Editorial

Was nie ein Mensch zuvor gesehen hat

Text und Interview: Andrea Pitzschke


(14.06.2023) GÖTTINGEN/HEIDELBERG: Den Entwicklern der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie verlieh die Königliche Schwedische Akademie den Nobelpreis für Chemie 2014. Mit MINFLUX verbesserte Preisträger Stefan Hell deren Auflösungskraft seitdem um eine weitere Größenordnung. Selbst Konformationsänderungen einzelner Proteine lassen sich nunmehr nanometergenau auf der Millisekunden-Skala verfolgen. Im Interview erklärt der Biophysiker, wie.

Haben Sie Proteinen schon einmal bei der Arbeit zugeschaut? Nein, nicht etwa photometrisch in einem enzymatischen Assay, sondern in echt? Weder ein herkömmliches noch ein konfokales Mikroskop wird dafür genügen. Denn aufgrund der Beugung von Licht hat das Auflösungsvermögen normaler Lichtmikroskope physikalisch vorgegebene Grenzen von 200 bis 300 Nanometern. Die Größe von Proteinen liegt jedoch im unteren Nanometerbereich. Das grün fluoreszierende Protein (GFP) mit seinen 238 Aminosäuren und 28 Kilodalton beispielsweise misst nur 4,2 Nanometer mal 2,4 Nanometer.

Liegen mehrere Moleküle darüber hinaus beisammen, verschwimmen ihre Konturen. Sie dann inmitten uninteressanter Moleküle sichtbar zu machen, ist der wesentliche Vorteil von Fluoreszenzmikroskopie. Doch erneut ist die Aussagekraft begrenzt: Auf kleinem Raum, etwa innerhalb des Zellkerns, erscheinen auch Fluorophor-markierte Moleküle nur als leuchtende Wolke. Diese verrät zwar, was das Lieblingsorganell eines Moleküls ist, doch ob es sich rege bewegt, mit anderen Zellkomponenten interagiert oder nur faul herumliegt, bleibt unbekannt.

Vergleich von Bildern konfoklaer Fluoreszenzmikroskopie
Der Vergleich von konfokaler Fluoreszenzmikroskopie (links) mit STED (Mitte) und MINFLUX (rechts) zeigt eindrucksvoll, welche Auflösungs-Durchbrüche die Arbeitsgruppe von Stefan Hell in den letzten zehn Jahren erzielt hat. Gegenwärtig liegt die Detailschärfe im Bereich weniger Nanometer. Abb.: AG Hell/GPI-NAT

Die Entwicklung der Stimulated Emission Depletion (STED)-Mikroskopie durch die Arbeitsgruppe des Göttinger Physikers Stefan Hell um das Jahr 2000 änderte das. STED läutete die Ära der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie ein, zu der auch das ein paar Jahre später beschriebene und unter den Bezeichnungen Photoactivated Localization Microscopy (PALM) beziehungsweise Stochastic Optical Reconstruction Microscopy (STORM) bekannte Verfahren zählen. Da STED und PALM/STORM mit ihrer Auflösung von 20 bis 30 Nanometern die sichtbare Detailtreue um den Faktor zehn verbesserten, wurden ihre Entwickler mit dem Chemienobelpreis 2014 gewürdigt.

Beiden Techniken liegt zugrunde, dass Fluoreszenzsignale gezielt an- und abgeschaltet werden können. PALM/STORM sammelt dafür die Signale einzelner Fluorophore und konstruiert daraus ein Mikroskopiebild. STED unterbindet hingegen das Leuchten fluoreszenzfähiger Moleküle abseits eines fokussierten Mittelpunkts, indem ein ringförmiger Laserstrahl um den Mittelpunkt herum intensives Licht einer energieärmeren Wellenlänge einstrahlt. Sowohl STED als auch PALM/STORM sind darauf angewiesen, möglichst viele Photonen von Fluorophoren einzusammeln. Währenddessen vergeht Zeit, in der sich Moleküle bewegen und Fluorophore irreversibel ausbleichen können.

