Editorial

In 562 Schritten zum superauflösenden Mikroskop - Bauanleitung für SmLM-Mikroskop

Mario Rembold


(12.12.2023) Haben Sie im nächsten halben Jahr nichts Besonderes vor? Dann bauen Sie sich doch Ihr eigenes Einzelmolekül-Lokalisations-Mikroskop.

Eine Bauanleitung mit 562 Einzelschritten ist nichts für Leute mit zwei linken Händen. Schon gar nicht, wenn es darauf ankommt, Linsen, Spiegel und Laserquellen nicht einfach nur auf einen Optiktisch zu schrauben, sondern dabei auch noch eine Fehlertoleranz von fünfzig Mikrometern einzuhalten. Der Autor dieses Artikels schwankt zwischen einem resignierenden „Ach, du lieber Himmel!“ und tiefer Bewunderung – ist es für ihn doch bereits ein Erfolgserlebnis, wenn er ein schwedisches Regal erfolgreich zusammensetzt, ohne dass allzu viele Schrauben übrig bleiben.

„Ich würde nicht sagen, dass dieses Vorhaben jedermanns Sache ist“, räumt auch der Erstautor der Anleitung Rory Power ein, „aber für diejenigen, die SMLM-Daten in höchster Qualität bekommen möchten, ist es die Zeit wert.“ Mit SMLM ist die Single Molecule Localization Microscopy ge- meint, die Fluores- zenzsignale misst und jeweils einem einzelnen markierten Molekül zuordnet, um eine Auflösung von wenigen Nanometern zu erzielen. Ja, die Rede ist hier tatsächlich von einem „persönlichen“ Mikroskop für die Superresolution, das man vom Entwurf am Computer bis hin zu den ersten Aufnahmen und der Konfiguration der Bildanalyse-Software selbst zusammenbaut und einsatzbereit macht. Neben Rory Power sind Aline Tschanz, Timo Zimmermann und als Senior-Autor Jonas Ries an dem Manuskript für das DIY-SMLM beteiligt, das seit Ende Oktober auf bioRxiv zu finden ist (doi.org/k6jg). Die vier arbeiten am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg, Jonas Ries zieht mit seinem Labor aber derzeit an die Universität Wien um.

DIY SMLM-Mikroskop
Die Komponenten des selbst gebauten SMLM-Mikroskops werden auf einem 150 Zentimeter langen und 90 Zentimeter breiten optischen Tisch montiert. Illustr.: AG Ries

Was den Zeitrahmen betrifft, so ist in dem Paper von drei Monaten die Rede, die ein erfahrener Bastler für den Zusammenbau benötigt. Der durchschnittlich begabte Mikroskopier-Freund sollte aber eher ein halbes Jahr einplanen, bis die Hardware nicht nur aufgebaut, sondern auch kalibriert und startklar ist. Im ersten Moment mag es unverhältnismäßig erscheinen, einen Mitarbeiter ein halbes Jahr lang für das Zusammenschrauben eines Mikroskops einzuplanen. Schließlich existieren bereits kommerzielle SMLM-Mikroskope von Herstellern, die auf die Konstruktion der Geräte spezialisiert sind und diese bereits für unterschiedliche SMLM-Verfahren optimiert haben. In ihrem Manuskript schreiben Ries und Co. jedoch, dass auch am EMBL in Heidelberg Mikroskope verwendet werden, die nach ihrer Vorlage konstruiert wurden.

Handfeste Vorteile

Power arbeitet am EMBL Imaging Centre. In dieser Serviceeinheit beziehungsweise Core Facility wird man nicht bloß aus reiner Freude am Basteln an eigenen optischen Geräten werkeln, sondern sich davon echte Vorteile versprechen. Die Kosten liegen selbst bei einem Zeitaufwand von einem halben Jahr nach den Angaben der Gruppe bei einem Bruchteil der Preise kommerzieller Geräte. Doch es gibt noch weitere Gründe, die für das DIY-SMLM sprechen. „Im Allgemeinen übertreffen selbst gebaute Systeme die kommerziellen“, betont Power. Die Qualität der Daten kommerzieller Out-of-the-box-Geräte lasse oft zu Wünschen übrig. Ein wesentlicher Schwachpunkt seien instabile Mikroskop-Stative. „Die Stative sind zwar nutzerfreundlich gestaltet. Ihre Stabilität ist jedoch auf die beugungsbegrenzte Auflösung von Konfokal- und Weitfeldsystemen ausgelegt“, bemängelt der Forscher. Um Auflösungen unterhalb der 200 Nanometer-Grenze zu erzielen, ist aber mehr gefordert als nur leichte Bedienbarkeit.

Auf ein bombenfestes Grundgerüst (Body) des inversen Mikroskops legt die Gruppe in ihrer Bauanleitung daher besonderen Wert. Eine maschinelle Vorrichtung, die die jeweiligen Positionen stabilisiert, soll Störungen durch Drift und Vibrationen minimieren. Nur so lässt sich eine räumliche Auflösung erzielen, die mindestens eine Größenordnung besser ist als die eines Standard-Weitfeld-Epifluoreszenz-Mikroskops.

