Der „Fake Science-Skandal“ – eine Meinung!

25. Juli 2018 von Laborjournal

Nach langer und aufwendiger Recherche eines Journalisten-Konsortiums von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR haben die betreffenden Medien kürzlich ihre Beiträge zum Thema Pseudojournale und schlechte Wissenschaft veröffentlicht. Was darauf folgte, ist der aktuelle „Skandal“ um sogenannte „Fake Science“. Oder auch #fakescience.

Was ich dabei nicht verstehe, ist, warum der Hochschulverband, die Universitäten und Wissenschaftsorganisationen es unterlassen, die mangelhafte Recherche des Konsortiums zu kritisieren. Stattdessen übt man sich in Selbstkritik, kritisiert Wissenschaftler und weist nur sehr vorsichtig darauf hin, dass ja nicht alle Publikationen in sogenannten „Raubtier-Journalen“ (predatory journals) Fälschungen sein müssen. In vorauseilendem Gehorsam schreibt die Präsidentin der Universität Marburg alle Wissenschaftler an, die in vermeintlichen „Raubtier-Journalen“ publiziert haben und verlangt eine Rechtfertigung — ohne jeden Hinweis auf wissenschaftliches Fehlverhalten in Form von gefälschten Daten.

Was ist überhaupt ein „Raubtier-Journal“?

Eins, das Publikationsgebühren nimmt? Nein, das machen fast alle seriösen Journale.

Eins, das keinen Impact-Factor (IF) angibt? Nein, manche seriöse Journale verzichten ausdrücklich auf die Angabe des stark kritisierten IF.

Eins, das kein beziehungsweise ein schlechtes Peer Reviewing hat? Woher sollen die Wissenschaftler das wissen, wenn das Journal behauptet, dass ein Peer Review stattfindet?

Eins, dass Wissenschaftler anschreibt und zu Publikationen auffordert? Das ist lästig und verstopft den E-Mail Ordner. Aber nein, das tun solide Journals bisweilen auch!

Der Übergang von soliden Journalen zu „Raubtieren“ ist fließend. Große Verlage geben sowohl Qualitäts-Journals als auch minderwertige Zeitschriften heraus, die zumindest im Graubereich der „Raubtiere“ liegen. Der (leider noch immer) renommierte Elsevier-Verlag „verkauft“ das beliebte „Scopus-Indexing“ an alle möglichen Zeitschriften, die sehr viel irrelevante Papers mit unzureichenden Daten publizieren. Das sind meist keine Fälschungen, sehr oft aber Publikationen von schlechter Qualität oder mit Daten von geringem allgemeinen Interesse (gegen letzteres ist nichts einzuwenden!).

Was ist schlechtes oder fehlendes Peer Reviewing? Wenn sich eine Zeitschrift eine Gruppe „großzügiger“ Gutachter hält, die allen „Junk“ durchwinken? Oder wenn der Editor alleine entscheidet, ein Manuskript anzunehmen? Als Geschäftsmodell ist das gewiss unmoralisch — aber die Autoren wissen das (meistens) nicht. Und: „großzügige“ Gutachter findet man auch mehr oder weniger häufig bei renommierten Journalen. Ich erinnere mich, dass ein Manuskript bei einer sehr (!) renommierten amerikanischen Zeitschrift innerhalb von fünf Stunden (einschließlich zwei Reviews) angenommen wurde. Das Paper war gut, aber die Begutachtung war — vorsichtig ausgedrückt — etwas oberflächlich.

Die „weltweite“ Betrachtung von „Raubtier-Journalen“ verzerrt vermutlich die Untersuchung — wohl vor allem, weil eine ordentliche Definition fehlt. In vielen weniger entwickelten Ländern gibt es eine Unmenge wissenschaftlicher Zeitschriften, die viele minderwertige sowie schlecht oder gar nicht überprüfte Daten veröffentlichen. Teilweise sind sie staatlich subventioniert, teilweise durch Scopus „geadelt“ — alle nehmen, für europäische Verhältnisse, moderate Publikationsgebühren. Im Gutachtergremium sitzen meist einige gute Wissenschaftler aus den USA, Europa oder Japan.

 

Ich habe selbst ein Jahr lang im Editorial Board einer solchen Zeitschrift gesessen, die von einer der Top-Universitäten Indonesiens herausgegeben wurde. Nachdem alle Manuskripte, die ich zu begutachten hatte, trotz meiner Ablehnung unverändert publiziert wurden, bin ich zurückgetreten. Sind das „Raubtiere“? Nach meiner Ansicht nicht. Es sind schlechte Zeitschriften, und sie publizieren viel „Junk“ — aber das wird leider von den dortigen Wissenschaftssystemen (inklusive dem Wissenschaftsministerium) ausdrücklich gefordert!

