Editorial

Friedensangebot
an Mikroben

(08.04.2024) Die meisten Mikroorganismen sind für uns harmlos oder sogar nützlich. Das sollte sich endlich auch in unserer Sprache widerspiegeln, finden Mikrobiomforscher.
editorial_bild

Zugegeben: Bakterien und andere Mikro­organismen haben vor der Entdeckung der Antibiotika unzählige Todesopfer gefordert. Und auch heute noch – durch auftretende Resistenzen leider wieder zunehmend – werden viele schwere Infektionskrankheiten von Bakterien verursacht. Kein Wunder, dass Mikro­organismen von ihrer Entdeckung bis heute meist vor allem als Pathogene wahrgenommen und mit viel Aufwand bekämpft werden. Allerdings haben die letzten Jahrzehnte gezeigt, dass nur ein verschwindend kleiner Teil aller Mikroben Krankheiten verursacht. Die allermeisten von ihnen sind harmlos oder sogar ausgesprochen nützlich. So leben Tiere und Pflanzen in einer Gemeinschaft mit Mikro­organismen, die so eng und nutzbringend ist, dass die Symbiose aus Wirt und speziellem Mikrobiom sogar einen eigenen Namen trägt: Wir sprechen von Meta­organismus oder Holo­biont.

Editorial

Radikale Veränderung

Unzählige Studien haben gezeigt, dass die symbiontischen Mikro­organismen im Darm, auf der Haut, in der Mundhöhle wichtige Aufgaben übernehmen. Dazu gehören die Freisetzung von Nährstoffen, die Bereitstellung von Stoffwechselprodukten wie Vitaminen, der Schutz vor der Besiedlung durch Krankheitserreger, die Stimulierung des Immunsystems und vieles mehr. Verschiebungen im Mikrobiom – sogenannte Dysbiosen – haben oft desaströse Auswirkungen auf unsere Gesundheit und fördern Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Diabetes und Asthma.

Trotzdem dominiert in der Öffentlichkeit noch immer die medizinische Sichtweise, nach der Bakterien als Krankheitserreger zu bekämpfen sind. Das spiegelt sich auch im mikrobiologischen Fachvokabular wider, wie Thomas Bosch von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zusammenfasst: „Die Sprache, die wir heute nutzen, um Mikrobiome und die Mikroben, die mit uns leben, zu erfassen, ist in einer Zeit entstanden, als wir davon überzeugt waren, dass alle Keime bösartig sind und uns das Immunsystem davor schützt. Diese Sicht hat sich aber in den letzten 20 Jahren durch neue Techniken, Befunde und die Erkenntnis, dass viele chronische Krankheiten auf Dysbiosen zurückgehen, radikal verändert. Aus dieser neuen Sicht heraus scheint es uns angebracht, über die vorherrschende militaristische Sprache nachzudenken und zumindest etwas vorsichtiger mit ihr umzugehen.“

Begriffe neu definieren

Bosch forscht unter anderem am Mikrobiom des Süßwasserpolypen Hydra und konnte zeigen, dass dieses sogar mit dem Nervensystem des Polypen kommuniziert. Zudem ist er Vorstandsmitglied des DFG-Sonderforschungsbereichs 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“. Gemeinsam mit seinen Kollegen Edward Ruby und Margaret McFall-Ngai vom California Institute of Technology in Pasadena und Martin Blaser von der Rutgers University in New Jersey hat der Mikrobiomforscher nun einen Aufruf publiziert, grundlegende mikrobiologische Fachbegriffe umzubenennen und neu zu definieren (LINK unten).

Auch Boschs Mitstreiter sind namhafte Mikrobiomforscher: McFall-Ngai und Ruby entschlüsseln seit vielen Jahren die enge Symbiose zwischen der Hawaiianischen Stummel­schwanzsepie (Euprymna scolopes) und dem biolumineszierenden Bakterium Vibrio fisheri. Blaser deckte die „gute Seite“ von Helicobacter pylori auf, das nicht nur Magengeschwüre und Magenkrebs verursachen kann, sondern auch vor Refluxkrankheit und Speiseröhrenkrebs schützt. Heute befasst sich der US-Amerikaner vor allem mit der Rolle des menschlichen Mikrobioms bei der Entstehung von Zivilisationskrankheiten. Blaser und Bosch publizieren auch populärwissenschaftlich, um auf die nützlichen Eigenschaften der Mikrobiota aufmerksam zu machen (Bosch z. B. 2022 „Die Unentbehrlichen – Mikroben, des Körpers verborgene Helfer“).

