Editorial

„Ångströmskopie“ mit Mikroskopen von der Stange - RESI-Mikroskopie

Mario Rembold


(11.10.2023) In Zellen erzielten superauflösende Mikroskopie-Techniken bisher höchstens Auflösungen von einigen Nanometern. Das Resolution-Enhancement-by-Sequential-Imaging (RESI)-Verfahren macht auch mit üblichen Fluoreszenz-Mikroskopen Details in Zellen sichtbar, die weniger als 1 Nanometer auseinander liegen.

Die superauflösende Lichtmikroskopie lässt sich über zwei unterschiedliche Wege realisieren: Entweder scannt man eine Probe und weiß genau, an welcher räumlichen Position man die Fluoreszenz jeweils anregt. Das gemessene Licht unterliegt zwar auch hier der Beugungsgrenze von 200 Nanometern. Wenn jedoch ein donutförmiger Laserstrahl um den anregenden Laser-Spot herum die Fluoreszenz „ausknipst“, wie etwa bei der superauflösenden Stimulated-Emission-Depletion- oder kurz STED-Mikroskopie, weiß man, dass sich die Quelle eines detektierten Signals im Zentrum befinden muss.

Oder man geht den anderen Weg und sorgt dafür, dass nur einzelne markierte Strukturen nacheinander blinken. In diesem Fall stellt man sicher, dass jedes Aufleuchten innerhalb einer räumlich auflösbaren Region statistisch nur auf einen einzelnen Fluorophor zurückgeht – bei Proteinmarkierungen entspricht ein Punkt damit einem einzelnen Molekül. Man ermittelt das Maximum jedes fotografierten Lichtflecks und schätzt so die wahrscheinlichsten Positionen der einzelnen Fluorophore ab. Beispiele für diese Single-Molecule Localization Microscopy (SMLM) sind die Stochastische Optische Rekonstruktionsmikroskopie (STORM) und seine Varianten.

Anstatt Farbmoleküle blinken zu lassen, kann man SMLM aber auch mit reversiblen DNA-Basenpaarungen bewerkstelligen: Die Markierungssonde enthält eine kurze einzelsträngige DNA-Sequenz – sie kann zum Beispiel auf einem Antikörper oder einem Nanobody verankert sein, der ein Protein in der Zelle erkennt und bindet. Das DNA-Stück auf der Sonde ist der „Docking-Strang“. Die Probe enthält Fluorophore, die an einem zum Docking-Strang komplementären Einzelstrang befestigt sind. Diese sogenannten „Imager“ binden zufällig an einen Docking-Strang und lösen sich wieder – natürlich müssen Basenfolgen und die chemischen und physikalischen Bedingungen so gewählt sein, dass die gepaarten DNA-Stränge gerade über dem Schmelzpunkt liegen, damit sich die Bindung auch schnell wieder löst. Die Fluorophore sind zwar permanent anregbar. Sie heben sich aber nur dann als scharfe Punkte vom Hintergrund ab, wenn sie einige Zeit am Docking-Strang hängenbleiben und nicht frei diffundieren.

Auch diese Methode lässt die markierten Ziele also letztlich zufällig aufblinken. Wenn man die richtigen Konzentrationen wählt, ist es aber unwahrscheinlich, dass zwei benachbarte Docking-Stränge genau zur gleichen Zeit von einem Imager belagert werden.

Isabelle Baudrexel, Luciano Masullo, Philipp Steen, Susanne Reinhardt
Isabelle Baudrexel (v.l.), Luciano Masullo, Philipp Steen und Susanne Reinhardt aus Ralf Jungmanns Gruppe am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried waren federführend bei der Entwicklung der Fluoreszenzmikroskopie mit Ångström-Auflösung beteiligt. Foto: MPI für Biochemie

Zahlreiche DNA-PAINT-Varianten

Ralf Jungmanns Gruppe am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried hatte die Methode 2010 erstmals vorgestellt (Nano Lett. 10(11): 4756-61). Sie ist heute als DNA-PAINT bekannt und wurde von Forschenden in verschiedene Richtungen weiterentwickelt. Prinzipiell sind mit den DNA-PAINT-Varianten Auflösungen zwischen einem und fünf Nanometern möglich, routinemäßig gelten zehn bis zwanzig Nanometer für die zelluläre Bildgebung als gut umsetzbar.

Eine aktuelle Spielart von DNA-PAINT verspricht, auch Abstände von weniger als einem Nanometer auflösen zu können. Um dies zu erreichen, setzt man DNA-Barcoding für die Paarung zwischen Docking-Strang und Imager ein und führt mehrere DNA-PAINT-Runden für die Bildaufnahme durch. Das im Mai von Jungmanns Team vorgestellte Verfahren heißt Resolution Enhancement by Sequential Imaging, kurz RESI (Nature 617(7962): 711-6). Die Gruppe spricht daher von einer Fluoreszenzmikroskopie mit Ångström-Auflösung.

