Unangemessene Kosten
Im Juni 2022 hatten die Editoren von NeuroImage Elsevier erstmalig angeschrieben. „Über Monate versuchten wir, das Verlagshaus zu überzeugen, die APCs nicht weiter zu erhöhen, sondern zu halbieren. Ansonsten können Zeitschriften wie NeuroImage auf Dauer keinen Erfolg haben, da sich Forscher zunehmend gegen unangemessene Kosten für Veröffentlichung und Zugang wehren.“
Doch vergeblich: Elsevier lehnte eine Reduzierung der Artikelgebühren kategorisch ab. Schließlich „gibt der Markt die derzeitigen APCs her und Autoren sind bereit, diese Gebühren zu zahlen“, fasst Bergmann Elseviers Argumentation zusammen. Als Konsequenz wiesen die Editoren den Wissenschaftsverlag im März 2023 darauf hin, aus ethischen Gründen zurücktreten und eine eigene Zeitschrift gründen zu müssen. Erneut war Elsevier nicht zur Diskussion bereit.
Beim niederländischen Wissenschaftsverlag und weltweiten Marktführer Elsevier klingt das anders. Sein Vizepräsident für Globale Kommunikation Andrew Davies schrieb Laborjournal: „We are disappointed with the decision of the NeuroImage Editorial Board to step down from their roles, especially as we have been engaging constructively with them over the last couple of years […]“.
Neues Journal, neues Glück?
Schon zuvor waren Editorial Boards infolge von Kontroversen um das Geschäftsgebaren von Wissenschaftsverlagen zurückgetreten. So legte beispielsweise 2019 die Redaktion von Elseviers Journal of Informetrics einstimmig ihr Amt nieder und gründete die Fachzeitschrift Quantitative Science Studies. Ihre Begründung: Fachzeitschriften dürfen nicht länger im Besitz kommerzieller Verlage sein. Zeitschriften und Zitationsdaten müssen frei zugänglich sein. Das neu gegründete Journal hinkt Elseviers Zeitschrift in der Anzahl veröffentlichter Artikel und der Güte bibliometrischer Indikatoren noch ganz knapp hinterher. Dafür veranschlagt es nur eine APC von 1.090 Euro – zwei Drittel weniger im Vergleich zu Elseviers 3.610 Euro.
Im Jahr 2015 trat das 37-köpfige Redaktionsteam von Elseviers Linguistikjournal Lingua zurück, um gegen die Geschäftspraktiken des Verlags zu protestieren. Während die Editoren eine neue OA-Fachzeitschrift namens Glossa gründeten, führte Elsevier Lingua unter neuer Leitung fort. Sowohl in der Anzahl veröffentlichter Manuskripte als auch hinsichtlich von Zitationsmetriken sind beide Journale mittlerweile gleichwertig. Lingua verlangt eine APC von 2.640 Euro; Glossa veranschlagt 500 Euro.
Präzedenzfall Biomedizin
Diesem Schema aus Rücktritt, Neugründung eines gemeinnützigen OA-Journals und Kostenverringerung folgen auch Bergmann und seine Redaktionskollegen. Mit der Fachzeitschrift Imaging Neuroscience ist es ihr erklärtes Ziel, NeuroImage als führendes Journal in den bildgebenden Neurowissenschaften abzulösen.
In Kooperation mit dem US-Universitätsverlag MIT Press ist nun zunächst eine APC von 1.600 US-Dollar vereinbart worden – also weniger als die Hälfte der APC von NeuroImage. Mithilfe von Sponsoren hoffen die Editoren, die APC von Imaging Neuroscience zukünftig unter 1.000 US-Dollar drücken zu können. „Inwieweit wir Gutachtertätigkeit vergüten können, müssen wir in ein paar Jahren sehen“, ergänzt Bergmann. Denn vorerst sieht sich das neue alte Redaktionsteam keiner leichten Aufgabe gegenüber. „Hinsichtlich von Zitationsmetriken fangen wir bei null an und müssen einerseits die Qualität und Leistung eines kommerziellen Verlags gewährleisten und uns andererseits gegen die etablierten Journale der Verlagsbranche durchsetzen“, ist sich Bergmann bewusst. Nicht selten misslingt das.
Eintausend Gutachter
Und NeuroImage? Elsevier stellt die Fachzeitschrift unterdessen auf ein Hybridmodell um, bei dem ein internes Redaktionsteam Manuskripte bewertet. Laut Bergmann bleibt dem Verlagshaus auch nichts anderes übrig: „Die wissenschaftliche Community steht hinter unserer Entscheidung. Wir haben ausschließlich positives Feedback erhalten. NeuroImage ist nicht länger in der Forschungsgemeinde verankert. Für Imaging Neuroscience haben sich dagegen bereits über eintausend Wissenschaftler als Gutachter registriert.“ Elseviers Kommunikationsmanager Davies sieht das anders: „We do not anticipate any major impact.“
Doch Bergmanns Hoffnungen hegten schon andere vor ihm. Als das Editorial Board von Elseviers Mathematik-Journal Topology 2006 zurücktrat, schrieb die American Mathematical Society: „The resignation of the Topology board could have a big impact if it were to set off a wave of resignations of boards of other commercially published journals.” Eine solche Welle an Rücktritten erwartet Bergmann nicht. „Andere Journale und Verlage beobachten natürlich genau, ob unser Geschäftsmodell bei einem nicht-kommerziellen Verlag funktioniert. Nur wenn wir erfolgreich und nachhaltig sind, finden wir Nachahmer“, ist er sich sicher. Oder einen Schritt weiter gedacht: Was genau soll es eigentlich so unmöglich machen, dass deutsche Universitäten ähnlich der MIT Press oder der Oxford University Press Publikationsbelange in die eigenen Hände nehmen?
Henrik Müller
Dieser hier gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 6/2023.
Bild: brainwashed 4 you/Adobe Stock
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