Forschung am Förderband

3. Mai 2023 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“ zum Verhältnis von Grundlagen- und angewandter Forschung:

 

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Die moderne akademische Forschung gleicht eher einer Fabrik mit Förderband als der illustren Diskussionsrunde von Raffael. Sie ist ganz besonders in den letzten drei oder vier Jahrzehnten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien auf Effizienz getrimmt worden. Dies nicht nur in der naturwissenschaftlichen Forschung übrigens, sondern vermehrt auch in den Geisteswissenschaften. Je mehr Geld in die Wissenschaft fließt, desto mehr und desto schneller können sich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler fassbare Resultate erhoffen. Diese erwartet man in der Form von gesellschaftlich relevanten Anwendungen und Lösungsansätzen. „Social Impact“ heißt der entsprechende Paragraph im Forschungsantrag (auch wenn man in der Evolutionsbiologie eher theoretisch ausgerichtet arbeitet). Die Wissenschaft als Deus ex Machina, die unsere Probleme löst, ob technischer oder gesellschaftlicher Art. So wie man heutzutage zum Arzt geht und von der modernen Medizin ein schnell wirkendes Heilmittel erwartet, so rechnet man damit, dass die Wissenschaft praktische Lösungen komplexer Probleme liefert. Oder zumindest einen messbaren Output an Publikationen, welche zu solchen Lösungen führen sollen. Je mehr Geld investiert wird, desto mehr angewandte Weisheit soll also am anderen Ende der Pipeline in Form von wissenschaftlichen Artikeln heraussprudeln.

Schön wär‘s. Leider funktioniert Grundlagenforschung so nicht. Und leider bleibt auch die angewandte Forschung längerfristig stecken, wenn keine echte Grundlagenforschung mehr betrieben wird. Oder wie es Louis Pasteur einst trefflich ausgedrückt hat: Es gibt gar keine angewandte Forschung, nur Forschung und Anwendungen der Forschung.

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… Sagte der Wiener Wissenschaftsphilosoph und Evolutionsbiologe Jonathan Jäger in Laborjournal 7-8/2020 („Selbstzensur und Produktivitätswahn in der akademischen Wissenschaft“, S. 26-29)

 

Zu den Flüssen zwischen anwendungsbezogener und Grundlagenforschung

15. Februar 2023 von Laborjournal

Die Klagen aus der Grundlagenforschung nahmen zuletzt hörbar zu: „Apply or die!“ – „Wende an oder stirb!“ –, schon länger lautet so deren sarkastischer Kommentar auf den wachsenden Druck, dass die Wissenschaft möglichst Ergebnisse produzieren solle, die unmittelbar in konkrete Anwendungen münden können. Klar, das ist kein schlechtes Ziel. Dennoch mahnen insbesondere die Vertreter der akademischen Grundlagenforschung an, dass mit zu starker Priorisierung des Anwendungsaspekts ihre Forschungsfreiheit zunehmend ausgehöhlt werden könnte. Und die ist immerhin verfassungsrechtlich garantiert.

Hintergrund ist natürlich, dass die Forschungspolitik immer vehementer ein klar ersichtliches Anwendungspotenzial in den Projekten der Forscher fordert – und dass die Forschungsförderer daher immer größere Schwierigkeiten haben, reine und ergebnisoffene Grundlagenforschung zu finanzieren. Dabei ist doch allseits bekannt, dass die allermeisten Dinge, die heute „in Anwendung“ sind, ihren Ursprung in völlig zweckfreien, von reiner Neugier getriebenen Forschungsunternehmungen hatten: Antibiotika, Röntgenbilder, Genetischer Fingerabdruck, … – nur drei Beispiele von vielen.

Bei allen diesen Errungenschaften dämmerte das Anwendungspotenzial erst, nachdem man die zugrundeliegenden Phänomene auch wirklich grundlegend verstanden hatte. Und in den meisten Fällen hatte man nicht mal mit zielgerichteten Forschungsplänen nach ihnen gesucht. Vielmehr stieß man im freien Schalten und Walten ergebnisoffener Grundlagenforschung eher zufällig auf ein bislang unbekanntes Phänomen, erkannte die Bedeutung der Resultate – und analysierte das Phänomen durch gezieltes Experimentieren weiter, bis man es grundlegend verstand. Erst dann kamen die Ideen, wie und wofür man das Ganze konkret weiterentwickeln und anwenden konnte.

