Vom Vogel und dem Rüsseltier

24. November 2022 von Laborjournal

Mastodon beobachtet Twitter-Absturz

Der Vogel sinkt! Elon Musk versenkt gerade das einst stolze Flagschiff Twitter, indem er ein Leck nach dem anderen in dessen Bordwand schlägt. Erst feuert er wichtige Teile des bewährten Teams, dann schafft er das Verifikationssystem – den blauen Haken – quasi ab. Mit der Wiederfreischaltung von Donald Trumps Account eröffnet er jetzt die Möglichkeit, dass nochmals Millionen weitere Liter an Lüge und Hass in den Schiffskörper eindringen.

Viel zu teuer hat Musk Twitter gekauft – und versucht seither, möglichst schnell Geld damit zu verdienen. Dabei stellt er sich so ungeschickt an, dass man glauben könnte, er hätte das, was er gekauft hat, gar nicht richtig verstanden. Die Kunden laufen ihm davon, dazu viele Promis – und auch die Wissenschafts-Community flieht in Scharen. Letztere vor allem zum alternativen Microblogging-Dienst Mastodon.

Schon lange stößt die Aufmerk­samkeits- und Empörungs­kultur sozialer Medien auch Forschungs­treibende ab. Viele berichten sogar von Beleidigungen bis hin zu Todesdrohungen („In the line of fire“Science, 24.03.2022). Als eine von vielen macht Elvira Rosert, Professorin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, jedoch klar:

Die Hoffnung auf ein im Ton adäquateres Medium ist nur ein Motiv fürs Wechseln zu Mastodon,

Was kommt noch dazu?

Laut Nutzer der 2016 in Jena gegründeten, gemeinnützigen Mastodon gGmbH ist die Plattform nicht wie Twitter darauf ausgelegt, Aufmerksamkeit zu generieren, zu polarisieren und zu monetarisieren. Werbe­einblendungen gibt es nicht. Kein undurchsichtiger Algorithmus macht Stimmung und spült Beiträge mit hohen Interaktions­raten nach oben.

Mastodon wird nicht von einem zentralen Unternehmen kontrolliert, das Regeln seinen ökonomischen Interessen anpasst. Niemand kann es kaufen. Im Gegenteil: Mastodons dezentralisierte, also auf mehrere Hundert Server aufgeteilte, Open-Source-Architektur ist darauf ausgerichtet, die Diskussion unter Gleichgesinnten zu fördern statt möglichst viele Menschen zu erreichen. Oder wie Catherine Flick, außerordentliche Professorin am Centre for Computing and Social Responsibility der De Montfort University in Leicester, Großbritannien, es beschreibt:

Mastodon is really great for conversations. Coming into Mastodon is a bit like going for drinks after a conference. You get to chat to everybody; people who understand academia and the ground rules for academic conversations.

Daher richtet sich die Wissenschafts­szene gerade offenbar stärker als andere Communities auf Mastodon ein. Und das wollen wir natürlich nicht verpassen. Denn wie schrieben wir, als wir im Februar 2013 unseren Twitter-Account eröffneten:

Wir sitzen in unserer Redaktion – und haben bei der ganzen Twitterei plötzlich das Gefühl, die Ohren wieder viel näher an den Forschern dran zu haben. Denn das, was sie zu sagen und zu fragen haben, was sie kommentieren, worüber sie diskutieren und sich aufregen, was sie ausspinnen oder was sie in Frage stellen,… – genau das sind die Dinge, über die wir schreiben müssen (und wollen).

Ob wir das jetzt auf Mastodon wieder vorfinden? Wir sind gespannt!

Vorerst haben wir aber, wie fast alle „Flüchtlinge“, unser Bein noch weiter in der Twitter-Tür. Sie können uns also momentan auf beiden Kanälen finden – hier auf Mastodon und hier auf Twitter. Folgen Sie uns gerne dort – und schreiben beziehungsweise diskutieren Sie mit uns, was Ihnen auf dem Herzen liegt. Es sei denn, Sie heißen Donald Trump.