Wie funktioniert RESI? Zunächst markiert man ein ausgewähltes Molekül mit einer geeigneten Sonde, etwa einem Nanobody. Daran sitzt fest und kovalent verankert jeweils ein Docking-Strang. Allerdings verwendet man dabei mindestens zwei unterschiedliche Sequenzen. Jedem Zielmolekül wird bei der Markierung zufällig einer der verschiedenen Barcodes zugewiesen. Im ersten Schritt gibt man einen Imager hinzu, der zum ersten Barcode passt. Danach folgt nach dem Auswaschen ein Imager, der komplementär ist zur zweiten Sequenz. Dieses Vorgehen kann man für weitere Barcodes wiederholen.

Mit DNA-PAINT erhält man für jedes Ziel immer eine ganze Gruppe von Punkten, die um die reale Position herum verteilt sind – der jeweilige Imager löst sich nach dem Binden wieder, sodass ein weiterer Imager andocken kann und einen neuen Bildpunkt erzeugt. Der Mittelpunkt dieser „Punktewolke“ repräsentiert das markierte Molekül (oder zumindest dessen wahrscheinlichste Position). Liegen zwei markierte Ziele aber sehr nah beieinander, überlappen sich die Wolken – im Extremfall ist gar nicht mehr ersichtlich, dass man eigentlich zwei Moleküle erfasst hat. Durch das Barcoding bleiben jedoch beide Wolken voneinander getrennt. Sie entstehen in unterschiedlichen RESI-Runden und lassen sich so separat auswerten. Wenn ein Spot in mehr als nur einer Runde aufleuchtet, weiß man sicher: Es sind zwei unterschiedliche Moleküle nebeneinander zu sehen.

Das Team testete RESI mit DNA-Origami-Konstruktionen, die sich besonders dazu eignen, RESIs Grundprinzip auf den Zahn zu fühlen, weil die Zielpositionen und Abstände auf den Origamis genau festgelegt und bekannt sind. Die Forschenden schauten sich zudem Proteinkomplexe auf der Membran von Säuger-Zelllinien mit RESI an. Mit den verschiedenen Waschschritten dauert eine Messung mit vier Barcodes etwa hundert Minuten. In dieser Zeit kann sich das Präparat minimal verschieben, und die auf den Nanometer genaue Vermessung wäre dahin. „Deshalb brauchen wir unbedingt Referenzpunkte, die in jeder Messung gleich bleiben“, erläutert Susanne Reinhardt. „In den Zellmessungen verwenden wir dafür Gold-Nanopartikel. Beim Ångström-Resolution-Origami haben wir weitere DNA-Stränge als Überlagerungsreferenzpunkte genutzt.“ Diese Bezugspunkte erfasst man in jeder Runde, und zwar unabhängig vom gerade aufgezeichneten Imager/Docking-Strang-Paar.

Antikörper sind zu groß

Eine Herausforderung bei allen superauflösenden Verfahren ist die Größe der Markierungswerkzeuge. „Ein Antikörper kann in verschiedenen Geometrien binden und hat eine Spannweite von rund 14 Nanometern“, erklärt Isabelle Baudrexel. „Theoretisch könnte man also etwas detektieren, das in Wirklichkeit 14 Nanometer weit entfernt liegt. Deswegen haben wir auch die viel kleineren Nanobodys eingesetzt.“

Baudrexel und Reinhardt sind die zwei Erstautorinnen des Papers (die zwei weiteren Erstautoren sind Luciano Masullo und Philipp Steen) und arbeiten als Doktorandinnen in Jungmanns Team. Um das Zielmolekül räumlich möglichst exakt festzunageln, haben die beiden zusammen mit dem restlichen Team auch den Docking-Strang nach wohlüberlegten Kriterien designt. So wiederholt sich etwa die Abfolge komplementärer Sequenzen für den Imager. Auf den ersten Blick erscheint das als Nachteil, schließlich verwischt damit die Position des DNA-Stranges. „Wir erhöhen dadurch aber die Wahrscheinlichkeit, wie oft unser Protein gemessen werden kann“, hält Reinhardt entgegen. Der Docking-Strang kann außerdem in alle Richtungen frei rotieren. „Er sampelt also eine Halb-Sphäre. Deren Mittelpunkt nehmen wir dann und kennen so die Position, an der der Docking-Strang verankert ist.“

Die Gruppe markierte mit dem Enhanced Green Fluorescent Protein (mEGFP) gelabelte Nup96-Proteine im Kernporenkomplex mithilfe von Anti-GFP-Nanobodys. Dabei konnte sie dank RESI auch direkt benachbarte Nup96-Moleküle sichtbar machen, die lateral rund zehn Nanometer und axial drei Nanometer auseinanderlagen. Vier verschiedene Sequenzen kamen dabei zum Einsatz – es waren also vier RESI-Runden nötig. An DNA-Origamis mit direkt implementierten Docking-Strängen konnte das Team sogar benachbarte Docking-Stränge in einem Abstand von weniger als einem Nanometer unterscheiden – also in der Größenordnung von Ångström.

