Leserbrief: „Schaden kann die Homöopathie nicht.“

16. Oktober 2015 von Kommentar per Email

(Der folgende Leserbrief erreichte die Redaktion zum Titelthema „Homöopathie — Heimisch an der Uni“ in Laborjournal 10/2015. Wir veröffentlichen ihn in unserem Blog, um hier anderen Lesern die Möglichkeit zur unmittelbaren Diskussion zu geben.)

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Sehr geehrtes Laborjournal,

nonchalant kanzeln Sie die Homöopathie ab als esoterische Pseudowissenschaft, als Schüttelmagie und was die Herablassung sonst noch hergibt — und zwar immer mit einem Argument: Was wir nicht verstehen, kann nicht funktionieren. Ich kann diesen Unfug nicht mehr hören. Wir verstehen vieles nicht: Das Doppelspalt-Experiment, bei dem Licht offenbar ein paar Nanosekunden in die Zukunft schauen kann; den Urknall, bei dem aus unbekanntem Grund aus einem Zustand hoher Entropie — dem Nichts — ein Zustand maximaler Ordnung erwuchs; die dunkle Materie, die 90 Prozent unseres Universums ausmacht und die niemand je gesehen hat. Tun Sie mir bitte den Gefallen und lassen es bleiben, zu behaupten, es gebe keine nicht-stoffliche Wirkung. Wir wissen das nicht, können es mithin nicht ausschließen.

Ihr zweites Argument ist nun im Gegensatz dazu eines Wissenschaftlers würdig: Es fehlen ausreichende Studien. Soweit ich weiß, gibt es im Veterinärbereich einigermaßen überzeugende Studien — und wenn Sie mich herzlich bitten, will ich das gerne recherchieren. Aber selbst wenn Sie für den Menschen recht haben sollten: Klinische Studien sind enorm teuer. Wer soll die bezahlen?

Sie verlangen eine saubere Arbeitshypothese, ein Wirkungsmodell ? Mit die größten Pharma-Blockbuster sind SSRI (selective serotonin reuptake inhibitors) gegen Depressionen. Unbenommen mildern diese Präparate bei einer Mehrheit der Patienten die Symptome (bei einer nicht geringen Minderheit treten sogenannte paradoxe Reaktionen auf — das heißt, die Depression wird schlimmer). Mediziner konstruieren deshalb ein Depressionsmodell, nach dem es dabei um einen Serotoninmangel geht. Doch der Serotoninspiegel ist bei Depressiven in aller Regel normal. Kopfschmerzen sind meist kein Mangel an Aspirin!

Sie verlangen von der Homöopathie Evidenzbasiertheit? Warum dann nicht auch von derjenigen Hälfte der medizinischen Praxis, die ebenfalls nicht evidenzbasiert ist?

Sie hacken bei jeder sich bietenden Gelegenheit — zu Recht — auf der schwachen wissenschaftlichen Ausbildung der Mediziner mit ihrer „Doktorarbeit“ herum und zitieren im Falle der Homöopathie ausschließlich Mediziner?

Dann die Herabwürdigung der Placebowirkung. Wenn ich eine positive Wirkung erziele — und offenbar ist das bei der Homöopathie der Fall, im Gegensatz zu anderen historischen Quacksalbereien wie Mesmerismus, Zur-Ader-lassen, Elektroschock bei Depression (gibt’s aber nach wie vor bei Psychosen!!) —, dann lasse ich die Methode gelten. Die Homöopathie scheint einer gewissen Grundgesamtheit von Menschen ausreichend zu helfen, ansonsten hätte sie sich nicht über mehr als hundert Jahre gehalten.

Sie kommen mir mit den Kosten? Ein Witz im Verhältnis zu modernen Chemotherapien, die bei fünf- bis sechsstelligen Kosten pro Jahr und Patient und induziert elenderer Lebensqualität die Lebenszeit um ein Weniges verlängern. In dem Punkt werden Sie mir hoffentlich zustimmen: Schaden kann die Homöopathie nicht.

Prof. Dr. Uwe Hobohm
THM — University of Applied Sciences Gießen
Biologie / Bioinformatik

„Bankrotterklärung“ — ein böser Brief an die DFG

5. Oktober 2015 von Laborjournal

Immer wieder müssen wir Laborjournal-Redakteure in älteren E-Mails wühlen. Und ab und zu stoßen wir dabei auf „alte Perlen“, die wir noch gar nicht richtig verwertet haben. So auch heute, als ich im Anhang einer Mail auf einen Brief stieß, in dem ein deutlich verärgerter Forscher die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) scharf für ihre Antrags- und Karrierepolitik kritisierte. Hier anonymisierte Auszüge daraus:

[…] Ich habe es damals als promovierter Wissenschaftler und später als Privatdozent erlebt, wie völlig unverantwortlich die deutsche Wissenschaftslandschaft (einschließlich der DFG) mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern umgeht. Diese wurden bis in ihre späten Dreißiger oder frühen Vierziger mit Stipendien und Drittmittelstellen gefördert, um ihnen dann mitzuteilen, dass leider keine weitere Verwendung für sie besteht (weil es eben nicht annähernd genügend Professoren-Stellen für alle Privatdozenten gibt). 

[…] Als seinerzeit 38-jähriger, der sich um ein Habilitationsstipendium bei der DFG beworben hatte, teilte man mir damals mit (und diese Formulierung muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen) dass: „… die Gutachter den Eindruck gewonnen hätten, dass ich ein erfahrener [XYZ]-Analytiker mit einer ansprechenden Zahl guter Publikationen sei — vielleicht einer der besten [XYZ]-Forscher des Landes….“! Gleichzeitig wurde mir jedoch auf Seite 2 des Schreibens beschieden, „… dass der Hauptgrund für die Ablehnung Ihres Antrages die Sorge der Gutachter war, dass die Habilitation nicht der richtige Berufsweg für Sie sei“ (das Schreiben liegt bei).

Dümmer und zynischer geht’s nimmer, würde ich mal sagen: Diesen Beitrag weiterlesen »