Editorial

Lichtempfindliche Werkzeugsammlung - Optogenetik

Mario Rembold


(07.02.2023) Ob optogenetische Spannungsklemme, stillgelegte synaptische Vesikel oder per Licht regulierbare RNA-Moleküle: Die beständig voller werdende Werkzeugkiste der Optogenetik inspiriert zu immer neuen Anwendungen.

Los ging es mit der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii und einem Protein, das für die Phototaxis verantwortlich ist. Unter Federführung von Peter Hegemann hatten Autoren vor gut zwanzig Jahren ihren Fund aus dem Einzeller vorgestellt: Ein Opsin-ähnliches Kanalprotein, das nach der Aktivierung durch Licht das Membranpotential verändert. Channelrhodopsin-1 nannten Hegemann und seine Mitstreiter ihre Entdeckung (Science 296(5577): 2395-8).

In welchem Labor letztlich der „Urknall“ der Optogenetik stattfand, ist im Nachhinein nicht mehr ganz klar. Denn im Jahr 2002 war es auch Forschern um Gero Miesenböck gelungen, mithilfe des Drosophila-Rhodopsins in Nervenzellen Aktionspotentiale durch Licht auszulösen (Neuron 33(1): 15-22). Das ließ bereits die typischen Fotos erahnen, die heute auftauchen, wenn man nach „Optogenetik“ googelt: Meist sieht man auf dem Bildschirm Mäuse mit einem ins Gehirn führenden Lichtleiterkabel, das dort selektiv Neuronengruppen ein- oder ausschalten soll. Auch wenn man vielleicht darüber streiten kann, wer den Startschuss zur Optogenetik gab: Chlamydomonas lieferte jedenfalls die Werkzeuge für den Durchbruch der Optogenetik in den Folgejahren. Als man schließlich wusste, wonach man suchen musste, tauchten etliche weitere Kanalrhodopsine auf, sowohl in Chlamydomonas als auch in anderen Mikroorganismen. Je nach dem, auf welche Ionen das jeweilige Kanalrhodopsin reagiert, kommt es zu einer Depolarisierung oder Hyperpolarisierung des Membranpotentials. In Membranen von Nervenzellen eingebaut, lösen Kanalrhodopsine nach einem Lichtreiz Aktionspotentiale aus oder hemmen durch Hyperpolarisierung die Neuronenaktivität.

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Ein Lichtsignal trifft auf Kanalrhodopsine, die in die Membran einer Nervenzelle integriert sind, und löst hierdurch ein Aktionspotential aus. Die Optogenetik beschränkt sich aber längst nicht mehr nur auf diese klassische Anwendung. Illustr.: McGovern Institute

Einfache Aktivierung mit Licht

„Die Idee war immer, dass man ausgewählte Zellen möglichst nicht-invasiv von außen durch Licht aktivieren oder hemmen kann“, blickt Alexander Gottschalk auf die Anfänge der Optogenetik zurück. „Mit dem Kanalrhodopsin ist das Feld dann ziemlich explodiert, weil es so einfach anwendbar ist.“ Auch Gottschalk zählt zu den Optogenetik-Pionieren der Nullerjahre. 2005 hatte seine Gruppe zusammen mit Georg Nagel und Ernst Bamberg Channelrhodopsin-2 aus Chlamydomonas in erregbare Zellen, etwa Muskelzellen und Neuronen, des Fadenwurms Caenorhabditis elegans eingebaut. Mit Licht konnte die Gruppe danach spezifische Verhaltensmuster in den Würmern auslösen (Curr. Biol. 15(24): 2279-84).