Muss man einem deutschen Wissenschaftler, der im Rahmen einer Zusammenarbeit auf einem Paper in einer minderwertigen Zeitschrift steht (nicht unbedingt einem minderwertigen Paper!), einen Vorwurf machen?

Die Autoren berichten vom tragischen Fall der Krebspatientin Miriam Pielhau, die falschen Studien zum Opfer gefallen ist. „Miriam war eine Krebsexpertin“, wird gesagt. Nein, war sie nicht! Wissenschaftliche Publikationen sind für ein Fachpublikum geschrieben, und Fachexperten können solche Arbeiten auch beurteilen. „Laien-Experten“ können das nicht. Frau Pielhau wäre der Fake-Therapie, die in Deutschland nicht zugelassen ist, nicht zum Opfer gefallen, wenn sie wirkliche Experten gefragt und sich auf die Zulassungsordnung in Deutschland verlassen hätte.

Eine gewisse Schuld tragen aber auch die Medien, die in Talkshows Nicht-Fachleute als Experten präsentieren und ihnen Raum für wissenschaftlich zweifelhafte Statements geben. So entsteht der Eindruck, dass jeder der googeln kann, innerhalb kürzester Zeit zum Fachexperten wird.

Süddeutsche, NDR und WDR implizieren, dass (fast) alle Artikel in „Raubtier-Journalen“ Fälschungen sind oder Interessen der Industrie vertreten. In „Exklusiv im Ersten“ wird berichtet, dass sie 170.000 Paper „ausgewertet“ haben. Wie viele davon wirklich Fälschungen sind, haben sie nicht untersucht. Gehen wir von ein bis zwei Prozent deutscher Publikationen in sogenannten „Raubtier-Journalen“ aus. Wie viele davon sind „Fake“ (enthalten gefälschte Daten), „Junk“ (enthalten schlechte Daten) — und wie viele enthalten korrekte Daten von geringem allgemeinem Interesse, die man nicht in einem Top-Journal unterbringen kann? Die Autoren bleiben die Antwort schuldig, berichten aber über einen „Skandal“. Der Anteil an „echtem Fake“ wird vermutlich im unteren Promillebereich liegen.

Fake-Konferenzen dagegen sind meist gut getarnte Geldschneiderei, aber inzwischen kennt man die Masche. Die im Film gezeigte „Weltkonferenz“ mit schätzungsweise dreißig Teilnehmern ist eigentlich ein gutes Zeichen: Darauf fällt kaum noch jemand herein.

Es ist jedoch auffällig, dass die öffentlichen Medien weit überproportional schlechter oder gefälschter Forschung zum Opfer fallen — unabhängig davon, ob sie in renommierten Zeitschriften oder in mutmaßlichen „Raubtier-Journalen“ steht. Bisweilen schaffen es sogar „Pseudo-Daten“ ohne jeden wissenschaftlichen Hintergrund in die Schlagzeilen. Das schlimmste Beispiel ist eine „wissenschaftliche“ Facebook-Publikation, die von einer politischen Partei inszeniert wurde. Ohne Recherche wurde sie in viele sogenannte Qualitätsmedien aufgenommen. Auf Anfrage antwortete ein Journalist dazu: „Das ist eine zuverlässige Quelle, eine Recherche war nicht erforderlich.“ Geht’s noch! Sollte man nicht gerade von Wissenschaftsjournalisten erwarten, dass sie recherchieren, die Glaubwürdigkeit eines Artikels überprüfen und zuverlässige Experten kennen, die sie befragen können.

Ganz zweifellos ist die Wissenschaft zur Selbstkontrolle verpflichtet. Wissenschaftliches Fehlverhalten wird von Universitäten, Forschungsinstituten und den Förderinstitutionen sorgfältig untersucht und gegebenenfalls geahndet. Ob neben Ombudsleuten und Ethikkommissionen eine weitere „Publikationspolizei“ erforderlich und hilfreich ist, möchte ich bezweifeln. Zumindest in den Naturwissenschaften gibt es zwar einen gewaltigen Publikationsdruck, Publikationen in minderwertigen Zeitschriften sind jedoch weder für die wissenschaftliche Karriere noch für die Einwerbung von Fördergeldern förderlich.

