Je weniger hightech, desto kreativer

7. August 2019 von Laborjournal

Gerade über einen etwas älteren Text des Wissenschaftsbloggers Bora Zivkovic gestolpert, der — allerdings erst nach einer Weile — die Themen Big Science versus Small Science sowie Molecular versus Organismal Biology diskutiert. Ein Abschnitt darüber ist besonders bemerkenswert — sodass wir ihn hier (etwas freier) übersetzen wollen:

„[…] Wenn man um viel Geld bittet, weil man ordentlich viel Hightech-Forschung betreiben will, wird man es mit einer gewissen Wahr­schein­lich auch bekommen. Warum sollte man sich also die Mühe machen, über schnellere und billigere Wege nachzudenken, mit denen man das gleiche Problem lösen könnte, wenn es doch viel einfacher ist, Millionen zu bekommen und damit zwanzig Techniker und Studenten im Labor zu beschäftigen, um all die Fleißarbeit zu erledigen?

Sicher, einige Fragen können nur durch teure Hightech-Forschung beantwortet werden. Aber inzwischen sind doch die meisten Wissen­schaft­ler kaum noch darauf trainiert, innezuhalten und zu überlegen, ob nicht vielleicht ein billigerer Alternativansatz einen gangbaren, wenn nicht sogar besseren Weg böte, um zur selben Antwort zu gelangen.

Die Kehrseite davon: Je mehr „hightech“ ein Labor ist, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass die Studenten und sogar die Postdocs kreativ sein dürfen. Schließlich steht viel Geld auf dem Spiel — genauso wie der Ruf und des Ansehen des Supervisors.

In der Biologie bedeutet das: Je „molekularer“ ein Labor ist, umso eher sind die Studenten und Postdocs nur bessere Technische Angestellte. Bewegt man sich dagegen weiter von den Molekülen weg und betreibt organismische Biologie, Verhaltensforschung oder Feldstudien, darf man mehr Kreativität zeigen, da weniger Geld und Egos auf dem Spiel stehen.

Molekulare Daten bringen letztlich nur Hypothesen, die in ganzen Organismen getestet werden müssen. Denn interagieren die Moleküle im Tier oder der Pflanze tatsächlich so, wie sie es im Reagenzglas getan haben? Wir Molekularbiologen machen mit unseren Maschinen den teuren Teil. Ihr „Fremdlinge“ nehmt dann unsere Daten und erledigt im Gesamtorganismus die kreative Arbeit, die das Thema am Ende wirklich auf den Punkt bringt.“

Meinungen dazu?

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Lasst die Forscher spielen!

3. Januar 2019 von Laborjournal

Neulich wurde der Autor dieser Zeilen im Rahmen eines Interviews gefragt: „Was würden Sie den Wissenschaftlern draußen im Lande gerne mal zurufen?“

Die spontane Antwort: „Lasst Euch nicht in diesen Asthma-Stil zwingen, der der Forschung durch immer kürzere Förderperioden, wachsenden Publikationsdruck, ausufernde Bürokratie et cetera übergestülpt wird. Große Entdeckungen haben fast immer einen langen und tiefen Atem gebraucht.“

Die nächste Frage war: „Und was würden Sie gerne den Forschungspolitikern zurufen?“

Wiederum spontane Antwort: „Vertraut Euren Wissenschaftlern! Lasst Sie spielen! Forschern wohnt per se eine hohe Motivation zur Innovation inne. Sie indes immer wieder in bestimmte Zeitrahmen zu pressen, oder in eng gefasste Forschungsprogramme mit erwartbarem, aber limitiertem Ergebnispotenzial — das erstickt eher deren Motivation und Kreativität.“

Zugegeben, nicht wirklich neu. Und ob es denn auch tatsächlich stimmt, dass die Qualität der Erkenntnisse umso mehr abnimmt, je straffer Forschung zeitlich und thematisch gesteuert wird?

