Editorial

Exotische Keime
in der Bisswunde

(19.02.2024) Durch Ganzgenom-Sequenzierung und neue Algorithmen kommen Basler Infektionsforschende unbekannten bakteriellen Pathogenen auf die Spur.
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Wer ein Biologiestudium hinter sich hat, kennt sie vielleicht noch: Den „Schmeil-Fitschen“, den „Rothmaler“ und den „Brohmer“ – Standardwerke für die Bestimmung heimischer Flora und Fauna. Für Tiere gilt es beispielsweise zunächst zu bestimmen, ob der Körper lateral-, radiär- oder unsymmetrisch ist. Basis für die schrittweise, eindeutige Bestimmung der Tiere sind makroskopische Merkmale. Diese Art taxonomischer Herangehensweise klappt bei Mikroorganismen leider nicht, selbst mit hochauflösenden bildgebenden Verfahren. Dazu sind sich viele Bakterien morphologisch einfach zu ähnlich.

Die klassische Bakterienbestimmung setzt eher auf ein Potpourri mehrerer diagnostischer Methoden: Etwa die spezifische Anfärbung von Zellhüllen oder den Nachweis von Oberflächenproteinen durch Antikörper-basierte Verfahren. Zudem prüfen Mikrobiologinnen und Bakteriologen auf aerobes oder anaerobes Wachstum oder testen mit kolorimetrischen Verfahren bestimmte Stoffwechselwege in Enzymassays. Zu den moderneren Verfahren zählt die Matrix-Assisted Laser Desorption/Ionization Time-of-Flight Mass Spectrometry (MALDI-TOF-MS). Vereinfacht gesagt wird dabei bakterielles Zellmaterial durch Laserbeschuss ionisiert, durch ein elektrisches Feld beschleunigt und in einem Flugrohr nach Ladung und Masse separiert. So entsteht ein charakteristischer „Fingerabdruck“, der eine Zuordnung erlaubt. Gute Dienste leistet auch die Sequenzanalyse der ribosomalen 16S-RNA. Die rund 1.500 Basenpaare umfassenden 16S-rRNA-Gene der Bakterien beinhalten variable Regionen, die sich zur Typisierung nutzen lassen. Das erlaubt in der Regel eine recht spezifische Identifikation einer Bakteriengattung. Was aber, wenn diese Techniken an der eindeutigen Unterscheidung zweier Spezies scheitern?

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Schrittweise Identifikation

Hier kommt die NOVA-Methode ins Spiel, die Veronika Muigg et al. aus dem Labor von Daniel Goldenberger im Fachbereich Klinische Bakteriologie und Mykologie des Universitätsspitals Basel ersannen, um bislang unbekannte Bakterien aus klinischen Proben zu detektieren und zu charakterisieren. Kernstück ist die Entschlüsselung ganzer bakterieller Genome, die etwa bei Sequenzierdienstleistern inzwischen für unter 100 Euro zu haben ist. Auch viele mikrobiologische Institute, insbesondere an Universitätskliniken, verfügen mittlerweile über Geräte und Expertise zur In-house-Genomanalytik. Das macht die Ganzgenom-Sequenzierung zu einem weiteren, mächtigen Baustein in der Diagnostik von Mikroorganismen.

Die NOVA (Novel Organism Verification and Analysis)-Methode beschreibt ein schrittweises Vorgehen für die Identifikation von Bakterien, bei denen kulturbasierte Ansätze, MALDI-TOF-MS und die 16S-rRNA-Analyse für die Bestimmung nicht ausreichten. Dazu wird zunächst genomisches Material eines Bakteriums extrahiert, eine DNA-Bibliothek erstellt und abschließend das Genom sequenziert. Für die korrekte Assemblierung der sequenzierten Abschnitte und der daraus folgenden genombasierten taxonomischen Zuordnung kommen verschiedene bioinformatische Methoden zum Einsatz. Die NOVA-Methode nutzt dazu insbesondere die Type-(strain)-Genome-Server (TYGS)-Plattform, sozusagen ein Schweizer Taschenmesser für bakterielle Genomik: Dazu gehört unter anderem eine Distanzanalyse verschiedener bakterieller Genome, der Zugriff auf eine Datenbank mit genomischen, taxonomischen und nomenklatorischen Informationen, die Zuordnung zu Bakterienarten und -unterarten oder die Erstellung genombasierter Stammbäume (Nat Commun, 10: 2182). Zusätzlich fließen individuelle klinische Daten der infizierten Personen in NOVA ein, etwa die Symptomatik, die Gegenwart möglicher weiterer pathogener Mikroorganismen und die klinische Plausibilität des Krankheitsbildes.

