Editorial

Auf Antikörper-Jagd

(23.09.2021) Das Schweizer Unternehmen Mabylon durchforstet zehntausende Patienten nach therapeutischen Antikörpern: Eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
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Babylon, die Stadt der Sünde. Untrennbar verbunden mit dem vermeintlich größen­wahnsinnigen und grausamen Herrscher Nebukadnezar gilt die antike Metropole gemeinhin als Hort menschlicher Abgründe. Dass die Stadt am Euphrat nicht nur eine der ältesten Gesetzes­sammlungen hervorgebracht hat, sondern auch ein Wissen­schafts­zentrum war, wird dabei gern übersehen.

Letzteren Bezug möchte sicher auch Adriano Aguzzi, Professor für Neuro­pathologie am Universitäts­spital Zürich, für seine Ausgründung Mabylon hergestellt wissen. Das Kofferwort aus der englischen Abkürzung mAB für monoklonaler Antikörper und Babylon geht nämlich allein auf sein Konto, wie er lachend erzählt: „Der Name war meine Idee und traf bei den Investoren zunächst auf Skepsis, gilt Babylon doch als Sinnbild für grandioses Scheitern. Aber ich habe mich durchgesetzt.“ Zu Recht, denn auf „Scheitern“ stehen die Zeichen für das Universitäts-Spin-off keineswegs.

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Die Gauß’sche Glocke

Die Firmengründung ist dabei ein direktes Ergebnis der Arbeiten des Aguzzi-Labors. Der Neuro­pathologe forscht schon seit den Neunziger­jahren an Prionen, also fehlgefalteten, pathogenen Proteinen. Im Laufe seiner Forschung zu diesem Thema hatte er eine Eingebung: „Ich dachte mir, dass wir in einer ausreichend großen Menge an Patienten einige Antikörper finden müssen, die gegen fehlgefaltete Proteine gerichtet sind, wie sie in vielen neuro­degenerativen Erkrankungen eine Rolle spielen. Das muss doch einer Gauß‘schen Verteilung folgen, an deren rechtem Rand sich Hochtiter-Proben befinden.“ Dabei sind Autoantikörper, also Immun­globuline, die gegen körpereigene Moleküle gerichtet sind, gemeinhin eher mit Autoimmun-Erkrankungen assoziiert. Attackieren sie aber krankhafte Proteine, können sie zur Therapie eingesetzt werden, wie das Beispiel des kürzlich zugelassenen Antikörpers Aducanumab zeigt (siehe dazu auch „Wer hat’s erfunden?“ auf LJ Online).

Das Problem: Solche Autoanti­körper sind selten. Um die nötige Masse an Patienten zusammen­zubekommen, nutzt Aguzzis Team am Universitäts­spital Zürich übrig gebliebene Blutproben: „Jedes Jahr kommen etwa 80.000 Patienten zur Blutabnahme in unser Spital. Darunter sind meiste kranke Personen, aber auch Gesunde, zum Beispiel Schwangere. In dieser riesigen Kohorte suchen wir dann nach Autoanti­körpern für bestimmte Targets. Alles natürlich mit informiertem Konsens der Patienten und Zustimmung der Ethik-Kommission“. Zudem hat das Team Zugriff auf eine mit über 200.000 Proben prall gefüllte Biobank.

Aguzzis Eingebung zahlt sich aus: unter 40.000 Patienten finden sich in der Regel 20 Personen, die einen Antikörper-Titer gegen ein bestimmtes therapeutisch interessantes Target aufweisen. Um diese Mengen jedoch stemmen zu können, setzen die Züricher auf Automation: „Wir arbeiten im Spital mit Pipettier­robotern, alles läuft automatisch. Wir schaffen etwa 40.000 ELISAs am Tag – und das alles mit anderthalb Laboranten­stellen“, erläutert Aguzzi. Ein großer Vorteil der so identifizierten Antikörper sei deren gute Verträglichkeit. Da sie im Körper der Blutspender keine Autoimmun-Erkrankung auslösen, sei auch bei einem therapeu­tischen Einsatz nicht mit Komplikationen zu rechnen.

Ein wissenschaftlicher Animateur

Die Immunglobuline lizenziert die Universität Zürich an das Start-up Mabylon, denn mit der Identifikation der Immun­globuline allein ist es nicht getan. „Haben wir die Antikörper identifiziert, müssen diese dann in größerem Maßstab hergestellt werden. Die Klonierung, das Protein Engineering und die Herstellung läuft alles in den Laboren der Mabylon AG“, erklärt Aguzzi. Dabei habe das Unternehmen keinen Exklusivvertrag mit der Universität, wie er betont.

Der Neuropathologe fungiert als einer der wissen­schaftlichen Berater des Biotech-Start-ups. Selbst bezeichnet er sich als wissen­schaftlicher Animateur und präzisiert: „Ich habe die derzeitigen Targets vorgeschlagen. Ich kann da auf ein gutes Netzwerk zurückgreifen, bin viel auf Vorträgen und Konferenzen. Das ist eine gute Möglichkeit, frühzeitig potentielle Antikörper-Targets zu identifizieren“. Zudem sitzt Aguzzi im Board of Directors, dem Verwaltungsrat des Unternehmens.

Alles privat

Das Schlieremer Unternehmen sieht sich derzeit finanziell gut ausgestattet, trotz des völligen Verzichts auf Wagniskapital. „Die Mabylon AG wird eigentlich von zwei privaten ‚Angel Investors‘ getragen. Zum einem von dem kürzlich verstorbenen Fritz Gerber und von Rolf Hänggi“, sagt Aguzzi. Die beiden sind in der schweizerischen Konzern­landschaft keine Unbekannten. Gerber war lange Jahre parallel Geschäfts­führer des Industrie­versicherers Zürich und des Pharma­riesens Hoffmann-La Roche. Hänggi bekleidete ebenfalls ein hohes Amt im Verwaltungsrat des Pharma­konzerns. Zudem finanziert sich das Biotech-Start-up über Kooperations­verträge mit anderen Firmen. Welche das sind, verrät Aguzzi jedoch nicht.

Für die nächste Zeit möchte sich Mabylon auf weitere Targets konzentrieren. Mittlerweile haben sich hunderte von Antikörpern angesammelt, die sich in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung befinden, wie Aguzzi erzählt. Dabei gehe es um die Indikationen ALS, Alzheimer und Neuro­inflammation. Auch ein weiteres Ziel möchte der Neuropathologe verfolgen: „Ich hatte die Idee, Allergie-verursachende Antikörper vom Typ IgE in IgG-Antikörper umzuwandeln. Diese könnte man dann vorsorglich geben, damit sie die Allergene abfangen, bevor diese an die IgE-Moleküle binden können“. Auf die Idee kam der Schweizer Mediziner durch seine Tochter, die an einer schweren Erdnuss­allergie leidet. Die bereits durchgeführten Tierversuche seien spektakulär und Aguzzi dementsprechend sehr zuversichtlich.

Tobias Ludwig

Bild: Pixabay/PaulSBarlow


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Letzte Änderungen: 23.09.2021