Editorial

Tinte, Tests und
Therapien

(16.11.2023) Der m4 Award 2023 verspricht vielleicht keinen Ruhm, aber jede Menge Geld und unternehmerische Unterstützung für fünf bayrische Start-ups in spe.
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„Damit können wir über ein Jahr Vollzeit und hochkonzentriert forschen und arbeiten“, so Stefan Schrüfer vom Erlanger Start-up-Projekt RevoBITs. Gemeint sind die 500.000 Euro Preisgeld des m4 Awards. Neben RevoBITs können sich noch vier weitere vor allem Münchner Teams über eine halbe Million Euro freuen und über eine „aktive Begleitung“ durch Menschen, die sich mit Gründungen auskennen.

Seit 2011 vergibt die BioM, die Netzwerk­organisation der Biotechnologiebranche in München und Bayern, den Award alle zwei Jahre an angehende biomedizinische Start-ups. Mehr als 30 Bewerbungen gab es in diesem Jahr. In den letzten 12 Jahren sind aus den Gewinnern 15 Ausgründungen hervorgegangen. Darunter die 2019 von LJ interviewten Tubulis, die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) gegen solide Tumore und das Hodgkin-Lymphom in die Klinik und dann auf den Markt bringen wollen. „Der Gewinn des m4 Awards war ein entscheidender Meilenstein auf unserem Weg, Tubulis zu dem zu machen, was es heute ist. (...) Heute, mit einer 60 Millionen Euro Serie-B Finanzierung im Rücken, sind wir mehr denn je motiviert und dankbar für die Unterstützung, die wir auf diesem spannenden Weg erhalten haben,“ so Co-Gründer und CSO Jonas Helma-Smets in einer Pressemitteilung.

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Revolutionäre Mischtechnik

Auch für die aktuellen Preisträger kommt die Unterstützung gerade recht. Schrüfer und seine Kollegen von RevoBITs etwa basteln an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg eifrig an einem Biodrucker der nächsten Generation. Smart soll er sein und die meisten Tierexperimente überflüssig machen. RevoBITs steht dementsprechend auch für Revolutionary Biofabrication Technologies. Gelingen soll dies mit einem neu entwickelten Druckkopf, der mit verschiedenen temperatur­sensitiven, protein­basierten Biotinten klarkommt und diese mischt. Während des Druckens wird der Prozess überwacht und angepasst, sodass am Ende ein Konstrukt entsteht mit biologisch relevanten mechanischen und biochemischen Eigenschaften. Begonnen hat das Bioprinting-Projekt 2018 mit den Doktorarbeiten von Schrüfer und Kollege Ruben Scheuring.

Zu den vier weiteren m4-Award-Gewinnern zählt das BIOspire-Team mit Forschern der Universität der Bundeswehr in München. Ihr hochauflösendes, intelligentes und zum Patent angemeldetes Bild­gebungs­sytem kombiniert drei Arten von Imaging-Verfahren: die tomografische Bildgebung, die holografische Rekonstruktion und die linsenfreie Bildgebungstechnik. Dazu kommt noch etwas künstliche Intelligenz und eine App. „Wir haben etwas, was bisher niemand in dieser Form geschafft hat, umgesetzt. Die Kombination eines linsenfreien Mikroskops mit den Bildgebungs­verfahren Holographie und Tomographie und multimodaler KI“, fasst Gründerin und Erfinderin Tülay Aydin in einer Pressemitteilung zusammen. Das Ganze soll zunächst Kinder­wunsch­behandlungen erleichtern, denn die Technik ermöglicht eine vollständige und schadlose 3D-Abbildung lebender Zellen wie etwa Spermien. So können Repro­duktions­mediziner ganz in Ruhe die äußeren und inneren Zellstrukturen begutachten und beispielsweise den DNA-Fragmentierungsindex bestimmen. Laut Website sucht das BIOspire-Team übrigens gerade einen Lead Optical Engineer in Holographic Imaging.