Das Schicksal wollte es jedenfalls, dass der Befragte nur wenige Tage später auf eine Studie dreier US-Ökonomen stieß, die genau diesen Punkt untersuchten — und zwar, indem sie die Produktivität zweier verschiedener Gruppen von Forschern während der Jahre 1998 bis 2006 analysierten. Die eine Gruppe waren Forscher des Howard Hughes Medical Institute, die thematisch relativ freie Fünfjahres-Grants plus zweijährige „Gnadenzahlungen“ nach deren Ablauf erhielten; die andere rekrutierte sich aus Forschern von vergleichbarem Format, die allerdings mit den thematisch wesentlich strikteren „Drei-Jahre-und-Schluss“-Grants der US-National Insitutes of Health vorlieb nehmen mussten.

Kurzum, die erste Gruppe publizierte im Schnitt mehr und besser, wurde viel häufiger zitiert und eröffnete auch deutlich mehr neue Forschungsfelder. Das Fazit eines der Autoren daher: „Wenn man will, dass Forscher neue Türen aufstoßen, dann ist es wichtig, ihnen Langzeitperspektiven zu bieten — damit sie Zeit zum Ausprobieren haben und auch durch potentielle Fehlschläge nicht gleich aus dem System fallen.“

Oder anders ausgedrückt: Wenn man will, dass Forscher neue Türen aufstoßen, dann gebt ihnen einfach Geld und lasst sie in Ruhe — damit sie „spielen“ können.

Ralf Neumann

Eingepferchte Forscher

3. Mai 2017 von Laborjournal

Beim Stöbern in unseren alten Ausgaben gerade dieses Zitat vom ehemaligen Direktor des Forschungszentrums Jülich, Georg Büldt, gefunden (LJ 11/2004: 26):

Politiker und andere Forschungsorganisatoren machen häufig keinen Unterschied zwischen einem Beruf in der Forschung und einer Verwaltungstätigkeit. Erfolgreiche, kreative Forschung ist, ähnlich dem Beruf eines Künstlers, sehr stark abhängig von den individuellen Möglichkeiten im Herangehen an eine Aufgabe. Bei van Gogh oder Picasso würde niemand auf die Idee kommen, vorschreiben zu wollen, dass sie um 8.00 Uhr morgens mit ihrer Arbeit beginnen müssen und um 17.00 Uhr wird das Atelier geschlossen. Niemand wird glauben, dass sich Watson und Crick in ihren Spekulationen über die DNA-Struktur an irgendeine Arbeitszeit von acht Stunden gehalten haben. In unserem Land wird das Forscherleben in einen Tarif gepfercht, der unter anderem festlegt, wie viele Stunden man arbeiten darf, wie lange man auf einer unbefristeten Stelle forschen darf, und so weiter. Wissen diese Bürokraten eigentlich, dass ein gutes Institut ein Zuhause für einen Forscher ist, in dem man seiner Individualität Rechnung tragen können sollte? Manche arbeiten acht Stunden hintereinander, andere mit großen Unterbrechungen. Von früh morgens bis spät in der Nacht sollte sich hier das Forscherleben austoben dürfen. Diese Verhältnisse findet man häufig in Instituten mit hohem Ausländeranteil, da für ausländische Postdocs das Institut der Ausgangspunkt für Freundschaften und Vertrautheit in der neuen Umgebung ist. Die Kreativität solcher Institute ist meist sehr viel höher als in reglementierten Arbeitsgruppen. Das heutige Arbeitsrecht verbietet jedoch eine solche Arbeitszeitregelung.

Hat sich nicht wirklich was geändert, oder?

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Schlechte Zeiten für schlaue Köpfe

5. Oktober 2016 von Laborjournal

cageWer seine Intelligenz dazu nutzen will, viel Geld zu verdienen, geht überall hin — nur nicht in die Wissenschaft. Das ist Fakt. Und so geht dem Geschäft, in dem eigentlich die schlauesten Köpfe wirken sollen, schon mal viel „Hirn“ verloren.

