Sie sind lecker!

26. April 2023 von Laborjournal

Es wimmelt auf Ihnen! Da können Sie sich noch so viel schrubben, fünfmal am Tag duschen und regelmäßig Ihre Hände desinfizieren. Reinlichkeit ist und bleibt nicht Ihre größte Tugend. Selbst bei penibler Körperpflege bevölkern beinahe genauso viele Mikroorganismen Ihre Oberfläche wie Sie selbst aus Körperzellen aufgebaut sind – also mehr als 30 Billionen (Cell. doi.org/gg9z6d). Da Ihre Mitbewohner zwar klein, aber viele sind, machen sie einige Hundert Gramm Ihrer Lebendmasse aus. Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, sind die perfekte Petrischale!

Besonders einladend wirken Sie auf Bakterien und Pilze, aber auch für Archaeen sind Sie äußerst attraktiv. An talgigen Stellen Ihrer Haut errichtet vor allem das lipophile Propionibacterium sein Zuhause. Bakterien, die es feucht mögen, wie etwa Staphylococcus und Corynebacterium, bevorzugen dagegen Ihre Ellenbogenbeugen und Füße. An erstgenannter Stelle konkurrieren sie dabei mit Hefepilzen der Gattung Malassezia. Ihre Füße sind ebenfalls ein Paradies für Aspergillus, Cryptococcus und Rhodotorula (Nat Rev Microbiol. doi.org/gct5jx).   

Die Frage ist natürlich: Wo kommen all die Untermieter her? Tatsächlich hängt das davon ab, wie Sie geboren wurden (Nature. doi.org/dbqc): Blicken Sie auf einen Kaiserschnitt zurück, wurden Sie direkt nach Ihrer Geburt von den Haut- und Darmbakterien Ihrer Mutter kolonialisiert. Kamen Sie hingegen auf natürlichem Wege zu uns, bestand Ihre erste weltliche Erfahrung aus einem Vollbad in den Vaginalmikroben Ihrer Mutter (PNAS. doi.org/bh84jb). Aus Sicht Ihres Immunsystems ist Letzteres besser: Denn diese Mikroflora-Taufe lässt Sie später weniger wahrscheinlich Allergien und Asthma entwickeln (Clin Exp Allergy. doi.org/dtfrpp).

Neben Pilzen und Bakterien wetzen bei Ihrem Anblick auch eine Vielzahl von Arthropoden ihre Mandibeln und Cheliceren. So laben sich jede Nacht mehrere Zehntausend Hausstaubmilben aus Bettwäsche und Matratze an Ihnen. Die Spinnentiere haben es auf die 1,5 Gramm abgestorbener Hautzellen abgesehen, die Sie täglich abstoßen. Fun-Fact anbei: Jedes Gramm Hausstaub enthält 250.000 Kotkügelchen Ihrer Milben-Mitbewohner (Nature. doi.org/c9gdwb). In was lümmeln Sie sich da also, wenn Sie sich in Ihr Bett kuscheln?

Inwieweit Sie darüber hinaus Bettwanzen, Flöhe, Krätzmilben sowie Kopf- und Kleiderläuse mit Ihrem Blut beziehungsweise Ihrer Zell- und Lymphflüssigkeit ernähren, hängt ganz von Ihrer Aufmerksamkeit ab. Als einladendes Futterreservoir, das Sie nun mal sind, können Ihre persönlichen Mitbewohner-Kolonien von wenigen bis Tausenden Individuen reichen.

Richtig fies wird’s natürlich, sobald auch Ihre inneren Oberflächen zum Weidegrund werden. Parasitäre Helminthen wie Band- und Spulwürmer können in Ihrem Darm mehrere Meter lang werden und Ihnen halbverdaute Nährstoffe wegschnappen. Ihr damit einhergehender Gewichtsverlust freut Sie vielleicht. Sobald die Eier oder Larven der Endoparasiten aber Ihren Darm durchdringen und sich an Ihrer Leber, Ihrer Lunge oder Ihrem Gehirn laben, lassen Sie Übelkeit, Erbrechen, Atemnot, Krampfanfälle oder Kopfschmerzen Ihre Zuneigung gegenüber Ihrem intestinalen Haustier sicher überdenken.

Kurzum, liebe Leserin oder lieber Leser, Sie sind einfach nur lecker! Und wenn es Sie nach dieser Lektüre irgendwo krabbelt oder juckt, sehen Sie es positiv: Selbst an schlechten Tagen sind sie niemals wirklich alleine!

Henrik Müller

(Illustr.: Human Microbiome Project)

 

(Der Text erschien in leicht anderer Form als Editorial unseres letzten Laborjournal-NEWSLETTERS. Wer den NEWSLETTER samt solcher Editorials regelmäßig alle zwei Wochen per E-Mail zugeschickt bekommen möchte, klicke sich bitte hier entlang!)

 

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