Digitaler Paper-Schwund

20. März 2024 von Laborjournal

 

„Open is not forever: A study of vanished open access journals“ titelte vor gut zwei Jahren ein finnisch-deutsches Trio seine Studie über das Verschwinden digital publizierter Forschungsartikel aus dem Internet (J. Assoc. Inf. Sci. Technol. 72, 1115-16). Der Übergang zum digitalen Publizieren und insbesondere die Einführung des offenen Zugangs (Open Access) habe zu Unsicherheit und Komplexität geführt, schreiben sie im Abstract. Insbesondere sei die langfristige Zugänglichkeit von Zeitschriften nicht immer gewährleistet, sodass sie bisweilen sogar ganz aus dem Netz verschwinden können.

Als Ergebnis ihrer Analyse hielten die Drei schließlich fest:

Wir haben 174 Open-Access-Zeitschriften gefunden, die mangels umfassender und offener Archive zwischen 2000 und 2019 aus dem Netz verschwunden sind. Alle wichtigen Forschungsdisziplinen und geografischen Regionen der Welt waren abgedeckt. Unsere Ergebnisse geben daher Anlass zu großer Sorge um die Integrität der wissenschaftlichen Aufzeichnungen. Sie unterstreichen die Dringlichkeit, gemeinsame Maßnahmen zu ergreifen, um einen kontinuierlichen Zugang zu gewährleisten und den Verlust von mehr wissenschaftlichem Wissen zu verhindern.

Offenbar sahen die Autoren damals jedoch nur die berühmte Spitze des Eisbergs. Denn was der Londoner Martin Paul Eve jetzt unter dem Titel “Digital Scholarly Journals Are Poorly Preserved: A Study of 7 Million Articles” zum Thema nachlegt, dürfte die geäußerten Sorgen nochmals vergrößern (Journal of Librarianship and Scholarly Communication 12(1). doi: https://doi.org/10.31274/jlsc.16288). Eve hatte überprüft, ob 7.438.037 mit digitalen Objektkennungen (DOI) versehene Forschungsartikel in den einschlägigen Online-Archiven vorhanden sind (institutionelle Repositorien waren nicht berücksichtigt). Sage und schreibe 2.056.492 Artikel waren trotz aktiver DOI darin nicht mehr auffindbar – also rund 28 Prozent. 

Die gängige Annahme, dass ein digitaler Artikel alleine durch seine DOI zuverlässig erhalten bleibt, ist demnach offensichtlich falsch. Und der Anteil an Artikeln, die auf diese Weise sang- und klanglos wieder aus dem Scientific Record verschwinden, liegt wohl deutlich höher als vermutet.

Hauptgrund ist offenbar, dass vor allem kleine Verlage sich immer wieder übernehmen. In Nature wies etwa Kate Wittenberg vom digitalen Archivierungsdienste Portico explizit auf dieses Risiko hin: „Es kostet Geld, Inhalte zu bewahren“, betonte sie – und verdeutlichte, dass die Archivierung bestimmte Infrastruktur, Technologie und Fachwissen erfordert, zu denen viele kleinere Organisationen keinen Zugang haben.

Und gar nicht mal selten verschwinden Zeitschriften – wie die erste oben zitierte Studie festhielt – irgendwann auch ganz von der Bildfläche. Bereits vor elf Jahren skizzierten wir dieses Szenario an dieser Stelle unter dem Titel „Plötzlich ist das Paper weg“. Damals zogen wir folgende „Moral aus der G’schicht“:

Schaut bei jedem Open-Access-Publisher, wie er es mit digitalem Erhalt und der Archivierung der Artikel hält. „Digital Preservation“ heißt das Schlagwort — und was dahinter steckt, ist offenbar keineswegs trivial. So wenig trivial, dass sogar große Open-Access-Publisher dies nicht mehr „inhouse“ schaffen.

Doch wenn das Kind schon im Brunnen liegt, wenn der eigene digitale Artikel zusammen mit dem ganzen Journal eingestampft wurde – was kann man dann tun? Dazu schrieben wir damals:

Was kann man generell tun, wenn ein Open-Access-Online-Only-Publisher einfach aus dem operativen Geschäft verschwindet? Wäre es korrekt und vertretbar, das Paper woanders nochmals neu einzureichen?

Sollte eigentlich okay sein, oder? Schließlich sind die betroffenen Artikel samt Resultaten ja im wahrsten Sinne des Wortes aus dem „Scientific Record“ entfernt. Man sollte allerdings dazuschreiben, dass die entsprechenden Paper bereits zuvor in einem verschollenen Journal veröffentlicht waren – und jetzt nur zum Zwecke der Wiederherstellung des „Scientific Record“ nachpubliziert würden. Zudem sollten sie die alte Referenz in ihrer Publikationsliste streichen und gegen die neue austauschen.

Und wir schlossen damals:

Wollen wir dennoch hoffen, dass solche Fälle nur seltene Ausnahmen bleiben.

Das scheint nun, elf Jahre später, offenbar leider nicht der Fall.

Ralf Neumann

(Illustration KI-kreiert mit Adobe Firefly)

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Ein Gedanke zu „Digitaler Paper-Schwund“

  1. Das ist der Grund, warum wir empfehlen, auch Open-Access-Artikel in institutionellen Repositorien zweitzuveröffentlichen (was aufgrund der freien Lizenz ja rechtlich problemlos möglich ist).

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