Superauflösung 2.0

Seinen Trick mit dem ringförmigen „Donut“-Laserstrahl entwickelte Stefan Hell natürlich weiter und stellte mit seiner Arbeitsgruppe im Jahr 2017 schließlich Minimal Photon Fluxes (MINFLUX) vor (Science. doi.org/f9kgvq). Auch MINFLUX lokalisiert Fluorophor-markierte Moleküle. Erneut rastert ein „Donut“-Laser dafür eine flächige Probe ab, sucht diesmal aber nach möglichst schwachen Fluoreszenzsignalen. Aus den Fluoreszenzdaten erkennt das MINFLUX-System iterativ, in welcher Richtung und mit welcher Schrittgröße sich das Anregungsminimum des Lasers weiter an ein fluoreszierendes Molekül herantasten muss, bis es schließlich ein minimales Fluoreszenzsignal – im besten Fall das Hintergrundniveau – detektiert. Denn dann fällt das zentrale Anregungsminimum des „Donut“-Lasers punktgenau mit dem Fluorophor zusammen. Aus der bekannten Position des Lasers lässt sich auf die Position des Fluoreszenzmoleküls rückschließen.

Der Vorteil ist klar: Während PALM/STORM nach Signalmaxima sucht, schont MINFLUX Fluorophore. Photobleichung ist kein Thema mehr. Im Vergleich zu PALM/STORM reichen für die gleiche Lokalisationsgenauigkeit hundertmal weniger Photonen aus. Ist die Position eine Fluorophors bereits nanometergenau bekannt, kommt MINFLUX sogar mit 20 bis 40 Photonen aus, um jede weitere Positionsveränderung auf den Nanometer genau zu detektieren. Das macht ein Einzelmolekül-Tracking nicht nur hundertmal schneller als bisher, sondern verringert das Auflösungslimit nochmals um einen Faktor zehn auf die molekulare Skala von ein bis drei Nanometern.

Kein Ende in Sicht

Natürlich war die Gruppe von Stefan Hell, der als Direktor an den beiden Max-Planck-Instituten für multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen und für medizinische Forschung in Heidelberg tätig ist, auch seit 2017 nicht untätig. Ihre aktuelle MINFLUX-Variante (Science. doi.org/j95s) verwendet anstelle des „Donut-Lasers“ drei orthogonale Strahlenpaare, die Proben entlang aller drei Raumrichtungen in immer feiner werdenden Schritten abtasten. Ein Blick unter ihre Motorhaube: Mithilfe von Phasen- und Amplitudenmodulatoren wird ein 640-Nanometer-Laserstrahl so geformt, dass ein Strahlenpaar mit einer definierten Phasendifferenz entsteht. Deren destruktive Interferenz erzeugt ein Intensitätsmuster mit einem nicht Donut-, sondern linienförmigen Minimum in der Brennebene. Zwei solcher Strahlenpaare decken die x- und die y-Richtung ab. Für 3D-Aufnahmen kommt noch ein Strahlenpaar in z-Richtung hinzu. Durch Änderung der Phasendifferenzen können alle Anregungsminima mit einer Genauigkeit im Ångström-Bereich verschoben werden.

Was macht linienförmige Anregungsminima gegenüber dem „Donut“-Laser überlegen? Die Genauigkeit, mit der MINFLUX eine Struktur lokalisieren kann, wird durch die Steilheit des Intensitätsübergangs an der Grenze von fluoreszierendem Molekül und Hintergrundrauschen bestimmt. Ist diese Grenze abrupt und dazu die Hintergrundintensität niedrig, ist der Übergang steil. Und eben das ist der Vorteil des aktuellen MINFLUX-Mikroskops: Seine linienförmigen Anregungsminima liefern von Haus aus eine höhere Steilheit im Vergleich zu Donut-basierten Systemen. Dadurch ist der nichtangeregte Mittelpunkt des Lasers präziser definiert und Fluorophore können schärfer unterschieden und lokalisiert werden.

Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell
Stefan Hell: Chemienobelpreisträger 2014, Erfinder von STED und MINFLUX, Direktor am MPI für multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen (MPI-NAT) und am MPI für medizinische Forschung in Heidelberg (MPImF). Abb.: AG Hell/MPI-NAT

Das Ganze funktioniert sogar, wenn die scannenden Laser einem beweglichen Fluoreszenzmolekül hinterherlaufen. Entsprechend eignet sich MINFLUX zur reinen Lokalisierung eines Moleküls ebenso wie zum Molekül-Tracking. Hell ergänzt: „Der Imaging-Modus verwendet aktivierbare Farbstoffe und liefert schärfere Bilder als PALM/STORM oder STED. Dafür können beim Molekül-Tracking nichtschaltbare Fluorophore verwendet werden, die mehr Photonen abgeben“.

Gamechanger

Den erneuten Auflösungsgewinn tut Stefan Hell indes lapidar ab: „Ja, unser interferometrisches MINFLUX bringt im Vergleich zum 2017er-Gerät nochmal eine etwa 30-prozentige Verbesserung“. Der wesentliche Punkt ihrer aktuellen Publikation bestünde aber darin, der Wissenschaftsgemeinde das Anwendungspotenzial von MINFLUX zu demonstrieren. Hell sagt: „Die Detailliertheit der Mikroskopiebilder ist einzigartig. Ein Gamechanger! Erstmalig lassen sich sogar Konformationsänderungen von Proteinen beobachten“. Hells Worte schwingen vor Begeisterung. Die Wahl eines geeigneten Demo-Objekts schien beinahe Nebensache. „Lass uns das Verfahren auf irgendwas anwenden“, sagte er seinen Leuten in der Arbeitsgruppe. Am Ende fiel die Wahl auf das Motorprotein Kinesin-1, das für die Bewegung von Organellen, Vesikeln und anderen Zellbestandteilen entlang von Mikrotubuli im Zellinneren verantwortlich ist. Kinesin-1 liegt als Dimer vor. Jedes Monomer umfasst eine Kopfregion, die Mikrotubuli bindet und eine katalytische Domäne enthält, sowie einen langen Stiel und einen Schwanzteil, der mit der zu transportierenden Fracht interagiert. Durch Hydrolyse von ATP verändert sich die Konformation der Kopf- und Halsbereiche und das Motorprotein tätigt einen acht Nanometer langen Schritt.

Die Publikation der Hell-Gruppe (Science. doi.org/j95s) erschien zeitgleich mit einem Artikel der Arbeitsgruppe von Jonas Ries vom EMBL in Heidelberg, die die Kinesin-1-Bewegung ebenfalls mit MINFLUX untersuchte (Science. doi.org/kbgn). „Das hat sich rein zufällig so ergeben, obwohl beide Gruppen in Heidelberg ansässig sind“, erinnert sich Hell. „Wir haben die thematische Überlappung erst gemerkt, als die Arbeit schon weit fortgeschritten war und uns entschieden, die Manuskripte am selben Tag beim selben Journal einzureichen. Die konkreten Inhalte haben wir gegenseitig nicht voneinander gekannt, aber wir haben ein gutes Verhältnis, auch wenn es keine Kooperation war.“ Während Hells Gruppe am Heidelberger MPI die Bewegung des Motorproteins in vitro mithilfe ihres interferometrischen MINFLUX und etablierten Fluoreszenzfarbstoffen untersuchte, arbeitete Ries‘ Gruppe am EMBL mit Lebendzellen, dem „Donut“-Laser-MINFLUX und einem weiterentwickelten Fluorophor. Die Ergebnisse beider Projekte bestätigen sich gegenseitig.

Neue Maßstäbe

Was genau umfasste Hells Projekt? Die Experimentatoren um die Erstautoren Jan Otto Wolff und Lukas Scheiderer markierten unterschiedliche Aminosäurereste von Kinesin-1 per Maleimid-Kopplung mit dem rot emittierenden Fluoreszenzfarbstoff Atto647N. Da der Fluorophor über Cysteinreste bindet, von denen Kinesin-1 fast ein Dutzend besitzt, war es nötig, diese zu mutieren beziehungsweise künstliche Cysteinreste an ausgewählten Positionen einzubringen. Fluoreszenz-markiertes Kinesin-1 gaben die Heidelberger schließlich zu Mikrotubuli, die sie auf Deckgläschen immobilisiert hatten. Wie erwartet bewegte sich Kinesin-1 in Gegenwart von ATP mit acht Nanometer langen Schritten vorwärts. Das war wenig überraschend.