Sicher, der Markt an wissenschaftlichen Zeitschriften ist sehr unübersichtlich geworden. Der Publikationsdruck ist hoch, aber es wird auch exponentiell mehr Wissen produziert. Soll man den Publikationsmarkt daher regulieren? Ich hielte das für einen fatalen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. Es gibt viele großartige Beispiele dafür, wie sich Wissenschaft selbst reguliert, wie Daten angezweifelt werden und dann mit mehr oder mit besseren Experimenten bestätigt oder falsifiziert werden — ohne dass jemand gefälscht oder betrogen hat. Und es gibt viele Experimente, mit denen tatsächlich spektakuläre (aber falsche) Publikationen experimentell widerlegt wurden. Von den Medien werden die spektakulären Ergebnisse indes allzu gerne aufgegriffen, ihre Falsifizierung aber leider zu oft ignoriert.

Ist es Paranoia? Oder könnte es sein, dass von einem dringend reformbedürftigen Wissenschaftsjournalismus die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft durch Skandalisierung grundsätzlich diskreditiert werden soll? Wenn es so viel „Fake Science“ gibt, dann ist Wissenschaft doch nichts anderes als eine Meinung unter vielen, die gleichberechtigt neben Homöopathie, alternativer Medizin und biodynamischem Landbau steht — und eine flache Erde ist ebenso eine Hypothese wie der Globus.

„Fake Science“ ist eine Verallgemeinerung. Der Journalismus hat sich massiv gegen den Begriff „Lügenpresse“ gewehrt, weil er einige wenige Falschinformationen in den öffentlichen Medien auf die gesamte Branche extrapoliert. Wenn Journalisten jetzt den Begriff „Fake Science“ erfinden, ist das dann in Ordnung?

Wolfgang Nellen

 

(Wolfgang Nellen war bis 2015 Professor für Genetik an der Universität Kassel und ist seitdem Gastprofessor an der Brawijaya University in Malang, Indonesien. Von 2011 bis 2014 war er Präsident des Verbandes Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland, VBIO e. V.)

 

Tschüss, Donald – Tschüss, Vladimir

24. Juli 2018 von Laborjournal

(Manchmal, aber nur manchmal fällt uns Redakteuren auch etwas völlig… also wirklich VÖLLIG Anderes ein. Wie dieser fiktive Dialog…)

„Tschüss, Donald.“

„Tschüss, Vladimir. War schön, mal ein bisschen mehr Zeit mit Dir zu haben. Und Dein Palast ist ja echt der Hammer. War der teuer?“

„Bin ich günstig drangekommen. Ach ja — und vielen Dank nochmal, dass Du denen da draußen gesagt hast, dass man mir trauen kann. Du weißt schon, wegen Euerm Wahlkampf und so.“

„Hab‘ ich doch gerne gemacht, Vladimir. Aber wahrscheinlich kriege ich jetzt deswegen Ärger zuhause. Du weißt ja: Journalisten, Demokraten, Geheimdienst — alles Idioten.“

„Ja, ja — das kenne ich. Sag‘ doch einfach, Du hast dich versprochen und lass dann Gras drüber wachsen. Die Leute, die Dich wählen, wissen ganz genau, dass Du Dich nicht versprochen hast — und die anderen vergessen das irgendwann. Den Trick habe ich auch meinen Freunden in Deutschland verraten. Erstmal so richtig nazimäßig vom Leder ziehen — und dann dementieren. Die Anhänger wissen dann schon, wie es gemeint war.“

„Toller Trick.“

„Und noch was, Donald: Was macht denn eigentlich der Bannon gerade?“

„Steve? Golfspielen, nehme ich an.“

„Der hat doch gerade nichts Wichtiges vor. Den könnten wir doch nach Europa schicken, damit er alle Rechten Nationalparteien im EU-Parlament zu einem Block zusammenbringt. Dann könnten die Europa blockieren, und vielleicht fällt der Sauhaufen von EU dann endgültig in sich zusammen. Dann sind wir endlich wieder alleine. So wie früher.“

„Saugute Idee. Das mache ich. Du hast ja echt ganz schön was auf dem Kasten. Wo hast Du denn sowas gelernt?“

„Das ist geheim.“

„Ach so.“

„Also bis bald, Donald.“

„Bis bald, Vladimir.“

Kai Herfort

Welche Forschung ist exzellent?

19. Juli 2018 von Laborjournal

Gehen wir die Frage mal mit einem Gedankenexperiment an: Stellen Sie sich vor, Sie begutachten Forschungsanträge für einen großen europäischen Forschungsförderer. Und nehmen wir an, dieser Förderer hätte als Leitlinie ausgegeben, dass einzig „wissenschaftliche Exzellenz“ als Kriterium für die Entscheidungen gelte. Das Anwendungspotenzial der Projekte sei unerheblich, es gebe keinerlei thematische Prioritäten und auch der Grad an Interdisziplinarität spiele keine Rolle. Nur die pure „Exzellenz“!