In weiteren Experimenten nahmen die Forschenden den Membranrezeptor CD20 unter die Lupe, der sich bereits als therapeutisches Ziel zur Behandlung bestimmter Leukämien und Autoimmunerkrankungen bewährt hat. Gibt man den therapeutischen Antikörper Rituximab hinzu, arrangieren sich die CD20-Proteine neu, weil sie über die Antikörper aneinandergekettet werden. Dabei kommen sich die einzelnen Moleküle wiederum so nahe, dass sie selbst für die superauflösende Fluoreszenzmikroskopie nicht mehr ohne Weiteres unterscheidbar sind. Zwar kannte man schon aus der Kryoelektronenmikroskopie unterschiedliche Anordnungen der Komplexe aus CD20 und Rituximab, doch wie repräsentativ diese für intakte Zellen sind, war strittig. „Oft schaut man sich dabei Proteinkomplexe in vitro an und schafft so ein sehr künstliches System“, sagt Baudrexel, „DNA-PAINT können wir aber auf die gesamte Zelle anwenden, und unterhalb der zehn Nanometer bekommen wir jetzt ein noch umfassenderes Bild“.

Bestimmte CD20-Hexamere mit Rituximab, die einige Modelle voraussagten, sahen Baudrexel und ihre Mitstreiter nicht. Stattdessen sprechen die RESI-Bilder eher für lineare und kettenförmige Strukturen.

Für die Lebendmikroskopie ist DNA-PAINT insbesondere in der RESI-Variante nicht geeignet, da man die Imager zugeben und später wieder herauswaschen muss. „Die Proteine bleiben zum größten Teil intakt, allerdings entfernen wir die Lipide, damit unsere DNA-Imager-Stränge auch durchdiffundieren können“, begründet Baudrexel die Vorbereitungen der Zellen für die Bildgebung.

Für den superauflösenden Blick in lebende Zellen käme eher die MINFLUX-Mikroskopie in Frage. Mit dem von Stefan Hells Gruppe entwickelten Verfahren sind laut einem aktuellen Preprint ebenfalls Auflösungen im Ångström-Maßstab in x-y-Richtung möglich (bioRxiv, doi.org/kvkf). Ähnlich wie bei STED setzt man auch bei MINFLUX einen donutförmigen Laserstrahl ein. Die Fluoreszenz wird hier aber genau in der Mitte komplett unterdrückt. Findet man also zu einem Fluorophor die Laserposition mit minimaler Fluoreszenz, so kennt man die Position des Fluorophors. MINFLUX wurde unlängst auch mit DNA-PAINT kombiniert (siehe hierzu auch den Neulich-an-der-Bench-Artikel „Synergetische Photonen“ in Laborjournal 5/2023 - Link).

Günstig und unkompliziert

„MINFLUX ist fantastisch, weil man damit wirklich einzelne Moleküle live verfolgen kann“, nennt Reinhardt einen der Vorzüge. Allerdings kann man diesen Vorteil nur nutzen, wenn man sich auf einen sehr kleinen Ausschnitt einer Probe beschränkt, weil das Abrastern der Fläche ja Zeit benötigt. „Mit DNA-PAINT schauen wir aber auf die gesamte Zelle und können dann in einzelne Regionen hineinzoomen“, so Reinhardt. Und sie nennt einen weiteren Vorteil von DNA-PAINT gegenüber Methoden wie MINFLUX: „Wir brauchen kein besonderes Mikroskop, und auch das Anfertigen der Labeling-Sonden ist nicht kompliziert.“ Die Technik ist also deutlich günstiger.

Um speziell die oberen hundert Nanometer einer präparierten Zelle zu beleuchten, verwendet die Gruppe für DNA-PAINT ein Total-Internal-Reflection (TIR)-Mikroskop. Mit diesem vermeidet sie zu viel Hintergrund durch frei diffundierende Imager. „So können wir uns sehr gut Membranproteine anschauen“, stellt Baudrexel fest. „Und viele Mikroskopier-Facilitys haben ohnehin schon ein TIR-Mikroskop“, ergänzt Reinhardt.

Bei DNA-PAINT stehen eher die Experimente im Nasslabor im Vordergrund und nicht so sehr die Hardware, erklärt Baudrexel. „Unsere Gruppe ist davon angetrieben, die Reagenzien und die Chemie intelligenter einzusetzen.“ Allerdings betonen die beiden, dass nicht per se die eine Methode besser sei als die andere. Am Ende müssen die Forschenden immer für ihre eigene Fragestellung entscheiden, welche Technik sich dafür am besten eignet. Und falls dies die superauflösende Fluoreszenzmikroskopie ist, gibt es dafür eine ganze Reihe von Möglichkeiten – aber eben keine Pauschalempfehlung.