Editorial

„Impactitis“…

(16.02.2024) … – schon seit Langem hat sich diese heimtückische Krankheit in Forscherkreisen weiter verbreitet, als es Covid-19 wohl jemals schaffen wird.
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Und auch ihre schlimmsten Symptome sind weithin bekannt: Anfangs völlig unbemerkt schleicht sich das infektiöse Agens in das Kreativitätszentrum des armen Forscheropfers und polt es langsam aber sicher um – bis der „Patient“ mit seinem ganzen wissenschaftlichen Schaffen nicht mehr danach strebt, möglichst „Großes“ zu entdecken, sondern vielmehr nur noch den Phantomen möglichst „hoher“ Publikationen in High-Impact-Zeitschriften nachläuft.

Ein fataler Irrweg, der in der Summe zwangsläufig die Qualität des wissenschaftlichen Fortschritts untergraben muss – und gegen den bislang noch keine wirklich wirksame Therapie in Sicht ist. Wer sollte die auch entwickeln, wenn gerade diejenigen, die sich besonders effizient in den High-Impact-Journalen tummeln, dafür erst recht belohnt werden? Von Berufungskommissionen, Forschungsförderern, Journal-Editoren, Preis-Jurys,…

Editorial

Nicht äquivlent mit wissenschaftlichem Wert

Sprichwörtlich kann ja bisweilen schon ein wenig Einsicht der erste Schritt zur Besserung sein. Zumindest schaden kann sie nicht. Hier also ein paar Dosen „Einsicht“:

(1) Relativ gesehen müssen High-Impact-Journals weitaus am häufigsten bereits publizierte Artikel wieder zurückziehen – oftmals wegen Fälschung.

(2) Die Mehrheit der Paper in High-Impact-Blättern werden unterdurchschnittlich zitiert; ihre hohen Impact-Faktoren erreichen sie vielmehr durch wenige Zitations-Blockbuster.

(3) Viele wirklich einflussreiche Studien wurden überhaupt erst jenseits des Zweijahres-Fensters zitiert, in dem sie für die Berechnung des Impact-Faktors mitzählen.

(4) Veröffentlichung in einem High-Impact-Journal ist nicht äquivalent mit wissenschaftlichem Wert. Erst kürzlich zeigte eine Studie, dass wirklich neue Erkenntnisse („novel“) sogar eher in Low-Impact-Zeitschriften erscheinen.

Beitrag zur Replikationskrise

5) Veröffentlichungen in High-Impact-Journalen sind hinsichtlich ihres Inhalts weniger verlässlich als diejenigen in „niedrigeren“ Journalen. Belohnungen für solche Publikationen tragen damit zur Replikationskrise mit bei.

Bleibt als Ergebnis dieser fünf kleinen Therapie-Dosen: Artikel in High-Impact-Journalen repräsentieren also keinesfalls automatisch die beste Forschung, nicht selten sogar ganz im Gegenteil.

Und, wie geht es jetzt Ihrer eigenen „Impactitis“? Fühlt sich die eine oder der andere vielleicht schon ein bisschen besser?

Ralf Neumann

(Illustration via DeepAI)

 

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Letzte Änderungen: 14.02.2024