Kinesin-1 transportiert Vesikel und Zellorganellen entlang von Mikrotubuli-Filamenten
Demonstrationsobjekt und eigentlicher Held der Show: Kinesin-1 transportiert Vesikel und Zellorganellen entlang von Mikrotubuli-Filamenten. Mithilfe von MINFLUX entschlüsselten die Labore von Stefan Hell und Jonas Ries die genaue Arbeitsweise des Motorproteins erstmals unter physiologischen ATP-Konzentrationen sowohl in vitro (Science. doi.org/j95s) als auch in lebenden Neuronen und Krebszellen (Science. doi.org/kbgn). Illustr.: J. Liebler/The Inner Life of the Cell

Außergewöhnlich an den Experimenten der Heidelberger ist, dass MINFLUX erstmals Beobachtungen unter physiologischen ATP-Konzentrationen im Bereich von einem Millimolar ermöglichte. Denn bislang musste das Nucleotid stark verdünnt werden, um das Lauftempo von Motorproteinen durch Energiemangel zu drosseln und überhaupt etwas beobachten zu können. Da MINFLUX aber so wenige Photonen benötigt, kann es auch schnelle Bewegungen aufzeichnen. Damit liegt der neue Rekord räumlich-zeitlicher Auflösung bei 1,7 Nanometern pro Millisekunde. „Das ist 50- bis100-mal schneller, als es bisher möglich war“, jubelt Hell.

Schema der fluoreszenzmikroskopischen Schrittweitenmessung von Kinesin-1
Die scheinbare Schrittweite von Kinesin-1 beträgt acht Nanometer, wenn die Fluoreszenz-Markierung an der C-terminalen Schwanzdomäne angebracht ist, und 16 Nanometer, wenn sie an einer N-terminalen Motordomäne hängt. Illustr.: AG Ries

Abgesehen von Geschwindigkeitsrekorden beantworteten die Experimente auch die seit langem offene Frage, wann das Motorprotein ATP bindet und hydrolysiert. In seinem 1HB-Zustand ist Kinesin-1 nur mit seinem führenden Kopf an Mikrotubuli gebunden. Im 2HB-Zustand wechselwirken die Köpfe beider Dimere mit ihren jeweiligen Mikrotubuli-Bindungsstellen. Mithilfe eines langsam hydrolysierbaren ATP-Analogs (ATPγS) erreichte Hells Arbeitsgruppe einen 36-fachen Zeitlupeneffekt und erkannte: ATP bindet im 1HB-Zustand, wenn sich der ungebundene Kopf zwischen der vorherigen und der nächsten Bindungsstelle befindet. Die ATP-Hydrolyse findet erst statt, nachdem sich der ungebundene Kopf zu seiner nächsten Bindungsstelle bewegt hat.

Kommerzielle MINFLUX-Geräte sind neben dem EMBL auch an Forschungsinstituten in Jena, Shanghai und Peking im Einsatz. In den US-amerikanischen National Institute of Health (NIH) stehen sogar zwei Geräte. „Die Publikationszahlen schnellen in die Höhe. MINFLUX ist eines der heißesten Mikroskopie-Verfahren derzeit“, erklärt Stefan Hell mit einem Augenzwinkern. Und auch über weitere Details gab er Laborjournal bereitwillig Auskunft.

Laborjournal: 2021 publizierte Ihre Arbeitsgruppe, wie sich ein Fluoreszenzmikroskop im Eigenbau zu einem MINFLUX-Gerät aufstocken lässt (Nat Commun. doi.org/gjnkp7). Wäre das auch mit Ihrem neuen Interferometrie-Konzept möglich?

Stefan Hell » In meinem Heidelberger MPI-Labor steht ein selbst gebautes System, mit dem wir physikalische Grenzen erforschen. Ich rate Anwendern aber zur Neuanschaffung eines Komplettsystems. Das herkömmliche Beobachten der Probe zum Beispiel über Okulare, wie es bei einem kommerziellen System vorgesehen ist, macht das Probenhandling und damit die MINFLUX-Experimente leichter.

