Editorial

Kontaktlose Elektrophysiologie mit Licht - Optogenetische Voltage-Clamp

Mario Rembold


(09.03.2023) Mit den üblichen Techniken der Optogenetik lassen sich Nervenzellen stimulieren oder hemmen – eine echte Kontrolle der Zellaktivität ist aber nicht möglich. Dazu benötigt man eine optogenetische Spannungsklemme.

In der Elektrophysiologie misst man die Aktivität einzelner Nervenzellen mit einer Spannungsklemme. Der Vorteil dieser klassischen Methode, mit der man die Zellaktivität auch beeinflussen kann, ist die hohe zeitliche Auflösung. Die Optogenetik eröffnet aber auch alternative Wege. Mithilfe von Kanalrhodopsinen kann man das Membranpotential durch ein Lichtsignal depolarisieren und damit Aktionspotentiale auslösen, oder durch Hyperpolarisation die Weiterleitung im Neuron hemmen. Prinzipiell sollte es also möglich sein, ein optogenetisches Pendant zur Spannungsklemme zu konstruieren, indem man ein hyperpolarisierendes und ein depolarisierendes Kanalrhodopsin in derselben Zelle exprimiert.

Eine derartige optogenetische Voltage-Clamp (OVC) präsentierte Alexander Gottschalks Team vom Buchmann-Institut für Molekulare Lebenswissenschaften in Frankfurt/M. zusammen mit Kollegen aus den USA, Frankreich und China auf bioRxiv (DOI: doi.org/jtq3). Die reguläre Veröffentlichung soll bald in einem Peer-Review-Journal folgen.

Optogenetischen Spannungsklemme - C. elegans
Mit der optogenetischen Spannungsklemme kann man die Aktivität von Neuronen in C. elegans nicht-invasiv messen oder manipulieren. Foto: Etienne Dötsch

Einige Projekte aus Gottschalks Arbeitsgruppe Molekulare Zellbiologie und Neurobiologie haben wir bereits in unserem Methoden-Special zur Optogenetik in Laborjournal 1-2/2023 ab Seite 56 vorgestellt (Link). Bei der OVC lohnt sich aber ein etwas genauerer Blick auf die eingesetzte Technik. Die Frankfurter Optogenetik-Tüftler wollen mit der OVC ein Neuron nicht nur stören beziehungsweise ein Signal verstärken oder hemmen, sondern tatsächlich einzelne Neuronen gezielt kontrollieren. Gottschalk erklärt: „Wenn wir wissen wollen, ob ein Neuron zum Beispiel die Geschwindigkeit eines Tieres rauf- und runterregulieren kann wie ein Drehregler, so lässt sich das optogenetisch gar nicht so leicht umsetzen. Ich brauche immer auch ein Wissen über den jeweils aktuellen Zustand der Nervenzelle.“

Es war also nicht damit getan, nur je einen aktivierenden und einen hemmenden Schalter in erregbaren Zellen zu exprimieren – die Gruppe benötigte auch einen Feedback-Mechanismus, der das aktuelle Membranpotential anzeigt. Hierfür verwendete sie den Spannungsindikator QuasAr2, dessen Fluoreszenz mit der Spannung zwischen Innen- und Außenseite der Zellmembran korreliert.

