Editorial

In der Höhle der HiPos

(07.08.2023) Die Agentur für Sprunginnovationen hilft mit „ordentlich Geld“ kreativen Forschern durchs „Tal des Todes“. Wie, erklärt Direktor Rafael Laguna.
editorial_bild

Herr Laguna, Menschen die sich mit Innovationen und Zukunfts­technologien beschäftigen, wurden ja oft schon in der Jugend mit Science Fiction angefixt.
Rafael Laguna: In meiner DDR-Zeit, ich war ja hier bis ich 10 war, bin ich noch nicht so damit in Berührung gekommen. Es war wahrscheinlich die Foundation-Triologie von Isaac Asimov, die mich am meisten beeinflusst hat. Später kam dann Arthur C. Clarke dazu, Rendezvous mit Rama, aber auch die lustigen Bücher von Douglas Adams.

Sprunginnovation, das ist ja das, was Sie machen. Der Begriff erschließt sich nicht automatisch. Ich verstehe es so: Otto und Diesel erfanden Motoren, Carl Benz baute das erste Auto und Henry Ford machte es mit dem „Model T“ und der Fließband­produktion massentauglich. Otto und Diesel waren Erfinder, Benz war Innovator, Sprunginnovator war Ford.
Laguna: Ja, man muss es in die Welt bringen und das hat Ford gemacht. Sein Ziel, dass sich jeder seiner Arbeiter auch ein Auto leisten konnte, war auch eine soziale Innovation. Nun stand Ford auf den Schultern von Giganten, ohne die Vorgenannten hätte er nicht erfolgreich sein können. Deswegen sind sie zumindest Teil dieser Sprunginnovation und haben damit auch einen Orden verdient.

Editorial

Eines unserer Probleme in Deutschland ist ja, dass wir keine richtige Fehlerkultur haben.
Laguna: Ja, Wissenschaft lebt davon, zu scheitern. Eine Kultur des Nichtscheitern-Wollens schließt aus, dass man Risiken eingeht, und damit sammelt man auch keine Erkenntnisse. Damit bremst man den Fortschritt. (…) Als Agentur für Sprunginnovationen würden wir unseren Job nicht machen, wenn wir keine Risiken eingingen. Aber wir müssen natürlich dem Bundes­rechnungshof und auch den Bürgerinnen und Bürgern erklären, warum wir für etwas Geld ausgegeben haben und es beispielsweise nicht geklappt hat.

Ein wichtiges Instrument, wenn nicht das wichtigste, sind die SPRIND-Challenges. Wie läuft so eine Challenge ab?
Laguna: Wir ermitteln, was die großen Fragen der Zeit sind; wo sich Techno­logie­pfade kreuzen und wo wir hoffen können, dass wir in absehbarer Zeit und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eine Sprunginnovation auslösen können. Wir wissen aber nicht, welcher Techno­logiepfad das ist. Zum Beispiel brauchen wir dringend einen antiviralen Breitband­wirkstoff. Da ist in der Biotechnologie in den letzten zehn Jahren wahnsinnig viel passiert. Wir machen einen öffentlichen Aufruf zur SPRIND-Challenge. Die Teams bekommen sechs bis acht Wochen Zeit, um einzureichen, wie sie die Nuss knacken wollen. Da bekommen wir in der Regel etwa 50 Einreichungen.

Die Teams reichen also nur die Idee ein, wie sie herangehen wollen?
Laguna: Unterschiedlich. Manche sind noch im Ideenstadium, manche haben schon Vorarbeit geleistet. Am liebsten sind uns die, die schon unterwegs sind, die etwas am Wickel haben, das den Durchbruch bringen könnte. Häufig sind sie unterfinanziert.
Diese Einreichungen werden dann von uns vorgescreent und einer Jury zur Verfügung gestellt. Das sind dann etwa 20, die durch das erste Tor kommen. Die ausgewählten Teams dürfen dann vor der Jury pitchen, die ist besetzt mit einem diversen Team von Fachleuten, also Biologen und Mediziner, aber auch Venture-Capital-Leute und Gesellschafts­vertreter. Die Jury wählt dann zwischen 5 und 15 Teams aus, die an der Challenge teilnehmen dürfen.
Die Teams kriegen in der Regel Geld fürs erste Jahr, das kann zwischen einer halben und einer Million sein, also schon ordentlich Geld. Damit können die Teams losarbeiten und werden zudem von uns gecoacht, begleitet. Nach einem Jahr müssen sie uns zeigen, wie weit sie gekommen sind und dann wählt die Jury aus, wer weitermachen darf. Diese Teams bekommen mehr Geld, meist das Doppelte fürs zweite Jahr. Zwischen einem Drittel und der Hälfte der Teams können nicht weitermachen.
Wir haben jetzt vier Challenges am Laufen und sind total happy mit der Art und Weise, wie sich das Tempo entwickelt und was wir schon sehen können. Das ist nicht die „Höhle der Löwen“, sondern die Höhle der HiPos, der High Potentials.