Der wesentliche Vorteil optogenetischer Werkzeuge liegt auf der Hand: Es sind Proteine, deren Baupläne sich einfach in DNA integrieren lassen. „Die Proteine sind recht klein, und man kann ihre cDNA daher auch in virale Vektoren verpacken“, fährt Gottschalk fort. „Beim Säugetier braucht man auch keinen Cofaktor, denn dort ist Retinal reichlich vorhanden. Im Fadenwurm müssen wir Retinal zwar mit der Nahrung zugeben, aber auch das lässt sich gut umsetzen.“

Retinal (Vitamin A Aldehyd) ist der eigentliche Chromophor, der zum Einfangen der Photonen notwendig ist. Manch einer erinnert sich vielleicht noch an Omas Ratschlag, reichlich Möhren zu essen, um gut sehen zu können. Die exakte Wellenlänge, auf die ein Retinal-tragendes Protein anspricht, hängt aber auch von der Aminosäurenfolge ab. So werden unsere Zapfen und die verschiedenen Arten von Stäbchen durch unterschiedliche Wellenlängen maximal angeregt. Nur deshalb können wir Farben sehen, obwohl in allen Rhodopsinen das gleiche Retinal steckt.

„In den folgenden Jahren hat man dann immer neue Varianten von Kanalrhodopsinen gefunden, die auf andere Farben reagieren oder andere Ionenleitfähigkeiten haben“, so Gottschalk. Neben Membran-Kanälen tauchten weitere, meist mikrobielle, lichtsensitive Proteine auf, die teilweise auch enzymatische Aktivitäten aufweisen.

Allgemein setzt sich ein optogenetisches Werkzeug aus den drei Komponenten Aktuator-Protein, Chromophor und Promotor zusammen. Der Aktuator hat eine bestimmte Aktivität, zum Beispiel als Ionenkanal, der Chromophor bindet an den Aktuator. Im Säuger verwendet man meist Retinal als Chromophor, weil es ohnehin in den Zellen und auch im Gehirn vorkommt. Doch auch andere Fluorophore wie zum Beispiel Flavin sind in der optogenetischen Trickkiste enthalten. Der Promotor wird vor die DNA-Sequenz des Aktuators platziert – er bestimmt, in welchen Geweben, Zellen oder Neuronen-Populationen der Aktuator auftaucht.

Die Wahl des Promotors ist besonders ausschlaggebend, wenn man den Laserstrahl zur Anregung des lichtempfindlichen Proteins nicht auf einzelne Regionen oder Zellen richten kann. „C. elegans hat nur 302 Nervenzellen“, nennt Gottschalk ein Beispiel aus dem eigenen Labor. „Das bedeutet, dass einzelne Zellen auch profunde Auswirkungen auf das Verhalten haben können.“ Allerdings kann man den Ort der Expression im Wurm sehr genau festlegen. „Marius Seidenthal hat hier bei uns zum Beispiel ein Protein in einem einzelnen Neuron exprimiert.“

Promotor ist entscheidend

Komplizierter ist die Sache in der Maus. Im Gegensatz zum Wurm ist der Nager nicht transparent und man muss sich zunächst physisch Zugang zum Gehirn verschaffen. Mit einem optischen Kabel lässt sich der Lichtreiz auf eine ausgewählte Position lenken – welche Neuronen dort aktiviert werden, hängt von der Wahl des Promotors ab. „Das aktuell nicht immer vorhandene Wissen darüber, welche Promotoren für welche Zelltypen spezifisch sind, schränkt dies jedoch ein“, erläutert Gottschalk. „Hier muss man erst durch RNA-Sequenzierung und Transkriptom-Analysen genauer charakterisieren, welche Protein-Ensembles die einzelnen Zellen exprimieren.“

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Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans ist einer der beliebtesten Modellorganismen in der Optogenetik. Marius Seidenthal etablierte in ihm ein optogenetisches Reportersystem, mit dem man das Recycling von Vesikeln beobachten kann. Foto: Etienne Dötsch

Gottschalk leitet die Arbeitsgruppe Molekulare Zellbiologie und Neurobiologie an der Universität Frankfurt a. M. und arbeitet mit seinem Team daran, die optogenetischen Werkzeuge an neue Techniken anzupassen. „Unsere Tools sollen aber nicht in der Bibliothek verstauben. Wir möchten eine gute Qualität erreichen, die Tools sollen aber auch leicht anzuwenden sein“, betont er.

