Hunger macht Mensch und Mikrobe giftig

12. April 2023 von Laborjournal

“Tout ce qui est vrai pour le Colibacille est vrai pour l’éléphant”, sagte der französische Biologe Francois Monod 1972 – „Was für E. coli gilt, trifft auch auf den Elefanten zu“. Markant beschrieb er damit, dass die fundamentalen Regeln der Molekularbiologie grundsätzlich vom einfachsten Bakterium über das gesamte Organismenreich bis hin zu uns Menschen gelten.

Komisch, dass einem dieser Spruch bei folgender Überschrift sofort in den Sinn kommt: „Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass auch Bakterien ‚hangry‘ werden“. Über die Hungerwut („Hangriness“) und wie man Menschen da in wieder heraushelfen kann, hatten wir ja erst unlängst an dieser Stelle geschrieben. Dort hieß es etwa:

Hungergefühl und negative Emotionalität korrelieren über demographische Faktoren hinweg (PLoS ONE, doi.org/h4g5). Der Werbeslogan „Du bist nicht du, wenn du hungrig bist“ eines bekannten Erzeugers von Zuckerspeisen behält also tatsächlich Recht. Hunger macht „hangry“.

Und weiterhin:

Obendrein ist „hangriness“ nicht auf die Spezies Mensch beschränkt. Beispielsweise erwecken ausgehungerte männliche Taufliegen in Reichweite des Futtertrogs den Krieger in sich (Anim. Behav., doi.org/gkb6mz). Auch sollten Sie Zebrafinken direkt nach einer Fastenkur besser nicht in die Quere kommen (Endocrinology, doi.org/f5d2qt).

Hunger macht Mensch, Fink und Fliege also irgendwie „giftig“. Im übertragenen Sinne.

Bei Bakterien passiert das offenbar bisweilen wirklich. Zumindest zeigen das die Resultate der Studie, die sich hinter der oben erwähnten Überschrift versteckt. Deren Autoren sind Forscher aus Harvard und Princeton sowie dem dänischen Biotechnologie-Konzern Danisco unter Leitung des Mikrobiologen Adam Rosenthal; „Hauptdarsteller“ ist das Darmbakterium Clostridium perfringens (Nat. Microbiol., doi.org/j42p). 

Was haben sie zusammen gemacht? Im Darm bildet Clostridium in aller Regel eine Bakteriengemeinschaft. Solche Gemeinschaften teilten Rosenthal et al. mithilfe eines mikrofluidischen Tröpfchengenerators in einzelne Zellen auf, um sie separat voneinander zu untersuchen. Resultat: Obwohl genetisch völlig identisch, schütteten einige wenige Bakterien das Poren-bildende Toxin NetB aus, welches in Geflügel eine nekrotische Enteritis auslösen kann. Und siehe da: Während die übrigen Artgenossen durchweg wohlgenährt erschienen, fehlten genau diesen „Giftspritzern“ wichtige Nährstoffe.

Da in der Toxin-produzierenden Fraktion vor allem Gene hochreguliert waren, die den Fettsäureabbau kontrollieren, spekulierten Rosenthal und Co., dass sie durch Zugabe von Fettsäuremetaboliten wie etwa Acetat den Anteil der toxinproduzierenden Zellen drosseln konnten. Und tatsächlich geschah genau das: In Gemeinschaften, die mit zusätzlichem Acetat versorgt wurden, produzierten viel weniger Bakterien das Toxin als in Gemeinschaften, die nicht mit Acetat supplementiert wurden.

Offenbar sorgt also tatsächlich ein Hüngerchen dafür, dass die betroffenen Bakterien Gift verspritzen – was man daher leicht als Folge einer Hungerwut interpretieren könnte. Allerdings ist die Analogie mit dem netten Wortspiel bereits erschöpft. Die Ergebnisse selbst taugen wohl kaum, die Mikroben noch weiter darüber hinaus zu vermenschlichen.

Ralf Neumann

(Illustr.: Deviantart / Darthfar)

 

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