Die Mikrobiomik hat’s nicht leicht

6. September 2023 von Laborjournal

Schon vor knapp fünf Jahren bemerkte unser Wissenschaftnarr süffisant zum Thema:

Mittlerweile spuckt PubMed pro Tag dreißig neue Mikrobiom-Artikel aus. Kein Fach, das nicht von der Mikrobiom-Manie erfasst wurde.

Um wenig später zu ergänzen:

Immerhin konnte aufgrund der Vielzahl der publizierten Studien mittlerweile eine Reihe von Metaanalysen durchgeführt werden. Diese schlussfolgern in aller Regel, dass man eigentlich gar nichts sagen kann, da die vorliegenden Studien gewisse Qualitäts-Mindestanforderungen nicht erreichen. Und dort, wo solide und gut gemachte Studien vorliegen, liefern diese entweder neutrale oder sogar negative Resultate. So geschehen etwa kürzlich in einer relativ großen Studie an Patienten mit Reizdarm: Den Probanden in der Stuhltransplantations-Gruppe ging es am Ende schlechter als denjenigen, die mit Placebo behandelt wurden.

Und damit hat er noch nicht mal das leidige Hauptproblem der Mikrobiomik angesprochen: Nämlich dass bei der Entnahme oder Weiterprozessierung der Mikroorganismen immer wieder unbemerkt menschliche DNA mit ins Röhrchen rutscht – und die Mikrobiom-Daten am Ende auf hässliche Weise kontaminiert. Das weiß man zwar schon länger und versucht daher, mit den Referenzdaten des Humangenoms solche Falsch-Daten nachträglich wieder herauszurechnen – dennoch werden bis heute weiterhin in schöner Regelmäßigkeit solche Kontaminationen aufgedeckt. 

So etwa ganz frisch in der Studie mit dem Titel „Microbiome analyses of blood and tissues suggest cancer diagnostic approach“ (Nature 579:567-574), in der die Autoren starke Korrelationen zwischen der jeweiligen Zusammensetzung des Mikrobioms und 33 verschiedenen Krebsarten feststellten. Ein derart aufsehenerregendes Resultat, dass ein Team um den US-Bioinformatiker Steven Salzberg sich deren Daten noch einmal genauer anschaute – und am Ende leider festhalten musste (bioRxiv, doi.org/gsjxx6):

Fehler in der Genomdatenbank und den zugehörigen Berechnungsmethoden lieferten Millionen falsch positiver Ergebnisse von bakteriellen Reads in allen Proben, insbesondere weil die meisten der als Bakterien identifizierten Sequenzen stattdessen menschlich waren.

Dazu deckten sie noch grundlegende Fehler bei der Transformation von deren Rohdaten auf, sodass sie zu dem Schluss kamen:

Jedes dieser Probleme macht die Ergebnisse ungültig und führt zu der Schlussfolgerung, dass die in der Studie vorgestellten Mikrobiom-basierten Klassifikatoren zur Erkennung von Krebs völlig falsch sind. Diese Fehler haben sich in der Folge auf mehr als ein Dutzend weiterer veröffentlichter Studien ausgewirkt, die dieselben Daten verwendeten und deren Ergebnisse wahrscheinlich ebenfalls ungültig sind.

Bämm!

Überhaupt Steven Salzberg. Auch an einer weiteren Studie ist er beteiligt, die gerade gehörig mit vermeintlich etablierten Mikrobiom-Daten aufräumt. Zwar war der Fokus der Studie „The complete sequence of a human Y chromosome“ (Nature, doi.org/kqn9) – wie der Titel schon sagt – ein ganz anderer: Die endgültige Durchsequenzierung des Y-Chromosoms von einem Ende bis zum anderen. Doch lieferte sie als „kollaterale“ Erkenntnis gleich mit, dass gewisse, bis dahin nicht sequenzierte DNA-Abschnitte des Y-Chromosoms immer wieder fälschlicherweise für bakterielle DNA gehalten wurden – und entsprechend Eingang in Mikrobiom-Datenbanken fanden. Wie das genau kam, wird in der zugehörigen Pressemeldung folgendermaßen beschrieben:

Menschliche DNA kann als Verunreinigung in den Genomproben von Bakterienarten erscheinen […]. Wissenschaftler verwenden daher die aktuelle Referenz des menschlichen Genoms, um festzustellen, welche Sequenzen von menschlicher Verunreinigung stammen – und entfernen diese, so dass nur die bakterielle DNA für ihre Untersuchungen übrig bleibt. Da jedoch große Teile des menschlichen Y-Chromosoms in der bisherigen menschlichen Referenz fehlen, waren die Wissenschaftler nicht in der Lage, sie als menschlich zu identifizieren und hielten sie daher fälschlicherweise für einen Teil der DNA der untersuchten Spezies.

Die vorliegende Arbeit bringt nunmehr den Nachweis, dass etwa 5.000 Bakteriengenome in einer gemeinsamen Datenbank offenbar Kontaminationen enthalten, die mit menschlichen Y-Sequenzen übereinstimmen. Die Gruppen, die diese Bakterienarten untersuchen, sollten daher jetzt die aktualisierte Y-Referenz verwenden, um alle menschlichen Verunreinigungen korrekt aus ihren Referenzgenomen zu entfernen und ein klareres Verständnis des jeweiligen bakteriellen Genoms zu erhalten.

Immer wieder nachkontrollieren und nacharbeiten, das scheint folglich unabdingbare Pflicht in der Mikrobiomik. Mehr noch als in anderen Feldern. Aber wenn’s der Wahrheit dient …

Ralf Neumann

(Illustr.: LJ)

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3 Gedanken zu „Die Mikrobiomik hat’s nicht leicht“

  1. Evelyn sagt:

    Das ist ganz schön erschreckend. Ich hab‘ auch manchmal die Befürchtung, dass in der Mikrobiomforschung viele Hausnummern gemessen werden.
    Am Ende geht die Geschichte aus, wie mit dem klugen Hans, dem Pferd, dass gar nicht rechnen konnte und die Antworten nur an der Körpersprache der Fragestellenden abgelesen hat.

  2. Wolf sagt:

    Sehen wirs optimistisch: wenn wir Fehler aufdecken, werden wir in der nächsten Studie besser.

  3. Ullrich Wüllner sagt:

    …haben wir auch gefunden: #Much ado about nothing

    Bedarf JR, Beraza N, Khazneh H, Özkurt E, Baker D, Borger V, Wüllner U, Hildebrand F. Much ado about nothing? Off-target amplification can lead to false-positive bacterial brain microbiome detection in healthy and Parkinson’s disease individuals. Microbiome. 2021 Mar 26;9(1):75. doi: 10.1186/s40168-021-01012-1. PMID: 33771222; PMCID: PMC8004470.

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