Von negativ zu neutral

In ihrer neuesten Publikation liefern die vier Autoren nun einige Beispiele, wie eine „mikrobenfreundliche“ Terminologie aussehen könnte. Die ausgewählten Begriffe beziehen sich auf Wirts-Mikroben-Interaktionen, die klassischerweise die Mikrobe als Pathogen und die Reaktion des Wirts als Abwehr beschreiben. „Dabei wissen wir heute, dass Pathogenität kontextabhängig ist“, stellt Bosch klar. „Ein Keim wird in einer bestimmten Umgebung oder Situation zum Pathogen.“ Als Beispiel nennt er Candida – einen Pilz, der zur normalen Mundflora gehört, aber nach einer oralen Antibiotika-Behandlung und damit dem Entfernen der Bakterien zu Mundsoor führen kann.

Und so wird bei Bosch et al. aus dem „Pathogen“ und der „Infektion“ – durchweg negativ besetzten Begriffen – der neutrale „Amphibiont“ und die neutrale „Kolonisation“. Und entsprechend aus einem „Virulenzfaktor“ ein „Kolonisationsfaktor“. Die „kommensale Mikrobiota“ definieren die Mikrobiologen als „normale Mikrobiota“, um den Regelfall einer Besiedlung mit kommensalen und nützlichen Mikroben festzuhalten. Auch die „antimikrobiellen Peptide“ (AMPs) – eine Komponente des angeborenen Immunsystems – sind keine reinen „Bakterienkiller“, wie Bosch betont: „In unserem Körper müssen die Mikroben in einem Gleichgewicht gehalten werden. Dafür sorgt unter anderem unser angeborenes Immunsystem mit seinen Komponenten. AMPs sehen wir deshalb als regulatorische Peptide, die dafür sorgen, dass das symbiotische Mikrobiom stabil bleibt.“ Für diese Sicht gäbe es inzwischen viele experimentelle Beweise.

Noch ausbaufähig

Mit insgesamt erst fünf Begriffen ist das neue Vokabular noch „ziemlich dünn“, wie Bosch zugibt. „Aber wir wollen der Community ja auch keine neuen Begriffe aufdrängen, sondern sehen unsere Publikation als Weckruf, unseren Sprachgebrauch zu überdenken und gemeinsam neue Begriffe zu finden.“ Und dieser Weckruf scheint angekommen zu sein – berichtet Bosch doch von Zuspruch und einem großen Konsens unter Mikrobiologen, etwas ändern zu wollen. „Wir leugnen nicht die Existenz von Pathogenen, sind aber überzeugt, dass unsere Sprache wichtig ist, um die große Bedeutung unseres Mikrobioms richtig einzuschätzen“, fasst der Mikrobiologe zusammen. „Wenn wir da nur mit diesen kämpferischen Begriffen umgehen, ist das auch für die Allgemeinheit nicht unbedingt förderlich für das Verständnis.“

Larissa Tetsch

Bosch T. et al. (2024): A new lexicon in the age of microbiome research. Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci, 379(1901): 2023006.

Bild: Pixabay/Alexas_Fotos (Taube) & caffeinesystem (Mikroorganismen)


Weitere Artikel zum Thema Mikrobiologie


- Exotische Keime in der Bisswunde

Durch Ganzgenom-Sequenzierung und neue Algorithmen kommen Basler Infektionsforschende unbekannten bakteriellen Pathogenen auf die Spur.

- Doppelt giftige Bakterie

Aetokthonos hydrillicola möchte man nicht zu nahe kommen. Es produziert sowohl ein Neurotoxin, als auch einen Giftstoff, der den Zellzyklus hemmt.

- Leben von Luft und Strom

Bakterien, die hochwertige Kohlenstoffverbindungen unter Strom aus Kohlenstoffdioxid aufbauen, könnten gleich mehrere globale Probleme lösen. Zuerst muss aber die mikrobielle Elektrosynthese verstanden sein.

 




Letzte Änderungen: 05.04.2024