Zum Vermehren bitte zerpflücken lassen

10. Mai 2023 von Laborjournal

Immer wieder zum Staunen, was die Natur mit ihrem „Chef-Gestalter“ Evolution an skurrilen, zugleich aber raffiniert ausgefuchsten Phänomenen hervorbringt. Zum Beispiel die Vermehrung durch Sich-Zerpflücken-Lassen, die israelische Forscher im Rahmen der Symbiose zwischen Boxer-Krabben der Spezies Lybia leptochelis mit Anemonen der Gattung Alicia herausfanden (PeerJ 5: e2954).

 

Boxer-Krabbe hält ihre Lieblings-Anemone in beiden Scheren

 

Skurril genug ist ja schon, dass die Boxer-Krabben zeitlebens und obligat je eine der besagten Anemonen in beiden Scheren halten. Was haben die beiden davon? Die Anemonen helfen den Krabben bei Feindabwehr und Nahrungsaufnahme, bekommen dafür aber nur einen begrenzten Return: Zwar nutzen sie mit den Krabben ein Transportvehikel, das sie zu ansonsten unerreichbaren Futterquellen bringt – aber wenn sie dann mal futtern, wacht die Krabbe streng über die Menge der Nahrungszufuhr, damit die Anemonen sie am Ende nicht vollends überwuchern.

Doch das war es nicht, was die Israelis vor allem interessierte. Vielmehr entfernten sie die Anemone aus einer Schere – und schauten, was Lybia machte: Umgehend zerteilte diese die verbliebene Anemone, und bald darauf hatten sich in beiden Scheren wieder „vollständige“ Individuen regeneriert. Prinzipiell das Gleiche geschah, wenn die Israelis einer Krabbe beide Anemonen klauten: Diese entriss daraufhin einem Artgenossen eine Anemone, oder wenigstens ein Fragment davon – und am Ende hatten beide wieder komplett regenerierte Anemonen in jeder Schere.

Die starke genetische Homogenität innerhalb der Alicia-Anemonen brachte die Israelis am Ende zu dem Schluss, dass sie sich überhaupt nur durch dieses „Zerpflückt werden“ vermehren. Woraufhin sie verkündeten, dass dies wohl das erste Beispiel überhaupt sei, wonach eine Spezies die asexuelle Vermehrung einer anderen induziere.

Wie gesagt, immer wieder erstaunlich, welche Phänomene und Strategien die Evolution in Einzelfällen stabil etabliert.

Ralf Neumann

(Foto: DOI 10.7717/peerj.2954/fig-1)