Die Finanzierung soll ja das Problem lösen, das „Tal des Todes“ zu überwinden, welches durch Wegfall von Forschungs­geldern ab einer bestimmten Entwicklungsphase entsteht.
Laguna: Ja, wir helfen den Teams auch dabei, für die Kommerzialisierung die Anschluss­finanzierung zu bekommen. Wir können nur den vorkommerziellen Bereich finanzieren, das ist das „Tal des Todes“. Irgendwann muss dann ein Technology Readiness Level erreicht worden sein, der zeigt, dass man jetzt auch eine Kommerzialisierung machen kann. Time to market, product market fit oder auch Kommerzia­lisierbarkeit usw. muss privat­wirtschaftlich finanziert werden. Aber auch da fangen wir schon frühzeitig an, die Teams zu begleiten, damit sie den Übergang auch hinkriegen.

Reden wir über Finanzen, die SPRIND ist ja scheinbar gut aufgestellt. Trotzdem fehlt Ihnen das versprochene Freiheitsgesetz für SPRIND. Was muss man sich darunter vorstellen?
Laguna: SPRIND ist ja ein Real-Labor, wie man Innovations­finanzierung anders machen kann. Wir lernen jetzt seit drei Jahren, wie solche Instrumente aussehen müssen. Wir haben aber eine sehr verlangsamte Art sie umzusetzen, weil wir mit sehr vielen Ministerien abstimmen müssen, wie wir das tun, und es dann auch noch genehmigt bekommen müssen. Diese Prozesse zu verkürzen, dafür ist das SPRIND-Gesetz da. Weil Fachkompetenz zum Thema Sprunginnovation und neuer Innovations­förderung, das sind wir. Und dann muss man uns auch einfach mit der hoheitlichen Aufgabe betrauen, das zu tun.

Sie wollen also raus aus dem traditionell langsamen Fördersystem, wo man jedes Töpfchen beantragen muss, jedes genehmigt werden muss und jeder mitzureden hat?
Laguna: Ja, welchen Bleistift darfst du kaufen. So funktioniert Innovation nicht. Wir müssen eine Finanzierung haben, die Risiken einprobt und dann auch das Gelernte sofort umsetzt. Jeder, der schon mal ein etwas komplizierteres Projekt gemacht hat, weiß, dass man agil reagieren muss auf Dinge, die man lernt, und das sofort. Du hast vielleicht einen Plan, nach dem du losgearbeitet hast. Doch nach fünf Metern weißt du, so geht es nicht – du musst es anders machen. Das ist in einem so starren System nicht möglich.

Früher in der DDR gab es Fünfjahrpläne.
Laguna: Ehrlich gesagt, unsere Projekt- und Zuwendungs­anträge sind solche Fünfjahrpläne.

Wir haben ein Thema bisher ausgelassen, was eigentlich bei ihrer beruflichen Herkunft naheliegt. Die Frage der IT und der Anonymisierung von Gesundheitsdaten.
Laguna: Darauf gibt es leider keine einfache Antwort. Die Anonymisierung von Daten, bei wachsender Komplexität, wird eigentlich immer unmöglicher. Man kann sagen, wenn Daten anfangen interessant zu werden, dann ist eine Anonymisierung fast nicht mehr möglich.