Wenn Gottschalk von den aktuellen Projekten aus seinem Labor berichtet, nennt er immer wieder einzelne Doktoranden seines Teams, die offenbar viel eigene Kreativität einbringen. So arbeitet zum Beispiel Marius Seidenthal an einem Reportersystem zum Vesikel-Recycling, ein bioRxiv-Manuskript dazu ist im vergangenen Dezember erschienen (bioRxiv Doi: 10/jtq2 - Link). Seidenthal hat in C. elegans ein pH-sensitives Fluoreszenzprotein mit dem synaptischen Vesikelprotein Synaptogyrin fusioniert – Synaptogyrin sitzt in der Vesikelmembran, in saurer Umgebung ist die Fluoreszenz unterdrückt. Verschmelzen die Vesikel mit der Synapsenmembran, steigt der pH und damit auch die Fluoreszenz.

Das Ganze funktioniert auch in Kombination mit einem optogenetischen Schalter, der die Neuronen aktiviert. Dabei dürfen sich die Wellenlängen zur Anregung des Vesikel-Reporters und die des lichtgesteuerten Schalters nicht ins Gehege kommen. „In Zellkultur ging das schon vor ein paar Jahren, aber in einem ganzen Organismus wurde das vorher noch nicht gezeigt“, freut sich Seidenthal.

Mit seiner Technik kann man in C. elegans beobachten, wie die Vesikel nach der Erregung recycelt werden, was sich durch einen Rückgang der Fluoreszenz bemerkbar macht. Das Reporter-System nennt sich pOpsicle – für pH-sensitive Optogenetic reporter of vesicle recycling.

Auch Gottschalks Doktorand Dennis Vettkötter hat sich Vesikeln verschrieben. Er fusionierte Synaptogyrin mit dem lichtinduzierbaren Cryptochrom 2 (Cry2) aus Arabidopsis thaliana. Cry2 bildet im Blaulicht Homo-Oligomere. Durch die Kombination mit Synaptogyrin „clustern“ die Vesikel und können nicht mehr weiterprozessiert werden. Das Neuron wird vorübergehend stillgelegt. Auch für dieses Werkzeug namens „optogenetic Synaptic vesicle Clustering“ gibt es ein einprägsames Akronym: optoSynC (Nat. Commun. 13(1): 7827).

„Unser Tool lässt die Cryptochrom-Vesikel sehr schnell clustern, sodass wir innerhalb von Sekunden ein biologisches Feedback erhalten“, erklärt Vettkötter. „Sobald die synaptische Transmission blockiert ist, stoppt das Schwimmverhalten der Würmer.“

Vettkötter sieht in optoSync eine Möglichkeit, die einzelnen Schritte im Vesikel-Zyklus genauer zu studieren. „Wir können uns als Nächstes die Schritte genauer anschauen, die die Vesikel durchlaufen müssen, um von einer Stelle zur nächsten zu gelangen“, erklärt er. Anhand von elektronenmikroskopischen Aufnahmen hat das Team verifiziert, dass die Vesikel tatsächlich aneinander haften bleiben, nachdem sie mit Blaulicht beleuchtet wurden.

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Schema des Optogenetic Synaptic Vesicle Clusterings, das Dennis Vettkötter mit seinen Kollegen und Kolleginnen entwickelte. Bei blauem Licht bildet das mit Synaptogyrin verknüpfte, lichtinduzierbare Cry2 Homo-Oligomere. Die Vesikel lagern sich hierdurch zu Clustern zusammen und können nicht weiterverarbeitet werden, wodurch die Signalweiterleitung unterbrochen wird. llustr.: Gruppe Gottschalk

Herausfordernd wird die Optogenetik, wenn man mehrere Aktuatoren miteinander kombinieren möchte. „Viele davon sind Rhodopsine, und die reagieren auf ein breites Lichtspektrum“, erklärt Gottschalk. Zwar kann man monochromatisches Licht zum Anregen generieren, und jedes Rhodopsin hat auch eine Wellenlänge, auf die es besonders gut anspricht. Dieses Maximum ist aber kein scharfer Peak. Gottschalk hierzu: „Dadurch wird ein Multiplexing schwierig. Zum Beispiel reagiert das Kanalrhodopsin Chrimson besonders gut auf rötliches Licht, ist aber auch im kürzerwelligen noch leicht anregbar.“ Verschiedene Aktuatoren in einer Zelle sollten also möglichst enge Spektren haben.