-HM- / -KH- / -RN-

(Illustr.: LJ-Montage)

 

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Ein Gedanke zu „Vom Vogel und dem Rüsseltier“

  1. Carsten Grötzinger sagt:

    Zu sorgfältigem Journalismus hätte gehört, die Geschichte nicht gar so einseitig zu erzählen. Es ist ja keineswegs so, als wäre bei Twitter vor Musks Übernahme alles eitel Sonnenschein gewesen. Die Plattform hatte auch damals schon arg zu kämpfen, um wenigstens die gröbsten Rechts- und Regelverstöße von Nutzern zu löschen. Mutmaßlich in diesem Bemühen kam es immer wieder zu fälschlichen Sperrungen von Posts und Accounts, gegen die Nutzer sich dann mit wechselndem, nicht immer nachvollziehbaren Erfolg zur Wehr setzten. Teilweise haben diese dafür auch deutsche Gerichte bemüht, die dann reihenweise Twitter zur Aufhebung von Sanktionen verdonnerten, weil ein Rechtsverstoß nicht vorlag.

    Twitter scheiterte aus unklaren Gründen auch daran, Antisemitismus und Padophilie wirksam von seinen Seiten zu verbannen, während andererseits Posts entfernt wurden, nur weil sie auf die Tatsache verwiesen, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt. Musk und andere Kritiker dieser früheren Twitter-Politik witterten eine politisch linke, ja woke Agenda bei der Twitter-Führungsriege und in der Belegschaft als Grund für solche teilweise einseitigen Sanktionen. Ob Musk und das neue Team die wirklich schwierige Aufgabe eines unvoreingenommenen, liberalen, transparenten und dabei konsequenten Managements von Inhalten besser hinbekommen, bleibt offen. Musk selbst zeigte jüngst Grafiken, die einen Rückgang von Hassnachrichten anzeigen sollen.

    Er selbst prahlt auch immer wieder damit, dass die Nutzerzahlen auf Twitter so hoch wie nie seien und stetig anstiegen. Besondern amüsiert ihn dabei, dass die meiste Kritik an ihm und dem neuen Twitter auf Twitter selbst geäußert wird. Für Abgesänge auf Twitter ist es jedenfalls zu früh. Wenn Musk ein attraktives Bezahlmodell installieren, verschreckte Werbekunden beruhigen und die Content-Moderation wuppen kann, dann steht dem weiteren Wachstum und einem Heranführen des Unternehmens an die Gewinnzone nichts im Wege. Denn auch dies vergaß der Beitrag oben zu erwähnen: Twitter schrieb schon vor Musk riesige rote Zahlen: fast eine Milliarde US-Dollar Verlust je Quartal.

    Was Manchem als Ungeschick erscheinen mag, ist Musks gänzlich andere unternehmerische Denke. Die ist hemdsärmelig, sie nimmt weniger persönliche, politische und finanzielle Rücksichten, sie ist von trial and error, von einer Ingenieurswelt bestimmt. Immerhin trägt er selbst das volle Risiko dabei. Tatsächlich ist bislang bis auf ein paar wenige Promis kaum jemand von Twitter verschwunden. Die meisten, die jetzt Mastodon als die vermeintlich bessere Alternative preisen, sind nach wie vor, und stärker auf Twitter aktiv als je zuvor.

    Schließlich, was Trump und die vermeintlichen „Millionen weitere(n) Liter an Lüge und Hass“ angeht: Nach einer Nutzerumfrage mit mehr als 20 Millionen Stimmen, die knapp zugunsten der Wieder-Einrichtung von Trumps Account ausging, hat Twitter ihn tatsächlich wieder freigeschaltet – nicht aber seine umstrittenen Tweets vom 6. Januar. Trump selbst erklärt, auf seiner Plattform truth.social zu bleiben. Falls er zurückkehrt, wird sich zeigen, ob das Kritiker vertreibt oder eher doch in Heerscharen anlockt. Twitter ist tot? Lang lebe Twitter!

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