Bakterientest auf Papier

Mit einer schnelleren und bequemen Diagnostik von Harnwegs­infektionen beschäftigt sich das Team von BugSense von der Technischen Uni München. Bislang muss bei der Hausärztin oder dem Urologen eine Urinprobe abgegeben werden, die häufig in einem externen Labor untersucht wird. Dabei vergehen bis zum endgültigen Ergebnis meist mehrere Tage. Sarah Wali und Oliver Hayden möchten das ganze Prozedere innerhalb eines Tages abwickeln – und zwar mit einem papier­basierten Test ähnlich eines Schwangerschaftstests. Die Teststreifen taucht der Patient selbst in die Probe ein und bekommt am Ende auf seinem Smartphone vier Ergebnisse angezeigt: ob eine Infektion vorliegt, wenn ja, mit welchem und mit wie vielen Bakterien und gegen welches Antibiotikum das Bakterium resistent ist. Wie genau die Teststreifen funktionieren, haben die angehenden Unternehmensgründer nicht direkt verraten. Möglicherweise spielen dabei „surface imprinted polymers“ wie Polyurethan eine Rolle. Darüber hat Oliver Hayden zumindest vor einigen Jahren publiziert („Selective Microorganism Detection with Cell Surface Imprinted Polymers“ in Advanced Materials, 13(19):1480-3). Die ersten kleineren klinischen Tests hat das BugSense-Team bereits absolviert.

Am Helmholtz Zentrum München wiederum arbeiten Kamyar Hadian und Doktorandin Juliane Tschuck an besseren Therapien für Autoimmun­erkrankungen wie die rheumatoide Arthritis (RA). Für die RA gibt es bereits Medikamente, diese sind laut Hadian aber zum einen zu teuer, müssen injiziert werden und haben durchaus heftige Nebenwirkungen, zum anderen sprechen viele Patienten auf diese Präparate überhaupt nicht an. Gesucht ist also ein sicherer, verträglicher Wirkstoff in Tablettenform. Bei einem Screening fiel dem TUBiRA-Team ein „kleines Molekül“ auf, das die Protein-Protein-Interaktion von TRAF6-Ubc13 hemmt. Bindet TRAF6 an Ubc13, werden angeborene und adaptive Immun­antworten aktiviert, vor allem durch den NF-kappaB-Weg. Bereits 2018 haben Hadian und Kollegen den Small-Molecule-Inhibitor C25-140 beschrieben, der die TRAF6-Ubc13-Interaktion verhindert und dadurch die NF-kappaB-Aktivierung in verschiedenen Immun- und Entzündungs­signalwegen sowohl in Mauszellen als auch in primären menschlichen Zellen (Peripheral Blood Mononuclear Cells) vereitelt (J Biol Chem, 293(34):13191-203). In den kommenden Monaten wollen Hadian und Tschuck erstmal mehr Daten für präklinische Studien generieren, dann erst soll eine Firma gegründet werden, um den Inhibitor schließlich in die Klinik zu bringen.

Drei Injektionen gegen HBV

Last but not least, Gewinner Nummer 5 ist eine Immun­therapie gegen chronische Hepatitis-B-Virus (HBV)-Infektionen. Hinter dem TherVacB-Projekt steht ein ganzes Konsortium mit sechzehn Partnern aus fünf europäischen und einem afrikanischen Land. Vom Helmholtz Zentrum München ist die Arbeitsgruppe von Ulrike Protzer beteiligt. Etwa 260 Millionen Menschen weltweit sind von chronischen HBV-Infektionen betroffen, ihr Immunsystem schafft es nicht mehr allein, das Virus wieder loszuwerden. Die therapeutische Impfung soll nun diese Immun­toleranz durchbrechen. „Wir glauben, dass eine gleichzeitige Aktivierung von B- sowie CD4- und CD8-T-Zell-Antworten notwendig ist, um eine Immunkontrolle von HBV zu erreichen“, schreibt das TherVacB-Konsortium auf seiner Website. Dafür sind insgesamt drei Injektionen nötig: Zuerst wird das Immunsystem des Patienten zweimal mit Oberflächen- (HBsAg) und Kapsid-Antigenen (HBcoreAg) des Virus geprimt, darauf folgt vier Wochen später die Booster-Impfung mit einem Modified-Vaccinia-Ankara-Virus-Vektor, der HBV-Antigene exprimiert. Die Vorbereitungen für eine klinische Studie der Phase 1 laufen bereits. Die weitere klinische Entwicklung soll mit einem Start-up im Rücken realisiert werden, das m4-Award-Preisgeld ebnet dafür den Weg.

Kathleen Gransalke

Bild: Pixabay/Ralphs_Fotos


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Letzte Änderungen: 16.11.2023