Gottschalks Team konstruierte einen optogenetischen Schalter, mit dem man Neuronen wahlweise de- und hyperpolarisieren kann. Für die Depolarisierung ist in diesem Setting Chrimson zuständig, das auf oranges Licht anspricht. Die Hyperpolarisation übernimmt eine Variante des Kanarhodopsins ACR2, die sich mit blauem Licht anregen lässt. Die Gruppe holte aber noch den Spannungssensor QuasAr2 als dritten Spieler mit ins Boot, dessen Fluoreszenz mit dem Membranpotential korreliert. QuasAr2 selbst ist nicht aktiv, gibt aber eine Rückmeldung darüber, wie die Zelle gerade polarisiert ist.

Vollständige Kontrolle

Amelie Bergs, ebenfalls Doktorandin bei Gottschalk, erläutert die Motivation hinter dem Projekt: „Oft ist es in der Optogenetik ja so, dass man lediglich eine Störung in einem System erzielt. Wir wollten aber wirklich Kontrolle über ein Neuron haben, so wie man es aus der klassischen Elektrophysiologie kennt. Mit dem Unterschied, dass unsere Spannungsklemme rein optisch funktioniert.“

Bergs testete das System in C. elegans und brauchte einige Zeit, bis alles funktionierte. „In der Theorie schien das leicht machbar, aber die Expression der einzelnen unabhängigen Tools klappte erstmal nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten“. Daher suchte Bergs nach einer Möglichkeit, beide Aktuatoren zuverlässig im Verhältnis eins zu eins zu exprimieren. Sie löste das Problem mit einem Tandem-Protein namens BiPOLES. „BiPOLES wurde in einer Kollaboration von Johannes Vierock und Silvia Rodriguez-Rozada unter Federführung von Simon Wiegert entwickelt“, ergänzt Gottschalk (Nat. Commun. 12(1): 4527).

Bergs et al. bezeichnen ihr System als Optogenetic Voltage-Clamp (OVC), auf bioRxiv kann man bereits eine Vorabfassung des Papers lesen, das bald auch in einem Peer-Review-Journal erscheinen soll (bioRxiv Doi: 10/jtq2- Link). „Das Ganze funktioniert über eine Feedback-Kontrolle“, so Bergs. Man kann einen Soll-Wert für die Fluoreszenz des Spannungssensors QuasAr2 einstellen. Ein Monochromator reagiert entsprechend automatisch und schaltet bei Bedarf zwischen blauem und orangem Licht hin und her. Das Licht steuert entweder Chrimson oder ACR2 an, um das Membranpotential auf dem voreingestellten Wert zu halten. Genaueres zur OVC können Sie in einem „Neulich-an-der-Bench“-Artikel in der nächsten Laborjournal-Ausgabe lesen.

Die Überlappung in den Anregungsfrequenzen war aber zunächst ein Stolperstein. Zwar vertrugen sich die beiden optogenetischen Aktuatoren, nachdem sie ins Tandem-Protein BiPOLES integriert waren. Die Anregungswellenlänge für QuasAr2 schaltete aber auch Chrimson ein. „Da haben wir uns einen Trick ausgedacht“, berichtet Bergs. „Wir haben eine Software geschrieben, um eine Ausgleichswellenlänge einzustrahlen, die den Effekt auf Chrimson kompensiert.“ In dem Maße, wie das Anregungslicht zum Auslesen der QuasAr2-Fluoreszenz auch den Depolarisierer Chrimson anspricht, öffnet blaues Licht den hyperpolarisierenden Kanal ACR2.

