Warum nicht einfach verdünnen?

29. November 2016 von Laborjournal

Gerade entwickelte sich hier in der Redaktion eine ganz nette Diskussion…

Gestern hatte unsere Mitarbeiterin Juliet Merz auf Laborjournal online über den enorm hohen Salzgehalt im Blut der ach so flinken Galápagos-Meeresechsen aus der Art Amblyrhynchus cristatus berichtet. Darin schrieb sie unter anderem:

Die Autoren schätzen den Natriumgehalt im Blut der Reptilien sogar noch höher ein: Denn das verwendete Messgerät konnte nur eine maximale Konzentration von 180 mmol/L ermitteln — und bei 15 Tieren schlug die Messung an dieser Grenze an.

Daraufhin meinte Kollege Köppelle heute:

Äh… woher wissen die Forscher das denn? Der Wert dieser 15 Tiere könnte jeweils exakt 180 mmol/L betragen haben, oder 180,1 mmol/L, oder auch mal 180 und mal 190 und mal 500 oder auch dreitausend mmol/L … Letzteres natürlich eher nicht — aber wo man nichts messen kann, kann man auch nichts aussagen.

dilutionNa ja, das ist vielleicht etwas zu hart. Denn dass man den Natriumgehalt im Blut daher wohl tatsächlich noch etwas höher ansetzen muss, ist ja schon sehr plausibel. Niedriger jedenfalls ganz gewiss nicht.

Ich hatte in dieser Sache jedoch einen anderen Einwand:

Warum haben die nicht einfach verdünnt und das Ergebnis mit dem Verdünnungsfaktor wieder hochgerechnet? Lernt man doch im ersten Laborpraktikum, dass man Proben so verdünnen muss, dass die Konzentration des gewünschten Parameters in den Messbereich des Gerätes fällt…

Daraufhin Kollege Köppelle:

Stimmt, hätte man auch machen können. Jedenfalls ein Grund, nochmal nachzurecherchieren und den Artikel nachzubessern.

Gesagt, getan. Und tatsächlich steht bereits im Abstract des zitierten Original-Papers:

A notable finding was the unusually high blood sodium level; the mean value of 178 mg/dl is among the highest known for any reptile. This value is likely to be a conservative estimate because some samples exceeded the maximal value the iSTAT can detect.

Und in „Material und Methoden“ wird das Ganze folgendermaßen erklärt:

Bildschirmfoto 2016-11-29 um 13.14.59

Worauf Kollege Köppelle meinte:

Ah, das ist offenbar irgendsoein Cartridges-benutzendes Dingens:

https://www.abbottpointofcare.com/products-services/istat-handheld

Aber man muss zuvor per Hand das Blut in die Cartridge füllen.

Fazit: Die waren also bloß zu faul, nochmal ins Feld zu fahren, nochmal Blutproben zu nehmen und dann ohne ihr ach so praktisches MultiAutoTool im Labor die Werte „althergebracht“ zu analysieren!

Mein Einwand wiederum:

Wahrscheinlich hatten sie auf den Inseln nix dabei, um Blutproben einfrieren zu können. Allerdings kommen vier der acht Autoren von der „University San Francisco de Quito, Galápagos Science Center, Puerto Baquerizo Moreno, Galápagos, Ecuador“. Die dürften es also nicht allzu weit ins Labor gehabt haben…

Wie auch immer. Der Eindruck bleibt, dass man diese Messung durchaus genauer hätte machen können — wenn die Autoren nur gewollt hätten. Kollege Köppelle und ich waren uns jedenfalls einig, dass sie froh sein können, uns beide nicht als Gutachter bekommen zu haben … 😉

 

Plötzlich ist alles nur noch mittelmäßig…

16. November 2016 von Laborjournal

Kann es sein, dass die “Publish or Perish”-Regel einen geradezu zwingt, “suboptimale” Forschung zu machen? Auch wenn man es eigentlich gar nicht will?