So weit, so gut. Jetzt lesen wir mal vor diesem Hintergrund die folgenden Zeilen aus einer Pressemeldung der Ruhr-Universität Bochum:

Alte Gelbe Enzyme, kurz OYEs, vom englischen Old Yellow Enzymes, wurden in den 1930er-Jahren entdeckt und seitdem stark erforscht. Denn diese Biokatalysatoren – gelb gefärbt durch ein Hilfsmolekül – können Reaktionen durchführen, welche für die chemische Industrie sehr wertvoll sind, etwa Medikamentenvorstufen oder Duftststoffe herstellen. Obwohl OYEs in vielen Organismen vorkommen, ist ihre natürliche Rolle für diese Lebewesen bisher kaum bekannt – möglicherweise, weil der wissenschaftliche Fokus auf der biotechnologischen Anwendung lag.

Und springen von hier in das Abstract des in der Pressemitteilung vorgestellten Papers eines Teams von Bochumer Chlamydomonas-Forscherinnen und -Forscher (Plant Direct, doi: 10.1002/pld3.480). Auch hier lauten gleich die ersten zwei Sätze:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Eine kleine Lanze für Großprojekte

8. Januar 2020 von Laborjournal

Leider erlebt man das öfter: Viel Geld wird in groß­angelegte Forschungsinitiativen gepumpt — und am Ende kommt man den anvisierten Erkennt­nis­sen damit doch deutlich weniger nahe als ursprünglich ange­kündigt.

Viele Paper wurden inzwischen geschrieben, die an­geblich belegen, dass der „Impact pro For­scher­kopf“ im Schnitt umso mehr sinkt, je größer das ge­förderte Gesamtprojekt ist (zum Beispiel hier und hier). Und jedes Mal arbeiteten die Autoren auch ge­wis­se strukturelle und konzeptionelle Mus­ter heraus, die solche „Under­per­for­mance“ von Big-Science-Pro­jek­ten vermeintlich mitverursachen könnten. Diese zu re­fe­rieren, wollen wir für heute je­doch anderen über­las­sen…

Hier soll es vielmehr um die Nörgler gehen, die bei der Ankündigung eines teuren Großprojekts inzwi­schen schon fast reflexartig aus ihren Lö­chern kom­men und empört schreien: „Argh, so viel Geld für etwas, wo wahrscheinlich sowieso wieder nur ver­gleichsweise wenig rauskommt! Wie viele produk­ti­ve­re Small-Science-Projekte könnte man stattdessen da­mit finanzieren?“

Auweia! Als ob man immer schon vorher genau wüsste, welche Masse und Klasse an Erkenntnissen ein be­stimm­tes Projekt, ob groß oder klein, liefern kann. Und als ob man dann entsprechend punktgenau die billigstmögliche Förderung dafür kalkulieren könnte…

Klingt schon hier nicht mehr wirklich nach einem Forschungsprojekt, oder? Weil Forschung so eben nicht funktioniert. Gerade die Grundlagenforschung ist idealerweise ein Aufbruch ins Unbekannte. Man tastet sich sorgfältig in mehrere Richtungen vorwärts, landet immer wieder in Sackgassen, die auf den ersten Metern noch so vielversprechend und plausibel gewirkt hatten — und bekommt vielleicht irgendwann mal eine Ahnung von dem einen richtigen Pfad.

Natürlich rauft sich jeder Unternehmensberater ob solcher wackeliger „Kosten-Nutzen-Bilanzen“ die Haare. Aber würden gerade deren Methoden die Grundlagenforschung nicht in ihrem Kern zerstören? Und wäre dies am Ende nicht die schlechteste Bilanz von allen?

Zumal häufig vergessen wird: Gerade Großprojekt-Mittel sind immer auch fette Aus­bil­dungs­in­ves­ti­tionen — nicht zuletzt, weil insbesondere in solchen Big-Science-Netzwerken oftmals ganz besonderer Wert darauf gelegt wird (siehe beispielsweise hier). Jede Menge Doktoranden und Co. lernen hierbei, wie Wissenschaft und Forschung tatsächlich funktionieren — auch, ja vielleicht sogar gerade auf den letztlich weniger erfolgreichen Pfaden.

Und wer weiß, liebe Nörgler, ob am Ende nicht ausgerechnet einer, der gestern in einem solchen „bilanzmiesen“ Projekt ausgebildet wurde, morgen den nächsten Mega-Durchbruch liefert? Ginge es nach euch, wäre er womöglich gar nicht erst bis dahin gekommen.