Die Optogenetik ist aber längst nicht mehr nur auf die Neurobiologie beschränkt. „Es geht nicht nur um Aktionspotentiale“, betont Gottschalk, der das Schwerpunktprogramm der DFG zur Optogenetik leitet (spp1926.de). Beteiligt daran sind neben vielen anderen auch die Gruppen von Andreas Möglich von der Universität Bayreuth und Günter Mayer von der Universität Bonn mit einem gemeinsamen Projekt: Die beiden verwenden optogenetische Elemente, um die Regulation von RNA zu beeinflussen – sie sprechen daher auch von Optoribogenetik.

Möglichs Labor widmet sich sensorischen Fotorezeptoren, Mayers Gruppe ist spezialisiert auf Nukleinsäuren und Aptamer-Technologien. Aptamere sind einzelsträngige Nukleinsäure-Stücke mit spezifischen Bindeeigenschaften zu anderen Molekülen. Sie sind gewissermaßen das Basen-Pendant zu Antikörpern. Für ihre gemeinsamen optoribogenetischen Projekte nutzen die beiden Gruppen Proteine mit LOV-Domäne (Light-Oxygen-Voltage) mit Flavin als Chromophor. Der LOV-Rezeptor PAL aus dem Actinobakterium Nakamurella multipartita hat sich dabei als hilfreiches Tool herausgestellt.

Neben LOV besitzt PAL eine sogenannte ANTAR-Domäne. „Die war bereits aus anderen Proteinen als Domäne beschrieben, die mit RNA interagiert“, erklärt Möglich. Mit diesem Wissen machte sich Mayers Gruppe damals auf die Suche nach RNA-Aptameren, die an PAL binden können – den natürlichen Bindungspartner kannte man noch nicht. In einer astronomisch hohen Anzahl zufällig erzeugter kurzer Nukleinsäuren suchten die Bonner nach Bindungspartnern für die PAL-Domäne und selektierten in mehreren Durchläufen mit dem sogenannten SELEX-Verfahren die jeweils besten aus (siehe hierzu auch den Journal-Club-Artikel „Zuwachs im Werkzeugkasten“ in LJ 10/2019 oder auf unserer Website).

Drei Aptamere blieben am Ende übrig, die gemeinsam mit PAL vielseitig nutzbar sind. „Diese Motive sind mit weniger als zwanzig Nukleotiden sehr klein. Das ermöglicht natürlich den Einbau in viele verschiedene RNA-Kontexte“, freut sich Möglich. „Was wir ursprünglich demonstriert hatten, war der Einbau dieser Aptamere am 5’-Ende von mRNAs“, blickt Möglich zurück auf das Jahr 2019 (Nat. Chem. Biol. 15(11): 1085-92). Das System funktioniert sowohl in eukaryotischen als auch in bakteriellen Zellen. Dazu wählt man ein Gen aus, dessen Translation man auf mRNA-Ebene per Lichtsignal abschalten möchte, und platziert dort die Aptamer-Sequenz. Ebenso muss natürlich PAL in den Zellen exprimiert sein, die man ansprechen möchte.

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Entwickeln raffinierte optogenetische Werkzeuge: Amelie Bergs, Marius Seidenthal, Alexander Gottschalk und Dennis Vettkötter Foto: Eva Dunkel

Blockierte Translation

Durch Blaulicht aktiviert, bindet PAL das Aptamer und blockiert die Translation der mRNA am Ribosom. Man kann aber auch den umgekehrten Weg einschlagen, bei dem die Translation erst durch Blaulicht ermöglicht wird. „Mithilfe von RNA-Logik und Antisense-RNA kann man den Output sehr leicht invertieren“, erläutert Möglich. Dabei ist das Aptamer nicht in die mRNA integriert, sondern in eine zur mRNA komplementäre Antisense-Sequenz eingebettet, die das Übersetzen der mRNA verhindert. „Das ist der Zustand im Dunkeln“, so Möglich. „Im Licht wird die blockierende RNA vom PAL-Protein gebunden und dadurch entfernt. So können wir mit Licht die Expression aktivieren.“ Ihre Ergebnisse zur Kontrolle der mRNA-Translation in Bakterien mit Licht haben die beiden Teams vergangenes Jahr vorgestellt (ACS Synth. Biol. 11(10): 3482-92).