Neu entdeckte Corynebakterien

Für die NOVA-Studie sammelten die Forschenden seit 2014 insgesamt 61 bakterielle Patientenisolate aus Blut- oder Gewebeproben, die in der Routinediagnostik nicht identifiziert werden konnten. Von diesen stellten sich 35 als neue Bakterienarten heraus, die restlichen 26 entpuppten sich als schwer identifizierbare, aber bekannte Mikroorganismen. Die Mehrzahl der Isolate waren Gram-positive Stäbchen, etwa Corynebakterien. Manche Vertreter dieser Gattung sind eindeutig pathogen, wie C. diphtheriae, andere sind Teil der normalen (Schleim-)Hautmikrobiota, die jedoch für Personen mit geschwächtem Immunsystem auch gefährlich werden können. Sechs der 11 Corynebacterium-Isolate waren neue Spezies. Aufgrund der Patientendaten stuften Muigg et al. sieben der 35 neuen Stämme als klinisch relevant und damit pathogen ein. Daniel Goldenberger als korrespondierender Autor der Studie erläutert dazu in einer Pressemitteilung: „Ein solcher direkter Abgleich zwischen neu identifizierten Bakterienarten und klinischer Relevanz wurde bisher nur selten veröffentlicht“.

Die Kombination eines klinischen Bildes mit der Genomik des Erregers ist in folgendem Beispiel recht eindrücklich: So wurde eines der schwer identifizierbaren Bakterien aus dem entzündeten Daumen eines Patienten isoliert, der von einem Hund gebissen worden war. Der Tierbiss spiegelt sich auch im 2022 publizierten Namen des Gram-negativen Betaproteobakteriums wider: Vandammella animalimorsus (Int J Syst Evol Microbiol, 72:2). Rund ein Dutzend Isolate des Bakteriums waren – unter anderer Bezeichnung – auch von einer Gruppe in Kanada aus menschlichen Wundinfektionen isoliert worden, die ebenfalls auf Bisswunden von Katzen oder Hunden zurückzuführen waren. „Wir nehmen deshalb an, dass es sich dabei um einen neu aufkommenden Krankheitserreger handelt, den wir im Auge behalten müssen“, so Goldenberger weiter.

Auf dem Weg in die Routinediagnostik?

Die Studie ist reich an Bakteriengattungen, deren Namen wohl nur hochspezialisierten Mikrobiologinnen und -biologen geläufig sind. Zu Lancefieldella und Saezia beispielsweise finden sich aktuell insgesamt nur sieben Veröffentlichungen in PubMed. Methoden wie NOVA helfen also dabei, auch Infektionen mit seltenen Erregern richtig zu diagnostizieren und von Anfang an geeignet zu therapieren. Neuere Verfahren der Genomanalyse, wie etwa Nanopore Sequencing (siehe dazu auch das Review in Nat Biotechnol, 39(11):1348-65), die zudem schneller sind als bisher gängige Systeme dürften der Ganzgenom-Sequenzierung von Bakterien einen weiteren Schub in der Routinediagnostik verleihen.

Ralph Bertram

Muigg V. et al. (2024): Novel Organism Verification and Analysis (NOVA) study: identification of 35 clinical isolates representing potentially novel bacterial taxa using a pipeline based on whole genome sequencing. BMC Microbiol, 24(1):14.

Bild: Pixabay/HeikeIr


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Letzte Änderungen: 19.02.2024