chief-Editoren 31 bzw. 20 Prozent
  • Medizin: Editoren 31 bzw. 20 Prozent / Chief-Editoren 46 bzw. 27 Prozent

Demnach dürften sich auch die Protagonisten unserer beiden Stichproben in diesem Spektrum wiederfinden.

Die Frage, ob diese Quoten zustandekommen, weil Editoren in ihren Journals besser Einfluss auf die Begutachtung ihrer Manuskripte nehmen können, lässt die Studie jedoch offen. Dazu schreiben die Autoren lediglich:

Diese Ergebnisse werfen natürlich die Frage auf: Wie viel Selbstveröffentlichung sollte als zu viel angesehen werden? […] Wenn man jedenfalls aus den jüngsten Skandalen, in die Editoren verwickelt waren, etwas lernen kann, dann dass sie die Macht, die sie genießen, ausnutzen können. Nehmen wir nur die Tatsache, dass Chief-Editoren in großem Umfang in dem von ihnen herausgegebenen Journal veröffentlichen und zugleich für das Management des Begutachtungsprozesses aller eingereichten Beiträge verantwortlich sind – einschließlich ihrer eigenen. Für einen Außenstehenden mag es nicht klar sein, wie mit deren Artikeln umgegangen wird, um den offensichtlichen Interessenkonflikt zu umgehen.

Auch hier landet man also letztlich bei einer Forderung, die auch aus anderen Gründen schon lange gestellt wird: Macht das Begutachtungssystem transparenter!

Ralf Neumann

(Illustr.: enago.com)

Schlagworte: , , , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Captcha loading...