Es bleiben diejenigen schlauen Köpfe, die Leidenschaft und Begeisterung für das Neue über den schnöden Mammon stellen — und die zudem noch möglichst selbstbestimmt und unabhängig eigene Ideen verfolgen möchten. Doch finden die im aktuellen Wissenschaftssystem tatsächlich, was sie suchen? Ist es nicht so, dass der gnadenlos überhitze Wettbewerb um Publikationen, Fördergelder und Stellen die wirklich visionären und originellen Köpfe am Ende eher aussortiert als nach vorne bringt? Findet man an der Spitze des Systems nicht stattdessen zunehmend die dynamisch-machtbewussten Mainstream-Machertypen — statt der positiv-chaotischen „Gegen-den-Strom-Schwimmer“, die in der Vergangenheit so oft für die entscheidenden Durchbrüche gesorgt haben?

Bruce Charlton, ehemaliger Chefredakteur von Medical Hypotheses, drückte es 2009 in seinem Editorial „Why are modern scientists so dull?“ folgendermaßen aus:

Auf jeder Stufe von Ausbildung und Karriere gibt es die Tendenz, wirklich schlaue und kreative Menschen auszuschließen, indem man vor allem gewissenhafte und kontaktfähige Leute vorzieht. In dem Maße, in dem Wissenschaft immer stärker durch Peer Review-Mechanismen dominiert wird, erlangt der pro-soziale und konsensfähige Forscher immer mehr Vorrang vor dem brillanten und inspirierten — aber oft auch schroffen und rebellischen – Typ des Wahrheitssuchers, der früher unter den besten Wissenschaftlern so weit verbreitet war.

Am Ende dieses Selektionsprozesses, so Charlton, blieben daher kaum Leute übrig, die in der Lage sind, wirklich revolutionäre Spitzenforschung zu betreiben. Stattdessen eher solche, die zwar extrem produktiv und sozial verträglich sind, denen es jedoch oft an Kreativität und Vorstellungskraft mangele.

Und wenn sie dann doch mal eigene Ideen haben? Dann können sie diese oftmals nicht verfolgen, da sich Forschungsprojekte heutzutage vor allem nach der Verfügbarkeit von Fördermitteln richten müssen statt nach purer wissenschaftlicher Neugier. Oder weil die Peers, die über deren Förderzuspruch richten, sich zwar als vermeintlich „ebenbürtige Experten“ im Status quo auskennen, mit wirklichen Aufbrüchen zu neuen Ufern jedoch überfordert sind — und sie daher lieber als unrealistische „Spinnereien“ abtun.

Also nicht nur ökonomisch unattraktiv, sondern dazu noch vom System eher benachteiligt und verkannt… Klingt nach schlechten Zeiten für besonders schlaue Köpfe in der Wissenschaft.

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BIOTECHNICA 2013 (Tag 2): Es wird voller…

9. Oktober 2013 von Laborjournal

…….:

… Teilweise konnten wir gar nicht mit allen Besuchern reden, die plötzlich an unserem Stand auftauchten…

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… In der „Kreativecke“ der BIOTECHNICA tobten sich auch schon so einige aus…

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Zitat des Monats (15)

1. Oktober 2012 von Laborjournal

Terran Lane schreibt über zunehmende Kurzsichtigkeit und Zwänge in der freien Grundlagenforschung (in „On Leaving Academe„; Chronicle of Higher Education, 19. August 2012):

The problem is that creativity is all about exploratory risk. The goal is to find new things — to go beyond state-of-the-art and to discover or create things that the world has never seen. It’s a contradiction to simultaneously forge into the unknown and to insist on a sure bet. […]

In the current climate, however, all of those entities, as well as scientists themselves, are leaning away from exploratory research and insisting on sure bets. Most of the money goes to ideas and techniques (and researchers) that have proven profitable in the past, while it’s harder and harder to get ideas outside of the mainstream to be accepted by peer review, supported by the university, or financed by grant agencies. The result is increasingly narrow vision in a variety of scientific fields and an intolerance of creative exploration.