Stabilität und räumliche Genauigkeit sind die Grundlagen, um die Position einzelner Moleküle präzise ermitteln zu können – und zwar nicht nur während eines kurzen Moments, sondern auch bei Messungen, die relativ lange dauern. Die verschiedenen Spielarten der SMLM-Mikroskopie, etwa PALM, dSTORM oder DNA-Paint, fußen immer auf dem zufälligen Aufblinken markierter Strukturen. Nur so weiß man, ob das Fluoreszenzsignal von einem einzigen Fluorophor ausgeht oder von mehreren. Man könnte zwar auch anhand der Signalstärke auf die Zahl der Fluorophore schließen. Wenn jedoch eng benachbarte Moleküle aufleuchten, bleibt ihre räumliche Position im Dunkeln. Bei SMLM-Verfahren leuchten die Fluorophore dagegen nur gelegentlich auf. Dass dies bei zwei benachbarten Fluorophoren zur selben Zeit passiert, ist äußerst unwahrscheinlich. Die detektierten Signale unterliegen zwar auch der lichtmikroskopischen Beugungsgrenze. Anhand der Helligkeitsverteilung des verwaschenen Flecks kann der Computer jedoch dessen Maximum errechnen. Mit diesem Trick kann man die Position eines Fluorophors bis auf wenige Nanometer genau bestimmen. Einige SMLM-Methoden sind inzwischen sogar bis in die Ångström-Region vorgedrungen (siehe hierzu auch den Artikel „Ångströmskopie mit Mikroskopen von der Stange“ in LJ 10/2023 ab Seite 58 - Link).

Durch das zufällige Blinken sendet immer nur ein Teil der markierten Moleküle ein Fluoreszenzsignal aus. Man muss daher mehrere zehntausend Bilder aufzeichnen, um daraus ein Gesamtbild zu errechnen. Die Aufnahmen können Minuten oder sogar Stunden dauern. Das Stativ darf sich in dieser Zeit nicht von der Stelle rühren, auch wenn die Software minimale Verschiebungen ausgleichen kann. Um den unbeaufsichtigten Betrieb des Mikroskops zu ermöglichen, ist das DIY-SMLM zum Teil automatisiert und kann sich nach den Vorgaben der Experimentierenden über die Probe bewegen und dabei Bilder aufnehmen. Auch die Echtzeitanalyse zur Qualitätskontrolle ist möglich. Um mehrere Farbkanäle parallel analysieren zu können, wird das primäre Bild der Optik in zwei sekundäre Bilder aufgesplittet, die direkt in der Kamera landen. Damit verdoppelt sich die Arbeitsgeschwindigkeit während der Aufnahme.

Auch für Live Cell Imaging

Der Objekttisch des Mikroskops lässt sich temperieren, damit sich zum Beispiel auch Säugerzellen darauf wohlfühlen. SMLM-Methoden sind für die Lebendmikroskopie nicht unbedingt geeignet, da die fixierte Position der einzelnen Fluorophore über längere Zeit hinweg erhalten bleiben muss. Durch die Unterstützung mit entsprechenden Deep-Learning-Verfahren sei, so Power, aber auch die Lokalisierung bei hoher Dichte der Fluorophore möglich. „Das Mikroskop ist mit diesen Analysen kompatibel und erlaubt auch das Live Cell Imaging mit photoaktivierbaren Fluoreszenz-Proteinen.“ Der mitgelieferte dSTORM-Workflow sei wegen der verwendeten Farbstoffe sowie der sauerstoffarmen Reaktionsbedingungen aber nicht für lebende Proben geeignet.

Der Bauplan des SMLM ist nicht in Stein gemeißelt und lässt sich an die eigenen Bedürfnisse anpassen: „Man kann so kreativ sein, wie es die eigene Vorstellungskraft erlaubt. Wir hoffen, dass Forschende das Design oder Teile daraus nutzen, um weitere Komponenten hinzuzufügen“, ermuntert Power zum Nachbau. Zudem sei man seiner Meinung nach damit flexibler als mit Instrumenten von der Stange: „Die SMLM-Mikroskope sind auf die Bedürfnisse der Forschenden zugeschnitten. Sie können überflüssige Features herausnehmen und nützliche hinzufügen.“

Eine gewisse Mikroskop-Erfahrung sei, so Power, von Vorteil. Er geht aber offenbar davon aus, dass man sich mit etwas Geschick und Grundwissen durchaus auch als Neuling in das Thema hineinfuchsen kann. Das meiste sei detailliert beschrieben – nicht umsonst füllt das Protokoll in der aktuellen Fassung etwa hundert Seiten. „Die Physik dahinter ist nicht so kompliziert. Ein Grundkurs zur optischen Mikroskopie bietet bereits eine gute Arbeitsgrundlage“, fährt Power fort und ergänzt: „Auch die Erfahrung lohnt sich. Ich habe während der Doktorarbeit gelernt, optische Systeme herzustellen. Auf diesem Wissen aufbauend konstruiere ich nun Mikroskope am EMBL Imaging Centre.“