Wie das passieren kann? Vielleicht etwa so:

Labor-0815Der Großteil an Personal- und Projektmitteln wird inzwischen bekanntermaßen befristet vergeben. Und die Fristen sind zuletzt ziemlich kurz geworden. Was folgt, ist auch bekannt: Doktoranden, Postdocs und alle anderen, die noch nicht am Ende der Karriereleiter angekommen sind, brauchen Veröffentlichungen, um es nach dem Ablauf der aktuellen Bewilligungsrunde hinüber in die nächste zu schaffen. Und auch was dies bewirkt, liegt auf der Hand: Der Ehrgeiz der angehenden bis fortgeschrittenen Jungforscher ist immer weniger darauf ausgerichtet, möglichst robuste und reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, sondern zunehmend darauf, so schnell wie möglich irgendwelche Veröffentlichungen zu produzieren.

Die Folge ist, dass im Schnitt die Anzahl niederklassiger und nicht-reproduzierbarer Ergebnisse zunimmt, während wirklich hervorragende Forschung in dem gleichen Tempo mehr und mehr schwindet.

Aber das ist nicht alles. Denn auch die Chefinnen und Bosse, die es eigentlich mal besser gelernt und praktiziert haben, werden selbst unmerklich zum Teil dieses Spiels — vor allem die, die sich tatsächlich um ihre Mitarbeiter sorgen. Denn was machen sie, um ihren Studenten und Mitarbeitern die schnellen Veröffentlichungen zu ermöglichen, die sie weiter in der Karriere-Spirale halten? Sie versorgen sie mit perfekt gestylten und risikoarmen Mainstream-Projekten, deren Ergebnisse quasi mitten auf dem Weg liegen — mit der Garantie baldiger und sicherer Publikationen…

Bis sie plötzlich merken, dass ihre Forschung auf diese Weise zu einem absolut vorhersehbaren und mittelmäßigen Geschäft heruntergekommen ist. Keine wirklich spannenden Ergebnisse mehr, keine überraschenden Einsichten oder wegweisende Innovationen — stattdessen nur noch das Hinzufügen kleiner Detailkrümel zu einem wohlbekannten Prozess hier oder zu einem bereits gut beschriebenen Phänomen dort.

Wie gesagt: Gewollt realisiert keiner solch ein Szenario…

Wozu Journals?

10. November 2016 von Laborjournal

 

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Es ist und bleibt interessant, immer wieder mal in unseren alten Ausgaben zu blättern. Nicht nur, aber auch, um zu sehen, wie sich gewisse Dinge in der Zwischenzeit entwickelt haben.

Kürzlich etwa blieb ich an folgendem Text unserer „Inkubiert“-Kolumne aus Heft 4/2000 (!) hängen:

Wozu braucht man Fach-Journale? Vor allem doch wohl als Vehikel von Information. Allerdings ist da das Internet mittlerweile schneller, billiger, einfacher und vielseitiger. So gesehen erfüllen die Fachblätter also ihre primäre Aufgabe inzwischen nicht mehr optimal. Allenfalls als glorifizierte Listen von Leseempfehlungen taugen sie noch. Womit wir direkt bei der nächsten Frage wären: Braucht man noch ein System des Vorab-Peer Review? Zumal doch gerade auf dem gut gedüngten Boden des anonymen Peer Review-Systems die menschlichen Schwächen der Gutachter oftmals allzu üppig wuchern. Warum also nicht gleich einfach alles unmittelbar und direkt im Internet publizieren — allenfalls durch eine grobe Vorab-Kontrolle von blankem Unsinn freigehalten? Beurteilt nicht sowieso jeder Forscher selbst die Artikel, die ihn interessieren — ob von Gutachtern empfohlen oder nicht? Was ein echter Forscher ist, sollte dies jedenfalls alleine können. Herrliche Diskussionen direkt im Anhang an die einzelnen Artikel könnten sich entwickeln. Nachlesbar und gezeichnet. Ein Artikel wäre nicht nur Information, sondern auch Anstoß zur Debatte. Jedenfalls die guten unter ihnen. Und daran wiederum würde man sie erkennen. Ja, ja — jetzt schreien wieder einige, dass unter solchen Bedingungen doch am Ende jeder Schrott publiziert würde. Hmm? Ohne Journals publiziert vielleicht tatsächlich nur, wer wirklich etwas Neues hat. Und schielt nicht vorrangig danach, durch Publikation in prestigeträchtigen Journals Impact-Punkte zu sammeln.

Scheint es nur mir so, dass wir heute, 16 Jahre später, in dieser Diskussion immer noch weitgehend auf demselben Stand sind?

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