Der Fantasie scheinen dabei kaum Grenzen gesetzt. Mayer erläutert, dass man sich ja nicht unbedingt auf mRNA beschränken müsse – mittels PAL ließe sich die Stabilität aller möglichen RNA-Moleküle manipulieren. „Man kann sogenannte Aptazyme in die RNA einbauen, das sind Ribozyme mit einer Self-Cleaving-Aktivität.“ Eine selbstschneidende RNA ist für sich genommen noch kein neues Tool. „Aber wenn Sie auch das Aptamer als Liganden für PAL zugeben, können Sie durch Licht die Stabilität der RNA steuern“, ergänzt Mayer. Schaltet man das Licht ein, bindet PAL an das Aptazym und verhindert das Zerschneiden der RNA. Auf einer mRNA würde man ein derartiges Aptazym am 3’-Ende einfügen. Ohne Licht hingegen liegt das Aptazym frei und zerschneidet die mRNA. Hierdurch löst sich der Poly-A-Schwanz auf und die mRNA wird rasch abgebaut.

Wer nun glaubt, zu den eingangs erwähnten Kanalrhodopsinen sei bereits alles erzählt, wird überrascht sein, wenn er oder sie auf die aktuellen Publikationen des Optogenetik-Pioniers Peter Hegemann schaut. Vergangenes Jahr beschrieb seine Arbeitsgruppe Experimentelle Biophysik an der Humboldt-Universität Berlin Kanalrhodopsine, die selektiv auf Calcium reagieren (Nat. Commun. 13(1):7844) sowie Kalium-spezifisches Kanalrhodopsin (Sci. Adv. 8(49): eadd7729). Einerseits hält die Natur nach wie vor jede Menge lichtsensitiver Proteine bereit, die nur darauf warten, in den metagenomischen Datensätzen entdeckt zu werden. Andererseits betreiben Entwickler mehr oder weniger gezieltes Engineering durch Austausch einzelner Aminosäuren in den bereits bekannten Proteinen.

Warum aber braucht es noch weitere Kanalrhodopsine im Werkzeugkasten, wenn dieser bereits etliche Schalter sowohl zum Erregen als auch zum Hemmen von Nervenzellen enthält? Bisher habe man zum Inhibieren vor allem mit Chlorid-leitenden Kanalrhodopsinen gearbeitet, erklärt Hegemann. „Nun sind Chlorid-Konzentrationen nicht sehr stabil, und in embryonalen Zellen sind die Chlorid-Konzentrationen in der Zelle hoch. Da würde das Chlorid dann auslaufen und die Zellen depolarisieren.“ Kalium sei das bessere und physiologischere Ion, um Neuronen zu inhibieren. „Deswegen war es gut, dass wir kürzlich ein Kalium-selektives Kanalrhodopsin produziert haben, das gut funktioniert.“

Die Kanalrhodopsine der Grünalgen haben es inzwischen sogar bis ins menschliche Auge geschafft. Mithilfe eines viralen Vektors integrierte Botond Roskas Gruppe an der Universität Basel vor zwei Jahren eine Chrimson-Variante in das Sehorgan eines erblindeten Patienten. Dieser war zuvor an Retinopathia pigmentosa erkrankt und kann inzwischen wieder Objekte grob erkennen. Allerdings benötigt er dazu eine spezielle Brille, die Veränderungen der Lichtintensität aus der Umgebung detektiert und dann als gezielte Lichtpulse auf die Retina projiziert (Nat. Med. 27(7):1223-29).

Auch für mögliche therapeutische Anwendungen liefert die Optogenetik also reichlich Inspiration und die nötigen Werkzeuge. Doch das wäre einen eigenen Beitrag wert.