Die Gruppe führt die Demokratisierung der SMLM-Technologie als eine zentrale Motivation für die Konstruktion von DIY-Mikroskopen an. Dazu gehören auch Open-Source- oder zumindest frei verfügbare Software-Tools, etwa die von Jonas Ries entwickelte Superresolution Microscopy Analysis Platform SMAP, mit der das Team die Positionen der Fluorophore aus den Rohdaten rekonstruiert hat (Nat. Methods 17: 870-2). Ries und Co. weisen in ihrem Manual aber auch auf andere hierfür geeignete Tools hin. Mit der passenden Software erreicht das selbst gebaute SMLM-Mikroskop eine Genauigkeit von rund zwei Nanometern in der Ebene sowie acht Nanometern in vertikaler Richtung. Entsprechend hoch ist auch die dreidimensionale Präzision.

Das Heidelberger DIY-SMLM ist insbesondere auch auf die interne Totalreflexionsfluoreszenz (TIRF)-Mikroskopie ausgelegt. Das Laserlicht fällt bei der TIRF-Mikroskopie in einem Winkel auf die Probe, der zu einer Totalreflexion führt – es durchdringt also nicht die gesamte Probe. An der Grenzfläche, auf der die Probe bei einem inversen Mikroskop aufliegt, entsteht ein sogenanntes evaneszentes elektromagnetisches Feld, das die gleiche Frequenz aufweist wie das einfallende Licht. Die Intensität des Feldes nimmt exponentiell mit zunehmender Tiefe ab, die Eindringtiefe ist hierdurch auf hundert bis zweihundert Nanometer begrenzt. TIRF-Mikroskope sind deshalb besonders gut geeignet, um Membranstrukturen sichtbar zu machen. Um in dieser noch immer recht starken Schicht die z-Koordinate einzugrenzen, erzeugt man in der Optik des Mikroskops den gleichen Abbildungsfehler wie bei einer Hornhautverkrümmung: den Astigmatismus. „Die Abbildungen einzelner Moleküle erscheinen dann beidseits der Fokus­ebene mehr als Linie, denn als Punkt“, erklärt Power. „Über die Länge der Linie ermittelt man den Abstand vom tatsächlichen Fokus des Mikroskops, während die Ausrichtung der Linie verrät, ob der Bildpunkt über oder unter dem Fokus liegt.“

Virtueller Probelauf

Bevor man das erste Bauteil in die Hand nimmt, konstruiert man das DIY-SMLM zunächst mithilfe von CAD-Modellen virtuell am Computer. Die Vorlagen für das Computer-Assistierte Design (CAD) findet man genauso in der Anleitung wie Zeichnungen zu den jeweils einzuhaltenden Toleranzen und elektronischen Schemata. Hier kann man auch eigene Modifikationen in silico ausprobieren. „Es geht vor allem darum, eine bestimmte Konfiguration bereitzustellen, die man umsetzen möchte“, erläutert Power Sinn und Zweck der CAD-Modelle. „Es existieren zum Beispiel mehrere Möglichkeiten für die Belichtung. Die kann man neben anderen Optionen im CAD-Assembly einfach ein- und wieder ausschalten. Mit ein wenig CAD-Kenntnis kann man das Design auch für andere Zwecke anpassen.“

Mit dem Protokoll als Vorlage können Forschende mit dem Bau des Mikroskops quasi bei Null beginnen. Einige wenige Teile erhalten sie aber nicht so ohne Weiteres im nächsten Optikshop, erklärt Power: „Obwohl die überwiegende Zahl der Komponenten kommerziell verfügbar ist, bleiben Teile übrig, die man speziell anfertigen muss.“ Dafür brauche man computergesteuerte Fräsmaschinen, die enge Toleranzen einhalten. Allerdings seien alle dazu nötigen CAD-Dateien von der Gruppe erhältlich und auch der „EMBL Mechanical Workshop“ biete Unterstützung an, verspricht Power.

Zwar gibt es auch andere Open-Source-Protokolle zum Bau von SMLM-Mikroskopen. Bei diesen ist aber die Beleuchtung nach Meinung der Gruppe nur schwer anzupassen, oder sie sind nicht mit mehreren Laser-Linien ausgestattet. Zudem sei das 3D-Imaging bei diesen weniger präzise.

Das Heidelberger DIY-Mikroskop soll laut Ries und Co. zwischen 70.000 und 150.000 Euro kosten. Mit dem Eigenbau lässt sich auch nach der Fertigstellung Geld sparen, sagt Power: „Während man das System aufbaut, macht man sich auch mit der SMLM vertraut und lernt das Mikroskop selbst zu warten – ohne dass der teure Servicetechniker zu Besuch kommen muss.“