Es werde Licht!

11. Januar 2023 von Laborjournal

Sie bringen Licht in die Dunkelheit! Ja, Sie! Vor allem durch Ihr wissenschaftliches Talent, Forschungsfragen zu beleuchten – aber auch dadurch, dass Sie einfach nur Sie sind. Bereits damit emittieren Sie nämlich Licht im grün-gelb-roten Spektralbereich zwischen 520 und 670 Nanometern Wellenlänge, und zwar bevorzugt gegen 16 Uhr. Denn tatsächlich glitzern Sie im Rhythmus Ihrer inneren Uhr. Während Sie morgens nur glimmen, entfachen Redoxreaktionen zellulärer Atmungsketten Ihr inneres Feuer vor allem nachmittags.

Ihr Stoffwechsel glüht dann vor lauter Sauerstoffradikalen, die Tyrosine und Tryptophane in Proteinen, Carbonylgruppen in Lipiden, vor allem aber Melanin-Fluorophore in Ihrer Haut zur Emission von Biophotonen anregen (PLoS One. doi.org/cs8j2r). Komplimentiert also mal wieder jemand Ihre Ausstrahlung, dann stimmen Sie ihm oder ihr mit Fug und Recht zu. Schüchternheit wäre hier fehl am Platz. Die Biowissenschaft ist auf Ihrer Seite.

 

Höhepunkt schöpferischer Biolumineszenz-Finesse: Malacosteus niger

 

Allerdings: Mehr als ein paar Tausend Biophotonen pro Sekunde und Quadratzentimeter Haut schaffen Sie nicht. Ihre persönliche Aura ist eintausend Mal schwächer, als Ihr Auge empfindlich ist. Ohne hochsensitive CCD-Kamera merken Sie nichts davon. Entsprechend verzichten Sie vielleicht besser darauf, mit Ihrer Ausstrahlung anzugeben, denn andere Spezies spielen Biolumineszenz-technisch in einer weitaus höheren Liga. 

So leuchten beispielsweise bereits Dinoflagellaten, also einzellige Eukaryoten im Plankton, mit ihren Scintillions genannten Organellen ganze Meeresströmungen aus. Schon ein einzelner Einzeller emittiert während einer Nacht bis zu vier Milliarden Photonen (Int J Mol Sci., doi.org/jrwb). Leuchtkäfer wiederum finden ihre Paarungspartner über Lichtsignale. Versuchen Sie mal, das nachzumachen! Und Feuerquallen über Leuchtgarnelen bis hin zu Vampir-Tintenfischen stellen in spezialisierten Leuchtorganen sogar Millionen symbiotischer Leuchtbakterien an, mit denen sie ihre Unterwasserwelt illuminieren. Allen biolumineszenten Systemen, egal ob auf Land oder im Wasser, ist übrigens ihr Mechanismus gemein: Instabile Zwischenzustände von Luciferinen setzen Bindungsenergie als Lichtquanten frei, nachdem sie von Luciferasen oxidiert oder von Photoproteinen wie Aequorin, Obelin oder Symplectin gebunden wurden.

Den Höhepunkt schöpferischer Biolumineszenz-Finesse stellen wahrscheinlich Barten-Drachenfische der Gattung Malacosteus dar. Mit ihren schwarzen Schuppen, extrem vergrößerten Kiefern und einem vor hässlich großen Fangzähnen starrenden Maul, das sich bis weit hinter ihre Augen erstreckt, gewinnen diese unterarmlangen Raubfische zwar keine aquatischen Schönheitswettbewerbe. Doch wen interessieren schon Äußerlichkeiten – vor allem in der totalen Finsternis von bis zu vier Kilometern Tiefe? Dort unten zählen andere Qualitäten. So gehen die drei bekannten Malacosteus-Arten nicht etwa auf die Jagd, indem sie ihre Beute – also andere Fische, Krebstiere und Kopffüßer –mit über ihren Köpfen baumelnden Leuchtködern anlocken. Das tun nur Tiefsee-Anglerfische. Den Malacosteus‑Arten mangelt es dafür an Geduld. Lieber setzen sie auf ihr Verständnis des elektromagnetischen Spektrums:

In Hunderten Metern Tiefe bleibt von den Farben des Regenbogens nur kurzwelliges Blau übrig. Andere Farben existieren nicht länger, da höherliegende Wasserschichten den langwelligen Spektralbereich absorbieren. Entsprechend sind Tiefseebewohner ausnahmslos rot-blind. Was nutzt es schließlich, Rot in einer Welt aus Blautönen sehen zu können?

Nichts – es sei denn, man heißt Malacosteus. Denn unterhalb von Augen mit Sehpigmenten für den roten Spektralbereich sitzt bei den Raubfischen ein tränenförmiges Biolumineszenz-Organ, das Rotlicht emittiert. Wie mit einem Scheinwerfer suchen die Raubfische mit ihm nach Beute, die ihrerseits gar nicht merkt, wie ihr Kaloriengehalt gerade in für sie unsichtbarem Rampenlicht evaluiert wird. Wenn das kein evolutiver Vorteil und Stoff für Albträume ist!?

Kurzum: Welchem Licht Sie im neuen Jahr auch immer folgen, blicken Sie ab und an auch mal ins Dunkel. Es könnte sich lohnen.

Henrik Müller

(Foto: ESRI, Dr. Beinart, Tracey T. Sutton; CC BY-SA 4.0)

 

(Der Text erschien in leicht anderer Form als Editorial unseres letzten Laborjournal-NEWSLETTERS. Wer den NEWSLETTER samt solcher Editorials regelmäßig alle zwei Wochen per E-Mail zugeschickt bekommen möchte, klicke sich bitte hier entlang!)

 

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