Beim 3D-Interferometrie-MINFLUX scannen Laserpaare eine Probe in x-, y- und z-Richtung ab. Passiert das gleichzeitig oder nacheinander? Arbeiten beide Herangehensweisen unterschiedlich schnell?

Hell » In unserer zuletzt publizierten Arbeit (Science. doi.org/j95s) machen wir das nacheinander. Das ist unproblematisch, denn das Umschalten von einer zur nächsten Richtung findet in Bruchteilen von Millisekunden statt. Das kommerzielle MINFLUX-System lokalisiert dagegen gleichzeitig entlang aller drei Richtungen. Es gibt gute Argumente für beide Vorgehensweisen.

Ist die Autofluoreszenz biologischer Proben – auch im Vergleich zu konventioneller Fluoreszenzmikroskopie – ein Problem? Muss bei der Probenvorbereitung irgendetwas besonders berücksichtigt werden?

Hell » Für Proben gelten die generellen Anforderungen der Fluoreszenzmikroskopie. Wenn man Imaging macht, braucht man photoaktivierbare oder schaltbare organische Fluorophore. Verfolgt man nur die Position eines vereinzelten Moleküls, braucht der Fluorophor nicht schaltbar zu sein. Da kann man jeden guten Fluorophor nehmen, wobei Fluorophore im orangenen und roten Emissionsspektrum wegen der Autofluoreszenz bei blauer und grüner Anregung zu bevorzugen sind. Zusätzliche Anforderungen gibt es nicht.

Firmen erwähnen selten die Nanometer-Dimensionen ihrer Fluoreszenzfarbstoffe. Kann und sollte diese Angabe standardmäßig hinzugefügt werden?

Hell » Fluoreszenzfarbstoffe liegen im „Durchmesser“ um die ein bis zwei Nanometer. Wichtig ist, dass sich ein Anwender klar darüber ist, dass ein Fluoreszenzmikroskop nur Fluorophore imaged und tracked. Es kann keine Moleküle sehen, die nicht fluoreszieren – also auch nicht das Biomolekül, an dem man als Biologe letztendlich interessiert ist. Als Anwender eines Mikroskops mit einem bis fünf Nanometer Auflösung ist es daher wichtig, sich klarzumachen, wie groß der Abstand zwischen Fluoreszenzmolekül und Biomolekül ist, um die richtigen biologischen Schlüsse zu ziehen.

Vereinfacht könnte man das mit einem Fahrradrücklicht bei Nacht vergleichen? Da leuchtet etwas, doch wohin und wie weit man ausweichen sollte, weiß man nicht?

Hell » Genau. Das Licht könnte von einem Rennrad genauso gut wie von einem Mountainbike stammen. Nur wenn man weiß, wie sich die Rücklichter eines Rennrads von dem eines Mountainbikes unterscheiden, kann man darauf schließen, was man vor sich hat. Die Fahrräder selbst sieht man nie.

Macht es dann überhaupt Sinn, noch kleinere Fluorophore entwickeln zu wollen? Schließlich bringen schon ihre Linker eine gewisse Größe und somit Unschärfe ein. SNAP- und HALO-Tags beispielsweise sind bereits zwei bis drei Nanometer lang. Sollte man besser nach möglichst starren Linkern suchen, die nicht zappeln und somit eine Bewegung des verlinkten Proteins vorgaukeln?

Hell » Fluorophore sind klein genug. Die Linker sollte man aber tatsächlich minimieren. Wir haben bei Kinesin-1 eine Maleimid-Kopplung verwendet. Die ist wesentlich kürzer als ein Labelling mit Antiköpern, deren Fluorophore gut fünf bis zehn Nanometer entfernt sein können. Wer markierte Antikörper verwendet, muss sich im Klaren sein, dass er sein Zielmolekül aus einer gewissen Distanz beobachtet.

Graph der fluoreszenzmikroskopischen Schrittweitenmessung von Kinesin-1
Aus den Positions-Zeit-Diagrammen einzelner MINFLUX-Spuren von Fluoreszenz-markierten Kinesinen lassen sich sowohl die Schrittgröße der Motorproteine als auch die Geschwindigkeit ihrer konformationellen Änderungen ablesen. Abb.: AG Ries

Die kleinsten derzeitigen Fluorophore sind im Durchmesser etwa einen Nanometer groß. Kann es noch kleinere geben?