Okay, verstanden! Sie nehmen sich also die Anträge vor. Der erste formuliert eine brillante neue Hypothese zu einem Phänomen, für das die „alte“ Erklärung erst kürzlich spektakulär in sich zusammengefallen war.

Der nächste dagegen visiert eine „ältere“, ungemein attraktive Hypo­these an, die sich bislang aber jedem rigorosen experimentellen Test entzog — und genau diese quälende Lücke wollen die Antragsteller jetzt auf höchst originelle und einleuchtende Weise füllen.

Der dritte präsentiert einen klaren Plan, wie sich gewisse neue Erkenntnisse für eine völlig neue Methode rekrutieren ließen — eine Methode, die, wenn sie dann funktionierte, ganze Batterien neuer Experimente zu bislang „verschlossenen“ Fragen ermöglichen würde.

Der vierte kombiniert verschiedene vorhandene Tools und Ressourcen auf derart geschickte Weise, dass die Antragsteller damit in der Lage sein würden, riesige Datenmassen zu erheben, zu ordnen und zu analysieren — ein „Service“, mit dem das gesamte Feld zweifellos einen Riesensprung machen würde.

Der fünfte schließlich will auf überzeugende Weise sämtliche zu einem bestimmten Kontext publizierten Daten re- und meta-analysieren, um dann mit dem Paket ein möglichst robustes Simulationsprogramm zu entwickeln — ein Programm, das sicher mannigfach die Entwicklung neuer Hypothesen ermöglichen würde…

Jetzt halten Sie erstmal inne. „Mir war bisher nicht bewusst, auf welche verschiedene Arten Wissenschaft exzellent sein kann“, denken Sie. „Genauso wie exzellente Äpfel, Birnen und Orangen alle exzellentes Obst darstellen. Und die soll man ja bekanntlich nicht miteinander vergleichen.“

Ralf Neumann

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Der gute, alte Journal Club

4. Juli 2018 von Laborjournal

Wer geht denn noch in den Journal Club? Ja, gibt es diese Veranstaltung überhaupt noch überall?

Nun, wenigstens die Älteren sollten diese wöchentliche Routineveranstaltung aus ihrer Diplom- und Doktorandenzeit noch kennen. Der Autor hatte etwa an seinem Ex-Institut immer montags um 12 Uhr Journal Club. Was jede Woche für ein bisweilen skurilles Schauspiel sorgte: Einer nach der anderen kam am Montagmorgen meist noch wochenendmüde ins Institut, schlurfte ziemlich unmotiviert ans schwarze Brett, las gelangweilt den Titel des anstehenden Journal Clubs — und trabte noch weniger begeistert wieder ab. Jedenfalls die meisten. Und gesehen hat man dann um 12 Uhr nur wenige.

Ja, so haben viele den guten, alten Journal Club wohl als lästige Institutsroutine im Kopf, die einen nur von den ach so wichtigen Experimenten abhält.

Aber hat der Journal Club das verdient? Wohl nicht wirklich, denn wo sonst kann man besser lernen, die Qualität von Publikationen zu beurteilen. Gerade heute gibt es wahrscheinlich mehr wundervolle Paper als jemals zuvor in der Geschichte der Biowissenschaften — und es ist unglaublich lohnend herauszuarbeiten, warum diese Paper so wundervoll sind. Genauso gibt es heute so viele wirklich furchtbare Paper wie noch nie zuvor in der Geschichte der Biowissenschaften — und es lohnt sich sehr darüber zu sprechen, warum sie so furchtbar sind. Nicht zuletzt auch, da man sich nach den Erfahrungen der letzten zwei bis drei Jahrzehnte kaum noch auf die simple Faustformel „Gute Paper in guten Journals, schlechte in schlechten“ verlassen kann.

Völlig klar: Gute Artikel von schlechten zu unterscheiden zu können, gehört zu den wichtigsten Schlüsselqualitäten des fortgeschrittenen Wissenschaftlers. Gesunder Wissenschaftlerverstand alleine liefert einem diese Qualität jedoch nur bedingt — man muss sie vielmehr trainieren. Und wie? Zum einen natürlich, indem man Paper wirklich liest. Zum anderen, indem man sie diskutiert.

Und wo geht das besser als im guten, alten Journal Club?

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