Mainstream-Falle Peer Review

5. Januar 2022 von Laborjournal

Schon länger hat man den Eindruck, die Diskussionen über eine Reform oder Alternativen zum Peer-Review-System treten auf der Stelle. Dabei wird wohl kaum jemand bestreiten, dass der Peer Review ein Kernproblem beherbergt, das trivialer klingt, als es ist – und zwar unabhängig davon, ob es sich um den klassischen Pre- oder um Post-Publikation-Peer-Review handelt: Er funktioniert nur, wo es auch wirkliche Peers gibt.

Kann das in den Wissenschaften überhaupt nahtlos der Fall sein? Gibt es tatsächlich immer und überall solche „ebenbürtige Experten“? Ganz sicher nicht.

Fragen wir daher zunächst einmal: Wer ist „Experte“? Klar – jemand, der sich in einem bestimmten Gebiet besonders gut auskennt. Was zunächst bedeutet, dass ein Peer vor allem den Status quo eines Gebietes umfassend kennt; womöglich hat er bei dessen Etablierung sogar entscheidend mitgeholfen.

Jetzt geht es aber in der Wissenschaft nicht nur um den Status quo – es geht nicht mal vor allem um den Status quo. Vor allem geht es in der Wissenschaft um das, was jenseits des Status quo liegt. Neue Pfade beschreiten, Licht ins Dunkel bringen, Horizonte erweitern, zu neuen Ufern aufbrechen – das sind die Metaphern, die beschreiben, was vor allem Ziel der Wissenschaft ist. Oder, schlichter formuliert: neue Erkenntnisse gewinnen.

Das Paradoxon dabei ist nun, dass es da, wo einer erstmals Neuland beschreitet, keine Experten geben kann. Das heißt zwar nicht, dass jeder Experte des Status quo grundsätzlich nicht mehr adäquat bewerten kann, was er von jenseits der bekannten Grenzen seines Gebietes zu hören bekommt. Aber es ist natürlich ungleich schwieriger zu beurteilen, ob jemand tatsächlich Handfestes oder eben nur Blödsinn aus absolutem Neuland berichtet. Und da die Experten des Status quo auch gerne Bewahrer des Status quo sind, kippen sie schon öfter mal das Kind mit dem Bade aus, wenn sie vermeintlich allzu abenteuerliche Berichte abschmettern.

Beispiele gibt es genug, wie letztlich richtige Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus totalem wissenschaftlichem Neuland sehr lange brauchten, um sich gegen den „Experten“-Mainstream durchzusetzen: Barbara McClintocks springende Gene, Stanley Prusiners Prionen, Lynn Margulis und die Endosymbiontentheorie, Günter Blobels Signalpeptide, die Helicobacter-Geschichte,… – alles Fälle, bei denen die Peers seinerzeit schlichtweg unfähig oder unwillig waren, grundlegend Neues und Richtiges zu erkennen.

Nicht zuletzt deshalb zog der englische Soziologe Steve Fuller das Fazit: „Peer Review funktioniert bei ‚normaler Wissenschaft‘, hat aber auch die Macht radikale Ideen zu unterdrücken.“

Ralf Neumann

(Foto: fona.com)

 

Peer Review und die Bewahrung des Status quo

19. November 2019 von Laborjournal

Peer Review hat einige Probleme. Eines, das zunächst einmal ganz trivial klingt, ist, dass Peer Review nur dort funktioniert, wo es auch wirkliche Peers gibt. Kann das in den Wissenschaften überhaupt nahtlos der Fall sein? Gibt es tatsächlich immer und überall solche „ebenbürtige Experten“? Ganz sicher nicht.

Fragen wir daher zunächst einmal: Wer ist „Experte“? Klar — jemand, der sich in einem bestimmten Gebiet besonders gut auskennt. Was zunächst bedeutet, dass ein Peer vor allem den Status quo eines Gebietes umfassend kennt. Womöglich hat er bei dessen Etablierung sogar entscheidend mitgeholfen.

Jetzt dreht sich aber Wissenschaft nicht nur um den Status quo — nicht mal vor allem um den Status quo. Vor allem geht es in der Wissenschaft um das, was jenseits des Status quo liegt. Neue Pfade beschreiten, Licht ins Dunkel bringen, Horizonte erweitern, zu neuen Ufern aufbrechen — das sind die Metaphern, die beschreiben, was vor allem Ziel der Wissenschaft ist. Oder, schlichter formuliert: Neue Erkenntnisse gewinnen.

Das Paradoxon dabei ist nun, dass es da, wo einer erstmals Neuland beschreitet, keine Experten geben kann. Das heißt zwar nicht, dass jeder Experte des Status quo grundsätzlich nicht mehr adäquat bewerten kann, was er von jenseits der bekannten Grenzen seines Gebietes zu hören bekommt. Aber es ist natürlich ungleich schwieriger zu beurteilen, ob jemand tatsächlich Handfestes oder totalen Blödsinn aus absolutem Neuland berichtet. Und da die Experten des Status quo auch gerne Bewahrer des Status quo sind, kippen sie auch mal das Kind mit dem Bade aus, wenn sie vermeintlich allzu abenteuerliche Berichte abschmettern.

Beispiele gibt es genug, wie letztlich richtige Ergebnisse und Schlussfolgerungen teilweise sehr lange brauchten, um sich gegen den „Experten“-Mainstream durchzusetzen: Barabara McClintocks springende Gene, Stanley Prusiners Prionen, die Helicobacter-Geschichte,… — alles Fälle, bei denen die Peers seinerzeit schlichtweg unfähig oder unwillig waren, grundlegend Neues und Richtiges zu erkennen.

Nicht zuletzt deshalb zog kürzlich der Soziologe Steve Fuller das Fazit: „Peer Review funktioniert bei ‚normaler Wissenschaft‘, hat aber auch die Macht, radikale Ideen zu unterdrücken.“

Ralf Neumann