Hell » Kaum. Eine molekulare Struktur, die fluoreszieren kann, hat eine Größe von etwa ein bis zwei Nanometern, was der Physik der delokalisierten Leuchtelektronen im organischen Fluorophor geschuldet ist.

Sehen Sie also Optimierungsbedarf eher bei den Fluoreszenzfarbstoffen oder bei ihren Verknüpfungstechnologien?

Hell » Definitiv bei Letzteren. Früher ging es um möglichst superhelle Fluorophore. Das ist durch MINFLUX nicht mehr unbedingt ein wichtiges Kriterium. Das Abstandsproblem ist aufgrund der hohen Auflösung aber plötzlich prominent.

Beim MINFLUX darf nur ein einziges Molekül im beobachteten Bereich eine Fluoreszenzmarkierung tragen. Rechnet man die dafür nötige Verdünnung einfach äquimolar aus?

Hell » Beim Imaging passiert die Verdünnung durch das Photoaktivieren und Deaktivieren der Fluorophore. Es ist immer nur eines angeschaltet, benachbarte stören da nicht. Der Aktivierungsstrahl sorgt für die richtige Dosierung. Kommerzielle MINFLUX-Systeme sind außerdem so ausgelegt, dass die Vereinzelung im Aufnahmealgorithmus integriert ist, sodass man sich als Anwender keine großen Gedanken machen muss. Im Tracking-Modus muss man die Verdünnung dagegen empirisch ermitteln, sodass immer nur genau ein Molekül im betrachteten Ausschnitt liegt.

Kann sich ein Protein so ungünstig falten, dass es seine Fluoreszenzmarkierung abschirmt? Schließlich erfassen MINFLUX-Messungen ja nur wenige Photonen in einem kleinen Bereich ...

Hell » Ja, das lässt sich nicht ausschließen. Das Problem besteht aber generell und ist nicht MINFLUX-typisch.

Wie viele verschiedene Positionen eines Proteins sollten für eine verlässliche Lokalisation Fluoreszenz-markiert werden?

Hell » Prinzipiell genügt eine Position. Bei Einzelmolekülstudien sollte man aber verschiedene Positionen markieren, um eine aussagekräftige Statistik zu bekommen. Deshalb haben meine Doktoranden Otto Wolff und Lukas Scheiderer auch tausende Spuren von Kinesin-1 aufgenommen, um die Biologie von dessen Bewegung zu verstehen.

Wie Kinesin-1 an Mikrotubuli entlangwandert, wissen Sie nun. Welche weiteren Projekte streben Sie an?

Hell » Unsere Studie hat gezeigt, was in der Erfassung von Proteindynamiken heute geht und was man alles rausbekommen kann. Aber die Chancen für die Biologie tun sich gerade erst auf. Ich vertraue den Biologen und Biologinnen, dass sie selbst am besten wissen, welche Fragen man mit Nanometer-genauer Mikroskopie auf der Millisekunden-Skala beantworten kann. Ich freue mich auf jede Entdeckung, die andere damit machen werden. Vielleicht holt eine heute noch unbekannte Forscherin oder Forscher damit sogar einen Nobelpreis.

Inwieweit hat Ihr Nobelpreis Ihren Weg als Wissenschaftler beeinflusst? Bestimmt hat sich für Sie vieles geändert wie zum Beispiel überlaufene Vorlesungen und unzählige Bewerbungen von Doktoranden?

Hell » Ich kann mich besser als vorher auf die Wissenschaft konzentrieren und habe viel Zeit für meine Arbeitsgruppe. Das ist mir sehr wichtig. Vorlesungen halte ich ehrlich gesagt keine. Für Bürokratie, lange Vortragsreisen und das Begutachten von Anträgen nehme ich mir die Freiheit, sie höflich abzulehnen. Ich hatte Glück, dass ich recht jung war, als ich den Nobelpreis bekam. So konnte ich mit meinen Leuten noch etwas draufsetzen. Als der Nobelpreis vergeben wurde, war die Auflösungsgrenze bei 20 Nanometern. Jetzt liegt sie bei ein bis zwei Nanometern. Das macht wirklich Spaß.