Lohnen sich Zitierkartelle?

27. März 2024 von Laborjournal

 

Neben Politik und Wirtschaft ist sicherlich die Wissenschaft das dritte große Seilschaften-Dorado.

…, so stand es unlängst in einem Essay zu lesen.

Da ist sicher was dran. Denn wo man hinsichtlich Begutachtungen, Berufungen, Fördermitteln, Evaluationen, Zitierungen et cetera derart von „Peers“ abhängig ist, da wird man wohl förmlich gedrängt zu Cliquenbildung, Gschaftlhuberei, Günstlingswirtschaft, … Und eine Ausprägung davon sind bisweilen Zitierkartelle.

Nehmen wir zunächst den aufrichtigen Wissenschaftler. Wenn er seine Resultate veröffentlicht, sieht er es als seine ehrenhafte Pflicht an, sämtliche relevanten Vorarbeiten zu zitieren. Auch solche von Personen, mit deren Inhalten er ansonsten nicht übereinstimmt – schließlich werden womöglich gerade dadurch fruchtbare Diskussionen befördert. Ordnungsgemäßes und gründliches Zitieren ist für ihn somit ein klares Qualitätsmerkmal seiner Forschungs­tätigkeit.

Doch so denken bei weitem nicht alle. Für andere sind Zitate vielmehr ein schnödes Mittel, das gewinnbringend für die eigene Karriere genutzt werden kann. Von daher zitieren sie ausschließlich die Arbeiten ihrer Freunde und Kollegen, die im Gegenzug wiederum sie selbst zitieren. Auf diese Weise entstehen Gruppen gleichgesinnter Kollegen, in denen jeder jeweils die Karrieren der anderen fördert – Zitierkartelle eben. 

Die Arbeiten von Kollegen außerhalb ihrer Kartelle zitieren derart karrierestrategische Wissenschaftler praktisch nicht – es sei denn, es geht partout nicht anders, da diese inzwischen so bekannt sind, dass deren Weglassen negativ auffallen würde. Ansonsten gilt es, jegliche Aufmerksamkeit für Personen außerhalb des eigenen Kartells zu vermeiden.

Doch kann solch eine Strategie überhaupt funktionieren? Generiert man so tatsächlich bessere bibliometrische Kennzahlen? Und verbessert damit Status und Karrierechancen?

Machen wir ein Gedankenexperiment. Stellen wir uns ein Thema vor, an dem fünfzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihren Teams forschen. 25 dieser Teams zitieren unterschiedslos jeden relevanten Beitrag – die anderen 25 bilden ein Zitierkartell und zitieren sich nur gegenseitig. Nehmen wir weiterhin an, dass im Mittel jedes Team pro Jahr zehn Paper mit jeweils 20 Referenzen veröffentlicht. Und stellen wir uns der Einfachheit halber noch vor, dass das Zitierkartell es tatsächlich schafft, keine Teams von außerhalb zitieren zu müssen …

Ziemlich idealisierte Vorgaben, zugegeben. Aber letztlich lässt gerade ein derart extremes Verhalten die resultierenden Effekte besonders deutlich hervortreten:

In einem solchen Szenario haben die Kartell-Mitglieder mit ihrer Zitierstrategie nach einem Jahr insgesamt 7.500 Zitate angehäuft – 5.000 von ihnen selbst, und weitere 2.500 von den 25 ehrenhaften Teams. In der gleichen Zeit haben die „Ehrenhaften“ als Gruppe nur 2.500 eigene Zitate gesammelt. Mit den Publikationen des nächsten Jahres wird wieder dasselbe Zitate-Verhältnis herauskommen, doch zusätzlich werden die Publikationen des Vorjahres ebenfalls weiter nach diesem Verhältnis zitiert. Bleibt folglich als Fazit: Zumindest in diesem idealisierten Modell geht die Schere zwischen Zitierkartell und integren Zitierern nach nur kurzer Zeit immer weiter auseinander.

Kein Wunder daher, dass die Versuchung immer stärker zunimmt, das wissenschaftliche Zitieren seinem eigentlichen ehrenhaften Zweck immer weiter zu entfremden. Umdrehen ließe sich diese ungute Entwicklung wohl nur, wenn man die absurde Macht endlich brechen würde, die bibliometrische Kennzahlen heutzutage auf Karriere und Reputation in der Wissenschaft ausüben.

Ralf Neumann

(Illustration KI-kreiert mit Adobe Firefly)

 

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