Weil eine De-Anonymisierung möglich ist?
Laguna: Genau. Die Blutprobe enthält DNA, da haben wir den Thomas Köhler ganz schnell wieder rausgebuddelt. Es gibt Ansätze, die sicherlich sinnvoll sind. Der Erste ist, dass man die Daten beim Datenbesitzer hält. Wenn der Thomas Köhler auf seinem Handy seine ganzen Gesundheits­daten hätte, dann kann er entscheiden, wem er sie gibt. Wenn eine Anfrage kommt: „Hier ist der Pharmakonzern X. Wir wollen eine Studie machen und Sie sind in der Zielgruppe. Stellen Sie uns Ihre Daten zur Verfügung? Sie erhalten dafür 100 Euro.“ Dann können Sie sagen: „Was wird übermittelt? Ja/Nein.“ Die Technologie könnte es prinzipiell geben, da gibt es keine Gründe dagegen. Ich kenne einige Projekte, die daran arbeiten. Aber, es gibt keinen, der das mal zu einer Kohärenz bringt. Das müsste der Regulator, also der Gesetzgeber, machen.
Ein anderes Beispiel ist, dass man Daten komplett verschlüsselt zu jedem Zeitpunkt ablegen und Forschung mit den Daten machen kann, ohne dass die Daten sozusagen den Raum verlassen. Man hat natürlich auch hier ein De-Anony­misierungs­risiko. Aber man kann zumindest einige Sicherheits­stufen einbauen.
Das noch Banalere ist, Daten, die wir schon haben, überhaupt verfügbar zu machen. Gott sei Dank gibt es in der Bundesregierung jetzt die Initiative des Dateninstituts, wo wir schauen: „Was haben wir denn überhaupt an Daten. Wie können wir diese zur Verfügung stellen. Welche use cases können wir darauf setzen?“ Das wird erforscht werden, da geht man jetzt in die Umsetzung. Das Potenzial, das da liegt, ist pures Gold.

Wir sprachen über antivirale Breitbandmittel, in der Krebstherapie fördern Sie bispezifische Antikörper und wir haben gesehen, dass mit der Entwicklung der mRNA-Impfstoffe Verschwörungs­theorien entstanden und daraus die Querdenker­bewegung. Was kann man tun, um das für die neuen Technologien zu verhindern?
Laguna: Man kann nur aufklären. Es wird beispielsweise durch die Querdenker ein Wahrnehmungs-Ungleich­gewicht hergestellt, weil diese Menschen sehr viel Zeit damit verbringen, lauthals kundzutun, was sie denken. Sie sind aber keineswegs die Mehrheit.
Ich glaube, wir müssen auch unsere Medien­kompetenz verbessern. Indem man eben diesen lauten Minderheiten nicht überproportional Gehör gibt. Das ist die Verantwortung eines jeden Journalisten.

Also False Balance vermeiden?
Laguna: False Balance ist das richtige Wort und wir müssen auch auf die Kompetenz der Leute schauen, die da etwas sagen.

Das Gespräch führte Thomas Köhler

Das Interview erschien zuerst in ausführlicherer Form bei der Leipziger Zeitung.

Nachtrag aus der Redaktion: Eine neue, kleinere Variante der SPRIND-Challenge namens SPRIND-Funke haben Laguna und Co. kürzlich entzündet. Der Aufruf richtet sich an Forscher und Forscherinnen mit „radikal neuen Ideen“ für das Tissue Engineering. Die Aufgabe: „Erstelle ein fortschrittliches Konzept, welches das bisher am weitesten entwickelte künstliche Gewebe hervorbringt. Dieses Gewebe muss dem natürlichen Gewebe des Menschen so nahe wie möglich kommen (Größe, Struktur, Komplexität) und kann Elemente wie das Engineering von Zellen, die Entwicklung von Gewebearchitektur oder technische Materialien umfassen.“ Der SPRIND-Funke glüht zehn Monate lang in zwei Etappen. In der ersten achtmonatigen Phase erhalten Teams bis zu 500.000 Euro, um die Eigenschaften ihres künstlichen Gewebes zu demonstrieren. Für Phase 2 gibt es nochmals bis zu 100.000 Euro, um die klinischene Anwendung vorzubereiten. Bewerbungsschluss ist der 30. September. Viel Glück!

Bild: SPRIND GmbH


Weitere Artikel zu SPRIND-geförderten Projekten


- Die Self-made-Meerjungfrau

Das Münchner Start-up Mermaid Bio werkelt an intrazellulären Antikörpern – und zwar ganz ohne universitäre Unterstützung. Wie geht das?

- Einmal falten, bitte!

Plectonic Biotech will Krebszellen mit DNA-Origami an den Kragen. Vorher mussten die „tollkühnen Physiker“ aber lernen, mit Zellen zu arbeiten.

- „Wieder ohne Maske miteinander lachen“

Das wäre mit antiviralen, Mucus-bindenden Peptiden möglich. Oder mit RNA-Therapeutika. Der Bund fördert gleich mehrere Projekte im Kampf gegen Viren.

 



Letzte Änderungen: 07.08.2023