Editorial

Zu viel ist auch nicht gut

(01.02.2024) Ein Überschuss an Serotonin macht nicht glücklich, sondern krank. Michael Bader und Trypto Therapeutics suchen erfolgreich nach Inhibitoren der Tryptophanhydroxylase.
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Gründer Radoslaw Wesolowski, Michael Bader und Edgar Specker (v.l.n.r.) sind der Konkurrenz mit ihrem Wirkstoffkandidaten TPT-004 weit voraus.

Nicht nur Mangel macht krank. Auch ein Zuviel kann Krankheiten verursachen, etwa ein Überschuss des Gewebs­­hormons Serotonin. Das biogene Amin wird ausgehend von der Aminosäure Tryptophan gebildet und übernimmt im Körper eine Vielzahl an Aufgaben. So hat ihm seine stimmungsaufhellende Wirkung die Bezeichnung „Glückshormon“ eingebracht. Außerdem reguliert Serotonin den Blutdruck, den Schlaf-Wach-Rhythmus, die Magen-Darm-Tätigkeit, den Augeninnendruck, die Körpertemperatur, das Schmerzempfinden und viele weitere physiologische Vorgänge. Es ist also kein Wunder, dass eine Störung im Serotonin-Haushalt die verschiedensten Symptome auslösen kann.

Als Ursache für Depressionen, wie lange gedacht, kommt Serotonin oder vielmehr dessen Mangel wohl nicht mehr infrage. Ein systematischer Review der Beweislage um die Serotonin-Theorie kam 2022 zum Schluss: es gibt keinen verlässlichen Beweis und keine Unterstützung für die Hypothese, dass Depressionen durch niedrige Serotonin-Aktivität oder -Konzentrationen ausgelöst werden (Mol Psychiatry, 28(8):3243-56).

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Vielgestaltiges Syndrom

Als Leiter der Arbeitsgruppe „Molekularbiologie von Hormonen im Herz-Kreislaufsystem“ am Max Delbrück Center in Berlin interessiert sich Michael Bader für das Gewebs­hormon und die Probleme, die es in der Peripherie – also außerhalb des Zentralnervensystems – auslösen kann. Eine natürliche Ursache für einen Serotonin-Überschuss sind Tumoren der Serotonin bildenden Zellen in verschiedenen Organen. Da dabei je nach betroffenem Zelltyp auch weitere vasoaktive Substanzen überproduziert werden können, sind die Symptome dieses Karzinoid-Syndroms sehr vielgestaltig. „Das Karzinoid-Syndrom ist die offensichtlichste Erkrankung, die durch erhöhtes peripheres Serotonin ausgelöst wird und dagegen gibt es auch schon eine zugelassene Behandlung, die auf der Hemmung der Serotonin-Synthese beruht“, erklärt Bader. „Wir und andere Arbeitsgruppen haben aber bei der Untersuchung von Knockout-Mäusen für das Serotonin synthetisierende Enzym in der Peripherie gesehen, dass die in diesen Tieren beobachtete Reduktion von Serotonin im Blut und peripheren Organen noch vor weiteren Erkrankungen schützt, darunter Lungenhochdruck, Fettleibigkeit und verschiedene fibrotische Erkrankungen der Lunge, der Haut und der Leber.“ Damit war die Idee geboren, nach einem Inhibitor dieses Synthese-Enzyms zu suchen.

Substanzsuche in der Bibliothek

Serotonin ist nicht hirngängig und muss deshalb in der Peripherie und im Zentralnervensystem unabhängig voneinander produziert werden. Der wichtigste Syntheseort in der Peripherie ist die Darmschleimhaut, von wo das Gewebs­hormon über die Blutbahn an weitere Organe verteilt wird. Die Synthese erfolgt in zwei Schritten aus Tryptophan: Im ersten Schritt hängt die Tryptophanhydroxylase TPH1 eine Hydroxylgruppe an die Aminosäure Tryptophan an. Dieses Enzym fehlte den Knockout-Mäusen von Baders Arbeitsgruppe. Das dadurch entstandene 5-Hydroxytryptophan wird dann im zweiten Schritt durch die Aromatische-L-Aminosäure-Decarboxylase zu 5-Hydroxytryptamin, also Serotonin, decarboxyliert.

Auf der Suche nach geeigneten Hemmstoffen für TPH1 tat sich Bader mit Edgar Specker zusammen, der am Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) die Technologie-Plattform „Compound Management“ leitet und Zugriff auf die umfangreiche Substanzbibliothek des FMP hat. Gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen, Dirk Pleimes und Radoslaw Wesolowski, gründeten Bader und Specker im letzten Jahr die Trypto Therapeutics GmbH, um ihre Wirkstoffkandidaten klinisch zu entwickeln.

Als Indikationen wählten die Forscher neben dem bekannten Karzinoid-Syndrom den Lungenhochdruck, für den es bereits mehrere Hinweise auf eine pathophysiologische Beteiligung von Serotonin gab. Trypto Therapeutics’ derzeit aussichtsreichster Wirkstoffkandidat TPT-004 ist ein Xanthin-Benzimidazol aus der Substanzbibliothek des FMP und bindet gleichzeitig an die Bindestellen für das Substrat und den Cofaktor der Tryptophanhydroxylase (J Med Chem, 66(21): 14866-96). Im Tiermodell konnte TPT-004 Lungenhochdruck bereits erfolgreich reduzieren. „Für die Indikation Lungenhochdruck befindet sich ein TPH1-Inhibitor einer anderen Firma bereits in einer klinischen Studie der Phase 2“, so Bader. „Aber unser Wirkstoff TPT-004 unterscheidet sich von den Substanzen der Konkurrenzfirmen durch eine andere Chemie, einen erweiterten Bindungsmodus und dadurch eine erhöhte Effizienz.“

Keine Nebenwirkungen bislang

Daneben hat der Wirkstoffkandidat noch weitere Vorteile. So ist er, anders als seine Konkurrenten, kein Prodrug und kann deshalb als einziger beschriebener TPH1-Inhibitor inhalativ gegeben werden. „Bei Lungenhochdruck und anderen Erkrankungen der Lunge ist das ein entscheidender Vorteil“, ist Bader überzeugt. Da TPT-004 außerdem wie Serotonin nicht hirngängig ist, kann es nur in der Peripherie wirken und greift somit nicht in den Hirnstoffwechsel ein. „Die Substanz war in präklinischen Studien oral und inhalativ sehr wirksam bei der Behandlung von Lungenhochdruck und hat keine Nebenwirkungen gezeigt. Deshalb ist sie sehr gut für die Erprobung am Patienten geeignet“, fasst der Herz-Kreislauf-Experte zusammen.

Damit ist der Weg frei für klinische Studien. „Trypto Therapeutics ist gerade intensiv dabei, Gelder dafür einzuwerben, durch Gespräche mit Venture-Capital-Firmen und potenziellen Kooperationspartnern aus der Pharmaindustrie“, sagt Firmengründer Bader. Durch öffentliche Drittmittel wie das Förderprogramm Pre-GoBio und den Spin-off-Support des Max Delbrück Centers sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sind bereits über vier Millionen Euro zusammengekommen. Und so hat Trypto Therapeutics auch schon weitere Indikationen im Blick, die mit einem erhöhten Serotonin-Spiegel einhergehen, wie etwa die nicht-alkoholische Fettleber und verschiedene fibrotische und entzündliche Erkrankungen.

Larissa Tetsch

Bild: Sorcery Science (Ohrringe) & P. Himsel/Campus Berlin-Buch


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Letzte Änderungen: 01.02.2024