Zum Niedergang von #ScienceTwitter

11. Oktober 2023 von Laborjournal

Forschungsartikel werden nicht signifikant häufiger zitiert, wenn sie zuvor auf Twitter (heute X) angepriesen werden. Dieses Kernfazit ziehen elf aktiv twitternde Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach entsprechender Studie in einem bioRxiv-Preprint. Wir berichteten darüber in unserem vorletzten Blog-Beitrag.

Was wir darin ausgespart hatten, waren die abschließenden Absätze des persönlichen Bedauerns der Autorinnen und Autoren über den „Niedergang von Twitter“. Das ist eigentlich ein neues Thema, weswegen wir die Absätze jetzt in einem neuen Beitrag zitieren:

Seit mehr als einem Jahrzehnt ist Twitter eine unfassbar beliebte Plattform für Forscherinnen und Forscher, um ihre wissenschaftlichen Fortschritte mit einem breiteren Publikum zu teilen. Daher nehmen wir nach dem Kauf, dem Stellenabbau und der Umbenennung in X mit einer gewissen Wehmut den Niedergang von Twitter in den letzten Monaten zur Kenntnis. So ergab eine Umfrage unter fast 9.200 auf Twitter aktiven Wissenschaftlern, dass 54 Prozent in den letzten sechs Monaten ganz mit Twitter aufgehört oder ihre Twitter-Nutzung reduziert haben, während 46 Prozent einen alternativen Microblogging-Account eröffnet haben (die drei wichtigsten Empfänger sind Mastodon, Instagram oder Threads) (Nature 620:482-4).

Mit dem Niedergang von Twitter sind wir besorgt, dass die rasche Verbreitung von Forschungsergebnissen abnimmt, die interdisziplinäre Zusammenarbeit und der Austausch von Wissen behindert werden. Ebenso besorgt sind wir, dass die Fähigkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern abnimmt, ein breiteres Publikum zu erreichen und zu informieren. Dies wird sich  auf das öffentliche Verständnis und die Unterstützung für die Wissenschaft auswirken. Umgekehrt könnte der Weggang von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Plattform, die früher als Twitter bekannt war, anfälliger für die Verbreitung von Fehlinformationen machen, die anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen. Wir hoffen daher, dass der massenhafte Abgang von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von Twitter mit einem ebenso massenhaften Einstieg von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in alternative Formen sozialer Medien einhergeht, die neue Möglichkeiten der wissenschaftlichen Kommunikation und des Engagements bieten.

Als Gruppe von Autorinnen und Autoren haben wir alle sehr von unserem Streifzug durch die sozialen Medien profitiert und eine Online-Gemeinschaft aufgebaut, in der wir von anderen lernen, über die Wunder der Natur staunen und uns über die Sünden der Menschheit empören. Teile dieses Engagements haben zu wissenschaftlichen Artikeln und Kooperationen geführt, die sonst nicht zustande gekommen wären, so auch der vorliegende Artikel. Die Steigerung des Bekanntheitsgrades unserer wissenschaftlichen Arbeiten war sicherlich nicht unser primäres Ziel, und so liegt der wahre Wert des öffentlichen wissenschaftlichen Engagements im Internet vielleicht darin, wie viele Freundinnen und Freunde wir auf diesem Weg gewonnen haben und welches Wissen wir mit unseren Online-Gemeinschaften geteilt und von ihnen gewonnen haben …

So ist es wohl leider. Auch wir als „Beobachter von Wissenschaft“ sehen diesen Niedergang von Twitter (heute X) als wertvolle und lebendige Plattform für Wissenschaftskommunikation sowohl innerhalb der Community wie auch darüber hinaus. Wobei an dieser Stelle fairerweise auch erwähnt sei, dass andere dem Aussagewert der Zahlen aus der zitierten Nature-Umfrage nicht ganz trauen – und vielmehr bezweifeln, dass tatsächlich bereits derart viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ihre X-Aktivitäten eingestellt oder stark reduziert haben.

Weitere Erfahrungen und Meinungen zum vermeintlichen Niedergang von #ScienceTwitter auf X?

Ralf Neumann