Ralf Neumann

Kreativität und Qualität – ein Plädoyer für mehr wissenschaftliche Sorgfalt

15. Mai 2019 von Laborjournal

(In den letzten Wochen erhielten wir mehrere Nachfragen nach dem unten folgenden Essay von Patrick Baeuerle aus dem Jahr 2004 (!). Wir mussten ihn uns selbst erst mal wieder anschauen — und siehe da: Offenbar war die Reproduzierbarkeitskrise schon vor fünfzehn Jahren dem einen oder anderen bewusst…)

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Mangelnde Datenqualität stellt ein viel häufigeres Problem in der Grund­lagen­forschung dar als beispielsweise Betrügereien. Durch zu niedrige Ansprüche an die Güte der eigenen Ergebnisse verpufft das enorme kreative Potenzial an unseren Universitäten. Aber wie verbessert man die Qualität in der Praxis?

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„Cooool“ tönt es spät abends aus dem Labor. Der Postdoc hat nach Auswertung eines Genexpressionsprofils bestätigt, dass die Krebszellen ein Protein exprimieren, welches sie eigentlich nicht machen dürften. Durch dieses Protein können die Zellen besonders empfindlich auf eine neue Krebstherapie reagieren.

Wie häufig kommt diese ungewöhnliche Expression vor? Passiert dies auch in menschlichen Tumorproben? Welcher molekulare Mechanismus liegt dem zu Grunde? Vor den Augen des Wissenschaftlers tut sich ein neues, spannendes Forschungsgebiet auf. Seine Gedanken beginnen um einen eigenen DFG-Antrag, viele Publikationen, Einladungen zu Vorträgen sowie eine Habilitationsstelle zu kreisen.

Wir befinden uns in einem renommierten, akademischen Forschungsinstitut. Schon seit Wochen wird der Befund des Postdocs unter den Kollegen in der Abteilung heiß diskutiert und fast jeder hat bereits seine eigene Hypothese entwickelt, wie es zu der ungewöhnlichen Proteinexpression kommen konnte. Der Abteilungsleiter und die Kollegen drängen den Postdoc, die Daten mehrmals zu reproduzieren. Heute Abend ist dies nun zum wiederholten Male geglückt.

Der Postdoc bekommt bald darauf eine technische Assistenz zur Seite gestellt, um das Projekt zu beschleunigen. Diese Person wird hauptsächlich in der Zellkultur eingesetzt und bekommt so jeden Tag die Krebszellen unter dem Mikroskop zu sehen. Dabei fällt ihr auf, dass wenige Prozent der Zellen irgendwie anders aussehen als der Rest. Diesen Beitrag weiterlesen »

Die Crux mit dem Projekt

7. Februar 2019 von Laborjournal

Wer Geld für seine Forschung haben will, muss einen Projektantrag stellen. Sicher, wenn es ein bisschen größer sein soll, heißt das Ganze auch mal „Programm“ oder „Initiative“. Aber woraus setzen sich diese in aller Regel zusammen? Genau, aus lauter Einzel-Projekten! Schon lange ist Forschung auf diese Weise nahezu ausschließlich in Projekten organisiert. Das Projekt ist die Keimzelle einer jeden Forschungsförderung.

Paradox ist das schon. Denn zumindest in der reinen Grundlagenforschung kann nur „projektiert“ werden, was noch unbekannt ist. Andernfalls wäre es keine. Oder anders gesagt: Sonst wäre das Projekt kein Forschungsprojekt. Zugleich muss das Unbekannte aber bekannt genug sein, um ein Forschungsvorhaben überhaupt in Form eines Projektes organisieren zu können. Schließlich lässt sich nur mit einem hinreichenden Maß an Bekanntem vorweg eine klare Forschungsplanung hinsichtlich Zielvorgaben, zeitlichem Ablaufen, finanzieller und personeller Ressourcen et cetera entwerfen. Dummerweise gilt aber ohne solch einen klaren Plan nix als Projekt — und wird auch nicht gefördert.

Es passt also nicht wirklich zusammen: Das Ideal von Forschung als offener, durch reine Neugier gelenkter Prozess einerseits — und die Projektierung von Forschung andererseits. Zumal in der Forschung auch anfängliche Zielvorgaben schnell und flexibel umformuliert werden können müssen, wie auch ein beträchtliches Risiko zu scheitern bewusst eingeschlossen ist.

Für ein Projekt dagegen ist das Vorwegnehmen von offensichtlich Neuem zu Beginn eines Prozesses unvermeidbar. Der Vorstellung von Wissenschaft als Prozess fortlaufender Entdeckungen widerspricht dies jedoch fundamental. In Projekten kann man naturgemäß nicht einfach nur von irgendwelchen Prämissen ausgehen — und dann durch fortlaufende Exploration schauen, was daraus wird. Ebenso wenig, wie sich Änderungen leicht hinnehmen lassen. Wie könnten Projekte sonst auf die ihnen innewohnende Art alle möglichen Unsicherheiten minimieren?