Fusionierte Gegenspieler

Als optogenetische Schalter beziehungsweise Aktuatoren setzte das Team die Kanalrhodopsine Chrimson und GtACR2 ein. Chrimson reagiert auf oranges Licht und depolarisiert die Membran, GtACR2 wird durch blaues Licht aktiviert und führt zur Hyperpolarisation. Damit beide Aktuatoren im Verhältnis eins zu eins vorliegen, integrierten Gottschalk und Co. Chrimson und GtACR2 in das Tandemprotein BiPOLES – die Ein- und Ausschalter sind also im selben Molekül fusioniert (zu BiPOLES siehe auch Nat. Commun. 12(1): 4527). Sowohl BiPOLES mit Chrimson und GtACR2 als auch der Spannungssensor QuasAr2 sitzen in der Zellmembran. Die Idee war, einen geschlossenen Loop für ein direktes Feedback zu etablieren: Ein Monochromator wechselt die Wellenlänge fließend zwischen den Absorptionsmaxima, die entweder Chrimson oder GtACR2 aktivieren – je nachdem, welcher Sollwert für das Membranpotential von den Experimentatoren eingestellt ist und beibehalten werden soll. Das Membranpotential wiederum wird durch die Fluoreszenz von QuasAr2 abgebildet. Mit diesen drei Komponenten hat man prinzipiell einen Regelkreis, mit dem man Experimente an Neuronen gezielt beeinflussen kann.

Bis das System funktionierte, war aber noch ein Trick notwendig, erläutert Erstautorin Amelie Bergs, Doktorandin in Gottschalks Gruppe: „Die Anregungs-Wellenlänge des aktivierenden depolarisierenden Tools Chrimson überlappt mit der Anregungs-Wellenlänge des Spannungssensors.“

Schema Optogenetischen Spannungsklemme
Die zwei Kanalrhodopsine ACR2 und Chrimson sind zusammen mit dem Spannungssensor QuasAr die Hauptkomponenten der optogenetischen Spannungsklemme. Illustr.: Gruppe Gottschalk

Rotes Licht, das die Fluoreszenz von QuasAr2 permanent anregt, bringt zugleich auch Chrimson dazu, das Membranpotential ein wenig zu depolarisieren. Zwar sind die Optima beider Moleküle nicht identisch. Die zwei auf dem Chromophor Retinal basierenden Kanalrhodopsine haben aber keinen scharfen Anregungs-Peak, sondern einen recht breiten Verlauf um die ideale Wellenlänge herum. Es lässt sich also nicht verhindern, dass sich Chrimson und QuasAr2 spektral in die Quere kommen. „Wir haben deshalb eine Software geschrieben, die dafür sorgt, dass zu Beginn des Experiments eine Ausgleichs-Wellenlänge eingestrahlt wird“, fährt Bergs fort. Das Ausgleichs-Licht aktiviert GtACR2 etwas und kompensiert hierdurch die ungewollte Aktivität von Chrimson durch das Anregungs-Licht für den Sensor.

Die Software regelt auch den Feedback-Loop. „Wir messen ja zu jedem Zeitpunkt die QuasAr2-Fluoreszenz, die ungefähr äquivalent zur Membranspannung ist“, so Bergs. Hierfür ist zunächst eine Kalibrierung notwendig, denn QuasAr2 bleicht etwas aus, wodurch die Fluoreszenz mit der Zeit schwächer wird. Die Parameter des Bleichverhaltens misst man zu Beginn des Experiments, erläutert Bergs. „Das sind zwanzig Sekunden, in denen wir einfach nur die Fluoreszenz des Spannungssensors aufzeichnen.“ Daraus ergibt sich ein Korrekturfaktor für die relative Änderung der Fluoreszenz (ΔF/F0), der von der Software während des eigentlichen Experiments berücksichtigt werden muss. „Wählen wir eine neue Zelle aus, müssen wir auch die Kalibrierung wiederholen“, so Bergs.

Gottschalks Gruppe arbeitet vor allem mit Caenorhabditis elegans. In den winzigen Fadenwürmern ist die traditionelle Elektrophysiologie per Spannungsklemme sehr aufwendig. Die Tiere sind aber auch transparent und damit ideal für optogenetische Verfahren und das Messen von Fluoreszenz geeignet – die OVC kann man bei ihnen komplett kontaktlos, also nicht-invasiv, einsetzen. Neben cholinergen und GABAergen Motoneuronen manipulierten die Forscher auch Muskelzellen aus der Körperwand per OVC. „Überprüft haben wir unsere Beobachtungen durch simultane elektrophysiologische Messungen. Jana Liewand hat diese Patch-Clamp-Experimente an Muskelzellen durchgeführt“, berichtet Bergs. „Wir wollten kontrollieren, was tatsächlich mit der Membranspannung passiert. Optisch haben wir bis zu fünf Minuten lang gemessen, aber elektrisch verifiziert sind nur einige Sekunden, weil wir per Elektrophysiologie nicht minutenlang messen können.“