Daher stellen sich zwei Fragen: Wie kann man etwas vorweg bestimmen, das man gerade durch die Forschungstätigkeit entdecken will? Und welche Art Wissenschaft könnte überhaupt projektierbar sein? Letzteres mag funktionieren, wenn man ganz konkrete Fälle analysiert und auf jegliche Form der Generalisierung verzichtet. Forschung, die allerdings genau dieses Ziel verfolgt — nämlich ein generalisierendes Modell oder eine übergeordnete Theorie zu entwerfen —, ist in der Organisationsform „Projekt“ denkbar schlecht aufgehoben.

             Ralf Neumann

 

Ein Plädoyer für die biologische Grundlagenforschung…

8. Juli 2014 von Laborjournal

… halten Doktoranden der University California in San Diego (UCSD) in folgendem, nett gemachten Video:

2013 gewann das Werk den „Stand Up For Science“-Videowettbewerb der Federation of American Societies For Experimental Biology (FASEB).

Tipp: Tobias Maier via Twitter

Zitat des Monats (15)

1. Oktober 2012 von Laborjournal

Terran Lane schreibt über zunehmende Kurzsichtigkeit und Zwänge in der freien Grundlagenforschung (in „On Leaving Academe„; Chronicle of Higher Education, 19. August 2012):

The problem is that creativity is all about exploratory risk. The goal is to find new things — to go beyond state-of-the-art and to discover or create things that the world has never seen. It’s a contradiction to simultaneously forge into the unknown and to insist on a sure bet. […]

In the current climate, however, all of those entities, as well as scientists themselves, are leaning away from exploratory research and insisting on sure bets. Most of the money goes to ideas and techniques (and researchers) that have proven profitable in the past, while it’s harder and harder to get ideas outside of the mainstream to be accepted by peer review, supported by the university, or financed by grant agencies. The result is increasingly narrow vision in a variety of scientific fields and an intolerance of creative exploration.

Zitat des Monats (9)

1. März 2012 von Laborjournal

In seinem Blog-Artikel „Basic science is about creating opportunities“ schrieb der US-Neuroforscher Bradley Voytek zur Verteidigung der ungerichteten, durch reine Neugier und Faszination getriebenen Grundlagenforschung:

You can’t legislate innovation and you can’t democratize a breakthrough. You can, however, create a system that maximizes the probability that a breakthrough can occur.

Und in einem Kommentar dazu ergänzt sein Kollege Zen Faulkes — vor allem hinsichtlich der „Bringschuld“ an die Steuerzahler, die solche Forschung finanzieren (Vorsicht: Zitat im Zitat!):

[…] it’s not why many scientists do science. Richard Feynman said it about physics, but it’s true of all sciences: „Physics is like sex. Sure, it may give some practical results, but that’s not why we do it.“

And I don’t think it’s why people support science. People will support science just because it’s cool, and it enlivens and informs their minds. A lot of people have fun learning new things and gaining a better understanding of the way the world works.

I don’t know why we always try to justify science by utilitarian bookkeeping and number crunching (which is kind of dull), when people will support us because they are interested in the universe (which is awesome).

Zitat des Monats

19. April 2011 von Laborjournal

Ein kleines Plädoyer für den Erhalt der reinen, Neugier-getriebenen Grundlagenforschung aus dem Buch The Demon-Haunted World: Science as a Candle in the Dark von Carl Sagan:

Maxwell wasn’t thinking of radio, radar, and television when he first scratched out the fundamental equations of electromagnetism; Newton wasn’t dreaming of space flight or communications satellites when he first understood the motion of the Moon; Roentgen wasn’t contemplating medical diagnosis when he investigated a penetrating radiation so mysterious he called it „X-rays“; Curie wasn’t thinking of cancer therapy when she painstakingly extracted minute amounts of radium from tons of pitchblende; Fleming wasn’t planning on saving the lives of millions with antibiotics when he noticed a circle free of bacteria around a growth of mold; Watson and Crick weren’t imagining the cure of genetic diseases when they puzzled over the X-ray diffractometry of DNA; Rowland and Molina weren’t planning to implicate CFCs in ozone depletion when they began studying the role of halogens in stratospheric photochemistry.

These discoveries and a multitude of others that grace and characterize our time, to some of which our very lives are beholden, were made ultimately by scientists given the opportunity to explore what in their opinion were basic questions in nature.

Cutting off fundamental, curiosity-driven science is like eating the seed corn. We may have a little more to eat next winter, but what will we plant so we and our children will have enough to get through the winters to come?

Das Buch gibt’s auch auf deutsch, unter dem Titel Der Drache in meiner Garage. Oder die Kunst der Wissenschaft Unsinn zu entlarven. Allerdings nur noch gebraucht bei Amazon.