Würmer mit Vesikel-Störung

In einem der Experimente untersuchte die Gruppe Muskelzellen in Würmern mit eingeschränkter unc-13-Funktion. Bei diesen Mutanten ist das Verschmelzen der synaptischen Vesikel gestört, wodurch die postsynaptischen Spannungsströme geringer ausfallen. Bekannt ist, dass sich die Muskelzellen hinter diesen Synapsen offensichtlich an diesen Zustand adaptieren und leichter erregbar sind. Mithilfe der OVC untersuchten die Forscher und Forscherinnen, welche Wellenlängen nötig sind, um eine Depolarisation von fünf Prozent zu erreichen, die sie anhand der Fluoreszenz des Spannungssensors QuasAr2 maßen.

Das System aus Aktuatoren, Spannungssensor und per Software gesteuertem Feedback des Monochromators regelte die Spannung auf den voreingestellten Sollwert ein und hielt sie konstant. Der Wechsel des Monochromators zwischen den beiden Anregungs-Wellenlängen für die Aktuatoren zeigte dem Team, wie viel Aktivierung oder Hemmung erforderlich war, um einen gewünschten Spannungswert einzuhalten. Tatsächlich musste Chrimson bei Muskelzellen der Würmer mit unc-13-Mutation weniger aktiviert werden, um eine Depolarisation von fünf Prozent zu erzielen, als bei Muskelzellen des Wildtyps.

Zusammen mit Simon Wiegerts Arbeitsgruppe am Zentrum für Molekulare Neurobiologie (ZMNH) in Hamburg testeten Bergs et al. die OVC auch an Säugerzellen. In diesem Fall verwendeten sie Neurone aus dem Hippocampus von Ratten in Schnittkulturen. Ohne BiPOLES mit den beiden Aktuatoren blieb die Fluoreszenz von QuasAr2 nach der Kalibrierung stabil. Kamen jedoch alle Komponenten ins Spiel, beobachteten die Forscher immer wieder Spannungssprünge von wenigen Millivolt. Sie betonen in ihrem Manuskript, dass sich Säugerneuronen und Neuronen aus C. elegans in einigen Punkten unterscheiden, etwa durch ein niedrigeres Ruhepotential. Um die ungewollte Chrimson-Aktivität durch die Anregungs-Wellenlänge für QuasAr2 auszugleichen, könnte man auch mehr GtACR2-Aktivität triggern, schlägt die Gruppe vor. Das würde dann zu einer durchlässigeren Membran führen. Eine Lösung hierfür könnten weiter ins Rote verschobene Spannungssensoren sein sowie Aktuatoren, die auf blaueres Licht reagieren. Bis dahin sei die Spannungskontrolle in Rattenneuronen auf wenige Millivolt limitiert, aber prinzipiell machbar.

Mit dem Wurm hat Gottschalk noch weitere OVC-Experimente vor. „Der nächste Schritt wäre, die OVC in einem beweglichen Tier anzuwenden“, erklärt er. „Bisher hatten wir die Würmer immobilisiert. Wenn man das Tierverhalten aber frei laufen ließe und dennoch die Möglichkeit hätte, ein Neuron zu beobachten und zu aktivieren, wäre das ein spannendes Experiment.“

Bergs verrät, dass die Methode auch als Patent angemeldet werden soll: „Die Idee ist, die OVC für das Hochdurchsatz-Screening von Wirkstoffen oder Ionenkanälen zu automatisieren – als rein optische Alternative zu automatisierten Patch-Clamp-Systemen.“